Wertoren.
WeihnachieerzShlung von Helene Voigt.
6) (Nachdruck verboten.)
Wieder war Weihnachten vor der Thür. Flimmernd und weich log tiefer Schnee über Feld und Flur, klar und kalt blitzten die Sterne vom Himmel nieder und reges Leben begann sich aus dem Christmarkte zu entfalten. Ihr Töchterchen neben sich stand Frau Herstrom am Fenster und blickte in das bunte Gedränge da unten hinab; fröhlich plauderte Ada, welche dieses Jahr schon mit größerem Verständnis dem Feste des lieben Christkinds entgegensah.
Ein ganzes Jahr war vorüber seit Rudolf Herstrom sein Vaterhaus verlassen mit einer andern Frau und noch hatte er nichts Direktes von sich hören lassen. Ach, und das drückte von Tag zu Tag schwerer auf Luisens Gemüt, wennschon sie es kaum sich selbst zu gestehen wagte.
„Der Herr Kommerzienrat lasten die gnädige Frau zu sich bitten," meldete plötzlich ein eintretender Diener in sonderbar gepreßtem Tone.
„Was ist geschehen, Johann?" frug Luise betroffen, „fehlt dem Herrn etwas?"
„Er — er ist vom Stuhl gefallen — und kann sich nicht bewegen."
Mit einem unwillkürlichen SchreckenS- laut fuhr die junge Frau zusammen, dann hob sie das Kind zur Erde.
„Bringen Sie Ada zur Kinderfrau, Johann," sagte sie hastig, „ich muß sogleich zum Herrn Kommerzienrat. Der Arzt ist doch benachrichtigt?"
Gleich darauf beugte sie sich schreckensbleich über den alten Herrn, der regungslos aus seinem Bette lag und schwer röchelnd athmete.
„Papa, mein Gott, was ist geschehen?" frug Luise erschrocken, aber der Kranke vermochte ihr nicht zu antworten; nur die Augenliedcr Hobe» sich langsam, fast z?» spenstisch in die Höhe.
„Es ist ein schwerer Schlaganfall," entschied der Arzt bei seiner Ankunft, „und die Hoffnung, den Palienten zu erhalten, scheint nur gering. Er hat jedenfalls eine furchtbare Aufregung erlitten ? '
„Daß ich nicht wüßte," entgegnet« Frau Hrrstrom, „es müßte denn ein geschäftlicher Fall gewesen sein."
Drüben im Comptoir lag an der Erde ein zerdrückter Z ttel, ein Telegramm aus New Aork von dem dortigen Geschäftsfreunde;
„Herr Rudolf Herstrom hat heute Wechsel über 20000 Mark präsentiert mit Jhrr Unterschrift. Sollen wir zahlen?"
Noch rhr der alte Herr daran erkrankte, hatte er zurücktelegrophiert: „Nein Niemals."
Aber die Gewißheit, daß sein Sohn die Unterschrift des eignen VaterS gefälscht, war zu niederdrückcnd für ihn gewesen: mit kalter Hand griff der Tot an sein Herz I
Luise hatte cer kleinen Ava ihre Geschenke übergeben, auch den übrigen Leuten im Hause, doch der reichgeschmückte Christbaum blieb dunkel und mit blutendcm Hirzen saß die Vielgeprüfte Frau am Belte des Kranken, dessen Atemzüge gezählt waren. Der Arzt glaubte nicht, daß er den Morgen erleben konnte.
Von der Straße herein scholl der feierliche Klang der Cdrfftglocken, tönten Fest
lieder von Hellen Kinderstimmen und heiß und unaufhaltsam rannen die Thränen über Luisens Wangen.
Stunde um Stunde verrann, die Nacht war hereingebrochm, Stille herrschte ringsum ; da öffnete der Sterbende die Augen und blickte innig, liebevoll seine getreue Pflegerin an.
Hastig fuhr sich Luise über das thränen- fcuchte Antlitz, dann bog sie sich lächelnd über den Vater.
„Lieber, lieber Papa, nun wird Alles wieder gut, denn Du lächelst abermals."
„Nein," klang es hohl, tonlos aber deutlich von den trocknen Lippen des Sterbenden, „ich — muß — Dich verlassen."
Erschüttert kniete die junge Frau am Bette nieder und küßte die wachsbleichen Finger.
„Mein teurer, geliebter Vater, so segne mich ehe Du eingehest in des Himmels Seligkeit."
Ein Blick voll unbeschreiblicher Liebe und Innigkeit strahlte aus den schon halb gebrochenen Augen und der Kommerzienrat stleß mühsam hervor: „Gott — segne — Dich und — Deine Liebe — meine Luise."
„Aber nun habe ich noch eine Bitte, Vater, die Du mir angesichts der Ewigkeit nicht abschlagen darfst: vergieb auch Rudolf."
,N-in," klang es herb zurück, „er — hat mich — getötet — ich habe — keinen Sohn mehr —"
Aber das junge Weib ließ nicht nach, sie bat, beschwor, erklärte und flehte bis der Sterbende überwunden war. Auch auf seinem Antlitz strahlte ein Helles Weihnachtslicht und er murmelte voll herzlicher Liebe: „Und — Frieden auf Erden — ja, ich — vergebe Dir — Rudolf."
Dann warS vorbei, das Herz stand still, das Leben floh und Luise sank weinend an der L iche ihres treuen, väterlichen Freundes zusammen. Der anbrechende Christmorgen fand sie einsam und verlassen in der Well stehend, aber aus all dem Schmerz brach ein goldner Strahl hervor : Herstroms letztes Wort, sein eigentliches Testament für den Lohn.
Unter dem Christbaum mit seinem goldnen Festschmuck stand nun der Sarg des Kommerzienrats zur ernsten letzten Feier. Ein einstimmiges Gefühl tiefer Trauer ging durch Aller Herzen, denn der Verstorbene war von Jung und Alt geliebt und verehrt worden und hatte kaum einen Feind gehabt.
In tiefen, creppbesetzten Trauergewändern bew.gte Luise sich zwischen all den duftenden Liebesgaben, die sich zu Füßen deS Kommerzienrates häuften ; ihre Trauer war lief und heiß, aber friedlich, denn sie hatte gesehen, wie der geliebte Vater versöhnt und voll Liebe geschieden war.
Der alte treubewährte Buchhalter kam mit einer etwas peinlichen Frage: „ob man wohl dem jungen Herrn den Tot des Vaters Mitteilen solle?"
„G w ß," entgegnete Luise ruhig, „unsere Geschäftsfreunde wissen seine Adresse."
„Hm, eS ist nur," meinte der Alle Verlegen, „weil — weil der junge Herr — von der Erbschaft ausgeschlossen und die gnädige Frau zur Universalerbin eingesetzt sei."
„Nun gut, Herr Braun," nickte die junge Frau gütig, „so werde ich mir Ihrer Hilfe das Geschäft und die ganze Hinter
lassenschaft so lange verwalten — bis mein Mann heimkehrt."
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In einrm luxeriös ausgestatteten Boudoir in London lag, auf dem Ruhebett auSge- streckt, Melanie Frohnert und blätterte in den Tageszeitungen.
Ihr hübsches Gesichtchen sah verdrossen und gelangweilt aus, sie gähnte mehrere Male laut und summte die Melodie eines beliebten» trivialen Gassenhauers vor sich hin.
Alles um sie her atmete raffinierten Luxus, doch Befriedigung schien die kleine zierliche Sängerin darüber nicht zu empfinden, ja, sie befand sich offenbar in recht kriegerischer Stimmung.
„Wo nur Rudolf bleibt," murmelte sie vor sich hin, es ist wirklich Zeit, daß wir miteinander abrechne», denn er fängt an mich sehr zu langweilen. Der schwerfällige Deutsche bricht bei ihm an allen Ecken und Kanten hervor."
Geräuschlos öffnete sich die Thür und ein grinsender Neger brachte ein patchoult- duftcndes Billel, bei dessen Anblick Melanie aufstrahlte.
„Für Sennora," der Bursche nickte in frecher Vertraulichkeit, „und ich soll bald Antwort bringen."
„Geh hinaus, in einer Viertelstunde kannst Du sie holen," befahl Melanie ver. gnügt und der Groom schlüpfte hinaus seiner Herrin verstohlen eine Kußhand zuwerfend.
„Haben Sie schon über unsere Abreise bestimmt, schöne Fee", stand auf dem dicken Pergameutpapier, „meine Besitzungen in Brasilien erfordern meine schleinige Abreise und ich gehe nicht ohne den „Stern von New Aork." Bitte um Antwort."
Ah, sehr apropos," murmelte Melanie vergnügt, „somit gehe ich einer Auseinandersetzung über jenen Wechsel aus dem Wege, den der Banquter nicht annahm. Wenn Rudolf es wüßte! Puh, die Szene."
Flüchtig warf sie einige Antwortzeilen auf daS Btllet und schickte den Groom damit fort „Aber sprich mit Niemanden davon," schärfte sie ihm ein, „Du würdest inen Gruß mit der Reitpiitsche dafür ernten."
„Nein, nein, gnädige Sennora, außer von Ihnen lasse ich mir Ohrfeigen nicht geben."
„Fort, der Herr kommt", warnte sie, denn sie hatte HerstromS Schritte vernommen.
Gleich daraus trat dieser ein, finster, bleich und drohend wie eine Wetterwolke.
„Nun, mein Freund, Du scheinst ja wieder recht übler Laune zu sein?" frug Melanie spöttisch und legte sich mit gekreuzten Armen in dem Ruhebett zurück.
Das weiche, gelbliche Morgcngrwand auS Plüsch floß an der zierl. Gestalt zu Boden, nur lose waren die Haarmaffen mit einem roten Bande ausgenommen, die kleinen Füße steckten in roten, goldgkst'ckien Pantoffeln; kurz die Diva sah so verführerisch wie möglich aus, nur Rudolf schien das nicht mehr zu finden, er hatte keinen Blick für diese Toi- teitenreize und rang offenbar nach Ruhe, um mit der einst Geliebten zu reden.
„Ich komme mit einer ernsten Frage zu Dir, Melanie," begann er finster, „eS hört uns doch Niemand?"
(Fortsetzung folgt.)
Sitd»kti»n, Druck und Verla- von B «r n h. H »fmann in Wildh » d.