Gin Hinterher;.
Roman in Origtnalbearbeitung nach dem Englischen von Clara Rheinau.
85) (Nachdruck verboten.)
»Ich denke an meines Kindes Glück nicht an das Ihrige/ hatte Frank Nord gesagt, und welche Versuchung lag darin für Antonio, als er vor der Thüre inne hielt, um noch einmal darüber nachzudenken. Seines Kindes Glück — als ob er vermute, daß in Elsie'S Herzen noch Ueberreste ihrer früheren Neigung seien ; als ob der Vater fürchte, sie hin- wegzusühren, ehe er Klarheit über diesen Punkt erlangt und auf jede Gefahr hin erfahren wolle, was am besten für Sie fei.
AIS Antonio das Zimm» betrat, in welchem Elfte auf ihren Vater wartete, preßte ihm die Furcht das Herz zusammen, dies holde Kind für immer verlieren zu müssen. Wie sie sich herabneigte, um die Blumen in einer Vase zu ordnen, war sie von fast ätherischer Schönheit, und Antonio nahte sich ihr sehr schüchtern und verzagt. Ai? seine weltgewandte Sicherheit, sein früheres Selbstvertrauen waren geschwunden, denn ein Rückblick auf die Vergangenheit erfüllte ihn stets mit tiefer Beschämung. Er war nicht mehr der kühne Freier, der ihr ein LiebeSgeständ- nis entlockt; er wußte nichts von dem, was auf dem Grunde ihrer Seele geschrieben stand.
In Elftes'Augen lag ein seltsamer Ausdruck, der nicht dieser Erde anzugehören schien — ein Etwas, das sie nicht mit dem Irrsinn verlassen hatte, das anziehend und doch ehrfurchtSeinflößend war, als sei es ein Ausblick in eine ferne, unbekannte Welt. Ein flüchtiges Erröten huschte über ihr zartes Antlitz beim Eintreten Antonio's, aber kein weiteres Zeichen von Verlegenheit über seine Anwesenheit erregte hoffnungsfreudjg des FreicrS Herz.
„Wo ist mein Vater?" fragte Elsie; „ich glaubte, er hätte Sie vom Theater ab- geholt."
„Wir waren beisammen, Elsie; er sandte mich hierher, um mit Ihnen zu sprechen, bis er zurückkehrt oder ich zu ihm komme."
„Warum? Er — er wird doch nicht krank sein?"
Diesen einsamen, schwergeprüften Menschen war jedes Abweichen von dem gewohnten Pfade gleichbedeutend mit neuem Mißgeschick; sie hatten so wenig Freude gekannt in den' letzten langen Monaten. Es war so vor wenigen Minuten mit Antonio gewesen, als er Frank Nord ganz unerwartet zu Gesicht bekam ; es war so mit Oberst Nord, mit Helene Dering. Friede, Glück vielleicht, war für sie znrückgekehrt, aber sie alle schienen in nervöser Angst auf die düstern Schatten zu warten.
„Nicht krank, sondern wohl und kräftig und hochherziger, als er je zuvor gewesen. Er wünschte, daß ich zu Ihnen käme; er gab mir Erlaubnis einen Dil meines früheren Benehmens zu erklären, der Ihnen nie im rechten Lichte gezeigt worden."
„Aber aus welchem Grunde, da wir doch alle die Vergangenheit vollständig auSgelebt haben?"
„Sie gehen von hier weg," sagte Antonio mit bebender Stimme, „und ich könnte eS nicht ertragen, von Ihnen falsch beurteilt zu werden. Darf ich sprechen?"
Elfte geriet in sichtliche Erregung; ihre kleinen Hände spielten nervös mit den Blättern
der Blumen, aus den blauen Tiefen ihrer Augen sprach ein klein wenig Furcht vor ihm. Aber all dies dauerte nur eine Minute. In der nächsten setzte sie sich sehr ruhig nieder und betrachtete ihren früheren Verlobten mit vollkommener Gelassenheit. „Ich bin ganz Ohr, Antonio," sagte sie leise.
47. Kapitel.
Antonio begann nicht sogleich mit der Selbstverteidigung, die er so sorgsam ausgedacht und vorbereitet hatte. Elste's plötzliche Ruhr entmutigte ihn, obgleich er durchaus nicht wünschte, ihren Seelenfrieden ernstlich zu stören. Er hatte ein schweres Bekenntnis abzulegen und mochte nicht lange bei Einzelheiten desselben verweilen; er war weit weniger ruhig als seine Zuhörerin; sein Herz pochte in raschen, stürmischen Schlägen. Jetzt erst fühlte er, wie teuer ihm das Mädchen war, das ihm so geduldig gegenübersaß, wie rasch der Berechnung die Liebe gefolgt, und wie wenig er darauf gefaßt war, Elsie für immer zu verlieren. Uud einst hatte er den ersten Platz, den Platz selbst vor dem Vater, in ihrem Herzen eingenommen. O, wir viel Boden hatte er seitdem verloren! Und wie verschieden von jener war diese Elsie, welche anzureden er kaum den Mut hatte. Doch er mußte sprechen; vielleicht gelang eS ihm, sich ihre Liebe, ihr Vertrauen zurückzugewinnen. Für die nächsten Minuten vergaß Antonio vollständig den Expräsidenten von Alsako, und dieser saß sinnend bei seiner Tasse Kaffee und dachte bereit«, es sei Zeit, daß der junge Mann zurückkehre, um ihm vielleicht zu sagen, daß Elsie ihm verziehen und den alten Vater au den richtigen Platz gesetzt habe.
„Eiste — ich darf Sie wohl so nennen bis zum Ende?" sagte Antonio bittend, ,eS ist mein sehnlichster Wunsch, ehe sie Weggehen, von unserem gemeinschaftlichen Leben in Wolston zu sprechen."
„Ist das notwendig?" fragte Elfte.
«Ja; ich glaube es; um meiner selbst willen, hoffe ich eS sogar, denn ich möchte Ihnen beweisen, daß ich nicht mehr der eitle berechnende Abenteurer bin, wie vor einem Jahre."
„Sie haben dies bereits bewiesen."
„In welcher Weise?" war seine eifrige Frage.
„Indem Sie meines Vaters Freund wurden; er hat Sie richtiger beurteilt, als ich dies vermochte, sonst wären Sie nicht an seiner Seite, nicht wie sein eigener Sohn- Ich teile meines Vaters Hochschätzung für Sie, denn ich sehe, wie sehr Sie sich verändert haben, ich weiß, wie tief Sie das Vergangene bereuen. Warum also uns beide durch eine Wiederholung früherer Jrrtümer betrüben?" Eiste sprach dies Alles sanft und freundlich, aber mit einer Ruhe, welche etwa aufsteigende Hoffnungen Antonio's im Keime erstickte.
„Und dennoch würde ich eS verziehen, Ihnen alles nach meiner Weise, zu meiner eigenen Verteidigung zu erzählen," drängte Antonio, und Eiste machte keinen weiteren Einwand mehr dagegen. Als sie ia einer kleinen Entfernung von einander Platz genommen hatten, berichtete Antonio über sein Leben in Wolston von dem Tage an, da er in eine Familie eingeführt worden, deren Glück und Frieden er zerstört hatte. Er
sprach rasch und ernsthaft, ohne sich mit Einzelheiten aufzuhalten; er schrack vor nichts zurück, was seinem Charakter Eintrag that, aber ererwähntc auch alles, was ihn in ein helleres Licht zu setzen vermochte; und Elsie hörte ihm traurig und gedankenvoll zu. Manch, mal war es ihr unmöglich, ihre Erregung zu verbergen, aber Antonio war so sehr von seiner Erzählung in Anspruch genommen, daß er kaum darauf achtete. Er bemerkte den ernsten Ausdruck ihrer Züge und sah, daß keine Thräne, durch die Liede zu ihm erpreßt, in ihren blauen Augen schimmerten. Schien sie auch flüchtig bewegt, als er von ihrer letzten Trennung in Wolston sprach, so war eS doch sicher nur die schreckliche Erinnerung welche sich an diesen Tag knüpfte und ihr Gemüt bedrückte. Und sein heißester Wunsch war eS doch, sie von der Wahrheit und Innigkeit seiner damaligen Gefühle für sie überzeugt zu sehen.
Er hatte sein bestes zu seiner Verteidigung vorgebracht; an ihr war nun die Reihe, ihm zu vergeben, oder ihn zu verderben. Daß jene frühere treue Liebe, von der er mit so feuriger Beredtsamkcit sprach, auch jetzt noch in seinem Herzen lebt«, mußte Eiste unschwer erraten haben, und ihre Antwort — ihre ersten Worte — würden ihm nur zu gut die Wahrheit enthüllen. Ihre ersten Worte aber waren ein Ausdruck des Bedauerns.
Es thut mir leid, daß Sie mir dies gesagt," begann Elsie, und als sie Antonio erbleichen und tief Atemholen sah, fügte sie rasch und freundlich bei: „denn ich hatte di- Thalsachen schon früher erraten, hatte ich doch Zeit, darüber nachzudenken. Wenn ich Ihnen nun vestchere, daß ich jedem Ihrer Worte unbedingten Glauben schenke — daß ich Ihnen den Mangel an Vertrauen verzeihe, der mich mißtrauisch gegen Sie machte — daß ich sogar einsehe, wie sich alles zum Besten gefügt, da wir in keiner Beziehung zu einander Pasten — wird dies nicht dazu beitragen, diese letzten Stunden unseres Zusammenseins heiter und angenehm zu gestalten."
„Ja, ich hoffe es," versetzte Antonio nach einer Pause. Ein anderes Wort hatte sich bei ihrer ersten Erwiderung auf seine Lippen gedrängt, aber nach kurzem, hartem Kampfe mit seiner Selbstbeherrschung hatte er eS zu unterdrücken vermocht. Er sah das Vergebliche weiteren Bittens ein; er verstand ihren Wink, daß keine Erklärung die alten Bande wieder anknüpfen oder ihm den Schatz ihrer Liebe zurückerobern könne. So erhob er sich denn, um Abschied zu nehmen; er neigte sich lies über ihre kleine Hand und verließ schweigend das Gemach. Doch ehe er die Thüre hinter sich geschlossen, drang rin tiefer schmerz, licher Seufzer an sein Ohr, und alle Zurückhaltung vergessend, eilte er zurück und warf sich zu Elste's Füßen nieder. „O, Elfte," rief er leidenschaftlich, lasten Sie die Liebe, die wir einst beide kannten, wieder von ihrem Herzen Besitz ergreifen und und unsere Zukunft beglücken. Schicken Sie mich nicht weg, gehen Sie nicht von hier weg, ohne mir Hoffnung auf Ihre Rückkehr zu geben. Wenn Sie mir die Möglichkeit rauben, Ihre Liebe wieder zu gewinnen, so stoßen Sie mich in das Elend zurück I"
(Fortsetzung folgt.)
«ebaktian. Drei? und «erlag von vernh. Hotmonn tn Wildbad.