Me Sirene.
Novelle von F. von Limburg.
11) (Nachdruck verboten.)
VI.
Schon am frühen Morgen des nächsten Tages mutzte Konrad Bavmann ausbrechen, um einen Besuch in einem ziemlich fernen Dorfe zu machen, wo ein alter Forstwärter krank log. Anna lag noch im Bette und nickte dem Gatten ein herzliches Lebewohl zu» während Klein-Mariechen mit bloßen Füßchen zum Papa hintrippelte, um ihm einen Abschiedskuß zu geben.
„Auf Wiedersehen, Konrad," rief die junge Frau zärtlich, „aber sage mir nur, Du stehst ja so blaß aus? Was fehlt Dir, bist Du krank, Herzliebster?"
„Nein, Anna," er schüttelte den Kopf und versuchte zu lächeln, „ich bin ganz gesund, uur von der vielen Aufregung jetzt während des Festes ermüdet. Sei ruhig, der Weg heute in frischer Luft wird mir gut thun. Auf Wiedersehen I"
Draußen in der taufrischen Natur atmete er leichter, all die bösen Trugbilder der Nacht wichen von seiner Seele, er schöpfte allgemach wieder neuen Mut. Wie ein Verworfener an Weib und Kind war er sich erschienen, das Bild jenes schönen WeibeS mit dem berauschenden Lächeln hatte ihn umgarnt und er hatte nicht vermocht, eS abzuschütteln.
Wieder donnerten die Wogen vom Strande herüber und die Thürme des stolzen Schlosses flammten im Golde der Morgersonne, aber der Oberförster sah weder rechts noch links und schritt vorwärts seiner Pflicht entgegen. Da plötzlich klangen Hufschläge aus dem Seitenwege herüber. Er hörte cs noch nicht und wandte sich nicht zurück, als jetzt hoch zu Roß eine Dame heranfprengte: Gräfin Jutta in wehendem blauen Schleier und mit geröteten Wangen.
„Guten Morgen, Herr Oberförster," rief sie lachend, „da treffen wir uns also gleich heute früh wieder I Das ist schön, das hätte ich nicht gedacht, aber taut rmsux, Sie begleiten mich doch ein Stück Wegs?"
„Ich bin auf einem BerusSwege, gnädige Gräfin," erwiederte Baumann, ehrerbietig grüßend; sein Antlitz war starr, seine Wange bleich geworden, was ihrem scharfen Auge keineswegs entging, „der Kranke, zu dem ich gehe, erwartet mich schon sehnsüchtig, er wird nicht mehr lange zu leiden haben."
„Hm, so werde ich ein Stück mit Ihnen reiten, Herr Oberförster," entschied die Dame, ,e» ist so langweilig, allein zu reiten und das ewige Einerlei der Brandung zu hören, sd wollen wir uns unterhalten."
Daö Gespräch bewegte sich denn auch in leichten TageSneuigkeiten und unbefangener Plauderet, so daß Baumann ruhiger wurde und zuletzt sogar zu scherzen begann. Die kluge Frau hatte ihn genau beobachtet und schürzte die Fesseln langsam aber mit untrüglicher Sicherheit.
Sie langten bet dem Kranken an, Jutta sprang graziös aus dem Sattel, ohne des Oberförsters hülfreiche Hand zu bemerken, und betrat an seiner Seite die niedere Hütte; der Kranke im Bett richtete sich mühsam auf, um dem Obersörster die Hand htnzu- strecken.
„Gott lohn'» Ihnen, Herr Oberförster,"
ächzte er, „ich Hab' all' die Tage sehnsüchtig auf Sie gewartet. Ist das Ihre Frau?"
Sie wurden beide rot bei der so natürlichen Frage, dann sagte Baumann hastig: „Nein, guter Mann, das ist die gnädige Frau Gräfin, der unser Schloß jetzt gehört, sie kommt selbst, um zu sehen, ob sie Euch etwas helfen kann."
Der Kranke blickte lange und forschend in das schöne Gesicht der Dame, dann aber sagte er kopschüttelnd: „Nehmt's einem Sterbenden nicht für ungut, gnädige Frau, aber — da mit dem Herrn Obersörster dürfte doch nur sein eigen Weib kommen. Seht Euch vor daß der Teufel nicht in Eure Herzen dringt, denn Ihr seid schön und jung —"
„Mann," fuhr Baumann empor, ganz seinen Beruf vergessend, „wagt nicht noch- einmal, die Dame zu beschimpfen —"
„Lassen Sie den Armen» Konrad," flüsterte Jutta besänftigend und berührte feinen Arm, „er liegt im Sterben und — seine Warnung ist nicht umsonst!"
Er stöhnte schmerzlich aus: „Sirene," klang's von seinen Lippen, dann wandte er sich zu dem Kranken, der jetzt wieder in völlige Apathie versunken war. —
Der Rückweg wurde ziemlich schweigsam zurückgelegt.
Jutta, die ihr Pferd am Zügel führte, wandte sich an dem Wege, der zum Schlosse abbog, an den Oberföster: „Adieu, mein Freund, und Dank für ihre Begleitung I Ich denk-, wir werden beide diesen Morgen so bald nicht vergessen —"
Traumverloren sah der ernste Mann der schönen Frau nach, als sie nun in der Ferne verschwand, dann barg er plötzlich das zuckende Antlitz in beiden Händen, ,O, mein Gott, könnte ich doch vergessen; wie gerne,
wie gerne thäte ich eSl"
* «
Die Zeit ging dahin, der Sommer kam und machte dem Herbst Platz; der Wind fegte über die Stoppeln und die Blätter färbten sich rot und gelb, und immer tiefer sank Obersörster Baumann in die goldenen Netze der schönen Schloßfrau vom Meere.
Fast täglich trafen sie am Strande oder im Wald zusammen, oder Konrad suchte sie im Schloßgarten auf, wo sie meist mit einem Buche dasaß und ihm, wenn er kam, leicht lächelnd die kleine Hand reichte. Ein niederer Sessel stand immer neben ihrer Bank und er nahm Platz darin, als sei die- sein gutes Recht. Was sie stets zu plaudern hatten, er wußte es kaum, er lauschte nur der süßen Stimme, dem silberhellen Lachen und war glücklich.
Daheim erschien er zerstreut, leicht erregt und ruhelos. Auch sein Amt wurde ihm lästig. Wenn er in den Wald ging war'S ihm immer, als klänge eine warnende Stimme an sein Ohr: „Führe uns nicht in Versuchung!"
Wo sollte das hinführrn? Wann kam der Moment, wo die Binde von den Augen des leidenschaftlichen Manne- glitt und er das Elend erkannte, dem er entgegenging?
Aber auch für Jutta brach die Zeit an, wo sie ihres Spielzeugs überdrüssig wurde. Diese flammenden Augen, diese heißen Lippen und diese glühenden Worte langweilten sie endlich; ihr Zweck war erreicht, Konrad Baumann lag zu ihren Füßen, nun schien
eS ihr nötig, ihn von sich zu weisen wie einen lästigen Gegenstand, dessen man nicht mehr bedarf.
Und Frau Anna? Obschon die beiden Kinder fast ihre ganze Zeit in Anspruch nahmen, konnte es ihreu, liebenden Auge dennoch nicht entgehen, daß irgend etwas centnerschwer auf ihres Mannes Seele lastete. Er aß wenig, brütete vor sich hin, war nur selten zu Hause und schloß sich dann auch stets in sein Arbeitszimmer ein; sein Blick vermied den ihren, seine Hand war eiskalt, wenn sie dieselbe einmal zärtlich in die ihre nahm, und tiefausstöhnend wandte er sich ab, so oft sie ihn liebevoll nach dem Grunde seiner Verstimmung frug.
ES war an einem sonnigen Septembcr- tage, als die junge Oberförsterin sich mit Klein-Mariechen aufmachte, um eine arme Fischerfamilie zu besuchen, die ziemlich weit entfernt wohnte; das Söhnchen hatte Anna unter der Obhut ihrer treuen Magd daheim grl°ssm.
Jubelnd tanzte Mariechen vor der Mutter her, bald nach Schmetterlingen haschend, bald durch das Seil springend, welches sie mitgenommen; ober Anna lächelte nur schwach bei dem Frohsinn der Kleinen, eS lag wie düstere Ahnung eines nahen, furchtbaren Unglückes auf ihr, daß sie die Augen ab» wandte von dem sonncnbeschienenen Meere.
Endlich waren sie bei der armen Familie angelangt, doch nur die Frau kam ihnen freundlich grüßend entgegen, der Mann befand sich seit dem frühen Morgen auf dem Meere, um Fische zu fangen.
(Fortsetzung folgt.)
Verschiedenes.
— Die gepfändete Haupt- und Residenzstadt. Der Bürgermeister der Haupt- unv Residenzstadt Pest hatte am Mittwoch einen seltenen Gast — den Steuerexekutor. Er kam in Begleitung deS Schatzmeisters, »m — die Hauplstadt zu pfänden. Nach einem von der Stadt geschlossenen Mietsvertrag war dieselbe die Gebühren in der Höhe von vierzig Kronen schuldig geblieben. Man hatte vergessen, die Kleinigkeit zu bezahlen. Der Lordmayor von Pest war nicht wenig überrascht, als er erfuhr, daß man gekommen war, die Hauptstat zu pfänden. Der Bürgermeister verwies die Exekutoren an die Finanzabteilung, wo die Angelegenheit geordnet werden würde. Und sie wurde auch geordnet in der Weise, daß der Exekutor ohne viel Federlesens den Schreibtisch deS Magistratsnotars Stefan Barrzy pfändete.
Berlin, 31. März. Aus dem jüngst hier abgehallenen deutschen Kellnerkongreß wurde ein Beschluß gesoßt, in dem gegen das Trinkgeld als ein für den Kellnerstand entwürdigendes Almosen Stellung genommen wird. Der Beschluß hat, wie die „Kreuzztg." schreibt, bereits eine Folge gehabt. Ein Gastwirt in der Jnvalidenstraße, in besten Wirtschaft sechs Kellner beschäftigt sind, hat Plakate mit folgender Aufschrift anbringen lasten: „An meine verehelichen Gäste! Das Abgeben von sogenannten Trinkgeldern an meine Kellner wird sowohl von ihnen als auch von mir als Ehrenkränkung aufgefaßt. Die eventuellen Nckel bitte daher am Eingänge in die Sammelbüchse für die Armen der Stadt z > legen."
Sirbaktion, Druck und Verlag v»n Beruh. Hofmann in Wilbbab.