Die Abgründe.
Novelle von F. Stöckert- 4) (Nachdruck verboten.)
Und nun war es gesprochen worden das ewig bindende Wort am Altar, von Erica aus frommen ganz von der Heiligkeit des Moments erfülltem Herzen, von Benno Staufen wenigstens mit dem besten Willen, dem lieblichen jungen Geschöpfe an seiner Seite ein treuer, liebevoller Gemahl zu werden. Nach einem kleinen Ausflug in die Schweiz war man eingezogen in das Neue Heim, was die Frau Rätin Herder auf das behaglichste hergerichtet. Diese war dann in ihr vereinsamtes Landhaus am Rhein zurückgekehrt, Erica hatte den Trenn- ungSschmerz von der geliebten Mutter tapfer überwunden, und Ihre neuen hausfraulichen Pflichten mit jugendlichem Eifer erfaßt, ganz beseelt von dem Gedanken, ihrem Manne da» Heim so traut und behaglich zu machen. B-nno Staufen, der auf äußeren Comfort bisher sehr wenig gegeben, kam sich wie verzaubert vor in diesem geschmackvoll auSge statteten mit Blumendust erfüllten Räumen. Wie angenehm war eS, sich daheim in dem traulichen Eßzimmer zu Tisch zu setzen und nicht im Hotel wie in seiner Junggesellen- zeit. Freilich die Freiheit, die goldene Freiheit jener Tage, sie war dahin, dahin mit ihren im Freundeskreis durchschwärmten Nächten oder dem Zusammensitzen mit wenigen bis in mitternächtiger Stunde, im Gedankenaustausch über die höchsten Dinge; über Lebens« und Zeilfrogen, wie sie unter Männern verhandelt werden, und wie er sie in der Unterhaltung mit seiner jungen Frau nicht berührte; da er kein Interesse bei ihr voraussctzte, es gab ja genug andere weniger tiefgehende und dabei doch interessante Gesprächsthemas; auch besaß er noch verschiedene schriftstellerische Erzeugnisse aus früheren Zeiten, die er ihr unbeanstandet vorlesen konnte. Erica durchschaute doch sehr bald, daß seine literarische Richtung eine andere jetzt war, als wie sie sich in diesen kleinen Novellen offenbarte, wenn er sich auch ihr gegenüber nicht darüber auS- sprach, hin und wieder waren Gäste da, oder sie waren in Gesellschaft, da hörte und erlauschte sie doch so manches, und es kränkte sie, daß sie ihm nicht folgen durfte auf der Bahn seiner geistigen Thätigkeit; halte sie nicht als seine Frau ein heiliges Recht dazu !
Valentine gegenüber, die oft des Abends zu einem gemütlichen Plauderstündchen sich bet ihnen einstcllte, war er in dieser Beziehung viel weniger zurückhaltend. Traf diese ihn beim Vorlesen, dann schob er in der Regel eilig die Hefte zusammen, und als sie einmal neugierig die Hand danach ausstreckte, meinte er lächelnd:
»Lassen Sie nur, das ist keine Leclürc für Eie!"
»Warum nicht für Valentine?" fragte da Erica ein wenig gereizt.
»Weil st« nicht so zart besaitet, so fromm ist wie Du, Kind."
Valentine lachte. „Da haben st- recht Vetter, eine Betschwester hin ich nicht, ich halte mit Euch Vertretern einer neuen Richtung schritt, gehe den Dingen auf den Grund und suche die Wahrheit überall auch in der Religion. Die Zeit der neuen Dogmen
bricht an, und man schaut nicht zurück auch einmal an religiöse Dinge die tastende sondierende Hand zu legen. Mich dünkt es beginnt jetzt eine neue Geisterschlacht."
„Der Kampf hat wohl nie ganz geruht," versetzte Benno „und die unabhängigen Geister die da für ihre Ueberzeugung auftretev, und die Saat neuer Gedanken über die Religion ausstreuen, mehren sich von Tag zu Tag."
„O ich habe auch davon gelesen, von dem Verfasser der ernsten Gedanken l" rief da Erica aufgeregt. »Sie wollen die Kirche abschaffen, unsere evangelische Kirche, um die die Völker gerungen und gekämpft haben!"
»Kind, rege Dich nicht-unnötig auf," sagte Benno, »soweit sind wir noch nicht, diese Einheit des christlichen Gedankens, von der dieser neue Reformator träumt, die idealen Zustände, die er erhofft, sind nicht möglich in einer Welt, wo so viel Neid, Haß und Streit herrscht."
„Dieser Reformater glaubte wenigstens noch an Gott," sagte da Erica leise, aber der Mann, der da jetzt liebkosend ihre heißen Wangen streichelte, ihr Mann, für den gab es keinen Gott mehr; und trotzdem sie ihn so innig liebte, seinem Unglauben stand sie ohnmächtig gegenüber. Alle schüchternen Be- kehrungöversuche, die sie im Anfang ihrer jungen Ehe gemacht, waren stets von ihm in liebenswürdiger, aber doch sehr entschiedenen Weise zurückgewiesen, so daß sie eS jetzt aufgcgeben, dahin auf ihn zu wirken.
„Willst du uns nicht etwas spielen?" bat er jetzt, Sie erhob sich und setzte sich an den Flügel; seine Blicke folgen ihr, und dann sah er auf Valentine, welch ein Con- trast dieses blasse, nervöse Gesicht mit dem Stempel der Unruhe, der Friedlosigkeit, und die weichen lieblichen Züge Ericas.
Aber was war das? Das war keines der Präludien »der Nocturos von Chopin, die sie mit so wunderbarem Ausdruck vorzutragen verstand. Die Melodie des alten Lutherliedcs: „Ein feste Burg ist unser Gott," brauste in vollen Accorden durch den Salon. Was sollte das heißen, wollte sie mitkämpfen in der Geisterschlacht und mit solchen Waffen!
Ueber Valentinens Gesicht zuckte es sehr spöttisch. »Großer Gott ein Choral, darauf war ich nicht gefaßt hier in Ihrem Salon!" sagte sic lächelnd zu Staufen.
Warum soll sie nicht Choräle spielen, wenn eS ihr Vergnügen macht," versetzte dieser.
»Wenn sie nur nicht Ihre Frau wäre! Ich kann sie versichern, man spottet schon allgemein über das fromme Ehegemahl eines Schriftstellers Ihrer Richtung I"
„So thut man das!"
Er warf einen finstern Blick auf Erica, die jetzt dir Choralmelodie in gebrochenen Accorden variierte. Gegen Spott war er sein Lebenlang sehr empfindlich gewesen, er kannte die Gesellschaft und konnte sich leb. Haft verstellen, in welcher Weise man dieses Thema behandeln würde; Valentine würde auch nicht verfehlen, immer wieder neue ergötzliche Schilderungen aus seinem Eheleben zu liefern; und sicher bei nächster G-lcgen- heit mit etwas humoristischer Uebertreibung es verkünden, daß seine junge Frau ihm mit Vorliebe Choräle Vorspiele.
„Ich biete Dich, spiele etwas anderes!" rief er ihr jetzt in gereiztem Tone zu. Sie
brach sofort ab und wandte sich erschrocken um.
„Wenn Du Dich durchaus bewogen fühlst Choräle zu spielen, dann thue es bitte, wenn Du allein bist," fuhr er in demselben Tone fort. Mit zitternden Händen griff die junge Frau nach dieser Zurechtweisung nach einigen Notenheften, die auf dem Flügel lagen.
Jedenfalls hatte Valentine, während sie gespielt, eine ihrer spöttischen Bemerkungen gemacht, und ihn damit gereizt, sagte sie sich, sie kannte sie ja, wußte, daß sie nichts respektierte, was andern heilig war, wie eS doch Benno wenigstens that. Nein, ihm wollte sie auch nicht zürnen! Er hatte sich zu diesen harten Worten sicher nur durch Valentine Hinreißen lassen. Verwundert blickte diese auf, als Erica jetzt ein träumerisches Präludien von Copin, ein Lieblingsstück ihres Mannes zu spielen begann.
»Welche Sanftmut' meinte sie dann. »Ja, ja, mit solchen Waffen pflegt die Frömmigkeit zu kämpfen, um schließlich doch den Sieg davon zu tragen," lächelnd sah sie auf Staufen, der ihre Worte nicht beachtend, den Kopf in die Hand gestützt hatte, und sinnend auf Erica blickte.
(Fortsetzung folgt.)
Verschiedenes.
— Lebendig begraben. Eine in China erscheinde englische Zeitung berichtet über ein grauenerregendes Vorkommnis in dem Städtchen Hsuehoufu im nordwestlichen Kiangsu. Es wurde dort eine junge Frau, die von ihren Angehörigen als Giftmischerin überführt worden war, vor einer großen Zuschauermenge lebendig begraben. Die Unglückliche hatte sich von ihrem sie nicht liebevoll behandelnden Gatten befreien wollen und ihm giftige T'vpsen in den Wein geihan, den sie ihm reichte. Nur durch einen Zufall blieb der Mann davor bewahrt, den Todestrank zu sich zu nehmen. Ehe er aber die ihm nach dem Leben trachende Ehefrau dem Gericht ausliefern konnte, wie eS seine Absicht war, hatte seine Mutter die Giftmischerin schon für immer unschädlich gemacht. In ihrem Zorn über den Mordversuch der Schwiegertochter hatte sie Befehl gegeben, ein tiefes Grab herzurichten. Dann mußten Diener das junge Weib an Händen uud Füßen binden und gefolgt von den Nachbarn, denen sich Hunderte von Menschen anschlossen, zog man zu dem außerhalb der Stadt belegenen Begräbnisplatz hinaus. Die Miffethäterin wurde in die Grube geworfen und ohne daß auch nur eine einzige Person gegen dieses barbarische Vorgehen protestierte, füllten die Leute das Grab mit Erde. Als das entsetzliche Geschrei der Unglücklichen allmählich verstummt war, kehrte jeder ruhig in sein Heim zurück. Die Behörde des OrteS erkannte die grausame Strafe als durchaus gerecht an.
— Im Spaß rangen zwei verheiratete Männer in Hirschthal bei Heidelberg miteinander. Da geriet der eine so in Eifer, daß er den andern in die Wange biß. Die Wunde wurde nicht beachtet, aber eS trat Blutvergiftung ein und nun liegt der Gebissene totkcank darnieder.
(Güter Vorsatz.) Sträfling (der aus dem Gefängnis entlassen wird): „Jetzt werd ich mich aber in acht nehmen, daß ich nicht mehr mit dem Gesetz in Konflikt komm'... gleich steht ich mir a Strafg'setzbuch."
Redaktion, Druck und Verlag von Beruh. Hofmauü in Mldbad.