Die Abgründe.

Novelle von F. Stöckert.

21) (Nachdruck verboten.)

Valentine, an die seine Worte gerichtet waren, zuckte zusammen, eia fast gramvoller Zug legte sich um die zusammengepreßten Lippen. Ach sie wußte ja am besten, wie sehr er sich nach Ruhe gesehnt, und wäre sie nicht gewesen, dann läge er nicht hier, sondern säße in aller Ruhe in dem Land­hause ihrer Tante und bei seiner Frau.

Staufen fieberte viel, bisweilen phan­tasierte er auch, und in klaren Momenten da schien er ganz erfüllt von einem Sehnen und Verlangen, dem er aber nie Worte ver­lieh ; oft schaute er erwartungsvoll nach der Thür, als müßte dort hineintreten, wonach ihn so hineintreten wonach ihn so heiß ver­langte. Valentine hatte ihm heute einen Strauß Frühlingsblumen gebracht, den er den ganzen Tag nicht auö den fieberheißen Händen gelegt, immer wieder ruhte sein Blick darauf.

Ach eS giebt doch unendlich viel Schönes auf der Welt," sagte er jetzt leiseo, wer wieder an das Schöne und Große glauben, all das häßliche vergessen könnte I Erica I" zum ersten Mal kam der Name wieder über seine Lippen.lieber die Blumen gebeugt, Thränen in den Augen, so fand ich sie an jenem Abend" fuhr er fort;und dann, dann ist sie gegangen und mit ihr aller Frieden, alle Ruhe die andere hat es nicht gut mit mir gemeint, sie gönnte mir die Ruhe nicht."

Der SanitälSrat hatte ihn schon längere Zeit aufmerksam beobachtet, jetzt wandte er sich an Valentine, die blaß und traurig am Fenster lehnte.Ist der Brief an Erica nun fort?" fragte er sie leise.

Der Brief o, ich vergaß ihn ganz aber ich werde ihn gleich besorgen."

Eie ging nach dem Nebenzimmer, dort lag in ihrer Briefmappe der angcfangene Brief an Erica, der schon gestern hätte be­sorgt werden sollen, weil ihr Vater befürchtete, was nun schon geschehen, daß sie die traurige Kunde aus der Zeitung erfahren könnte. Heute morgen hatte sie ihn beenden wollen; ein letztes verzweifeltes Hoffen und Wünschen aber ließ sie den angefangenen Brief wieder in die Briefmappe verschließen. Sie war dann hinausgelaufev ins Freie, halb ge­dankenlos hatte sie die Blumen am Wege gepflückt, die sie Staufen gebracht, ahnungs­los, daß gerade diese die Erinnerung an Erica mit aller Macht wach rufen mußten.

Nun saß sie wieder mit der Feder in der Hand am Schreibtisch; noch nie war ihr rin Brief so schwer geworderi, natürlich würde Erica, als pflichtgelreue Gattin sofort Herkommen und dann dann. Es war ihr nicht möglich ein Wort auf das Papier zu bringen.

Da Gott im Himmel, was war da» ?

Lauschend hob sie den Kopf, sie hörte Schritte nebenan und dann einen fast jubeln­den Ruf aus Stausens Munde.

Erica! O nun muß Alle-gut werden. Du bist die Ruh, der Friede mild Die Sehnsucht Du und was sie stillt. Ja der gute Rückert wußte solche Friede- dringenden Frauenerscheinungen wohl zu schätzen, während ich ein verblendeter Thor

war. Erica, kannst Du mir verzeihen? Doch was frage ich noch, Du bist ja ge. kommen i"

Valentinens Händen entglitt die Feder, von der ihr so schweren Aufgabe, den Brief zu schreiben war sie ja nun befreit. Erica war gekommen und auch die Tante, deren Stimme sie jetzt vernahm. Ihr thöricht Träumen von einem Liebesfrühling an der Rivera mochte sie begraben in den tiefsten Tiefen ihres Innern. Der jubelnde Klang, mit welchem Staufen Ericas Namen gerufen, war von einer vernichtenden Wirkung für sie gewesen, das war der HerzenSton echter wahrer Liebe, die da stegreich aus Streit, Hader und Meinungsverschiedenheit hervor­geht.

Sie wußte ganz genau, wie eS nun kommen würde, Staufen erschüttert, krank und schwach wie er war, würde sich jetzt ganz von Erica beeinflussen lassen, seiner Richtung schließlich ahschwören und vielleicht ein frommer Mann werden, hatte er doch schon wiederholt von einem Gottesgericht phantasiert, daS ihn ereilt, nun Erica würde solchen Reden schon Bedeutung beilegen. Doch es war hohe Zeit die Verwandten jetzt zu begrüßen, sie erhob sich, uud nachdem sie einen forschenden Blick in den Spiegel geworfen, ob in ihren Zügen auch nichts von der seelischen Erregung zu lesen, trat sie in das andere Zimmer und begrüßte die Tante und Erica mit großer Herzlichkeit.

Eben sollte der Brief an Euch fort- gehen," sagte sie unbefangen, nun habt Ihr es doch in der Zeitung gelesen, und ich bin Schuld an der Verzögerung, verzeiht mir."

Ihr Blick streifte Staufen, wie strahlend er aussah! Die Schatten, die schon seit Wochen seine Züge verdüstert, waren wie weggewischt.

Erica wird sie nun vollends gesund pflegen," wandte sie sich jetzt an ihn, und Papa und ich können unsere Reise fortsetzen, seinen Jugendfreund aufzusuchen, dazu ist Papa ja nun leider nicht gekommen."

DaS war ganz die gewandte Weltdame, die auf diese einfache Weise Ihr Hiersein zu erklären wnßte, was in ihrem Innern in den letzten Tagen vorgegangen, war hinter dieser Außenseite schwer zu entdecken. Erica und ihre Mutter faßten die Sache denn auch so unbefangen auf und priesen eS als ein großes Glück, eine Fügung des Himmels, daß der Onkel gleich zur Stelle gewesen. Staufen, sah einen Moment wie fragend auf zu Valentine, waren es auch nur Fieber­träume gewesen jene Bilder, die bisweilen vor ihm aufgestiegen, Valentine, die da so ruhig neben ihrer Tante stand, in Liebe und Leidenschaft ihm zugeneigt, fern von seiner Frau am Strande des MittelmeercS in paradiesischer Gegend, war sie an seiner Seite gegangen, immerfort aber hatte ihn ein brenndeS Gefühl der Sehnsucht gepeinigt, nach einer kühlen, weichen Hand, wie sie jetzt in der seinen ruhte und nach einem sanften Gesicht, in welchem nichts von Leiden­schaft zu lesen, aber von treuer unwandel­barer Liebe, und dieses süße Gesicht beugte sich jetzt ZU ihm nieder.

Nein, Erica, ich habe Dich nicht ver­gessen, nie, nie," flüsterte er, während seine Augen hin und herflogen, er schien wieder zu fieberndie Andere da steht sie," fuhr er forteinmal, einem Abend

fand ich sie schön, begehrenswert ja und dann wie war es doch o wenn sie doch ginge! Wenn ich sie doch nie mehr zu sehen brauchte I Nur Dich Dich allein will ich sehen!"

Valentine zuckte jäh zusammen, mit ihrer Fassung war eS vorbei. Sie eilte wieder in daS Nebenzimmer und warf sich dort laut aufschluchzend aufs Sopha, ihren Thränen freien Lauf lassend.

Ueber Ericas Gesicht flog eine jähe Röte, und als Staufen jetzt wie tief erschöpft die Augen schloß, und dann einschlummerte, da löste sie behutsam ihre Hand aus der seinen un^ erhob sich, um Valentine zu folgen, einen Moment blieb sie zögernd an der Thür stehen, aber dann trat sie kurz entschlossen ein.

Du wirst aus diesen Reden auch Deine Schlüsse ziehen," sagte der Sanitätsrat etwas seltsam zu seiner Schwester.Aber bitte, urteile nicht zu hart über Valentine, sie ist ohne dies genug gestraft. Dergleichen Ver­irrungen des Herzens, will ich es nennen, kommen leider häufig genug vor, grade in unfern bessern Gesellschaftskreisen."

(Fortsetzung folgt.)

Verschiedenes.

Zermatt, 21. Juni. (Abgestürzt.) Ge­stern wurde hier ein Knabe von 8 Jahren von einer Ziege in den Abgrund gestürzt. Das Unglück fand eine halbe Stunde von Zermatt rrtfernt statt. Das Kind fiel über eine etwa hundert Meter hohe Felswand hinunter und blieb mit gebrochenem Genick liegen.

Sich selbst erwürgt. Ein eigentüm­licher Unglücksfall, der zur Warnung dienen möge, wird aus dem Oberelsaß gemeldet. Ein 12jähriger Knabe aus Niederhadenthal wurde tot in einem Straßengraben gefunden, den Hals in einer Schlinge, während daS andere Ende deS Strickes um den Hals einer im Graben weidenden Kuh gebunden war. Der Junge, welcher die Kuh auf die Weide bringen sollte, hat sich offenbar den Strick selbst am Halse befestigt. Das Tier ist dann Vermutlich unruhig geworden, hat seinen Führer zu Boden gerissen und ihn, den Blutspuren nach zu schließen, eine Strecke von etwa 50 Metern bis zu dem Graben geschleift, wo der Acrmste jetzt als Leiche aufgefunden wurde.

In den Ver. Staaten findet äugen, blicklich eine Volkszählung statt, welche am 30. Juni beendet sein muß. Aus einigen großen Städten werden schon jetzt einige Er­gebnisse, die allerdings nicht genau sein kön­nen, mitgeteilt. So wird Newyork einschließ­lich Brooklyn auf 3 655 000 Einwohner geschätzt, während Chicago 2 006 000 und Philadelphia über 1 Million Einwohner hat. Die Gesamtbevölkerung der Ver. Staaten ausschließlich Alaska und der Kolonien soll seit dem letzten Census (1890) um 26 Pro­zent auf 78 964 472 gestiegen sein.

Redaktion, Druck und Verlag von vrrnh. Hofmau» in Wildbad.