könne, um der ihm drohenden und von ihm gefürchteten Verbringung in eine Erziehungsanstalt zu entgehen.
Tübingen, 20. Juni. „Weil er kein Geld mehr hatte*, hat sich gestern nachmittag der 18. Jahre alte Kupferschmiedgeselle N'kolaus Teufel aus Altstadt-Rottweil von der Jnterimöbrücke herab in den Neckar gestürzt. Es gelang jedoch, ihn nahe beim Schwabenhause dem nassen Element Mieter zu entreißen, worauf er unter dem Gefolge einer großen Menschenmenge nach dem Rathaus transportiert wurde. Einstweilen hat man den armen Teufel hier im Spital unlerge- bracht.
Herrenalb, 21. Juni. Unsre diesjährige Saison verspricht eine recht genußreiche zu werden, haben wir doch nunmehr seit 1. Juni eine eigene Kurkapelle und seit 2 Wochen auch ein Theater. Erstere steht unter der sachkundigen Leitung des Kapellmeisters Gumpert. Eie ist ein Teil der berühmten Hofkapelle von SachsenMein- ingen und leistet Vorzügliches. Täglich finden zwei Konz-rte statt. Die Theatcrge- sellschaft, die im Saale des Konversationshauses wöchentlich drei Vorstellungen gibt, erfreut sich zahlreichen Besuches, da die Spielenden fast durchweg gewandte Schauspieler sind.-
Herrenalb, 21. Juni. In nächster Zeit wird hier eine katholische Kirche erbaut. Die Stadtgemcinde kommt den Jnenssenten insofern entgegen, als sie nach Beschluß des Gemeinderats einen Bauplatz unentgeltlich zur Verfügung gestellt hat.
— Katholische Geistlichen. Laut soeben erschienenem P-rsonalkatalog der Diözese Rottenburg beziffert sich die Zahl der Geistlichen auf 1065, die der Kirchenstellen aus 991, darunter 138 Vikariate, 163 Kaplaneien und 695 Pfarreien, Pfarrkuratien und ständige Pfarrverwesereien; Dekanate find es 29. Die Seelenzuhl deS Bistums wird auf 621474 berechnet. Die weiblichen Orden weisen an Gesammtzahl 1540 Ordensschwestern auf, wovon Untermarchthal 820, Reute 467 und Donzdorf 12 Schwestern stellt.
Mainz, 21. Juni. Gestern nachm, entlud sich über der Umgegend ein furchtbares Unwetter. Wolkenbruchgleiche Regenmassen stürzten nieder und rissen von den rheinauf- wärts gelegenen Weinbergen, besonders in den Gemarkungen Nackenheim und Nierstein, die Weinbergerde herab, sodaß der Rhein stundenlang von der „roten Erde" der Weinberge gefärbt war. Auch von Hagclfchlag wurden verschiedene Gemeinden heimgesncht.
Berlin, 21. Juni. Der russische Minister des Äußeren, Murawje, ist, wie aus Petersburg hierher gemeldet wird, gestern abend gestorben.
Berlin, 19. Juni. Hiesige Blätter berichten von einem Raubmordversuch, der durch die Jugendlichkeit des Verbrechens und die Kaltblütigkeit, mit der er ausgeführt wurde, bemerkenswert ist. Der 16jährige Hugo Hille, Lehrling bei dem Hofphotographen Pflaum, überfiel seinen Meister in besten Schlafzimmer und hieb ihn mit einem Beile dreimal über den Kopf. Zwischen dem vom Blutverluste erschöpften Manne und dem Buben entspann sich ein Kamps auf Leb.» und Tod, eö gelang dem Ueber- fallenen aber ans Fenster zu kommen und Hilfe hcrbeizurusen. Hille benahm sich bei
seiner Perhoftung äußerst frech, gestand unumwunden zu, die Tbat schon langte geplant zu haben. Der Bursche ist ein entarteter Sohn geachteter Eltern.
— Der Kaiser in Oberammergau. Kaiser Wilhelm wird Mille August im strengsten Jncognilo in Oberammergau zum Besuche der Passionsspicle eintreffen.
— In Ebersweier bei Offenbvrg fällt die Kirschenernte so reich aus, daß das Pfund nur noch 8 kostet.
— In Damendors in Schleswig fanden Arbeiter beim Torfstichen eine gut erhaltene Leiche im Moor, welche mit einem groben, wollartigen Stoff bekleidet war, rotes Haar batte und Sandalen an den Füßen trug. Das Alter der Leiche beträgt etwa 1500 Jahre.
— Infolge einer Wette wollen 2 Wiener in fünfzig Tagen ein Faaß von 7 Hektoliter Inhalt, etwa 400 Pfund schwer, von Wien noch Paris rollen. Es geht um 5000 Krvnm.
Laurenzo Marquez, 21. Juni. Der amerikanische Hauplmann Loosberg, der in der Burenaitillerie diente, ist hier eingetrosten und teilt mit, daß die Munitionsfabrik von Transvaal sich jetzt in Lydenburg befindet. General Dewet habe 6000 Mann im Oranjefreistaat und Botha 2500 Mann in Transvaal, außerdem seien 1500 Mann in kleinen Abteilungen verteilt.
London, 21. Juni. Das Reutersche Bureau meldet aus Znrdspruit Vom20. ds.: General Buller schlug das Hauptquartier zwei Meilen hinter Zandspruit-Station, nördlich von Volksrvst, auf. Das Lager wurde an der westlichen Seite der Eisenbahn errichtet. 187 Buren aus diesem Distrikt ergaben sich gestern.
Kapstadt, 22. Juni. Reutermeldung. Seit der Besetzung von Pretoria und Johannesburg übernahmen die mtliltärischen Behörden die Verwaltungsbestimmungen, wie sie unter der Transvaalregierung in Kraft waren. Namentlich wurde die Minenpolizei beibehalten. Alle Minenarbeiten sind eingestellt außer der Pumparbeit. Der Transitverkehr mit gepreßtem und ungepreßtem Gold ist verboten.
London, 22. Juni. Der Korrespondent deS „Daily Expreß" in Singapore meldet dem Blatte von gestern: Ich hatte gestern eine lange Unterredung mit dem bekannten chinesischen Reformator Kangyuwei, welcher sich dahin aussprach, daß der Ausbruch der Unruhen von Rußland zu rein russischen Zwecken beschleunigt, wenn nicht überhaupt gänzlich organisiert worden sei.
Diese englische Meldung, die wohl Zwiespalt in das gemeinsame Vorgehen der Mächte streuen möchte, trägt den Stempel der Russenfeindlichkeit deutlich an der Stirn.
Washington, 22 Juni. Admiral Kempff telegraphiert von Tschtsu unterm 21. Juni: Die Chinesen bombardieren Tientsin. Das amerikanische Konsulat und ein großer Teil der Fremdenkonzesstoncn sind teilweise zerstört. Eine Hilfstruppe, darunter 130 amerikanische Soldaten, begiebt sich nach Tientsin.
Tschifu, 22. Juni. Wie hieher gemeldet wird, wurde Tientsin 2 Tage lang beschossen. Die Verluste ' ragen angeblich 100 Mann.
London, 22. Juni. Die „Times" melden aus Schanghai vom 21. ds.: In der Nacht vom 1ö. Juni richteten die Boxer in
der Eingeborenenstadt in Tientsin große Ver» Heerungen an. Die fremden Truppen erwiesen sich stark genug, um die Frcmden- niederlastung zu schützen.
London, 22. Juni. „Daily Expreß" meldet aus Schanghai vdm 21. dö.: Tientsin wurde am 15. ds. von 2 Seiten von Bexer- banden angegriffen. Dieselben beschossen zunächst die Eingeborenenstadt an 12 Stellen und rückten dann gegen die Fremdennicdcr- lassungen vor. Die Eisenbahnstation war von 2000 Rüsten mit 10 Geschützen besetzt. Als die Boxer dort ankamen, gaben die Rüsten hintereinander 50 Salven ab. Das Feuer scheint den Boxern unerwartet gekommen zu sein und richtete ein groß-S Blutbad an. Etwa 300 Boxer wurden getötet nnd 22 verwundet.
London, 23. Juni. Amtlich wird wird aus Tschifu vom 22. ds. MlS. gemeldet: Tientsin wird andauernd mit großen Geschützen beschossen. Die fremden Kompositionen sind nahezu sämtlich zerstört. Das amerikanische Konsulat ist vernichtet. Die Russen am Bahnhof werden hart bedrängt. Verstärkung ist dringend nötig.
Kumoristisches.
— Unfreiwilliger Straßenränder. Marschall Martine; CampoS kehrte kürzlich gegen Mitternacht aus seinem Klub nach Hause zurück. Er hatte den weilen losen Mantel, die übliche Madrider Capa, umgeschlagen. Unterwegs stieß ihn ein Mann an, entschuldigte sich und ging weiter. Der Marschall vermißt in demselben Augenblick seine Uhr und lief dem Mann nach. „Die Uhr her, Elender", rief er, „oder ich erwürge dich." Der Mann erschrak gewaltig, warf dem Marschall die Uhr zu und floh, so rasch er nur laufen konnte. In seiner Wohnung bemerkte der Marfchall, daß er seine Uhr auf dem Nachttisch hatte liegen lasten. Der Unbekannte hatte dm ersten Marschall Spaniens für einen Straßenräuber gehalten! Jetzt läßt der unfreiwillige Straßenränder durch die Madrider Pol-zei eifrig nach dem Beraubten forschen, um ihm die Uhr mit Entschuldigungen zurückstellen zu können.
(Spitzbube, ein Beruf.) Vor dem Brüsseler Zuchtpolizeigericht spielte sich folgende Verhandlung ab. Ans der Anklagebank saß der rückfällige Spitzbube Jules Urbain, der am Hellen Tage einen höchst verwegenen Diebstahl bei dem Apotheker Gauthier am Haller Thore ausgeführt hatte. Auf die Frage des Vorsitzenden nach seinem Alter und nach seinem Berufe, rrwiederte Urbain: „Ich bin 85 Jahre alt und ein Spitzbube." „Ist das Ihr Berus?" ,Ja." erwiederte Urbain. „Ich bestehle die Reichen und würde nicht vor einem Verbrechen zu» rückschrecken, um diesen Spitzbuben wieder abzunehmm, was sie zum Nachteil der Arbeiter gestohlen haben." Das Urteil lautete schließlich auf 10 Jahre Gefängnis und 10 Jahre Polizeiaufsicht.
(Schlau.) Klein: „ . . Zu Allem, was Dir Deine Frau sagt, antwortest Du immer „ja" und thust es doch nicht!" — Mayer: „Darauf kommt eS auch gar nicht an — die Hauptsache ist, daß ich ihr nicht widerspreche!"