Gin WcrterHsrz.
Roman in Originalbearbeitung nach dem Englischen von Clara Rheinau.
68) (Nachdruck verboten.)
34. Kapitel.
Die Nacht war hereingebrochen, und eine Lampe brannte in dem Zimmer, als Frank Nord, an Geist und Körper erfrischt, aus seinem langen Schlafe erwachte. Es schien, als habe er schon neue Kräfte gesammelt, denn ohne allzu große Mühe richtete er sich ein wenig auf und gewahrte Antonio auf dem Platze, den zuletzt Helene Dering inne- gebabt. „Antonio/ rief er rasch und eifrig, „sie ist also weggegangen?"
„Fräulein Dering, meinen Sie? Nein, sie ist noch hier."
„Immer noch," seufzte der Kranke, und als er in diesesem Augenblicke dir Thüre gehen hörte, fragte er: „Wer ist das?"
„Das ist Fräulein Dering. Sie war leider im Zimmer als stc nach ihr fragten."
„Daran sind nur diese dummen Vorhänge schuld, die Ihr um mich gehängt habt," sagte Nord verdrießlich. „Doch schließlich liegt nichts daran, denn das Mädchen weiß, daß ich sie nicht gern im Hause habe und ohne sie zufriedener sein werde."
St I" warnte Antonio nach der Thüre gehend.
„Glauben Sie, daß sie lauscht, Baretti?"
„Nein, aber ich dachte, sie wäre vielleicht auf dem Flur stehen geblieben, um über ihre harten Worte sich zu grämen."
„Sprechen wir nicht mehr davon. Was kann ihr an meinen Reden gelegen sein?" Sie ist ein seltsames Geschöpf» ich glaube ja, daß sie bereut, so viel Unheil ongerichtet zu haben. Sie hat gezeigt, daß es ihr leid thut, Antonio."
„Das hat sie."
„Aber das ist kein Grund, daß stc meine Dienerin werden, oder daß ich sie mit außergewöhnlicher Zuneigung betrachten sollte. Ich bin überzeugt, sie hat mir das Leben gerettet, aber Ihre Pflege hätte ich bei weitem vorgezogen, Antonio."
,O, machen Sie mir keine Vorwürfe, lieber Oberst; ich war noch so schwach, als die Verschlimmerung in Ihrem Zustande eintrat, und Fräulein Dering war sofort entschlossen, zu bleiben."
, 2 <>, jo, ich hatte eS vergisst». Ich bin ein rücksichtsloser Mensch und liebe eS nicht, aus dem alten Geleise gebracht zu werden. Und Fräulein Dering bringt mich heraus — ich kann es nicht ändern — cs ist so." Seine Hand strich den langen Bart nach alter Gewohnheit, und er lag ganz still und nachdenklich, bis Antonio ihn fragte: „Inwiefern thut sie dies?'
„Erstens ist sie eine Dering, Tony. Wenn ich auch das Vergangene vergeben habe, vergessen kann ich es noch nicht. Wenn sie hier ist, so erinnert sie mich stets an alles, was ich durch ihr unbefugtes Einmischen verloren — an das entsetzliche Leid, das sie über mein Kind gebracht, und das immer zwischen ihr und meinem Seelenfrieden steht, Darum werde ich froh sein, Antonio, wenn sie uns verlassen hat und wir beide wieder allein breinander sind — bis ich stark genug sein werde, mein Kind selbst oufzusuchen."
„Ich habe entsetzliche Angst wegen — das heißt," verbesserte Antonio stch, an den
leldenten Zustand des Freundes denkend, „ich habe Angst, Ihre Kräfte könnten noch wochenlang für diese Aufgabe nicht ausreichen. Ich dachte schon daran, selbst nach Elfte zu suchen, jetzt, da Sie wohler sind. Ich habe keine Ruhe mehr — ich bin kaum mehr im Stande, meinen Verpflichtungen nachzukommen."
„Sie dürfen kein Opfer bringen. Elfte ist Ihnen nichts, Baretti."
„Ich weiß es."
„Und wenn Helene Dering weggegangen ist —"
„O sprechen Sie heute Abend nicht mehr hiervon," bat Antonio; „Sie sind so edel, so gut und dürfen Fräulein Dering nicht so tief verletzen, sondern müssen womöglich Ihr Verlangen, sie los zu werden, zu verbergen suchen."
„Ich habe eS nie vermocht, eine Rolle zu spielen, Antonio,"
„Aber Fräulein Dering hat Sie mit rührender Aufopferung gepflegt, Herr Oberst; stc rief den berühmtesten Arzt der Hauptstadt an Ihr Krankenlager und war überglücklich, als die Krankheit sich zum Besseren wandte, Ihre eigene Tochter hätte nicht sorgsamer und aufmerksamer sein lönnen."
„Die arme Elfte ist dies noch nie gewesen — vielleicht mag sie eS eines Tages werden. Ich habe ja Fräulein Dering bereits meinen Dank ausgesprochen, ersparen Sie mir nun fernere Lobpreisungen. Ich glaube wahrhaftig, Tony, Sie suchten Sie einst nicht allein Ihres Erbes wegen."
In diesem Augenblick trat Helene wieder in das Zimmer und machte Antonio ernste Vorwürfe, daß er den Kranken zum Sprechen veranlaßt habe. Doch dieser hatte sich die empfangene Lektion zu Herzen genommcu und war weniger schroff und abstoßend gegen seine treue Wärterin. Er enthielt stch jeder Anspielung auf ihr Weggehen, und es schien wirklich, als ob er ihre Dienste dankbar an- nehme, obschon er die ganze Wahrheit nicht kannte. Erst Möre Charamante erzählte ihm, als stc ihn zum eisten Male besuchen durste, von HelenenS Aufregung und ihrem Entschlüsse, weder Mühe noch Kosten zu sparen, um ihn dem Leben zu erhalten. „Armes Mädchen," sagte er für stch, ,di<S ist vermutlich ihre Ansicht von Reue und Buße. Wie soll ich ihr nur je vergelten?" Am folgenden Tage durfte Nord sich in das Zimmer im andern Stockwerke begeben, welches man für die Zeit seiner Genesung in Bereitschaft gesetzt halte. Auf HelenenS Arm gestützt, blieb der große, schwache Mann zögernd auf der Schwelle stehen und blickte dann streng: in das Gesicht seiner Führerin : „WaS bedeutet dies?"
„Es ist Ihr Zimmer, Herr Oberst," versetzte Helene ernst. „Hoffentlich habe ich eS nach Ihrem Geschmacke eingerichtet."
„Dies darf nicht sein," sagte Nord kopfschüttelnd; ich wer» sehr bald von hier Weggehen , und diese Ausgabe ist zwecklos und unrecht, Fräulein Dering."
„Ich habe bereits eine Mieterin für dieses Zimmer gesunden, sobald sie eS verlosten; sie wird eS gerne übernehmen."
ES war keine Andere, als Möre Charamante, welche dieses Zimmer übernehmen und für ihre treuen Dienste nnd vielen persönlichen Belästigungen durch ein auf Kosten der reichen Engländerin schön möbliertes Haus belohnt werden sollte.
Der Oberst nahm in einem bequemen Sessel neben dem Feuer Platz, und Helene setzte stch ihm schweigend mit ihrer Arbeit gegenüber. Sie wußte, daß er nur selten zu einer Unterhaltung aufgelegt war — daß er eS vorzog, über das Verschwinden seiner Tochter nachzugrübeln und weitgehende Pläne für sein künftiges Verhalten zu entwerfen. Aber an diesem Abende unterzog er erst das schön möblierte Zimmer seiner besonderen Beobachtung, und bann wurde H-lene stch mit großem Unbehagen bewußt, daß er diese nun auf ihre Person ausgedehnt habe. Sie blickte nicht auf, denn sie fürchtete, dem Blick der großen dunklen Augen zu begegnen, die fest aus ihr Gesicht gerichtet waren. Sie glaubte seine Gedanken zu erraten, und dennoch erschreckte es stc, als seine Worte jetzt ihre Vermutung bestätigten. „Fräulein Dering/ begann er plötzlich, in seiner alten formellen Weise, ich halte es für meine Pflicht, nun nochmals das Thema JhreS Weggehen zur Sprache zu bringen. Ich weiß jetzt, wie gütig, wie besorgt und rücksichtsvoll sie gegen mich waren, und fühle mich außer Stande, Ihnen je vergelten zu können, was Sie für mich gethan haben; doch eS ist Zeit, daß wir einander Lebewohl sagen. Sie dürfen Ihre eigene Gesundheit nicht in meiner Pflege untergraben."
„Ich — ich dachte —" begann Helene zögernd.
„Nun?"
„Ich dachte," fuhr sie schüchtern fort. „Sie hätten angefangcn, einzusehen, daß ich doch nicht daS böse» grausame Weib bin, für welches Sie mich anfangs hielten."
„Ich hielt sie nur für ein mißtrauisches Mädchen, rasch im Urteil und schwer von einer einmal gefaßten Meinung abzubringen — das ist Alles."
„Es ist ein treues Bild von mlr," sagte Lena traurig, fügte jedoch eilig bei, „wie ich in Wolston war. Doch ich habe mich ver» ändert, habe die Wahrheit — und Sie kennen gelernt."
„Ich kenne mich ja selbst nicht," bemerkte Nord mit dem Anflug eines Lächelns.
„Und ich — ich hoffte in letzter Zeit, Sie würden mich vielleicht Elste'S Stelle einnehmen lassen, bis Ihre wirkliche Tochter zurückkehrt."
„O, Kind, wie wenig kennen Sie die Welt! Sie wären die Erste, welche vor dem boshaften Gerede der Leute zurückschrecken würde. Die Welt ist grausam und liebt es, die edelsten Absichten zu mißdeuten. Doch dabei brauchen wir nicht zu verweilen. Sie sind meine Tochter nicht, Fräulein Dering, und müssen mich der Einsamkeit überlassen, die ich vorziehe."
„Wenn Sie eS wünschen, will ich morgen Weggehen, Herr Oberst. Aber ich hatte ein Recht, Ihnen dir Hingebung einer Tochter zu bieten, nachdem ich die Wahrheit erfahren, welche Ihre Uneigennützigkeit mir verborgen hielt, und Sie als den besten und edelsten der Freunde hatte kennen lernen."
„Ick verstehe eS nicht," murmelte Nord.
„Aber ich verstehe es," rief Helene; „denn Sic haben Meines Bruders Testament verbrannt, um mich nicht meines Erbes zu berauben; Sie haben Ihre Tochter arm gemacht, um Jener willen, welche Sie noch nicht einmal achten gelernt hatte."
(Fortsetzung folgt.)
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