Gin WaterHerz.
Roman in Originalbearbeitung nach dem Englischen von Clara Rheinau.
5) (Nachdruck verboten.)
3. Kapitel.
Mit hastigen Schritten eilte Frank Nord auf seinem Wege dahin, bis er die Thore von Wolstonhaus erreicht halte. Zur Linke» befand sich ein Thorwärterhäuschen, aber Niemand war darin, um ihm das Recht des Eintretens streitig zu machen, denn die R-j gatta hatte Jedermann an das Ufer des Flusses gelockt. So konnte denn der Heim» gekehrte ungehindert sich seiner Tochter nähern.
Sein erster Gedanke war, vor der ganzen Gesellschaft, die sich auf dem Rasenplatz vor dem Hause befand, seine Vaterrechte auf Eiste zu verkünden, aber bald besann er sich anders. Im Schatten der Bäume stehend, beobachtete er aus der Ferne die fröhlichen geputzten Menschen, die Friedrich Dering zu Gaste geladen, und fragte sich, welches der jungen Mädchen wohl seine Tochter seine möge; ob jene lachende Blondine in Grau oder jenes ernste hübsche Mädelchen mit den braunen Flechten oder eine von den Damen, die sich am Ufer gruppierten. Elfte hatte hellblondes Haar gehabt, als er sie zum letzten Male umarmte, aber die Zeit färbt ja so Manches dnnkler, nichts bleibt wie es einst gewesen.
Niemand kannte besser diese Welt des Wechsels als der ernste Mann, der zwischen den Bäumen lauerte. Seltsam, dachte er, daß er sein eigenes Kind nicht kennen sollte, die Tochter, die ferne von ihm zur Jungfrau herangewachfen war. Sie liebte den Vater so zärtlich als kleines, hülfloseS Kind, daß eS oft die Eifersucht der Mutter erregte, und Frank Nord halte sich stets vorgestellt, daß, wie er für sie, sie diese Liebe für ihn ausbewahre und den Tag des Wiedersehens mte ganzer Seele herbejsehnr. Warum war er weggcgangen, wenn nicht um ihretwillen, und welches war der Magnet, der ihn wieder in die Heimat zog?
Das blonde, graugekleidete Mädchen mußte seine Tochter Eiste sein I er hörte ihr melodisches Lachen, es klang wie das ihrer Mutter und machte sein Herz vor Wonne erbeben. Jetzt entdeckte sein scharfes Auge auch eine Aehnlichkeit, und ohne weiteres Zögern trat er hinter den Bäumen hervor, blieb aber plötzlich wieder stehen und hielt den Atem an.
Denn daS blonde Mädchen hatte ihn gesehen und einen Diener auf den Eindringling aufmerksam gemacht, dessen Erscheinen sie erschreckte. Nord hatte wohl bemerkt, wie sie bei seinem Anblick die Farbe wechselte, und jetzt wurde er sich bewußt, wie sein staubiger, unordentlicher Reffeanzug, seine beschmutzten Stiesel, vor Allem aber der wilde, gierige Ausdruck seiner Züge ihr Erschrecken nur zu sehr rechtfertigten. Welche Unklugheit war es von ihm, in diesem Aufzuge, mehr einem Wilden, als einem gesitteten Menschen gleich, hicrherzukommen I
Er wandte sich um und eilte zwischen Bäumen und Sträuchern hindurch, achtlos auf wohlgepflegte Blumenbeete und Anlagen tretend, bis er den breiten Fahrweg wieder erreicht hatte. Eine Sekunde später stand, atemlos vom raschen Lausen, der Diener an seiner Seite.
„He, was haben Sie hier zu suchen sagte er barsch. »Entfernt Euch schleunigst, Mann, oder Ihr könntet zu bereuen haben. Ihr -"
Er hielt plötzlich inne, denn bei näherer Besichtigung fand er in Frank Nord weniger: von dem Stromer, als er erwartet hatte.
„Wo ist Ihr Herr ?" fragte Nord. Er hatte seine Geistesgegenwart wieder erlangt, und die Leidenschaftlichkeit der letzten halben Stunde war verrauscht.
„Sie können Ihn nicht sprechen. Was wollen Sie von ihm?" sagte der Diener in etwas höflicherem Tone.
„Geben Sie ihm meine Karte," versetzte Nord hochmütig; „und wenn Sie wieder mit einem Gentleman zusammentreffen, so halten Sie ihn nicht für einen Dieb."
„Ich — ich bitte um Verzeihung, mein Herr," stammelte der Diener, nach einem Blick auf die Karte. Ich — ich dachte nicht —"
„Ganz richtig — Sie dachten nicht," unterbrach ihn der Andere ungeduldig. „Und nun eilen Sie sich, und lasten Sie die vordere Thüre öffnen. Geben Sie Herrn Dering zu verstehen, daß ich eine Unterredung unter vier Augen mit ihm wünsche."
„Ja, mein Herr."
Der Diener eilte nach dem Rasenplätze zurück, überreichte die Karte einem stattlichen Herrn, der sich lachend und scherzend mit seinen Freunden unterhielt, und fügte den mündlich erhaltenen Auftrag bei. Herr Dering ließ die Karte auS der Hand fallen, als ob sie ihn gestochen, bückte sich, uw sie wieder oufzuheben, trocknete mit einem großen weißen Taschentuche sich den Schweiß von der Stirn und sank schwerfällig auf einen Gartenstuhl, der in seiner Nähe stand.
,Jst etwas vorgefallen, Friedrich » fragte das braunharige junge Mädchen, welches Nord beobachtet Halle.
„Nichts — nichts Besonderes," war die hastige Entgegnung; — „ich werde es dir bald sagen — sogleich — wenn diese Leute weg sind. Es ist jemand gekommen — ich muß ihn sprechen."
Da näherte sich ein anderer Diener; „Herr Dering, das Komite läßt sie bitten, so bald als möglich nach dem Boot hinüber zu kommen."
„Zum Henker mit dem Komite," rief der Hausherr, sich erhebend; „ja, ja —sogleich."
Von neugierigen Blick»« gefolgt, schritt er mit t i e f g e n e i g t e m Haupte dem Hause zu. Er schien vieles zu überlegen, auf Vieles sich vorzubereiten zu haben, eb' er Frank Nord gegenüdertrat. Er fand ihn in dem Bibliothekzimmer, dessen Fenster einen Blick auf den Garten gewährten, und trat in nervöser Erregung, aber mit einer gezwungenen Gleichgültigkeit, die fast peinlich anzusehen war, in das freundliche Gemach. Frank Nord hatte ihn kommen sehen und wandte sich jetzt von dem Fenster ab.
„Frank Nord," begann Dering mit leiser Simme und ließ die Hand wieder fallen, die der Andere nicht sehen zu wollen schien, „so bist Du nach all diesen Jahren .wieder zurückgekehrt."
„So ist es; hieltest Du mich für Tod?"
^Jch dachte — ich dachte natürlich, daß dies nicht unmöglich sei," war die Erwiederung; „keine Botschaft, kein Lebenszeichen bis
zum heutigen Tage."
„Und doch schrieb ich zweimal, erhielt aber keine Antwort. Ich wußte, daß meine Briefe unterwegs verloren gingen, oder — unterschlagen wurden."
„Wer hätte Deine Briefe unterschlagen sollen? Wir sehnten uns alle nach Nachrichten von Dir, Frank."
Einigt von hier hätten «S wenigstens thun sollen. Aber ick war Soldat, im Kriege, und Mittel-Amerika ist weit von hier. Zuletzt gelangte ich noch zu Macht und Ansehen — wurde Präsident einer unbändigen Schaar und einer Stadt von Halsabschneidern — dann kam ich ins Gefängnis wegen Ver- rates gegen dieser Republik und sah Jahrelang das Tageslicht nicht mehr. Als ich frei war, fühlte ich Verlangen nach der alten Heimat, und hier bin ich."
„Ja, hier bist Du," sagte der Andere mit matter Stimme. „Willst Du nicht Platz nehmen?"
„Noch nicht. Das ist meine Geschichte. Habt Ihr nie zuvor ein Wort davon gehört ?"
„Jo; wir lasen manchmal in den Zeitungen Auszüge aus amerikanischen Blättern."
„Und darin wurde ich als ein Monstrum geschildert — als ein wilder, grausamer, blutdürstiger Mensch, Ich war ein Ungeheuer, welches Männer, Weiber und Kinder seinem Ehrgeiz opferte. Lautete nicht so die Geschichte des Präsidenten Nord, der von seiner Höhe herabfiel, so rasch er sie erklommen?"
„So ungefähr, Frank. Ich sage nicht, daß ich daran glaubte — als ich an Dich dachte, trotz des gleichen Namens — daß —"
„Versuche, Alles für wahr zu halten," sagt: der Exprästdent, seine Hand schwer auf des Andern Schultern fallen lassend. „Und nun zu Deiner Geschichte, Dering."
Der Angeredete verstummte, und als ob die Hand des Gefährten ihn niederdrückte, sank er langsam auf einen Stuhl und fuhr in nervöser Weise mit dem Taschentuche über sein rotes Gesicht.
„Mir — mir lächelte das Glück in den letzten zwölf Jahren," begann er, aber wieder unterbrach ihn der Andere.
„Das geht mich nichts an. Deine Vergangenheit hat für mich so viel Interesse, wie die meinige für Dich. Beginne mit Sophie. Was bestimmte Dich, sie zu heiraten ?"
„Ich liebte sie."
„Das ist ist eine Lüge," rief Nord, und seine Züge arbeiteten wieder in unterdrückter Wut. „Du besaßest nie die Fähigkeit, zu lieben, sondern lebtest nur für Dich selbst. Du warst ein Elender, als ich damals hinter Deine Schliche kam und Dich öffentlich züchtigte auf dem Marktplätze zu Barstoft.
Dering sprang auf die Füße, aschgrau vor Wut. „Dies — dies von Dir, einem Abenteurer."
„Warum heiratetest Du meine Schwester ?" fragte Nord zum zweiten Male.
„Ich habe Dir bereits geantwortet."
„Aber nicht der Wahrheit gemäß — diese muß ich anderswo suchen. Und nun, warum ist meine Tochter hier?"
(Fortsetzung folgt.)
Merk's.
Dem Unglück ist die Hoffnung zugesendet.
Nrdskiton, Druck und Verlag von Beruh. Hosmaunin Wildbad.