Die Sirene.
Novelle von F. von Limburg.
2) (Nachdruck verboten.)
„Morgen fahre ich wieder fort/ begann Fräulein von Halden, ihren schweigsamen Tänzer, anredend, „die Zeit ist mir wie im Flug vergangen und eigentlich Ihut es mir leid daß sie um ist/
„Mir auch/ sagte Konrad Baumann wie im Traume. Ihre Augen hielten ihn gefangen voll unerklärlicher Gewalt, daß er kaum wußte was er sprach.
Ein spöttisches Lächeln spielte um Juttas L^pen, doch nur sekundenlang. „Ihnen ist die Zeit auch rasch vergangen, Herr Baumann/ frug sie erstaunt, „ja, haben Sie denn in diesen Tagen noch Augen und Ohren gehabt, für Jemand anders außer derjenigen, die Sie lieben?"
Man tänzle Francaise im Karree und eS war soeben eine Pause eingetreten, der junge Mann sah totenbleich aus, er rang nach Atem.
„Nein/ entgegnete er mit klangloser Stimme, „Sie haben Recht, gnädiges Fräulein ich sah und hörte nur die eine — die ich liebe — Ihre grauen Augensterne bergen für mich Himmel und Hölle zugleich — und es ist gut, daß ich dieselben nie mehr sehen soll — nie m hr —"
„Graue Augen/ hauchte sie und noch immer glänzte der herzlose Ausdruck in ihren Blicken, sie wollte ihr Opfer noch nicht los lassen, „Herr Baumann — ich denke, Sie lieben Anna?"
„Ich habe es geglaubt/ fuhr er fort und sein Ton färbte sich leidenschaftlicher; „ich bemerkte, daß sie mich liebte, und das that mir wohl, das erfüllte mich freundlicher Dankbarkeit, welche ich für Liebe hielt — bis ich vor kurzem bemerkte, wie es um mein Inneres stand.*
„Herr Kandidat!"
«Lassen Sie mich auSreden, gnädiges Fräulein" bat er ungestüm, „nur dies eine Mal im alten Jahre. Wenn die Glocken klingen und Sylvester vorbei ist, dann wird auch mein Traum zerflossen sein in Nebel und mein Herz leer bleiben —"
Der Tanz begann von neuem und Jutta fühlte eine seltsame Beklommenheit bet.dem Drucke von Baumanns kalter Hand, welcher ihre Finger fest an sich preßte. Dann endlich war der Tanz aus, das Paar stand in einer entfernten Fensternische, immer leidenschaftlicher sprach der sonst so schüchterne junge Forstmann und die junge Dame, die so kokett mit seinem Seelenfrieden getändelt, senkte zum ersten Male im Leben ihr Haupt.
„Herr Baumann, um Gotteswillen, kein Wort weiter; Sie machen mich unglücklich und Anna dazu."
„Anna? O, sie ist wohl die einzig Glückliche an diesem Abend; morgen werde ich um ihre Hand werben.-
„Ohne sie zu lieben? Nach dieser Stunde?"
„Fräulein Jutta/ sagte er schmerzlich, „wollen Sie mir darüber Vorwürfe machen, daß Sie mit einem Mannesherzen — aus Zeitvertreib? Ich will Anna ja glücklich machen, will an ihrer Seite vergessen, daß mich einstmals graue Strenenaugen fast bis zum Abgrund der Verzweiflung trieben. Jutta, ich liebe Sie bis zum Wahnsinn,
aber diese Liebe würde drei Menschen unglücklich machen, und das soll nicht sein. Ich werde standhaft kämpfen für ein anderes mir erreichbares Glück."
Jutta blickte betroffen auf den erregten jungen Mann und schwieg.
Da schlug es Mitternacht, eine allgemeine Bewegung ging durch die Gesellschaft; Jutta fühlte wie im Traume heiße vibrierende Lippen auf ihrer Hand, dann stand sie allein und wie ein Alp lagerte eS sich auf ihr Gemüt.
„Jutta, wo bist Du? Weshalb so allein? riefen jetzt die Freundinnen, auf sie zueilend, „Du mußt mit uns anstoßen auf ven Myrtenkranz und den Zukünftigen; wir wollen alle zu Deiner Hochzeit kommen, hörst Du?"
Fräulein von Halden raffte sich zusammen, ihr Lacher, klang etwas unnatürlich, ihre Hand bebte, aber nur für kurze Minuten dann gewann sie ihre volle Selbstbeherrschung zurück.
„Vivat, es lebe das neue Jahr," rief sie, das volle Glas erhebend, „mag es bringen was immer es will, wir wollen eS lächelnd durchleben. Glückauf uns allenI"
Anna stand nicht weit von ihr, ein leuchtender Blick hatte Konrad Baumann gesucht, welcher soeben mit der Mutter glück- wünschend anstieß; die gute dicke Frau Amtmann wischte abermals eine Thräne der Rührung aus ihren Augen und drückte die Hand des Kandidaten.
„Nun, Anna", frug Jutta, dicht neben die Freundin tretend, „wollen wir nicht mit einander anstoßcn, auf Deine Zukunft? Der Herr Kandidat hat mir soeben mttgeteilt, vaß er in nächster Zeit um Deine Hand werben will."
„O Jutta, wenn Du wüßtest, wie glücklich mich dies macht I"
Fräulein von Halden senkte den Blick vor dem Glücksschimmer in Annas Augen, das Gewissen mahnte sie ernst; sie kam sich vor wie eine Verbrecherin. Doch nur kurze Zeit hielt diese bessere Regung an, dann warf sie trotzig das blonde Lockenköpfchcn empor. Was konnte sie dafür, wenn der alberne Kandidat sich in sie verliebte? Sie wollte ihn ja nicht heiraten, sie hatte nur mit ihm getändelt, wie mit so manchem zuvor!
„Ja, ja, eS ist auch etwas ganz Wundervolles um die Liebe solch eines Kandidaten, der einen eines Tages zur Frau Obrrförsterin machen kann! Also Glückauf fürs neue Jahr!" rief Jutta.
Sie stießen an und in dem Augenblicke sah Konrad Baumann herüber — der Helle Klang der Gläser erreichte sein Ohr, aber ihm scholl es wie Hohn. „Vorüber, vorüber! Sie hat Dich niemals geliebt — sie
ist eine Kokette!" dachte er.-
(Fortsetzung folgt.)
Verschiedenes.
— Zwei Mädchen im Bett durch eine Lokomotive überfahren. Ein fast unglaubliches Eisenbahnunglück hat sich in Deutsch- Oth im Elsaß ereignet. Um Mitternacht sollte eine Maschine mit einem Packwagen und dem Zugpersonal nach dem drei Kilometer entfernten Ort Esch an der Alzette fahren, um von dort einen Güicrzug abzuholen. Die Weiche am Ausgange des Bahnhofes war nicht richtig gestellt, infolgedessen
j rannte die Maschine auf einem Nebengeleise mit solcher Wucht in den Maschinenschuppen, daß sie eine dort stehende Maschine gegen die Wand zu in Bewegung setzte. Die letzetre durchstieß die Wand und drang in das Schlafzimmer einer angebauten Bahnwärtcr- wohnung. Das hier befindliche Bett, in welchem die zwei ältesten Töchter des Bahnwärters Schönmann schliefen, wurden zertrümmert, das jüngere 11jährige Mädchen sofort getötet und das andere 13jährtge so schwer verletzt, daß an seinem Aufkommen gezweifelt wird. Alles geschah mit der Schnelligkeit eines Augenblickes. Hätte nicht die leere Maschine die gewaltige Wucht des Ausstoßes wesentlich gemindert, so wäre wohl auch noch daS Maschinen« und Zugpersonal unter den Trümmern des Hauses begraben worden. So kamen die Leute mit dem bloßm Schrecken davon, nur der Stationsvorsteher erlitt bei den Rettungsarbeiten eine leichte Verletzung.
— Vermählung der Kronprinzessin Stefanie. Die offiziell erfolgte Mitteilung des Vermählungstages (23. März) der Kronprinzessin-Witwe Stefanie mit dem Grafen Lonyay erregt in Wien Ueberraschung, da noch jüngst von einer Verschiebung auf Mat die Rede war. Dis Trauung wird der Hofburgpfarrer Mayer in Miramare vollziehen. Vom Hofe wird nur die Tochter der Kron- prinzefsin, die Erzherzogin Elisabeth, anwesend sein. Nach der Vermählung wird der bisherige Hofstaat der Kronprinzessin aufgelöst; die Vermählten reisen an die Riviera ab und werden wahrscheinlich den Sommer in der Villa in Rodann bei Wien zubringen. Der Kaiser setzte der Kronprinzessin ein JahreSgehalt von 240 000 Kronen aus.
— Schneestürme. In Kiew sind Nachrichten über eiv starkes Schneegestöber eingetroffen, das seit den letzten 24 Stunden in einem großen Teile von Südwestrußland herrscht. In Kiew selbst war der Eisenbahnverkehr eingestellt. Die fahrplanmäßigen Züge blieben aus. Mit der Freimachung der Gleise sind Soldaten und 2 Dampfpflüge beschäftigt.
— Ein Offizier Hungers gestorben. Aus Temesvar ln Ungarn wird geschrieben: Kürzlich ist hier der k. k. Hauptmann im Ruhestände Joseph Gröber tot in seinem Bette aufgesunden worden. Als Todesursache wurve „Entkräftigung infolge ungenügender Ernährung" konstatiert. Der unglückliche Offizier war nach zwanzigjähriger Dienstleistung mit 33 Gulden monatlich pensioniert worden. In seiner Hinterlassenschaft fand sich nicht einmal Leibwäsche vor.
— Be! einer Explosion der Redalsch- grubcn in Westvirginia wurden 70 Personen verschüttet. Bisher wurden von den in den Redatschminen Verunglückten 40 als Leichen geborgen.
- Während des Karnevalumzuges in Nizza wurde der Italiener Adbiati von drei Masken umringt und erdolcht. Die Mörder verschwanden im Gedränge. Das Motiv der That soll Rache gewesen sein.
— „Große Adler begnügen sich nicht mit Würmern" sagt ein chinesisches Sprich, wort, das neue Bestätigung darin findet, daß der bisherige Gouverneur der Knang- Provinzen Luan in seiner 4'/-jährigen Amtsdauer 8 Millionen Mark sich „erspart" hat.
Redaktion. Druck und Verlag von Beruh. Hsfru « nn in Wildhad.