Gin Waterherz.
Roman in Ortginalbearbeilung nach dem Englischen von Clara Rheinau.
58) (Nachdruck verboten.)
„Sie irren sich, mein Fräulein, Sie schätzen meinen Wert zu hoch. Ich habe keine Verzeihung für jene, in deren Obhut ich meine Tochter zurücklieb, und die sich dieses Vertrauens unwürdig zeigte. Von Anfang bis zu Ende meines Lebens," rief er mit plötzlicher Leidenschaftlichkeit, „haben diese DeringS mir jede Freude verdüstert."
„O Erbarmeul" ries Helene wieder.
„Etwas muß gethan werden l Wenn ich nur wüßte, was — wenn nur diese er- bärmliche Schwäche mich nicht ans Lager fesselte und von meinem Kinde fernhielte, welches diese Leute zum Wahnsinn getrieben haben l"
Er sprang vom Stuhle auf, als ob er seine früheren Kräfte wiedererlangt, und durchschritt mehrmals das Zimmer: plötzlich wankte er, und HeleneaS zitternde Arme umfingen ihn und geleiteten ihn zu seinem Sitze zurück. „O, Sie sind sehr krank," sagte sie. „WaS kann ich, was soll ich thun?"
Während er schweratmend in den Kissen lehnte, wollte sic zur Thüre eilen, um dir alte Französin zu Hilfe zu rufen, aber seine Stimme rief sic zurück. „Bleiben Sie! Ich bin ganz wohl; ein wenig schwach, das ist Alles. Ich werde mich rascher erholen," sügte er müde bei, „wenn Sie mich allein lassen."
„O, Herr Oberst," sagte Helene, langsam an seine Seite zurückkehrend, ich kann nicht wieder Weggehen."
„Nicht Weggehen!" wiederholte er, sie verwundert anblickend. „Was wollen Sie damit sagen, Fräulein Dcring?"
„Sie sind krank und können nicht allein bleibe», Herr Oberst. Ich — ich habe Niemanden in Paris — Niemanden, als mein Dienstmädchen; wenn Sie mich nur eine Weile hier dulden wollten, bis Sie wieder wvhler und kräftiger sind, wenn Sie mir erlauben würden, nur so lange die Stelle Ihrer Tochter hier zu vertreten, so würde ich Ihnen sehr, sehr dankbar sein."
„Dankbar wofür?"
„Für Ihre Güte, die mir gestattet, mich Ihnen nützlich zu machen, Ihnen einen schwachen Beweis zu liefern, welche Ehrerbietung ich für Sie hege."
„Ehrerbietig! Und für einen Nord — ich —"
„Ersparen Sie mir bittere Worte!" unterbrach sie ihn flehend. „Denken Sie meiner als eines Mädchens das Ihre Tochter liebte, ehe ihr Geist umnachtet war — eines Mädchens, dessen heißester Wunsch es ist, nur ein klein wenig das Erbarmen, welches Sie ihr ihrem sterbenden Bruder erwiesen, vergelten zu können."
Frank Nord betrachtete sie immerfort mit gleicher Strenge, unerweicht durch ihr Bitten und Flehen. Nach einer Weile schien er ihrer ganz zu vergessen, und seine Augen wandelten wieder zu dem schwach glimmenden Feuer. „ArmeElfte!" murmelteer, beide Hände an die klopfenden Schläfen drückend; „wenn ich nur meinen Weg zu ihr finden könnte!"
Helene unterbrach ihn nicht. Sie hoffte, er werde ruhiger werden, wenn er eine Zeit
lang seinen Gedanken nachgegangrn, auS denen ihre Erzählung ihn aufgestört hatte. Sie wünschte sehnlichst, bleiben und für den Kranken sorgen zu können, dis Elsie aufgefunden sei. Sie glanbte feinen Charakter bester verstehen zu können, als sonst Jemand auf der Welt — bester zu wissen, was er alles seinem Stolze und seiner Rücksicht für die Schwester seines Feindes geopfert hatte —, und ihr Herz verlangte darnach, ihm in diesem neuen Kummer zur Seite zu stehen. Er war sehr arm, aber sie wagte es nicht, ihm von Geld zu sprechen — selbst nicht von der rückständigen Miete für das SchtlshauS, er war sehr krank und bedurfte offenbar der sorgsamsten Pflege, aber er wollte ihre Hilfe- l-istung durchaus nicht annehmen. Zweimal an dieskm Tage halte er bereits der natürlichen Abneigung erwähnt, die es einem Nord verbiete, von einem Gliede der Familie De- ring eine Gefälligkeit zu dulden.
Jetzt erinnerte sich der Kranke wieder ihrer Anwesenheit. „Fräulein Dering, ich halte Sie auf," sagte er; „und Sic haben noch einen ziemlich weiten Weg zu machen."
„O nicht so sehr weit."
„Msre Charamante wird Ihnen am besten einen Wagen besorgen."
„So darf ich nicht Elsie'S Stelle hier ein nehmen, bis sie wiedergesunden oder Ihr Befinden ein bessere« ist?" fragte Helene sanft. „Ich kann Sie nicht allein lasten. Nein, ich will eS nicht," fügte sie in festem Tone bei.
„Ihr Interesse an meinem Ergehen überrascht mich sehr und ist mir sehr peinlich. Ich bin mein ganzes Leben allein gewesen uad kenne keine Furcht."
„Aber Sie sind schwach und krank —"
„Ich werde mich wvhler fühlen, wenn ich allein bin," wiederholte er mit Nachdruck. „Nur in einer Weise können Sie mir dienen."
„Und die wäre?" fragte Helene eifrig.
„Wenn Sie nach Elsie suchen — und andere dazu anhaiten."
„O, es suchen bereits Viele nach ihr," versetzte Helene. „Sobald dir erste Spur von ihr entdeckt wird, sei es in London, Paris, Wolston, Barsjost, Ch-stwich oder sonstwo, wird mir umgehend die telegraphische Nachricht zukommen. Ich würde gerne mehr thun, wenn ich könnte."
„Ah, Sie sind ein hüifloseS Mädchen — ich sehe es ein; und ich — ich so schwach und elend!" rief er voll Bitterkeit.
Helene bat nochmals, bleiben zu dürfen: „Ich könnte Ihnen noch etwas Wichtiges mitzuteilen haben, an das ich mich im Augenblick nicht erinnere," fügte sie bei.
„Ich bin leicht aufzufinden," versetzte der Kranke, „und Widerspruch ertrage ich nicht. Vor Jahren in Alsako lernte ich, meinen eigenen Willen zu haben und konnte mich gewissermaßen als König betrachten, dessen Wille Gesetz war. Diese Gtwohnheit habe ich nie wieder abgelegt, und wenn meine Wünsche durchkreuzt werden, verliere ich die Geduld. Und, Fräulein Dering, es ist mein Wunsch, daß Sie mich verlassen, ich habe viel ertragen an diesem unglückseligen Tage und bedarf ungestörter Ruhe um mich zu erholen."
„So will ich denn gehen, sagte Helene und erhob sich seufzend; „aber cs fällt mir schwer, Sic allein zu —"
„Ich bin nicht allein," unterbrach erste.
„Antonio widmet mir all seine freie Zeit; er liest mir vor, schläft des Nachts nebenan und überzeugt sich öfters, daß ich noch lebe und atme, — ein guter Junge, dieser Ba- retti. Sie werden sich sehr verspäten, Fräu- lein Dering."
Helene zog Hut und Mantel an und blickte sehnsüchtig auf den Kranken. „Sie zürnen mir nicht mehr?" fragte sie leise; „Sie geben nicht mir allein die Schuld an all' den betrübenden Vorgängen der Vergangenheit ?"
„Ersparen Sie mir eine Wiederholung derselben," versetzte Nord aufgeregt. „Ich vergebe alles, wenn ich eS vermag."
Wenn sie ihn nur von ihrer Anwesenheit befreien wollte — das war eS, was er meinte, sie wußte es wohl. „So leben Sie wohl, Herr Oberst, mögen Sie bald Ihrer früheren Gesundheit sich erfreuen. Und wenn — wenn ich sehr unrecht gehandelt habe, denn all' dies —"sie breitete die Arme aus, als wolle sie das kahle Zimmer und dessen kranken Bewohner mit einschlteßen — „mein Werk ist, so versuchen Sie zu denken, daß es aus Liebe zu Elsie geschah, in dem eitlen Glauben, daß ich ihre beste Freundin sei, Nochmals, leben Sie wohl; denken Sie nicht schlimm von Jener, die weit unglücklicher und einsamer ist, als Sie."
(Fortsetzung folgt.)
Verschiedenes.
.'. (Zwangslage.) Erster Prüsungskom- mifsär (während weibliche Kandidaten geprüft werden, leise zum zweiten): „Diese reizende Kandidatin kann man doch unmöglich durchfallen lassen . . .!" — Zweiter Kommissär: „Und die andere häßliche . . . ?" —Erster Kommissär: „Die noch weniger — sonst kommt das Scheusal noch einmal . . .!"
.. (Besucher.) Du und dein Bruder ihr seid Zwillinge, nicht wahr, mein Junge? — Junge: Ja, — aber es ist gar nicht sckön, Zwilling zu sein. — Besucher: Warum denn nicht? — Junge: Wenn der Vater nichts 'ranskriegt, wer von uns etwas angestellt hat dann haut er uns jedesmal beide durch.
.'. (Weitschauend.) Mann. „Ich gehe jetzt zum Frühschoppen!" — Galten: „Ja, das Nachlassen stelle ich auf den Tisch!"
.-. (Merkwürdige Sache.) Das größte Elend ist unsäglich, das höchste Glück unaussprechlich, der tiefste Schmerz stumm und die reinste Freude sprachlos.
Gretel's erster Kochversuch.
Durch das Fenster in die Küche Fällt der Sonne goldner Strahl,
Wo die blondgelockte Gretel Heute kocht zum ersten Mal.
Lustig sagt sie zu der Mutter,
Der sie stolz die Suppe zeigt:
„Komm' doch her, Mama, versuche!
Fein l Nicht wahr? — Es ist erreicht!"
Als die Mutter sie gekostet,
Lächelnd sie zur Tochter spricht:
„Ganz vortrefflich, liebe Gretel;
Doch „erreicht" ist eS noch nicht!
Ein'ge Tropfen „Maggi" gieße In die Suppe noch hinein,
Und Du sollst Dich überzeugen,
Sir wird übertroffen sein"
-tebakiton, Druck im- Verlag von vernh. Hvfmauu in Wttbad.