Gin WaierHerz.
Roman in Originalbearbeitung nach dem Englischen von Clara Rheinau.
87) (Nachdruck verboten.)
Ihre WohlthLtigkeit und Güte gegen die Armen und Kranken kannten keine Grenzen, aber sie gab nur dann, wenn sie sich persönlich von der Bedürftigkeit und Würdigkeit der Bittsteller überzeugt hatte. Ihre Milde und Sanftmut, ihre immer bereite Teilnahme, unterstützt von reichen Geldspenden, gewannen ihr die Herzen der Armen, aber dennoch stand sie allein, ohne Freunde und Bekannte, überzeugt, daß Niemand sie je geliebt hatte, der ihren Charakter verstanden. Ihrem Bruder Friedrich war Elfte weit teurer gewesen, als die eigene Schwester; Elfte hatte gelernt, ihr zu mißtrauen ; Antonio Baretti hatte ihr Vermögen von ihrer Person nicht zu trennen vermocht, und Frank Nord war so weit gekommen, sie förmlich zu hasten, als er in Paris näher mit ihr bekannt geworden, und fand keine Ruhe und Genesung, ehe sic nach England zurückgekehrt war. Und dennoch blickte Helene nicht mutlos in die Zukunft; die herzlichen Briefe der fernen Freunde entschädigten sie für manche einsam verlebten Stunden. Antonio schrieb ihr von seinen Erfolgen und von den letzten Nachrichten, die er durch Frank Nord über Eiste erhallen, und Elfte selbst hatte ihr aus verschiedenen fremden Städten Briefe zugesandt voll neuerwachter Anhänglichkeit, voll Dank für ihre Bemühungen um sie selbst, als sie für immer verschwunden schien. Der Oberst fügte jedem Briefe eine freundliche Nachschrift bei, und Helene fühlte stch dankbar und befriedigt, daß die, welche früher nur Tadel und Vorwürfe für sie hatten, nun in der Ferne ihrer teilnahmsvoll gedachten.
Aber obschon sie nun in aller Ruhe ihre Tage zu verbringen hoffte, so sollte eS an abenteuerlichen Ereignissen in ihrem Leben noch nicht fehlen — der Roman ihres Lebens war noch nicht abgeschlossen.
48. Kapitel.
Unter Helene DeringS Schützlingen in Barstoft befand sich auch eine Frau, die von einem gewissen Geheimnisse umgeben schien, und deren seltsamer Charakter ihrer Wohltäterin viel zu denken gab. Im vorhergehenden Winter war sie eines Tazes in der Villa erschienen und hatte eine Unterredung mit der Besitzerin erbeten, die ihr auch gewährt wurde.
Die bleiche, große, schlechtgekleidete Frau war Helenen vollständig fremd, fragte aber in einer eigentümlich kurzen Weise, offenbar ohne unhöflich sein zu wollen, ob nichi in diesem Hause oder in Barstoft eine Stelle frei sei, welche eine ehrliche, arbeitsame Frau auSsüüen könne. Sie würde vorztehen in Fräulein Dering Dienste zu treten, fügte sie bei, aber auch ein anderes Unterkommen wäre ihr erwünscht.
„Hat man Sie hierher gewiesen?" fragte Helene.
Nein, dem war nicht so. Die Fremde kannte Niemanden in Barstoft. Früher hatte sie einmal von Fräulein Dering gehört und war zu Fuß von Chestwich nach Wolston gekommen, um WolstonhauS in anderen Händen zu finden. Dort hatte man ihr Fräu- lein DeringS Adresse gegeben.
„ES ist nicht Sitte bei mir, Fremde zu
unterstützen/ sagte Helene, „und ich finde eS eigentümlich, daß Sie, ohne mich zu kennen, sich all' diese Mühe machten, mich aufzu- stnden."
„Ich dachte mir, Sie würden einer so tiefgebeugten Frau, wie ich es bin, wieder aufhelfen/ war die leise Erwiederung. „Man sagte eS mir."
„Was hat Sie so sehr niedergebeugt?"
„O vielerlei; Mißgeschick, ein böser Mann und ein böses Temparament — alles zusammen."
»Hat Ihr Mann Sie verlassen?"
„Ja, ich glaube nicht, daß ich je wieder von ihm hören werrde."
„Haben Sie keine Zeugnisse?"
„Nein, ich versuchte eines zu bekommen, von meiner letzten Stelle, aber st« sagten, ich sei zu lange weg gewesen —und dann hatte ich auch mein hübsches Gesicht eingedüßt, das mir früher leicht einen Platz als Büffet- mädchen verschaffte. Vielleicht macht sich das wieder, wenn eS mir bester geht, wenn ich überhaupt Geduld habe, darauf zu warten — wenn nicht ich und mein Kind nächsten einen Sprung in'ö Waffen machen."
„Reden Sie nicht so," verwies Helene entrüstet. „Hier ist Geld — kaufen Sie Nahrung für stch und Ihr Kind, wenn Sic wirklich eia solches haben."
Die Frau blickte einige Sekunden stiru- runzelnd auf die Silbermünzen in HelencnS Hand, ehe sie darnach griff. „Danke Ihnen," sagte Sie schließlich; „allein ich wollte lieber einen ordentlichen Platz, kein Geld, obgleich dies den Hungertod noch einige Tage hinauS- schiebt. „Danke Ihnen," wiederholte sie, etwas weniger schroff, als das erste Mal.
„Wo ist Ihr Kind denn?"
Eine Frau in der Salzgaffe sorgt dafür, bis ich zurückkehre. Die Kälte schadet der Kleinen."
„Wie alt ist Ihr Kind?"
„Sechs Monate. Gerade sechs Monate nachdem ich — nachdem mein Mann mich verlassen, kam es zur Welt. Also im Ganzen führe ich schon ein Jahr dieses elende Leben."
„Wie heißen Sie? Wohnen Sie in der Salzgaffe und in welchem Hause?"
„O, in keinem Hause das einer feinen Dame bekannt ist. Die Frau heißt Green, und ich heiße Krlsty."
„Frau Green ist Wäscherin," sagte Helene; „ich kenne sie sehr gut."
Am folgenden Tage wurde die Fremde, welche stch in so eigentümlicher Weise um eine Stelle beworben, durch einen Besuch Fräulein DeringS überrascht. Helene überzeugte sich von der Armut der Fremden, sowie von dem Dasein des Kindes und fühlte sich mehr geneigt, auch dem Rest ihrer Erzählung Glauben zu schenken. Die Frau war hart und verbittert und fing an, ihr Interesse zu erregen; die zärtliche Sorge für Ihr Ktnd, ein hübsches, dunkeläugiges Mädchen, das aus Mangel an Pflege und Nahrung dahinschwand, blieb nicht unbemerkt von Helene. „Sie sind krank und bedürfen der Ruhe," sagte sie und bezahlte an Frau Green im Voraus für eine Woche Wohnung und Unterhalt für Frau und Kind. Am Ende dieser Woche fand sie Frau Kelsty in der Wäscherei ihrer Hauswirtin beschäftigt, mit großer Energie und Gewandtheit sich ihrer Arbeit hingebend.
„Ich bin jetzt stark genug, um ein we
nig zu arbeiten," sagte sie; „und ich scheue mich nicht davor, obschon ich auch schon andere Zeiten kannte. Aber die Seeluft bekommt der kleinen Elfte so gut, daß ich hier bleibe, wenn es möglich ist."
„Der kleinen Elste l" wiederholte Helene, leise zu dem kleinen Bündel auf einem der Stühle hintretend und das darin schlafende Kind betrachtend. „Was veranlaßte Sie, ihr diesen seltsamen Namen zu geben?"
Frau Kelsey errötete und arbeitete noch eifriger darauf los. „O, ich weiß eS selbst kaum. Es ist ein hübscher Name, nicht wahr Fräulein? Und ich kannte ein Mädchen, das Elste hieß."
„Nicht Elste Nord?" rief Helene stürmisch, ,o nein, diese konnte es nicht sein."
„Nein; es war Elste Schmidt, meine Nichte."
(Fortsetzung folgt.)
Verschiedenes.
— Ein wichtiges Nachschlagebuch für
den gesamten Geschäftsverkehr ist soeben vollständig im Verlage von E. H. Petzold in Bischofswerda (Sachsen) erschienen. Gemeinde- u. Ortslexikon des Deutschen Reichs,
ein VerzeichsniS sämtlicher Gemeinden und GntSbezirke, ferner aller nicht selbständigen Ortschaften, OrtSteile rc. deS Deutschen Reichsgebiets, sofern letztere über 50 Einwohner zählen. Das von vielen hohen Behörden empfohlene Werk behandelt in alphabetischer Reihenfolge weit über 100000 Ortschaften. Bei jedem Ort ist ersichtlich, ob er Stadt, Markt, Dorf, OrtSteil (Gemeindeteil) oder dcrgl. ist; ob er eine Gemeinde oder einen Gutsbezirk bildet; zu welchem Staat (ev. Provinz), Verwaltungsbezirk (Verwaltungsbehörde), Regierungsbezirk, Land- wehrbezlrk (Bezirkskommando), AmiS-, Laud- und Obcrlandesgericht er gehört, ferner ist angegeben Bestellungspostanstalt, nächste Eisenbahnstation (für Güterverkehr), Kirchen, Einwohnerzahl, etwaiges Militär, Reichsbankstelle, Handelskammer u. s. w. Bei Bearbeitug des Werkes gelangte ausschließlich amtliches Material zun Verwendung, auch sind alle Veränderungen, welche bis zur Drucklegung erfolgt sind, darin berücksichtigt worden. DaS Werk beginnt mit einem Verzeichnis der Reichsbehörden und einer kurz gefaßten Darstellung der Bundesstaaten unter Beigabe einer politischen UebcrstchtSkarte und ist in 26 Lieferungen L 50 Pfg. oder gebunden in 2 soliden Leinenbänden ü 7 Mk. 50 Pfg. komplett zu beziehen. Der Preis ist in Anbetracht auf die Reichhaltigkeit der Angaben als ein äußerst niedriger zu bezeichnen. Alle bisher erschienen Ortsschaftsverzeichniffe des Deutschen Reichs sind entweder bedeutend höher im Preise oder enthalten nicht alle Gemeinden. — Probesendungen oder Prospekte können durch jede Buchhandlung sowie vom Verleger direkt bezogen werden.
(Enttäuschung.) „Emilie, hast du Nachricht von deinem Bräutigam? .. . Wie geht es ihm?" — „O, sehr gut — aber ich habe mich schrecklich geärgert! Denk' dir nur, schickt er mir einen sechs Seiten langen Brief, und ich hatte mich so auf eine Ansichtskarte gefreut!"
(Der Parvenü.) Silberstein (in größerer Gesellschaft zu seiner Tochter Sarah): „Sarah, deklamier' den Katalog aus Wallenstein !"
«rbiMm. Dm« und vertag Beruh. Hosmaun tu «MM.