Die Abgründe.
Novelle von F. Stöckert.
7) (Nachdruck verboten.)
.Rege Dich doch nicht unnütz auf, Staufen," mit diesen Worten trat der Professor Mehlo jetzt zu ihm heran, und faßte ihn unter den Arm ihn nach einer Fensternische geleitend.
.Das Erwachen und Erkennen wird auch deiner Frau nicht erspart werden I"
»So, meinst Du, daß sie sich ändern könnte?"
.Aber ich bitte Dich, sie ist jung, und wie ändert man in solcher Jugend seinen Charakter, seine Ansichten. Dazu ist sie Deine Frau, nach und nach wirst Du sie für Deine Ansichten zu gewinnen suchen. Sie muß Deine neuesten Werke kennen und verstehen lernen, Dein Drama —"
.Mein Drama," unterbrach ihn Staufen mit einem bitteren Auflachen; .meine Frau und dieses Geisterwerk, das sind die denkbar schroffsten Gegensätze. Wenn sie je eine Aufführung desselben sehen sollte, fürchte ich, würde sie das gänzlich von mir entfremden!"
„Aber wie sollte das vermieden werden ?"
„Nun ich werde ihr sagen müssen, daß ich es nicht wünsche, daß sie es steht."
.So wird das Drama sicher zu der verbotenen Frucht am Baume der Erkenntnis für sie. Die Schlange wird sich dann auch finden, die sie veranlaßt, sich es dann heimlich anzusehen."
„O Erica wird nie etwas gegen meinen Wunsch und Willen thun l"
„So bist du dessen so sicher! Sie ist doch auch nur eine Evastochter, nicht frei »on den Schwächen ihres Geschlechts, eine so vollkommene Frau wäre doch auch sehr langweilig."
Langweilig! Wie Wetterwolken flog es über Staufens Gesicht. Langweilig, das war wohl das Prädikat, was die Gesellschaft seiner Frau schon beigelegt, und ihn, den geistreichen Mann, bedauerte man natürlich, daß er keine bessere, passendere Wahl getroffen. Finster flog sein Blick zu ihr hinüber, da sprach sie wahrhaftig noch mit dem odiösen Menschen, dem Rechtsanwalt! Hätte er gehört, was sie gesprochen, wäre seine Stimmung wohl noch etwas erregter geworden. Erica glaubte ihren Mann entschuldigen zu müssen; er hatte sicher die Bitte des Herrn Wolter ganz falsch ausgefaßt, wohl gar sie für Spott und Hohn gehalten. In einfachen Worten sprach sie sich dem Rechtsanwalt gegeüber aus in dieser Weife, von dem festen Glauben ausgehend, daß er an so etwas nicht gedacht. Warum sollte er nicht gern Choräle hören, waren doch nicht alle Menschen so glaubenslos wie ihr Mann. Der junge Mann sah sie erst sprachlos an, und dann ging es wie eine tiefe Bewegung über feine Züge; es war ihm plötzlich als atmete er eine reinere Luft, ein Bild aus ferneren Zeiten stieg vor seinem Geiste auf, seine längst verstorbene Mutter, wenn sie in seinen Kindertagen an feinem Bettchen faß und mit ihm betete.
»O, gnädige Frau," stammelte er, und beugte sich dann in seiner Verwirrung tief herunter, um ihr die Hand zu küssen.
„Frau Doktor Staufen ist ein Engel," sagte er, als er nachher wieder in den spottlustigen Kreis der jungen Damen und Herren
trat. „Ich habe mich wirklich geschämt Und kam mir wie ein ungezogener Bube vor, als sie so ahnungslos vor mir stand und ihren Mann zu entschuldigen suchte, der natürlich meine Absicht sofort durchschaut hatte."
Er sagte das alles so ernsthaft, daß Niemand sich versucht fühlen konnte, die Sache lächerlich zu nehmen. Nur Valentine sah mit geringschätziger Miene auf den Reuigen , es war eben auch nur wieder das hübsche G'stcht, was ihn gefangen genommen, von dem rührenden Zauber eines solchen Charakters, wie Ericas, hatte sie keinen rechten Begriff. Der Rechtsanwalt Wolter aber war von diesem Abend an der eifrigste Verteidiger der jungen Frau, und duldete nie wieder, daß man in seiner Gegenwart über sie spottete.
4 .
„Was hattest Du Dich nur so lange mit dem Rechtsanwalt Wolter zu unterhalten?" fragte Staufen Erica auf dem Heimwege.
„O, ich habe dich nur entschuldigt, Du warst doch sehr schroff, als er mich um die Choralmelodie bat."
„Mich entschuldigt! Herr deS Himmels ist es denn möglich! Und ich meinte wunder was für Selbstbeherrschung ich gezeigt I" rief Staufen aufgeregt. Nein, das ging denn doch zu weit, unmöglich konnte es so länger fortgehen, er mußte versuchen, seine Frau für die Gesellschaft, in welcher man nun doch einmal lebte, zu erziehen, mochte ihr Glaube an die Menschheit, ihre kindliche Unbefangenheit dann auch zerstört werden, es war immer noch besser, als wenn sie zu einer lächerlichen Figur in diesen Kreisen wurde, wie es heute schon fast den Anschein gehabt, daß es grade diese Unbefangenheit, dieses rührende Vertrauen, mit welchem sie in diese Welt des Haders und des Mißtrauens geschaut, gewesen waren, das ihn nicht so sehr angezogen, das machte er sich heute nicht mehr klar, wo die Furcht sich lächerlich zu machen, ihn so ganz und gar beherrschte.
So begann er denn noch an demselben Abende seine Erziehungsversuche, und suchte ihr klar zu machen, daß der Rechtsanwalt Wolter der letzte wäre, der sich Choralmelodien Vorspielen ließe. Daß sie den Spott aus seiner Aufforderung nicht herausgefunden, sei ihm unbegreiflich. Wenn er nicht ein entschiedenes Verbot dagegen eingelegt, hätte sie sicher zum allgemeinen Gelächter nur Choräle gespielt.
„Aber ich kannte ihn doch gar nicht, wie sollte ich denn ahnen, daß er so abscheulich war!" rief die junge Frau, der die Thränen in die Augen treten wollten, in solchem gereizten Ton hatte Staufen ja noch nie zu ihr gesprochen.
„Du kennst die Welt überhaupt noch nicht, Kind!" versetzte dieser; „in dem kleinen Kreis von fast lauter alten frommen Damen, in welchem Du gelebt, und wo Du wie ein Kind behandelt und erzogen wurdest, konntest Du freilich keine Welt- und Menschenkenntnis sammeln. Jetzt aber bist Du meine Frau, und wir leben in einer Welt der verschiedensten Elemente, fromme Betschwestern sind gerade nicht sehr stark darin vertreten. Als meine Frau mußt Du Dich notwendig
mit Sicherheit bewegen letnen in diese» leichtlebigen, nicht grade frommen', aber unstreitig interessanten Kreisen, vor allen Dingen Dich nicht lächerlich machen, wie es heute beinahe geschehen."
Erica schreckte förmlich zusammen. „Ich — lächerlich I O, Benno, Du — Du kränkst mich!" Alle Farbe war aus ihrem Gesicht gewichen; eS war ihr, als sähe sie zwischen ihnen beiden eine gähnende Kluft sich auf- thun, weiter, schaurig, unüberbrückbar!
„Ich wollte Dich nicht kränken, Erica, ganz gewiß ntchl, nur ein wenig wollte ich Dir die Augen öffnen."
„Damit ich sehe, wie schlecht, wie erbärmlich diese Menschen sind, was kann uns überhaupt an solcher Gesellschaft liegen."
„Das verstehst Du wieder nicht; sie ist der volle Lebensstrom, in welchem wir schwimmen, mögen wir auch hin und wieder scheitern, stranden mit unseren Hoffen und Wünschen, cs ist immer besser, als außerhalb der Gesellschaft stehen, denn das bleibt ein leeres inhaltloses Dasein. Der Mensch muß sich ausleben, seiner Individualität gerecht werden, das aber können wir nur allein in den Strömungen, dem Auf und Nieder deS gesellschaftlichen Lebens und nicht in den einseitigen Verhältnissen, in welchen Du ausgewachsen."
(Fortsetzung folgt.)
Verschiedenes.
(Eingegangen.) Reisender (auf einer Station in ein Coupöe steigend, in welchem nur ein Platz am Fenster frei ist, den jedoch der gegeuübersttzende Passagier mit seinen Gepäckstücken belegt hat): „Gehören diese Sachen Ihnen?" Passagier (schlau): »Nein, die gehören einem Herrn, der nur auf einen Augenblick ausgestiegcn ist !" — In diesem Moment setzt sich der Zug in Bewegung. — Der Reisende, die List durchschauend, packr sämtliche Sachen und wirft sie zum Fenster hinaus. Passagier (entsetzt): „Ums Himmelswillen, was machen sie denn?" Reifender (sich gemütlich wieder setzend): „Na, wenn der Herr schon den Zug versäumt hat, so wirdS ihm doch lieber sein, er hat sein Gepäck bei sich!"
.-. (Aus der Naturgeschichte.) „Nun, Henry, der Herr Lehrer hat Euch also die Raupe und den Schmetterling erklärt, kannst Du mir auch sagen, wie der arme Wurm heißt, dem ich dieses Seidenkleid zu verdanken habe?" — „O ja, Mama, — Papa l"
.'. (Der einzige Fehler.) Zimmervermieterin (Witwe): „ ... Etwas ist an den Männern doch immer auszusetzen! Mein gegenwärtiger Mieter z. B. ist fleißig, ruhig, nüchtern, ordentlich — nur will er mich absolut nicht heiraten I"
(Forschungstrieb.) Mama: „Wenn du noch ein Stück Torte ißt, dann kriegst du heute Rächt den schwarzen Mann zu sehen." — Karlchen (nach kurzem Bedenken): „Na, gicb mir doch noch ein bischen. Ich will doch mal sehen, was an der Sache eigentlich daran ist."
(Schlau.) „. - Zu Allem, was Dir Deine Frau sagt, antwortest Du immer „ja" und thust eS doch nicht I" — „Darauf kommt es auch gar nicht an — die Hauptsache ist, daß ich ihr nicht widerspreche I"
Redaktion, Druck und Verlag von Be r« h. Hofmann in Wildbad.