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Gin WaterHerz.
Roman in Origtnalbearbeitung nach dem Englischen von Clara Rheinau.
42) (Nachdruck verboten.)
Als der Wagen von dannen rollte, warf Helene einen letzten Blick auf den Scheidenden, Elfte aber bewegte sich nicht. Mit verschlungenen Händen, das weiße starre Gesicht wie nach einer unbekannten, liebeleeren Zukunft hingerichtet, saß sie noch gerade so, wie Antonio sie verlassen hatte.
»Elfte/ bat Helene in leisem flehendem Tone, »verzweifle nicht, raffe Dich auf. Es war am besten so, mein Liebling,." Aber Elfte antwortete nicht. Sie hatte die Worte nicht vernommen, oder sie waren bedeutungslos an ihrem Ohr abgeglitten.
„Du wirst Dich aufrecht halten — Du wirst, wie Du sagst, Dir immer selbst treu bleiben," sagte Helene, an ihre Seite kommend und die Freundin zärtlich umschlingend. „Dies ist ein Schmerz, an welchem viele Frauen leiden; die Erschütterung war um so größer, weil sie Dich so unvorbereitet überfiel. Aber es war am besten, daß Du in letzter Stunde die Wahrheit erfuhrest, um über die Ehrenhaftigkeit jenes Mannes, über die Gründe, welche ihn an Deiner Seite hielten, urteilen zu können."
Wieder kam keine Antwort über Elftes Lippen, und mit erneuter Besorgnis blickte Helene in das bleiche unbewegliche Antlitz. „O Elfte," fuhr sie rasch fort, „Du mußt mir vergeben, daß ich Dir erst heute die Wahrheit gesagt habe, die vor Monaten Dich vielleicht weniger schmerzlich berührt hätte. Ich wollte schweigen, bis ich die sichere Ueber- zeugung von feiner Unwürdigkeii gewonnen hätte. Du darfst nicht glauben, mein Liebling, daß ich Dich nicht unendlich liebte; o, ich flehe Dich an, laß einen solchen Gedanken nicht in mir auskommen! Und wenn ich in meiner Unerfahrenheit trotz des besten Willens unrecht gehandelt habe, so vergilb mir, mein Lieb, um der alten Zeiten — um des armen Friedrichs willen venn ich war nur ein schwaches Weib."
HelenenS Worte machten so wenig Eindruck auf Elfte, als ob sie an eine Bildsäule gerichtet wären. Es lag etwas Ergreifendes, Herzbrechendes in Elsie's unnatürlicher Ruhe, in ihrer seltsamen Teilnahmslosigkeit und dem Hinausschauen über die gegenwärtige Stunde, in welcher der harte Schlag gefallen war.
Helene fühlte sich ernstlich beunruhigt, von Angst erfaßt, daß noch lange nicht alles gut sei, jetzt, da das Schlimmste bekannt geworden, der Sturm auögetobt halte. „Elfte, warum sprichst Du nicht zu mir?" rief sie.
Und jetzt erhob sich Elfte langsam; ihre Augen schienen in weile Ferne zu blicken. „Halte mich nicht auf!" flüsterte sie. „Er ruft mir — ich muß zu ihm gehen."
„Wer ruft Dir, Liebe?"
„Frank Nord — mein Vater, dem Jedermann Unrecht gethan hat. Alles ist gegen die Nord, Du wirst Dich erinnern, wir stehen ganz allein, wir Beide. Horch I ich höre ihn rufen!"
„O Elfte, Elfte, spricht nicht so. Blicke nicht so starr!"
„Laß mich gehen!" rief diese. „Halte mich nicht fern von dem einzigen Menschen, welcher mich liebt, und besten Herz ich zu
brechen suchte. „O Vater, errette mich vor dieser Frau!"
Mil einer plötzlichen Bewegung machte sie sich von Lena frei und huschte durch das Zimmer nach der Glasthüre, die in den Garten führte. „Er fuhr auf dem Flusse," flüsterte sie. „Ich kann ihm folgen."
Lena Umschlag sie, schrie laut um Hilfe und suchte die Fliehende gewaltsam zurückzuballen, als die Dienerschaft in das Ammer eilte, in dem Augenblicke, da Elfte mit Riesen- stärke sich frei gemocht hatte.
O haltet sie! Sendet nach Doktor Kennet I Rettet sie vor dem Fluß — sie ist wahnsinnig! rief Helene.
DaS also war die Lösung des neuen Geheimnisses, welches die Dienerschaft in Verwirrung gesetzt hatte. Elfte Nord war wahnsinnig I*
War dies das traurige Erbteil ihres Vaters, den man stets als den verrückten Nord bezeichnet hatte?
24. Kapitel.
Die Barettt's, Vater und Sohn, fuhren in vollem Gallopp von Wolstonhaus weg. Das Stück dort war zu Ende gespielt — die Schauspieler entfernten sich wieder. Antonio saß seinem Vater gegenüber, den Hut tief in die Stirn gedrückt, die Arme verschränkt. Er bewegte sich nicht, und sein Vater, im Zweifel ob der Sicherheit deS errungenen Preises, hielt es nicht für geraten, seinen Gedankengang zu stören. Erst als sie in die Nähe der Hafenstadt Barstoft gelangten, blickte Antonio mit einigem In- teresse aus dem Wagenfenster. Paulo, der ihn keine Sekunde aus dem Auge gelasten hatte, bemerkte dies sofort und glaubte, er dürfe es nun wagen, seinen Sohn anzureden. „Wir fahren nach Barstoft Tony," erklärte er ruhig, fast ehrerbietig.
Antonio antwortete nicht, und Herr Ba- retti wiederholte seine Erklärung nicht. Schon dachte er, Antonio habe die Störung vergessen, als dieser mit tiefer, etwas rauher Stimme sagte: „Warum nach Barstoft?"
„Von Barstoft hat man die Wahl, zu Schiff nach Holland, Deutschland oder sonstwohin zu gelangen, wenn man nicht milder Bahn nach London will."
„Ach London — ein Strudel!"
„London ist eine graßartige Stadt, Tony, deren Straßen nie menschenleer werden. Wie Du, mit Deines Vaters Blut in den Adern, in jenem elenden, langweiligen Wolston existieren konntest, geht über meine Begriffe. Wollen wir nach London, Tony?"
„Es hat nicht den Schimmer von Paris, aber es ist solide in seinen Vergnügungen, und in meiner Gesellschaft sollst Du lernen, was Leben ist, Junge." Er legte seine breite, juwelengefchmückte Hand auf AnlonioS Schulter und schüttelle diese mit rauhem Scherze, was der Sohn sich gefallen ließ.
„WaS geschehen ist, ist geschehen," fuhr Paulo fort, „und Niemand braucht Vergangenes aufzurühren. Aber hier, ehe wir unser neues Leben beginnen, Tony, laß mich Dir sagen, daß ich förmlich aus den Wolken fiel. Ich glaubte, Dir gefällig zu sein, wenn ich gegen die Heirat protestierte, und arbeitete mich in eine prächtige Wut hinein — das war mir stets eine leichte Aufgabe, wie Du weißt —, ehe Du in das Zimmer kamst. Und dann schimpftest Du über mich — mich
Deinen zärtlichen Vater — mich, Deinen guten zärtlichen Vater — und packtest mich an der Kehle und zerrissest mir den Rockkragen- Warum geschah dies? Was ist jenes Mädchen, daß es Jemanden zum Kinde machte, welchen jede Erbin gerne zum Manne nehmen würde?"
Antonio entfernte langsam, aber entschieden, des Vaters Hand von seiner Schulter. „ES wäre der Erklärung nicht wert, selbst wenn Du mich verstehen könntest — was nicht der Fall ist."
„Aber —"
„Aber genug hiervon," schnitt Antonio ihm die Rede ab.
„Schon recht. Ich bin zu Ende. WaS liegt daran," sagte der Vater.
(Fortsetzung folgt.)
Verschiedenes.
— Der Doktor und sein Patient. Aus Paris wird dem „Wiener Fremdenblatt" geschrieben: Neulich suchte Herr M. L., ein wohlsttuierter Privatier, einen Arzt auf, um ihn wegen eines Halsleidens zu konsultieren. Die Diagnose war niederschmetternd: sie lautete auf Kehlkopf- tuberkulose im letzten Stadium. Der Arzt riet zu einer Operation. Nun kommt das eigentlich interessante. Der Arzt hatte nämlich erfahren, daß Herr L. mit einem schönen jungen Mädchen aus reichem Hause verlobt sei und hatte daraufhin nicht Eiligeres zu thun, als den Eltern dieses Mädchens von der Natur des Leidens ihres zukünftigen Schwiegersohnes Mitteilung zu machen. WaS vorauSzusehen war geschah: die erschrockenen Eltern beeilten sich, Herrn L. mitzuteilcn, daß ste niemals in eine Verbindung ihrer Tochter mit ihm willigen würden. Herr L. wandte sich nun an einen anderen Arzt, der nach eingehender Untersuchung erklärte, — daß von einer Tuberkulose keine Spur zu entdecken, sei. Er verschrieb Herrn L. ein Rezept und binnen kurzer Zeit war dieser vollständig hergestellt. Nun hat Herr L. eine dreifache Klage gegen obenerwähnten Arzt eingebrachi; l. wegen Bruches der Verschwiegenheit; 2. wegen Fahrlässigkeit in der Behandlung und 3. wegen falscher Diagnose, durch welche Herr L. der Gefahr einer ebenso schmerzhaften als unnützen Operation ausgesetzt war.
— Um den DruckpapierpreiS auf seiner ungewöhnlichen Höhe zu erhalten, führen die deutschen Papierfabrtkanten viel Papier ins Ausland. In Deutschland schaffen ste dadurch einen künstlichen Papiermangel. Im Jahre 18S9 ging für 7 200 000 ^ deutsches Papier ins Ausland. Ausländisches Papier kam im gleichen Jahre nur für 154000 Mark herein, denn leider besteht in Deutschland ein hoher Papierzoll. Erst wenn dieser beseitigt wäre, könnte die vom deutschen Papierring geübte AuSbeutcrei beschnitten werden.
— Europäische Städte in Amerika. In den Staaten der nvrdamerikanischen Union giebt eS 30 Ortschaften, die den Namen Berlin tragen und 21, die von ihren Gründern aus den der schönen Seestadt Hamburg getauft sind. Ein Paris haben sich französische Kolonisten 23 Mal, ein London englische Ansiedler 13 Mal geschaffen.
Redaktion, Druck und Verlag von veruh. Hofmann i» Wildbad.