Hin Maierherz.

Roman in Ortginalbearbeitung nach dem Englischen von Clara Rheinau.

SS) (Nachdruck verboten.)

Sie täuschen sich vermutlich in ihrer großen Angst. Aber wenn Sie wollen, so bleiben Sie bis zum Morgen hier.*

Ich danke Ihnen,* versetzte Frau Ba- retti eifrig,ich bleibe sehr gerne." Sie legte Hut und Shawl ab, während Helene fürsorglich die Fensterblende herabließ und die inneren Läden schloß. Als sie zu ihrem Sitze zurückkehrte, hatte Frau Baretti sich bereits ganz häuslich niedergelassen so sehr häuslich, daß eS Helenen fast ein Lächeln entlockt hätte. Das schlafende Kind auf dem Schoße, hatte sie eine Näharbeit aus der Tasche gezogen und stichelte in vollem Eifer daraus loS. Fanny war nie gerne müßig gewesen, und eS ging ihr gegen die Natur ihre Zeit zu vergeuden. Dabei kam eS ihr nicht in den Sinn, zn den Dienstboten hin­unter zu gehen. Sie betrachtete sich als eine ganz paffende Gefährtin für Fräulein De- ring, und selbst wenn sie der jungen Dame nicht so viel zu erzählen oder zu erklären gehabt hätte, wäre eS ihr nicht eingefallen, sich aus dem Salon zurückztehen zu wollen. Der flüchtige Glanz ihres früheren Elendes hatte einen tiefen Eindruck auf Fanny Ba­retti zurückgelaffeu, und sie errtnnene sich stets mit hoher Befriedigung, daß auch sie einst in prächtigen Zimmern gewohnt und auf ihrer großen ReiseGnädige Frau" ge­nannt worden war. Und einmal eine Dame, war immer eine Dame, Frau Baretti's An­sicht nach.

Helene setzte stch ihr gegenüber und stu­dierte ihre Züge. Sie konnte sich leicht ver­stellen, daß diese Frau unter günstigen Um­ständen etwas Tüchtiges hätte leisten und einen fleißigen ordentlichen Mann recht glücklich machen können. So aber war ihr Leben rin verfehltes und der Umgang mit ihr nicht sehr angenehmen und erquicklich. Frau Baretti fühlte HelenenS forschende Blicke auf sich ruhen und schaute plötzlich von ihrer Arbeit auf.Ah, Sie möchten wissen, wa­rum ich Sie so lange getäuscht, Fräulein warum ich Ihnen nicht gleich bei unserer ersten Begegnung die Wahrheit gesagt habe!"

Ja, unter anderem dachte ich eben auch daran," versetzte Helene, überrascht über den Scharfsinn der Frau.

ES schien mir, als sei der Name Ba­retti keine gute Empfehlung für mich," er­klärte diese,und ich wünschte, ganz ver­gessen zu werden. Ich dachte, Elfte habe Ihnen erzählt, vor welcher Versuchung sie mich erettet und Sie hätten die schlimmste Meinung von mir."

Warum kamen Sie überhaupt zu mir?"

Ich hatte so viel von Ihnen gehört. Mein Mann war in beständiger Angst, von Ihren nach Elfte suchenden Spionen entdeckt zu wer­den, unv in Ihrer Nähe dachte ich sicher zu sein und bin eS aber doch nicht," fügte sie unzufrieden bei;und als Elfte bester wurde, sprach sie viel von Ihnen, als von einer teuern Freundin, die sie verloren hatte."

Arme Elfte!" seufzte Helene.

Ach sie war ein gutes Mädchen," fuhr Frau Baretti fort;eine große Last in vieler Beziehung, aber sehr gut. Sie rettete mich, und ich nannte mein Kind nach ihr.

So kam es mir in den Sinn, daß Sie eine gütige, mitleidige Dame seien, und als cs mir gar zu hart erging denn wo Paulo sein Geld aufbewahrte, konnte ich nie heraus- bringen, und es war kein Pfennig davon im Hause dachte ich an Sie und kam hier­her. Ich war sehr froh, daß ich es that, bis zum heutigen Abend."

Kann Ihr Mann einen Grund haben, nach Barstoft zu kommen?" fragte Helene.

Ich kenne seinen Grund," war die düstere Entgegnung.Er will mich umbringen und die Kleine dazu, wenn er Gelegenheit findet. Sie kennen sich nicht verstellen, o, in Ihrem ganzen Leben können Sie stch nicht vorstellen was für ein schrecklicher Mensch er ist."

Ja, ich kann es, sagte Helene.

Vor einem Monate lasen wir in einem französischen Blatte von ihm; er war da­mals gerade ausgebrochen, und in Frankreich herrschte große Aufregung darüber. Viermal hatte er schon versucht, wegzukommen. Er war der schlechteste Mensch in all den fran­zösischen Gefängnissen, und wenn er wild wurde, mußte man ihm mit dem Gewehr zu Leibe gehen, um ihn zum Gehorsam zu zwingen. Und doch, wenn er nüchtern war, Fräulein Dering ganz nüchtern ich kann mich erinnern, daß dies ein- oder zweimal vor­kam so war er ganz ruhig." Frau Ba­retti seufzte wieder. Wie ein Krampf er­faßte sie eine gewisse Zuneigung für ihn und ließ sie für den Augenblick seine frühere Wildheit bei der Erinnerung an sein besseres Betragen vergessen.

Sie können ihn noch bemitleiden ihm vielleicht verzeihen?" fragte Helene mit Teilnahme.

Wenn ich sicher wäre, daß er aber nein, ich könnte ihm nicht vertrauen. Wenn er keinen Rausch hätte, würde ich ihm hier viel­leicht einmal seine Tochter für einen Augen­blick anvertrauen; vielleicht auch Gott stehe mir bei I Da ist der Mensch schon wieder, ganz gewiß! Verbergen Sie mich verstecken Sie mich Irgendwo, von wo ich entfliehen kann."

Sie nahm ihr Kind, ihren Hut und Shawl mitsamt der Näharbeit und stürzte durch die nur angelehnte Thür in das Neben­zimmer, als draußen Jemand ungeduldig gegen die Fensterscheiben klopfte, vor denen die Läden inwendig geschlossen waren.

Helene fühlte sich einen Augenblick beun­ruhigt; aber ihr Mut kehrte rasch zurück. Sie trat an das Fenster, an welchem das Trom­meln immer heftiger und ungeduldiger wurde. Wer ist draußen?" fragte sie.

Ein Freund Ihr bester Freund, Fräulein Dering," sagte eine leise schwache Stimme.

Was wünschen Sie von mir? Warum kommen Sie in dieser Weise an mein Haus?"

Ich möchte nicht von den Dienstboten gesehen werden," war die rasche Antwort. Ich bin zu Tode gehetzt am Sterben!"

Am Sterben I" wiederholte Helene De­ring.

Ja, dem Tode nahe. Lassen Sie mich ein ich bin ein alter Freund Antonio's Vater. Ich habe Ihnen viel zu sagen."

Ich kann Ihnen nicht trauen," sagte Helene Dering.

Ich habe kaum soviel Kraft, als eine Maus," rief Paulo flehend; und ein heiseres Lachen kämpfte mit einem hohlen, verzweifelten Husten, ehe er beifügte:als wenn ein Mensch auf der Welt jetzt noch Angst vor mir hätte. Oeffnen Sie das Fenster werfen Sie einen Blick auf mich das wird genügen, sage ich Ihnen."

Es lag etwas in des Mannes Stimme, das die Wahrheit seiner Aussage bestätigte; Helene öffnete langsam den Fensterladen und zog die Blende auf. Sie konnte diesem Manne nicht so ohne Weiteres den Eintritt wehren; vielleicht brachte er gute Nachrichen für Frank Nord, Antonio oder sie selbst. Ja, er war sehr harmlos jetzt eine Se­kunde genügte, um Helene davon zu über­zeugen. Das Licht ans dem Zimmer fiel gerade auf sein mageres, verfallenes, geister­haftes Gesicht, auf seinen elenden, abgezehrten Körper. Mit langen krallenähnlichen Fingern hielt er stch an die Fensterbrüstung geklam­mert um nicht umzustnken, und eS schien nur wenig Grund vorhanden, seine Aussage, er sei dem Tode nahe, zu bezweifeln.

Helene schauderte zögerte eine Sekunde und öffnete dann, unerschrocken wie sie war, die Glasthüre, um dem Manne, der ihr eigenes Lebe» und das Leben ihrer Lieben verdüstert hatte, Einlaß zu gewähren.

50. Kapitel.

Die Prophezeihung Paulo Baretti's bei seinem letzten Zusammentreffen mit Antonio schien wirklich in Erfüllung gehen zu wollen das Gefängnisleben brachte ihn ins Grab. Er war ein schrecklicher Beweis, in wel­chen Abgrund das Laster des Trunkes und böse Leidenschaften stürzen, in welch elenden Zustand sie ihn versetzen können, als er j-tzt auf einen Stuhl niedcrsank und ver­zweifelt nach Atem rang, um zu Helene sprechen zu können. Seine schäbigen Klei­der waren schmutzig und mit Neisestaub bedeckt, und sein Gesicht drückte soviel Leiden und Elend aus, daß selbst Helene ihn bemit­leidete, obgleich sie vor ihm zurückwich und ihn fragte, was seine Gegenwart in ihrem Zimmer wohl für Folgen haben möchte. Paulo halte die abgezehrten Hände auf die Brust gedrückt und keuchte schwer, als ob jeder Atemzug eia Dolchstoß für ihn sei, und als Helene ihn anrcden wollte, bat er mit einer Gebärde um Schweigen, bis er Kraft genug zum Antworten habe. Als er sich ein wenig erholt hatte, nahm er seinen alten Matrosenhut vom Kopfe und sagte mit hohler Stimme:Ich bin nicht gekommen, um etwas zu verlangen haben Sie keine Angst. Ich erwarte keine Gunst von Ihnen ich kann es auch nicht erwarten. O, wie krank bin ich! Sehen Sie diese verwünschte Tatze an," rief er mit einem Anflug seiner alten Wildheit;selbst die kann nicht ruhig bleiben, sondern zittert wie Espenlaub. Sehen Sie, was aus mir geworden ist, und ich bin noch keine fünfzig Jahre all!" Paulo's Thränen flossne von jeher reichlich, in Augenblicken der Erregung, aber nie halte er mit so un­gekünsteltem Schmerze, mit so tiefer Wehmut geweint, als bei dieser Gelegenheit, da er Helene seine zitternde Hand als einen Gegen­stand des Mitleids zu beschauen gab.

Ja, Sie haben stch verändert," sagte Helene gedankenvoll.

(Fortsetzung folgt.)

Redaktion, Druck und verlas vonVernh. Hssmanuin Wildbeb.