Gin WcrterHerz.
Roman in Originalbearbeitung nach dem Englischen von Clara Rheinau.
49) (Nachdruck verboten.)
In einem der Kaffee'S lag auf weichen Sammtpolstern in voller Länge ausgestereckt ein dicker, stiernackiger Fremder, mit vielen Ringen an den plumpen Händen, die er zur größeren Bequemlichkeit unter dem Kopfe gefaltet hielt. Er hatte fest geschlafen, bis die Stimmen auf der Straße ihn aufweckten, und nun rollte er von den Kissen auf den Boden, schaffte sich mühsam wieder auf die Füße und suchte seine Gedanken zu sammeln, während draußen der Ruf: „Wer kennt Elste Nord?" von Mund zu Mund ging.
«Elsie Nord," murmelte er; „wer sie kennt? Et, ich kenne sie, das ist gewiß."
Er schritt etwas unsicher aus dem Kaffee auf die Straße hinaus und stand hier der Menge gegenüber, die ein geängstigteS, in Trauer gekleidetes Mädchen umringt hielt. „Du kennst ste, Paulo? — sei kein Narr. Komm herein und spendiere noch rin paar Flaschen Sekt," sagte ein junger Geck; „Paulo ist der Mann, der wie ein Fürst sein Geld zu vertrinken steht." Aber Paulo kehrte sich nicht an ihn. „Elste Nord?" rief er sich weiter vordrängend; „beim Himmel, sie ist es I Wie kommt eS , daß Sie hier sind ? Sie haben Tony nicht gefunden — Sic — was bedeutet dies Alles?"
„Sie ist verrückt — das ist Alles," ließ sich Jemand zu erklären herab.
„Verrückt — Nords Tochter verrückt und hier," murmelte er mit der Miene eines Mannes, den eine ungeheure Ueberraschung plötzlich nüchtern gemacht hat.
Elste näherte sich halb zögernd und doch erfreut bet seinem Anblick. Die Gestalten der Vergangenheit waren für sie sonderbar verschwommen; ob von gutem oder bösem Einfluß auf ihr Leben, konnte ste nicht unterscheiden, aber hier war Jemand, der ste zurückbringen, vielleicht zu ihrem Vater führen würde. Seine Erscheinung erinnerte ste an all das Schmerzliche, das ste erlebt. „Sie sind der Mann, der kam, um mir die ganze Wahrheit zu sagen," sprach ste, „dem aber Niemand vertraute. Und dennoch war es die Wahrheit."
„Ja — ich bin Herr Baretti — Tony'S Vater. Erinnern Ste sich Kind?"
«Ja ja — ich glaube. Wollen Sie mich sogleich zurückbringen — können Sie meinen Vater finden, wenn ste nach ihm suchten?"
Ein neuer Gedanke kam über Paulo Baretti. „Gewiß kann ich dieö. Ich weiß, wo er ist, Elste — ich kann Sie zu ihm führen."
„In der That? O, wie froh bin ich darüber!" Sie hing sich an seinen Arm, und Paulo streichelte ihre Hand und bat ste, keine Angst zu haben, er werde für ste Sorge tragen. „Ich habe mich verheiratet, Elste, seitdem wir uns zuletzt gesehen — durch meinen undankbaren Jungen dazu getrieben," fügte er in fast wrintichem Tone bei.
Die Anwesenden brachen in lautes Ge» lächter aus, und Paulo wurde wütend. „Ich dulde dieses Lachen nicht von einer Bande, Wie Ihr eS seid, schrie er, „Ihr dürft nicht vergessen, wen Ihr vor Euch habt. Habe ich nicht Geld genug für Euch ausgegeben
— Euch im Weine schwimmen lasten — und dies ist Euer Dank! Habe ich nicht—"
„Bringen Sie mich weg," flüsterte Elste, an ollen Gliedern bebend.
»Ja, ja, natürlich, meine Liebe. Gerade dies Mädchen kann mir von unberechenbarem Nutzen sein," murmelte er bei Seile. „Sie kommt mir wie gerufen, aber ste muß total verrückt sein, um mit mir gehen zu wollen."
„Kennen Sie dieses junge Frauenzimmer?" fragte ein plötzlich hinzutretender Polizist.
Paulo Barretti öffnete und schloß mehrmals seine kleinen Augen, dann sagte er in festem Tone: „Natürlich kenne ich ste. Sie mögen ste selbst fragen."
Der Polizist stellte nun an Elste die Frage; ste antwortete bejahend und bat Paulo nochmals, ste von hier wegzubringen..
„Sie war mit meinem Sohne verlobt, ehe sie verrückt wurde," erklärte Baretti. „Meine Frau hat das arme Ding unter ihrer Obhut, aber heute gelang eS ihr, zu entwischen. Kommen Sie, Elste, wir gehen jetzt. Holla Droschke l"
Der Polizist war durch diese Auskunft nicht ganz befriedigt, obgleich Baretti sehr unbefangen gesprochen hatte. „Vielleicht würden Sie mir Ihre Adresse geben, Sir," sagte er.
„Gewiß. Ich verberge mich nicht in einer Nebenstraße," ries Paulo großartig. „Hier ist meine Karte. Signor Paulo Baretti von Cichester Gardcns, Belgrad,«. Und nun gebt Raum, bitte; das arme Kind darf nicht die halbe Nacht hier draußen bleiben. Kommen Sie, Elste."
Die Droschke, welche Baretti angerufen, fuhr jetzt dicht herbei, und Elste stieg ein, gefolgt von ihrem neuen Beschützer. „Wohin bringen Sie mich?" fragte sie matt, als der Wagen sich in Bewegung setzte.
„Nach Hause, Kind," versetzte Paulo hastig-
„Ich danke Ihnen." Elste lehnte den Kopf in die Wagenecke und war in der nächsten Sekunde fest eingeschlafen. Paulo Baretti kreuzte die Arme über der Brust und studierte sein Gegenüber während der ganzen Fahrt, er kämpfte mit großer Gewalt die letzten Spuren seines Rausches nieder und bemühte sich, den neuen Pian auszuarbeiten, den sein geschäftiges Hirn betreffs dieses armen unglücklichen Kindes gefaßt hatte. „Ja, sie ist ein wahrer Segen für mich," murmelte er leise und kicherte dann vor sich hin über den merkwürdigen Zufall, der ihn zum Führer und Schützer von Frank Nords Tochter ausersehen hatte.
27. Kapitel.
Paulo Baretti hatte keinen Versuch gemacht, die Majestät deS Gesetzes zu täuschen, sondern dem Polizisten seine richtige Adresse angegeben. In einer kostbar eingerichteten Wohn> ung in Cichester Gardens, Belgravia, hatte er sei! seiner Vermählung mit Fräulein Kenscy, der Büffeldame aus der „Goldenen Taube," dem Stammlokal Baretti's seinen Wohnsitz aufgeschlagen. Fräulein Kensty war mit ihren dreißig Jahren noch sehr schön und ehrgeizig gewesen und hatte trotz des Abratens ihrer Kolleginnen den reichen Gatten gesichert, in der festen Ueberzeugung, ste werde soviel Macht über ihn erringen, um einen besseren Einfluß auf ihn auszuübev. Aber schon längst, che die Flitterwochen vorüber waren, hatte ste ihren Irrtum eingcsehen und bitter
lich bereut. Obwohl sie selber keine Bildung besaß, vermochte ste doch PaulvS Roheiten kaum zu ertragen. Sie wäre nach ihrer Art eine vortreffliche Frau für ihn geworden, hätte er ste nur einigermaßen freundlich und aufmerksam behandelt, und sogar jetzt noch suchte ste den Frieden zu erhalten, obschon ihr Paulo täglich wiederholte, wie sehr er bedaure, sich an eine Frau von nieder Herkunft und schlechter Erziehung weggeworfen zu haben.
An diesem Abend erwartete ste den Gatten, eine Flasche Sodawasser für ihn in Bereitschaft haltend, und als die Droschke vor der Thüre anhielt, schickte sie sich an, mit geübter Hand die Flasche zu entkorken. „Du kommst heute nicht so spät als gewöhnlich, Baretti," sagte sie mit einer stumpfen Gleichgiltigkeit, welche Frauen schlechter Männer häufig eigen zu werden pflegt, „denn noch sind nicht alle Thüren geschloffen. O wer ist dies?" Sie hielt ihn ihrer Beschäftigung inne und blickte mit großem Staunen auf das bleiche, schüchterne Mädchen, welches mit ihrem Gatten eingetreten war und hülfloö, fast flehentlich zu ihr aufschaute.
„Das ist mein Preis, Fanny," erklärte Baretti in solch' vergnügtem Tone, daß Frau Baretti abermals staunte, „ein Preis, der mir ungesucht in den Schoß gefallen ist. DaS ist Elste Nord — die ehemalige Braut meines Sohnes, wegen deren er seinen eigenen Vater abgeschüttelt hätte, wenn nicht ste ihm den Laufpaß gegeben. Ich habe Dir ja die ganze Geschichte erzählt."
„Ich erinnere mich. Also Sie heißen Elsie Nord? Keine Lügen," fragte sie in barscher Weise die arme Elsie.
„Ja, mein Name ist Nord. Warum brachte man mich hierher?"
„Um hier zu ruhen, Kind, bis wir morgen — morgen in aller Frühe den Vater aufsuchen," erklärte Baretti, seiner Frau bedeutungsvoll zuwinkcnd.
„Hoffentlich kann ich Ihnen vertrauen," sagte Eiste zögernd. „Sie waren einst sehr aufrichtig. Ich erinnere mich jetzt bester Alles, was Sie in Wolston gesprochen haben."
(Fortsetzung folgt.)
Verschiedenes.
— Der Ring des Polykrates in moderner Auflage. Ein Fischer fing dieser Tage in der Elbe bei Hamburg unter anderen Fischen einen großen Brassen, den er für sich behielt und nicht verkaufte. Als seine Frau das Tier ausnahm, entdeckte ste zufällig, daß der Magen einen harten, runden Gegenstand enthielt. Der Magen wurde geöffnet und heraus kam zwar kein Ring wie zu PolykrateS' Zeilen, wohl aber ein blitzblanker Hamburger Schilling vom Jahre 1866. Unzweifelhaft wird der Fisch den glänzenden Gegenstand irgendwo auf dem Grunde deS Wassers gesehen und, durch den Glanz angelockt, veschluckt haben. Die Magensäure hat dann das Geldstück gründlich gereinigt und blank gemacht.
(Stolze Annonce.) 1000 ^ habe ich gestern verloren. Der Finder kann solche behalten. Rentier Protzt.
(Boshaft.) „Das muß man sagen, in der Wurstküche von unserm Fleischer steht man niemals ein Stäubchen l" —„Stimmt; das kommt alles in die Wurst!"
Redaktion, Druck und Verlag »an Beruh. Hssmaun tu WMbcch.