Gin Hinterher;.
Roman in Ortginalbearbeitung nach dem Englischen von Clara Rheinau.
02) (Nachdruck verboten.)
Antonio war tief erschüttert. Irgend ein Zug in seinem Gesicht mußte dem Kranken seinen Vater Paulo ins Gedächtnis zurück- perufen haben. „Ich bin ja Antonio Barett!, Ihr Freund," sagte er gepreßt.
„Der ist nach Alsako gegangen. Man darf mich nicht allein bei Euch lasten, jetzt, wo ich keine Kraft habe, mit einem Elenden wie Ihr es seid, zu ringen.
Antonio zog die Glocke neben dem Ka- minstmse, der Ton wiederhallte seltsam in den unteren Räumen, wo Möre Charamante schlief und Ihr eigener Pförtner war, wenn die Geschäfte flau gingen. „Die Alte muß ihn bewachen, während ich nach dem Arzt laufe," murmelte er vor sich. „O, wenn Fräulein Dering noch hier wäre!"
Die Thür öffnete sich und Fräulein Dering trat ein, ernst und ruhig, wir er sie vor Stunden gesehen, doch ohne Hut und Mantel, als ob diese Stätte der Armnt auch ihr Heim sei.
„Sie sind also nicht weggegangen?" rief er, ,o wie mich dies freut!"
„Nein; ich habe mich hei Madame Chara- manie eingemietet, denn ich sah wohl, daß er sehr krank sei. Ich besitze einige Erfahrung bei Fieberkranken und fürchtete heute Abend ernstlich für ihn. Ich habe gewartet, bis man mich rnfen würde."
„Aber dieses Fieber, die Gefahr?"
„Kommt nicht in Betracht. Ich kenne keine Furcht, so lange ich Frank Nord von Nutzen sein kann."
„Elfte," rief der Kranke mit schwacher Stimme.
„Wenn er mich nur jetzt für seine Tochter halten würde, flüsterte Hciene, an daS Lager herantretend. Als sie sich niedersetzte, fuhr der Oberst fort: „Verlasse mich nicht mehr, Eiste, Paul Barelli war hier — ein gefährlicher Mensch, wenn man leidend ist und nicht auf seiner Hut sein kann. Trage Sorge für mich, dis ich wieder wvhler bin."
Helene neigte sich herab und drückte einen Kuß auf seine Hand; wie ein Kind schlummerte er dann ein, seine heiße Hand von der ihren umfaßt.
Antonio stahl sich aus dem Zimmer und wurde auf dem Vorplatz von Msre Cba- ramante überrascht. „Wohin gehen Sie?" Was haben Sie auf diesen kalten Gängen zu thun, Sie unvorsichtiger junger Mann?"
„Ich rufe den Doktor, Madame."
„Zu dieser Stunde und bei strömenden Regen; hören Sie nur! Bah! Daraus wird nichts — als ob ich eS leiden würde, daß Sie sich abermals ein Fieber holen und oll meine Mieter auf einmal vertreiben! Gehen Sie zu Bett, Antonio — ich will den Mann holen. Ich kenne daS HauS — drei Straßen entfernt. Ich bringe ihn mit. Sehen Sie nur nach der hübschen Engländerin, die uns alle retten wird. Bleiben Sie bei ihr. Ich gehe.
Damit klapperte die redselige alte Französin mit ihrer Lampe wieder die Treppe hinunter, und Antonio hörte sie das Haus verlassen und die Thüre hinter sich abschliehrn, damit während ihrer Abwesenheit sich nimand entferne. Er kehrte in daS Krankenzimmer
zurück und fand Helene noch auf ihrem früheren Platze ängstlich in des Obersten Zügen forschend. Antonio bemerkte, daß sie geweint hatte.
„Ich habe nachdem—" begännet, aber sie unterbrach ihn. „St. I sprechen Sie nicht. Lassen Sie mich noch einige Minuten allein bei ihm, Herr Baretti. Darf ich Sie um diese Gunst bitten?"
„Ja. Er ist-"
„Ruhiger — viel ruhiger," rief sie nervös. „Bitte, gehen Sie."
Antonio begab sich leise auf sein Zimmer verwirrt durch diese neue Erscheinung im Krankenzimmer, und Helene wandte sich ihrem Patienten wieder zu. „Ja, ja; Du sagtest, Du habest mich arm gemacht, aber es sei so am besten gewesen," flüsterte sie. „Willst Du Deiner Elfte erzählen, wie cS kam?
„ES war nur gerecht gegen die kleine Dering, und ich glaubte, ich hättie mmer genug für Dich, mein Kind," murmelte Nord. „Ich bat Deinen Onkel auf seinem Sterbebette, mich das Testament verbrennen zu lassen."
„DaS thatcst Du wirklich?"
„Ja — warum nickt? Was sollten wir Nords mit seinem Gelde thun? Ich nahm das Testament aus dem eisernen Kassenschrank, wo er eS ausbewahrte, und er gab endlich zu, daß ich es verbrannte. Du verzeihst mir dies doch, Elfte? Ich dachte nicht, daß wir je so arm werden könnten."
„Ich verzeihe Dir," murmelte Helene. „Versuche nun zu schlafen, um meinetwillen."
„Ich will eS versuchen. Aber verlasse mich nicht wieder Kind."
„Nein, Vater — nie wieder."
Als er die Augen geschloffen hatte und wieder von andern Dingen phantasierte, sank Helene langsam auf ihre Knie nieder, ohne den Kranken aus dem Auge zu lassen. Aber nicht vor ihm knieteste, wie am Nachmittage, sondern vor dem, der das Leben deS edlen Mannes in Seiner Hand hielt. Sie betete inbrünstig, daß er genesen —daß ihr selbst die Kraft verliehen werden möge, sein Leben weniger trostlos zu gestalten und nach Kräften daS Unrecht gut zu machen. Sie rief den Himmel zum Zeugen, baß sie alle Hindernisse, die sein Stolz ihr in den Weg stellen würde, besiegen und ihm ihr ganzes Leben widmen, einzig darnach streben wolle, feine Zuckunst so glücklich als möglich zu machen. ES war ein seltsames Gelöbnis, auS ihrer tiefen Dankbarkeit hervorgegangen, aber der Ausdruck in ihren Zügen schien demselben eine gewisse Wethe zu verleihen in dieser Stunde reuiger Zerknirschung und leidenschaftlicher Hingebung. Und wie lange würde eS schließlich Geltung haben? Vielleicht nur für wenige Stunden.
Der französische Doktor war dieser Ansicht, als er, von Antonio gefolgt, in daS Zimmer trat und sich neben dem Kranken nicdersetzte, von Helene Dering aufs Schärfste beobachtet. Er war erregter, als eS ein englischer Kollege gewesen wäre, aber er wußte, daß Frank Nord allein in der Welt stand und keine zarten Gefühle zu verletzen seien. Mö>e Charamante hatte ihm unterwegs mitgeteilt, daß Fräulein Dering eine Freundin von Oberst Nords verschwundener Tochter sei — das war alles. „Er halte heute zu viele Aufregungen. Sie alle tragen Schuld an dieser Verschlimmerung," rief er vorwurfsvoll. „Sie haben ihm den Willen gelhan
und meinem Rate gänzlich zuwidergehandelt. Noch wenige Tage und wir hätten keinen Rückfall mehr zu fürchten gehabt. Doch dies —
„Doch dies?" fragte Helene angstvoll.
„Ist ein Rückfall der zum Tode führt, Madame."
„O, sagen Sie dies nicht!" rief Helene; „er hat eine kräftige Natur. Sie können cS nicht wissen. Sein Leben steht in höherer Hand."
„Allerdings," versetzte der Arzt, mit der Hand auf dem Puls seines Patienten, eS ist wie sie sagen. Aber trotz Allem," sägte er strenge bei, „hat dieser Mann, den Sie durch Ihre Unbesonnenheit töten halfen, nur noch sechs Stunden zu leben!"
32. Kapitel.
„Nur noch sechs Stunden zu leben !" rief Helene Dering, den Doktor wie ein Gespenst anstarrend, welches ihr eigenes Todesurteil verkündet. „Ich kann, ich will eS nicht glanben!"
„Nur noch sechs Sunden zu leben!" wiederholte sie und blickte dann lange und sehnsüchtig auf den stöhnenden Kranken, ehe sie zu Antonio hinübertrat, der neben dem Kranken stand und düster in die Flammen blickte. „Glauben Sie eS, Herr Baretti?"
„Ich fürchte eS," versetzte dieser. „Werden die Guten nicht immer zuerst abgerufen," rief er wild, „und nur solch unnütze Menschen wie ich, bleiben am Leben?"
„O, Frank Nord darf nicht sterben," sagte Helene. „Dies darf nicht daS Ende eines Leben voll edelster Aufopferung sein!"
„Mademoiselle ist zu aufgeregt," murmelte der Doktor.
„Verzeihen Sie; eS ist nur für den Augenblick," sagte Helene.
„Madame Charamante muß sofort für eine Wärterin sorgen, welche unsern Patienten für die erwähnte Zeit unablässig im Auge behalt," fuhr der Doktor fort. „Sie darf ihn nicht eine Sekunde verlassen und muß fest und unerschrocken bleiben."
„Dies kann ich selbst thun," rief Madame Charamante voll Eifer. „Ich habe schon viele gepflegt, die kränker waren, als der Oberst; und er ist ein Mann, dem man gern bis zum Ende dient. Nie gab er mir ein hartes Wort, und er darbte lieber, um seine Miete bezahlen zu können. Ich weiß, daß er es thar — Sie dürfen meinen Augen glauben, die eS selber sahen! Wie meinen eigenen Sohn will ich diesen Mann pflegen bis zum Ende."
„Sie vergessen," bemerkte Helene scharf, „daß des Herrn Obersten beste Freunde bei ihm sind."
„Pardon," sagte die alte Französisch.
„Ich türchte, Mademoiselle ist zu ungestüm," wandte der Doktor wieder ein.
„Nein — nein, Eie irren sich. ES war nur die erste Bestürzung. Ich werde sehr ruhig und geduldig sein. Niemand soll ihm nahe kommen außer mir, ich versichere Sie."
„Ah — schön," sagte Doktor Gravat mit einem Achselzucken, welches seine Miß» btllignng dieses Entschlusses ausdrücken sollte.
Helene zog jetzt die alte Französin aus dem Zimmer. „Wer ist dieser Mann?" fragte sie — „wo wohnt er?"
(Fortsetzung folgt.) '
SktaNtou, Druck uud Verlag »»«Beruh. Hofmau « in Wildbad.