Kin Materherz.

Roman in Originalbearbeitung nach dem Englischen von Clara Rheinau.

IS) (Nachdruck verboten.)

Der Kranke blickte sie durchdringend an, seine Augen erweiterten sich und traten fast aus ihren Höhlen.Ist es so?" fragte er langsam.

Helene antwortete nicht, sondern suchte rasch und ernsthaft das Ende ihrer Aufgabe herbeizuführcn.

Wäre es nicht am besten, eS zu wissen, Friede!, es in's Auge zu fassen, wie ein tapferer Mann, der gefehlt, aber noch Zeit zur Sühne hat? Denn, o, mein lieber Bruder! ich weiß, daß Du unglücklich, von einer Last bedrückt gewesen, Du, der von Natur so gut so edel gewesen, Du, der von Natur so gut, so edelmütig bist I"

Also ist eS unmöglich, daß ich genesen kann?" fragte er düster.Warum sagst Du eS nicht frei heraus?"

Ja mein armer Bruder, ist unmög­lich ?«

Ich fürchtete es den ganzen Tag über. Wann sagten sie es Dir?"

Soeben erst."

Du dachtest Vielleicht, ich hätte mein Testament noch nicht gemacht

Nein; ich dachte, Du hättest Deinen Frieden mit dem Himmel nicht gemacht."

Du bist ein gutes Kind, Lena," mur­melte er.

Nein, nein, ich bin nicht gut," rief seine Schwester rasch,aber ich dachte, wenn Du noch etwas gutzumachen, etwas"

DaS wird mir der Geistliche schon sagen, Lena."

Ja, Friede!, er wird Dir weit bester sagen können, wie man Vergebung seiner Sünden erlangt," flüsterte sie, sich zärtlich über ihn neigend und seine fieberheißen Hände streichelnd.Aber wenn Du einen Kummer hast, lieber Bruder, den ich Dir erleichtern kann, so vertrauen ihn mir an, und Dir wird es bester werden."

Ich kann nicht ich kann Niemandem trauen," sagte er und entzog Helene seine Hand, um sie mühsam unter seinen Kopf zu schieben. So lag er regungslos und starrte vor sich hin. Seine Schwester war enttäuscht, aber nicht entmutigt. Friedrich durfte nicht sterben, ohne bereut, ohne nach Kräften gesühnt zu haben, denn es war ihr klarer denn je, daß irgend eine Schuld seine Seele belastete.

Ich wollte auch von mir selbst mit Dir sprechen, Friede! wollte wegen Elste Deinen Rat erbitten Deine Wünsche be­treffs Ihrer und meiner Zukunft erfragen. Aber von Allem möchte ich, daß Du mir Vertrauen schenkst."

Es würde Dein Herz brechen, Lena; eS würde Dich betrüben, ohne einen Zweck zu haben. Wenn etwas geschehen könnte

wenn er"

Wenn er" wiederholte Helene eifrig; nun?"

Wenn er ein anderer geworden wäre

wenn er Lena," sagte er mit größerer Lebhaftigkeit;wir lange geben mir die Aerzte noch zu leben? Sage es mir, Kind, wie lange?"

Sie sprachen sich nicht darüber aus, hielten eS aber für notwendig, daß Du die

Wahrheit erführest. Und, o, mein armer Bruder, wie tapfer hast Du sie ertragen I Wie mutig wirst Du auSharren bis zum Ende!"

Die Wahrheit!" wiederholte er.Ach wenn sie kommt, ist es ein harter Kampf. Ich werde bald unterliegen. Ein tapferer Mann bin ich nie gewesen stets ein Feig­ling, ein Schleicher. Ich habe »ie wirklichen Mut wirkliche Grundsätze gehabt, nie­mals."

Helene fand, daß er mühsamer atmete, und eine große Angst, der Tod könne ihn überraschen, befiel sie.Möchtest Du noch irgend Jemanden gerne sehen?" fragte sie.

Ja; ihn möchte ich sehr gerne sehen."

In? wen, Friede!?"

Den Präsidenten von Alsako."

Von wem spricht Du?" Doch nicht

nicht von Frank Nord?"

Ja, ich meine Frank Nord von Guate­mala. Ich kann nicht sterben ohne ihn ge­sehen zu haben. Sende nach ihm, Lena, ehe es zu spät ist."

Unverzüglich soll es geschehen," sagte Helene, sich erhebend.

Du bist ein gutes Kind. Vielleicht that er mir nie ein Leid an vielleicht wünschte er mir nie etwas Böses. Wir mögen Alle Unrecht haben. Wie konnte er wiffen, daß ich gestern Abend über die Brücke kam, um ihn zu bitten, fern von Elste flott zu leben, anstatt sie an seine elende Person zu ketten? Und wenn er eS wußte, hätte er ihm wohl eine Falle gestellt? Nein, ich glaube nicht mehr, daß Frank Nord einer solch' schlimmen Thal fähig wäre."

Aber was kann dieser Mann uns nützen, Friede! ? Ich begreife es nicht."

Und wirst eS auch nie begreifen. Aber ich muß ihn sprechen, wenn er Wolston noch nicht verlassen hat. Vielleicht ist er geflohen

aus Angst."

Er war heute Nachmittag hier, um Elste einen Brief zu bringen, und verlangte auch, Dich zu.besuchen."

Er verlangte es, Lena? DaS warsehr gut von Frank. Aber Lena," rief er plötz­lich mit ausbrechender Leidenschaft,Du verschwendest Zeit. Ich muß ihn sehen. Barmherziger Himmel! zu sterben, ohne ihn gesehen zu haben!"

Helene eilte erschreckt aus dem Zimmer. Ich sende nach ihm l" rief sie noch unter der Thüre. Wenige Minuten später galop­pierte ein Diener in rasender Hast dem Dorfe zu, und Helene kehrte, von Angst und Sorge erfüllt, an das Krankenbett zu­rück. Bis zu diesem Augenblick war es ihr in den Sinn gekommen, ihres Bruders Kummer mit Frank Nord in Verbindung zu bringen, und selbst jetzt noch hatte sie ihren Zweifel. Vielleicht hatte Friedrich nur im Delirium gesprochen; eine gräßliche Un­ruhe schien ihn zu verzehren, seitdem der Bote das Haus verlassen.

War Nord gekommen? konnte es noch lange dauern? hatte er seinen Sinn geändert und wollte ihn nicht sehen, obschon er am Sterben lag am Sterben, ohne «in Wort von ihm, den er schon so lange kannte?

Er ist hier," sagte Helene endlich als fremde Schritte auf der Treppe hörbar wur­den, und Dering fing an tn seinem Bette zu zittern, von der alten Furcht von seinem

Besucher erfaßt.Du hast Mut Friede! ?"

«Ja ja Mut, ihn zu sehen, Lena."

Die Thüre wurde leise geöffnet, und Frank Nord erschien auf der Schwelle, auf eine weitere Aufforderung wartend.

Ich bin froh, daß Sie gekommen sind," sagte Lena;er verlangte tn den letzten Stun­den sehr nach Ihnen."

In der That?" rief Nord überrascht.

Sie werden milde mit ihm Verfahren," bat sie flüsternd,es ist ein Sterbender."

Sagten die Aerzte"

Die Aerzte halten es für unklug, ihm jetzt noch irgend einen Wunsch abzuschlagen," unterbrach sie ihn.St! er ruft."

Frank," rief der Kranke mit matter Stimme,tritt näher, bitte. Ich habe Dir viel zu sagen. Verlaß mich. Leuchen; ich möchte gern allein mit Oberst Nord reden."

Helene schloß die Thüre hinter sich, und Frank Nord trat an das Lager seines alten Feindes, mit mitleidigem Interesse auf ihn ntederblickend.Dering," sagte er mit ge- gedämpfler Stimme,es lhut mir leid, daß es so weit gekommen ist."

11. Kapitel.

Es war eine seltsame Begegnung zwischen diesen beiden Männern, welche einander stets voll Mißtrauen und Abneigung betrachtet abstchlich die bessere Seite an dem Charakter des Andern nicht hatten sehen wollen. Fried­rich Dering war von jeher gewohnt, Frank Nord als einen zanksüchtigen, heftigen, un­liebenswürdigen , exentrischen Mann zu be­trachten, während dieser in Dering den Egoisten Heimlichthuer und grundsatzlosen Menschen verabscheute. Jeder hatte Recht in seiner Weise, aber Frank Nord war wohl der Wahrheit näher gekommen, als der Unglück­liche, an dessen Sterbelager man ihn gerufen.

Es ist ein trauriges Ende, Frank," mur­melte Dering.Noch gestern Abend fragte ich mich, wer von uns beiden wohl zuerst sterben würde. Meine Neugierde wurde bald befriedigt."

Müssen wir schon vom Sterben sprechen, Fritz?"

Ja; es ist keine Hoffnung mehr." Jetzt, da sein Wunsch erfüllt worden, halte die entsetzliche Erregung nachgelassen: Er atmete leichter und sprach mit beredter Be- dachtsamkeit, als ob er all' seine Kräfte zu dieser Unterredung aufgespart habe. Seinen Verdacht gegen Frank Nord, die Beschuldig­ung, die er ihm vergangene Nacht vor vielen Zeugen ins Gesicht geschleudert ja selbst seine frühere Furcht vor ihm schien er gänz­lich vergessen zu haben. Nord selbst war es, der ihn daran erinnerte, nachdem er eine Weile nachdenklich auf den Sterbenden her­abgeblickt, als gälte cs, hier ein Rätsel zu lösen, das ihn sein Lebenlang in Verwirrung gesetzt.

Glaubst Du, Dering," sagte Frank Nord langsam,daß ich Dich in dieses Un­glück gestürzt aus Rache, weil Du meine Tochter an Dich genommen und sie mich und meine Ansprüche vergessen gelehrt hast?"

Nein war die leise Erwiederung,jetzt glaube ich es nicht mehr."

Und was bewirkte diese Sinnesänder­ung, Dering?"

(Fortsetzung folgt.)

Merks-

Der Himmel legt in alles Zweck.

Skdakidm, Druck und Verlag von Bcr nh. Hofmauutu Wrlbbad.