Are Abgründe.

Novelle von F, Stöckert.

18) (Nachdruck verboten.)

8 .

Ganz mechanisch und gedankenlos rüstete sich Staufen zu seiner Reise. Eine Droschke brachte ihn dann nach dem Bahnhofe, wo Valentine und ihr Vater ihn schon erwarteten. I« eleganter FrüjahrStoilette, strahlendem Antlitz saß Elftere ihm gegenüber im Coups lebhaft auf ihn einplaudrrnt; sie war so glücklich, schien es doch als wollten sich all ihre Träume verwirklichen.

Staufen aber blieb einsilbig und gedanken­voll. ES lag etwas auf ihm, etwas Dunkles, Unerklärliches, das er nicht abzuschütteln vermochte, und das er sich selbst nicht er­klären konnte.

Glauben Sie an Ahnungen?" fragte er dann plötzlich ganz unvermittelt.

Ahnungen?" versetzte Valentine höchst verwundert-Dergleichen Dinge kenne ich nicht, wie kommen Sie nur darauf?"

Schon seit gestern Abend verfolgt es mich, als müßte die nächste Zukunft ein erschütternde« Ereignis für mich bringen, ich kann rS nicht anders bezeichnen wie Ahnungen. WaS meinen Sie dazu, Herr EanitätSrat? Giebt es Ahnungen, gewisse Mächte der Seele, denen alle Schranken deS Raums weichen müssen. ?"

Die Psychologen haben ja versucht, derartiges festzustellen," versetzte der Sanitäts­rarund eS giebt mancherlei Beweise dafür, wie besonder« in der Sterbestunde eine Seele die Macht hat, den fernen Geliebten irgend ein Zeichen zu geben. Warum sollte es Nicht möglich sein, daß wahre Liebe in der Todesstunde, ehe sich die Seele loSrelßt von allen Banden des Erdendaseins, einer solchen übermenschlichen Kraft fähig wäre!"

Staufen war bei diesen Worten des SanitätSrat« blaß geworden,Todesstunde," Murmelte er und dachte an die weiße geister­hafte Erscheinung der Nacht, und schwerer und schwerer lastete das unheimlich drückende Gefühl auf ihm.

Valentine begann von allem Möglichen zu sprechen, um ihn auf andere Gedanken zu bringen. Sie plauderte von der heutigen Aufführung derAbgründe," von den Jugendfreunden, die ihn in seiner Heimat mit Stolz begrüßen würden.

Ich hatte stets nur wenig Freunde," versetzte Staufen, und von den wenigen ist wohl kaum einer noch in W.

Das Schicksal wenig Freunde zu haben, teilen Sie mit allen großen, selbständigen Geistern, ihre Umgebung versteht sie nicht; ich las neulich einen Brief von Richard Wagner, in welchem er von den Qualen sprach, die solchen Genies aus dem Umgang mit gänzlich fremden Menschen erwachsen, Genie nennt er so schön ein Weltmeer der Empfindung und Leidensfähigkeit, der Phan­tasie des Herzens."

Er mag wohl Recht haben," sagte Staufen halb gedankenlos, und spähte dann doch ein wenig interessiert zum Wagenfenster hinaus.

Da lag sie dir alte Heimatstadt, im ersten Schmuck des Frühlings, der Fluß, der Wald die Berge, alles so wohlbekannt, da lag auch der Kirchhof mit seinen Kreuzen und Steinen, wo er einst, ein halb Ver­

zweifelter an einem Grabhügel gestanden, und seinen Glauben an Gott und die U«. sterblichkeit verloren, bis auf den heutigen Tag verloren hatte.

Unaufhaltsam trieb eS ihn, kaum ange- langt in der Stadt, nach jener Stätte. Welche Einsamkeit hier, wie wohlthuend war diese tiefe Stille, kein Laut unterbrach sie, plötz­lich ließ ein Fink seine jubelnde Stimme erschallen, um auch hier an der Stätte des Todes den ewigen Kontrast des Daseins ausrecht zu erhalten. Blühendes, jubelndes Leben und Tod und Verwesung. Und diese Contraste sollten aufhören nach dem Tode? wer eS glauben könnte," seufzte Staufen, und starrte hinunter auf den epheuumrankten Hügel, unter welchem ein so junges blühen­des Leben vermoderte. Er versuchte sich das Bild der verstorbenen Schwester zu ver­gegenwärtigen, es wollte ihm nicht gelingen, ein anderes Bild aber entstand desto deut­licher vor ihm, Erica, auch sie konnte sterben. Und wieder packte ihn das dunkle, ahnungs­volle Empfinden, warum war er auch hier herausgegangen; hier war der rechte Ort, sich von solcher Stimmung ganz gefangen nehmen zu lasten.

Langsam ging er wieder der Stadt zu, dicht vor dem Thore kam ihm Valentine in Begleitung mehrerer Herren entgegen. Da ist er! hieß es. Man umringte ihn, schüttelte ihm die Hände, es war der ihm schon bekannte Theaterdirektor, und noch einige Herren, die sich ihm als frühere Schulkameraden vorstellten, auf welche er sich mit dem besten Willen nicht besinnen konnte. Die Höflichkeit jedoch erforderte es, so zu thun, als freue er sich unendlich dieses Wiedersehens.

Man hatte ihn im Hotel aufsuchen wollen, und Valentine war dann so freundlich ge­wesen, die Herren zu führen, da sie gewußt, wohin er seine Schritte gelenkt.

Und nun zum Musentempel!" ries der Direktor, als man die Stadt erreicht.

Ein Restaurant ist ganz in der Nähe, wo die Herren sich bis zum Anfang der Vorstellung aufhalten können, mich aber ruft die Pflicht schon jetzt hinein tn'S Aller­heiligste.

Das Theater begann sich schon lange vor Anfang der Vorstellung zu füllen, der Direktor hatte es verstanden, Reklame zu machen, und da« Publikum strömte nun in Schaaren herbei; bald war das nicht allzugroße Haus bis auf den letzten Platz gefüllt.

Valentine, ihr Vater und Staufen hatten in einer Seitenloge Platz genommen. Letzterer schaute sich in dem, ihm aus früheren Zelten noch wohlbekannten Raum um, eS war alles wenig verändert seitdem, nur er war ein so ganz anderer, wie in jenen Tagen froher Jugend, wo er noch seine Ideale gehabt, seine Stunden der Begeisterung, in welchen er der Aufführung der Classtker in atem­loser Spannung gefolgt, und heute sollte er er hier seiner eigenen Dichtung lauschen. Würde sich die jetzige Jugend auch an der­selben begeistern? Diese Frage hatte er noch nie an sich gestellt, und jetzt erschrack er förmlich davor. Wir sollte wahre Ju­gend sich für ein Werk begeistern, das allen idealen Lebensanschauungen Hohn sprach, und eine Jugend ohne Ideale, ist das noch eine Jugend? Und er kannte sie wohl,

diese geisterhafte, aller Ideale leere Jugend, oft genug schon war er ihr in der Residenz begeg­net, aber daß er selbst dazu beigetragen, ihr ihre Begeisterung, ihre Ideale zu rauben, das hatte er noch nie bedacht, /rst heute, hier an der Stätte, wo seine eigene Jugend ihm zurückrauschte, packte ihn dieser Gedanke wie ein bitterer Vorwurf, und sein Stück, was allerdings auch nicht in solcher Vollkommen­heit, wie in der Residenz gespielt wurde, wollte ihm auf einmal nicht mehr gefallen, deutlich sah er die Mängel, die ihm an- hafteteo.

(Fortsetzung folgt.)

Verschiedenes.

Die alten Thaler werden abgeschafft, der Reichstag hat gegen die Stimmen der Konservativen und Antisemiten die Abänder­ung unseres MünzgesetzeS angenommen. Das ist der letzte Schritt zur Durchführung der reinen Goldwährung. Durch da« Um­schmelzen unserer alten Silberthaler in Fünf- Markstücke u. s. w. wird dem Volk eine äußerst beliebte Münze entzogen, mit welcher es seine Verbindlichkeiten in jeder Höhe be­zahlen durfte, während die Mark-Silber­münzen nur bis zum Betrage von 20 angenommen zu werden brauchen. Alle die zahlreichen Petitionen aus kleingewerblichen Kreisen zu Gunsten der Beibehaltung der allbeliebten Thalerstücke sind unbeachtet von der ReichStagSmehrheit in den Papierkorb geworfen worden, die merkwürdiger Weise zu behaupten wagte, der Thaler sei eine weniger beliebte Münze im Volk als das un­gefüge silberne Fünf-Markstück.

Der Herr Korreferent. In Schweizer Blättern wird erzählt: In der Kirche in AmriSweil referierte Dr. Häberlin über die Kranken und Unfallversicherung, die am 20. Mai vor die Schweizer Volksabstimm­ung kam. Mitten in seinem Vortrag steckte ein neugieriger Ochs seinen Kopf durch die halb offene Ktrcheuthür und ließ zur allgemeinen Heiterkeit ein kräftigesMuh" ertönen.Bittte mich nicht zu unterbrechen !" rief der schlagfertige Volksredner. Nachdem die allgemeine Heiterkeit der zahlreichen Bürger sich etwas gelegt halte, fuhr Herr Dr. HSberle fort:Da mein Herr Korreforent sich wieder entfernt hat, gestatten Sie wohl, daß ich in meinem Vortrage fortfahre!"

.'. (Grob.) Aus einer großen Provinz­stadt wird ein amüsanter Vorfall erzählt, der sich kürzlich dort ereignete. Ein ebenso dummer und aufgeblasener wie reicher Herr speiste mit verschiedenen Bekannten in einem Gasthof. Als der Kellner zum Schluß der Mahlzeit die brennenden Kerzen auf den Tisch setzte, bot der Protz seinem Gegenüber einem wegen seines scharfen WitzeS gefürchteten Schauspieler, eine in Staniol gewickelte Zi­garre mit den Worten an:Rauchen Sie die mit Verstand. Sie kostet 1 60".

Der andere sagte ruhig:Muß die Zigarre wirklich mit Verstand geraucht werden?" Jawohl."Dann war eS die höchste Zeit, daß Sie die Zigarre weiter gegeben haben."

.. (Frau zur Köchiu):Marie, wie kam es, daß gestern ein Soldat in der Küche war, als wir vom Theater nach Hause kamen?" Köchin:DaS kam wohl da­her, daß das Theater früher endigte, als in der Zeitung angegeben war."

Redaktion, Druck und Verlag von An uh. H,f«a«u tu Btltzhad.