Me Abgründe.
Novelle von F. Stöckert- 6) (Nachdruck verboten.)
Erica in einem cremefarbenen Gesill- schaftSanzug, eine blaßrote Cornelie im Haar, lehnte am Flügel, sich eifrig mit einem jungen Pianisten unterhaltend. Sie sah ungemein lieblich aus, und mancher bewundernder Blick fiel auf sie, deren blumen- hafter. Teint das volle Licht der Gaskronen grade über ihr so gut vertragen konnte. Auch der Professor Mehlo ließ jetzt seinen Blick zu ihr hinüberschweifen.
«Sie haben doch einen ganz eigenen Zauber solche frommen Frauenerscheinungen," nahm er dann das Wort; „ganz besonders uns unfrommen Männern gegenüber, deren Religion das Wissen, die Erkenntnis ist, wir stehen da trotz allem Forschen, allem Wissen oft wie vor einem geheimnisvollen Rätsel, denn die Religionslehren, sie mögen noch so sehr bekämpft und widerlegt werden, eine Macht müssen sie doch besitzen, das beweist die ganze Weltgeschichte, die Religionskämpfer, die Märtyrer, bei allen zeigte sich diese Macht. Welchen Heldenmut haben die zartesten frommen Frauen, wenn es darauf ankam, schon bewiesen; auch Frau Doktor Staufen, so zart sie auSsteht, besitze, glaube ich, etwas von solchem Heltenmut, er leuchtet gleich einer stillen, heiligen Flamme in ihren wundersctönen Augen; ich fürchte, Staufen wird sie nie zu seinen Ansichten bekehren."
„Das wäre schlimm für ihn," crwiederte Valentine, „ihr Liebreiz kann ihn auf die Dauer nicht beglücken."
„Und warum nicht wenn er sie liebt I"
— Liebt — Valentine zuckte zusammen, er hatte dem Worte eine so eigene Betonung beigelegt, als wäre auch er der Ansicht, daß wahre Liebe alles über brückt, alles ausgleicht, das war ihr ganz neu an dem Professor, der sich den Frauen gegenüber stets sehr gleichgiltg gezeigt. Wenn solche Männer die Macht der Liebe anerkennen, dann ließ sich ja kaum noch dagegen streiten, und sie hatte sich in all der Zeit jetzt damit getröstet, daß diese Macht nur ein Phantasiegebilde, ein Rausch, aus welchem auch Staufen über kurz oder lang erwachen mußte, um einzusehen wie thöricht er gewesen Er'ca z» seiner Frau zu machen, vielleicht, daß er sich dann auf sie besann; Ehescheidungen waren ja jetzt an der Tagesordnung, solchen ZvkunftS- gedanken hatte sich die kluge Valentine bisweilen hingegeben, in Ihrem Unglauben, ihrem Zweifel an wahrer Liebe, und nun erschreckte sie förmlich vor den einfachen Worten: Wenn er sie liebt.
Der junge Pianist, der soeben die Gesellschaft mit einer größeren Komposition un- Inhalten, schien Erica zuznreden, auch etwas vorzutragen, st- warf einen fragenden Blick auf ihren Mann, der jetzt zu ihr herangetreten.
„Sie ist etwas schüchtern, mein Frauchen," sagte dieser lächelnd zu dem jungen Künstler, „und nicht daran gewöhnt vor einem größeren Publikum zu spielen."
„Und nach Ihrer Kunstleistung," schaltete Erica ein.
„Aber ich bitte Sie, ich — ich mußte mein Bestes geben, ich wurde ja nur deshalb eingeladen," sagte der junge Mann,
indem eS halb verächtlich, halb traurig um seine Lippen zuckte; für ein Butterbrot so zu sagen produziere ich das, was ich gelernt. Bei Ihnen gnädige Frau, ist das etwas ganz anderes I"
Eine dunkle Blutwelle stieg in sein Gesicht, was führte er da für tactlose Reden, Frau Doktor Staufen mußte daS wohl auch finden, denn ihre großen Augen sahen voll maßlosen Staunens zu ihm auf. War es denn möglich I So ging es wirklich zu Inder Gesellschaft, man ließ es einem Künstler, der hoch durch sein Talent über den andern stand, empfinden, daß er sonst nichts hier galt, nur seine Kunst ihm hier Eintritt verschafft, war er doch arm und mittellos, ach, gewiß furchtbar arm, denn sonst würde sich doch Alles in ihm aufgelehnt haben, jemals eine solche Einladung anzunehmen. Wie jämmerlich , wie erbärmlich war doch diese Gesellschaft, die auf einer sehr hohen Stufe der Bildung zu stehen glaubte; am liebsten hätte sie den Arm ihres Gemahls genommen, und ihn gebeten, sie hier sortzuführen. Sie sah fragend zu ihm auf, wie stand er denn solchen Zuständen gegenüber.
„Wie entrüstet Du ausstehst Kind," sagte er lächelnd, „es ist eben eine böse, böse Welt, in der wir leben, aber es giebt auch überall Ausnahmen, nicht alle denken so kleinlich!" Er drückte dem jungen Pia nisten warm die Hand. Erica sah ihn dankbar an und setzte sich an den Flügel, nur von dem Gedanken beseelt, dem arme» Künstler auch eine Freundlichkeit zu erweisen, indem sie seine Bitte erfüllte.
Die lebhafte Unterhaltung im Salon verstummte, als sie die ersten Töne anschlug, sie spielte die Träumerei und noch einiges aus den Kinderscenen von Schumann, ihr Spiel hatte bei aller Einfachheit nnd Unze» suchtheit etwas Seelenvolles, was den Zuhörer unwillkürlich packte, und lauter, spontaner Beifall erschallte, nun sie geendet. Man umringte sie, drückte ihr die Hände, sagte ihr Schmeicheleien, die teilweise auch wohl aufrichtig gemeint waren, aber Staufen hatte sehr recht, es war eine böse, böse Welt; dort hinter der Gruppe von Blattpflanzen standen einige junge Herren und Damen, unter den letzteren auch Valentine, in eifriger Unterhaltung.
„Sie haben uns betrogen, Fräulein Cla- ranz," rief da ein junger Rechtsanwalt, „indem Sie uns verheißen habt«, daß wir Choräle zu hören bekommen würden, und nun waren es doch ganz allbekannte Stücke, mit denen ich mich schon in meiner Klavierstunde herumgequält.
„Choräle sind ihnen wohl weniger bekannt," spottete Valentine, „bitten Sie doch meine Cousine um eine Choralmelodie, sie wird entzückt sein über solchen soliden Geschmack, und es Ihnen gewiß nicht abschlagen I"
„Bitten wir sie denn I" erwiederte der Rechtsanwalt und schritt mit sehr durchtriebener Miene auf Erica zu. Die junge Welt hinter ihm schaute ihm höchst belustigt nach, und lauschte dann aufmerksam, wie er Erca erst sehr schmeichelhaftes über ihr Spiel sagte, dann aber meinte er, er und viele andere wären doch etwas enttäuscht gewesen Erica sah ihn erstaunt an.
„Warum enttäuscht?" fragte sie.
„Wir hatten gehofft einen Choral von Ihnen zu hören, gnädige Frau, warum haben
Sie uns einen solchen seltenen Genuß nicht einmal bereitet?"
Staufen, der sich mit dem Pianisten noch unterhalten, wandte sich jetzt mit einem zornigen Ausflammen in seinem Gesicht jäh um, Erica aber schien keine Ahnung zu haben, worauf diese Rede hinaus ging. Unbefangen erklärte sie sich bereit, wenn eS gewünscht würde, einige Choräle zu spielen.
„DaS wirst du bleiben lassen!" brauste Staufen da auf, der aus irgend einer Ecke des SalonS, ein halbunterdrückteS Kichern zu vernehmen glaubte.
„Ah, Ihr Herr Gemahl liebt keine Choräle," sagte der Rechtsanwalt Wolter mit der unbefangensten Miene. Ein vernichtender Blick Staufens traf ihn. War es schon so weit gekommen, daß man sich erdrcistete, ihn und seine Frau lächerlich zu machen. Ihre Harmlosigkeit war allerdings danach angethan, den Spott hervorzurufen, und doch, wie sie da am Flügel lehnte, mit den großen Augen befremdet zu ihm aufschauend , lag etwas so Rührendes in ihrer Erscheinung, daß er ihr kaum zürnen konnte, sie paßte eben nicht mit ihrem kinderhaften Glauben an die Menschheit in diese falsche Welt.
(Fortsetzung folgt.)
Verschiedenes.
Aus der Pfalz, l. Mai. Ueber ein höchst ergötzliches Mißverständnis wird der „Franks. Ztg." geschrieben was folgt: In einem kleinen N'st der Pfalz war ein historischer Fund gemacht worden. Der Direktor des Germanischen Museums in Nürnberg liest davon mit großem Interesse in der Zeitung und da ihm dies eine gute Akquisition für das Museum zu sein scheint, so setzt er sich kurz entschlossen auf die Bahn und fährt hin an Ort und Stelle und beginnt sein Anliegen, indem er sich zunächst vorstellt: „Mein Name ist N. N., Direktor vom Germanischen Museum in Nürnberg
-." „Ja, liewer Mann", begegnete
man ihm da, „ja deß thut mer sehr leid, mer hawwe awwer schont e Karussel, e Schießbub, e Riesedame un e Affe- und Hundeiheater un jetzt komme Se zwaa Tag vor der Kerb mit Jhrm Germanische Museum !"
— Was Romreisenden Passieren kann. Ein Herr Hatigray aus Bordeaux besuchte unter anderem die auch von Taschendieben gern ausgesuchte PelerSkirche. In seiner Andacht bemerkte er nicht, wie ihm jemand etwas in die Tasche schob. Wer beschreibt -aber sein Erstaunen, als er auf dem Heimwege in der Tasche seines Mantels eine mit deutschem Gelde wohlgespickte Börse und ein Portefeuille mit russischen Wertpapieren findet. Wahrscheinlich wurde der ehrsame Haligray von hinten von einem Taschendiebe sür einen Kollegen gehalten und der Dieb hat, weil er sich beobachtet sah, auf diese Weise seinen Raub bei einem Kollegen deponieren wollen.
.-. (Aus einem Soldatenbriefe.) Liebster Sckorsch I Anbei ein Stück Kalbsbraten, es ist nicht viel, kommt aber vom Herzen deiner Anna.
.-. (Vorsorglich.) Professor: „Kellner, wenn ich nachher das Lokal verlasse, sagen sie zu mir: Herr Professor sie haben ihren Schirm vergessen I"
«rdakitov, Druck und Verlag von Beruh. Hosmaun in Wiidbad.