Gin Wockerherz.
Roman in Originalbearbeitung nach dem Englischen von Clara Rheinau.
72) (Nachdruck verboten.)
38. Kapitel.
Das Theater war an diesem Abend nicht vollständig besetzt. Das neue Stück war nicht wichtig genug, um eine große Nachfrage nach Plätzen zu verursachen, und in der mu, sikalaschen Welt von Paris kannte Niemand den Namen des jungen Komponisten. Zwar ging das Gerücht, dieser Antonio Baretti sei ein Genie, welches der glückliche Theaterdirektor ganz unversehens unter seinen Orchestermitgliedern entdeckt habe und so kam eS, daß ein kleines, aber kritisches Auditorium sich eingesunden hatte, Männer, die sich selber Komponisten nannten, Andere, welche deren Werke prüften, und sie berühmt machten oder zu Prahlern stempelten und viele, welche die Musik liebten und der neuen Operette voll Interesse entgegensahen.
Frank Nord blickte aufmerksam im Hause um, als er in seiner Loge Platz genommen; selbst in der Aufregung, die er mit seinem Schützling teilte, hatte er seine Tochter nicht vergessen und betrachtete durch sein Opernglas die Gesichter sämtlicher Anwesenden.
Vergebens! Elfi« war nicht darunter. Im nächsten Augenblick wurde deS Obersten Aufmerksamkeit durch den Beginn der hübschen Ouvertüre gefesselt, und so entging ihm der Eintritt Paulo Baretti'S mit seinen beiden Damen in die gegenüberliegende Loge. Er war nun mit ganzer Seele bei der Musik» denn er hatte Antonio versprochen» sich selbst ein Urteil zu bilden, um daraus einen Schluß auf des jungen Komponisten Zukunft ziehen zu können. Seine vornehme Erscheinung zog viele Blicke auf sich, auch Paulo Baretti'S Augen «änderten zu dem einsamen Herrn mit den edlen, blaffen Zügen, und ein plötzlicher Griff nach der Brüstung seiner Loge verriet, daß er sich sofort der Gefahr und Seltsamkeit der Bewegung bewußt wurde.
Paulo war an diesem Abende sehr aufgeregt — die Entdeckung von Antonio'S Namen auf einem Theaterzettel hatte ihn ganz außer sich gebracht, aber vollkommen nüchtern. Und obgleich Frank Nord wie eine Geistererscheinung vor ihm auftouchte, erkannte er doch augenblicklich seine schwierigie Lage und versuchte Herr darüber zu werden. Das blonde, bleiche Mädchen an seiner Seite blickte so nachdenklich auf das Orchester hinunter und schien ganz bezaubert von den Klängen der Musik, daß es gar nicht darauf achtete, als Paulo einen schweren roten Vorhang etwas vorzog, der eö fast ganz unsichtbar machte.
„Was soll dies bedeuten?* fragte Frau Baretti überrascht.
„Die Leute starren uns an — das kann ich nicht leiden," murmelte Paulo, sich nie- dersetzend und seine großen, weißdehaod- schuhten Hände ineinander legend.
„Nun sehe ich nichts mehr," murrte seine Gattin.
„Die Bühne stehst Du vermutlich noch,' fuhr er sie an. „Zu was bist Du hierher- gekommen, Du Närrin?"
„O, natürlich, um die Oper zu hören, die von Deinem wunderbaren Sohne herstammt, wie Du glaubst," spöttelte Frau Baretti:
»nicht um mich umzuschauen oder angeschaut zu werden. ES verlohnt sich nicht mehr der Mühe nach mir umzuseheu. Ich altere rasch, was kein Wunder ist, bei Dir und diesem irrsinnigen Mädchen daneben."
„Geschieht Dir Recht; dann wirst Du auch weniger eingebildet sein."
„Kann ich nicht den Vorhang ein wenig bet Seite schieben?"
„Nein,' schrie Paulo, und seine Gattin verstummte, während Elfte sichtlich erschrocken aufblickte. Beide Frauen kannten diesen Ton nur zu wohl und wußten, daß Paulo Barett! kein angenehmer Gesellschafter war, wenn er sich dessen bediente.
,WaS giebt es?" fragte Elfte neugierig, und als Frau Baretti eS ihr erklärte, fügte sie ruhig bei: „Es ist bester so; dann kann uns auch Niemand sehen. ES ist hier so seltsam, so voll starrender Gesichter — und warum bringen Sie mich hierher?" Sie lehnte sich vor, um an Paulo diese Frage zu stellen und legte sanft ihre Hand in die seinige. Paulo antwortete ihr in ganz anderem freundlicherem Tone, als ob die Berührung der Irrsinnigen einen beruhigenden Einfluß auf ihn ausübe. Hatte Elste'S harmloses Vertrauen, von der sie heimgesucht war, wirklich daS Herz dieses rohen Menschen erweicht, der sie vor ihrem Vater versteckt«? Oder war Paulo Baretti doch noch nicht gänzlich verkommen?
„Warum ich Sic hierhergebracht?" wiederholte Paulo; „nun, um die Musik zu hören, um Antonios Operette zu sehen. Sie erinnern stch an Antonio Baretti?"
„Manchmal scheint eS mir so," sagte Elste nach kurzem Besinnen. „Ein schöner und junger Mann, nicht wahr?"
„Ah, gewiß, daS war er."
„Aber war gegen ihn — er war grausam und berechnend und — o ich erinnere mich dieser Musik. Sie kommt von zu Hause — o gewiß, ich weiß eSl"
Sie klatschte in die Hände vor Erregung, und es war vielleicht gut, daß der Logenvorhang sie den Blicken des Publikums entzog. Das Vorspiel — Antonio hatte die Komposition des Titels „Ouvertüre" nicht für würdig gehalten, war in eine liebliche melancholische Arie übergegangen, die sich in der Operette jetzt wiederholte und eigentlich das Thema des ganzen Werkes bildete. Die Zuhörer lachten, angenehm überrascht, und die Kritiker spitzten die Ohren ; einer derselben flüsterte ein äußerst befriedigendes „Gut" seinem Nachbar zu. Die Wirkung, welche die Musik auf Elste ausübte, war eine überwältigende, und Baretti mußte sie gewaltsam festhalten, sonst hätte sie stch über die Brüstung der Loge vorgelehnt.
„Von Wolston, wo ich sie zum ersten- Male hörte" versetzte die Kranke ohne Zaudern. „Er komponierte sie eines TageS in dem Gesellschaftszimmer, wo — wo ich ihn zum letzten Male sah und ihm Lebewohl sagte. O, ich war sehr glücklich, als Ich dies vor einem Jahre hörte."
„Wer komponierte die Musik, Elste?' fragte Frau Baretti.
„Mische Dich nicht ein! Halte Deinen geschwätzigen Mund!' schrie Paulo sie an. „Man muß sie in Ruhe lasten. Es geht besser mit ihr. Ich bin überzeugt, sie kommt wieder ganz in die Reihe. Habe ich eS nicht vor einem Monat schon gesagt?"
„Ja, und wenn sie wieder klar im Kopfe ist, wie wird sie Dich hassen I"
„Vorläufig ist sie noch verrückt genug, mich für ihren Schutzengel zu halten, he?" sagte Paulo und lachte, dis er ganz blau tm Gesicht wurde. „Bin ich nicht ein Engel, Elste?"
„Sie sind sehr gütig gegen mich gewesen."
„Beim Himmel, da» will ich meinen! Niemand kann gütiger gewesen sein. Ich bin wie ein Vater gewesen; ich bewabre sie für meinen Tony auf, den undankbaren Jungen, und es macht mich dankbar, wenn mir Jemand sein Vertrauen schenkt. Und ist eS auch nur ein irrsinniges Mädchen, so freut eS mich dennoch, und — ich schätze Elste Nord."
Bei der Erwähnung ihres Namens blickte sie auf, und eine in Anbetracht der Umstände überraschende Frage kam von ihren Lippen. „Nord? ach, wenn wir Frank Nord nur auffinden könnten! wenn er stch nur nicht so lange vor uns verbergen wollte I"
„Es ist sehr ungerecht von ihm," sagte Paulo, auf sein Gegenüber blickend." „Ich gäbe mein halbes Leben darum, Elste, ihn an mein Herz drücken zu können."
„Sie hatten ihn also sehr lieb?"
,O, unendlich l* log Baretti ohne Zögern. „Aber hierhin würde er höchst unwahrscheinlich kommen," sagte Elste sehr ernsthaft. „Er mochte daS Schauspiel und großes Menschen- gedränge nicht leiden, sondern war immer hart und strenge. Ein großes Unglück hatte ihm die Lust zu solchen Vergnügungen genommen.
„Der Arme!" bemerkte Baretti und fügte dann für stch bei: „Wie sie heute zu sprechen weiß!"
„Er wäre sehr bös« auf Sie, daß Sie mich heute hierherbrachten," fuhr Elste fort; „und, v mein Gott, auch sehr böse auf mich, daß ich gekommen bin."
„Glauben Sie das wirklich?" fragte Paulo, mit großem Geschick diesen Fingerzeig erfassend. „Dann würde ich keine Minute länger bleiben. Fanny, fahre fort, mit Elste nach Hause.'
„Nein, noch nicht, erklärte Frau Baretti entschieden. „Das Stück ist noch nicht zu Ende, ich lasse mich nickt zum Narren halten."
„Aber —"
„Aber Elste möchte gern noch mehr von dieser Musik hören, die sie an Wolston und die glücklichen Tage erinnert — nicht wahr, Elfte?" sagte Frau Baretti, nicht weniger schlau, als ihr Gemahl.
(Fortsetzung folgt.)
Humoristisches.
.'.(Kindermund.) Aschen: „DieMama läßt grüßen und Sie Frau RechnungSrat, zum Lhee einladen!" — Frau Rat: „Hast du noch jemand eingeladen?" — Elöchen: „Nein, die Mama sagte: Die muß ich allein einladen, die zankt stch doch sonst nur mit jeder anderen."
(Nur immer praktisch.) Hausfrau: „Anna, müssen Sie denn fortwährend lachen ?" Dienstmädchen: „Ja, glauben S' denn, i hält' umsonst so viel Geld für mein Gebiß auSgegeben?"
.'. Höchste Zerstreutheit. Professor (beim Erwachen am Morgen nach der Hochzeit zu seiner jungen Frau): Aber Fräulein, was machen Sie denn hier?
«edaktiou, Druck mW Verlag von vrrnh. Hofmauo in Wildbad.