Dir Ehre des Hauses.
Novelle.
Originalbearbeitung nach dem Englischen von Klara Rheinau.
15) (Nachdruck verboten.)
„Ich kann nicht, ich kann nickt!" stöhnte der Oberst. „Mein Vertrauen, meine Liebe mein Stolz — sie sind zu schwer verwundet. Der Himmel vergebe Dir, Adelheid, ich kann es nicht."
Der Oberst senkte den Kopf auf seine verschränkten Arme und verblieb in dieser Stellung, der fliehenden Stunden nicht achtend. Ein furchtbarer Schmerz durchwühlte sein Inneres; Zorn und Scham über die entsetzliche Lage in der er sich befand, wechselten mit unendlicher Wehmut, daß er das Herz seines Weibes verloren und auf diese Weise verloren. Er gedachie jener Zeit, da die sanfte, junge Gouvernante seine Liebeserklärung mit einem leidenschaftlichen Thränenausbruch, mit der heftigen Versicherung, sie sei seiner ganz unwürdig beantwortet hatte. Jetzt konnte er ihren Grund Verstehen.
„Hätte sie mir doch Alles gesagt," murmelte er vor sich hin; „meinem Stolz hätte es einen Kampf gekostet, aber ich liebte sie innig genug, um die Vergangenheit zu übeesehm. Aber zu wissen, daß so viele Jahre hindurch ein solches Geheimnis unsere Ehe verdüsterte, das ist zu viel! Der unglückliche Gatte wagte nicht, den Gedanken weiter zu verfolgen, sondern eilte weg, um sich in seine Akren und Papiere zu vergraben und in unermüdlicher Arbeit wenigstens für Stunden die schreckliche Zukunft, die dieser Eröffnung folgen mußte, zu vergessen.
Rosas Hochzeitstag und ihre Abreise nach Indien an der Seite des geliebten Gatten stand nun nahe bevor.. Oberst Merryns strenges Rechtsgefühl hatte ihn noch zu manchem Versuch bestimmt, Walters Entschluß zu erschüttern, aber der junge Mann blieb seiner Liebe treu, und der gebeugte Vater fühlte sich dadurch wesentlich erleichtert. Frau Mervyn war in diese» Tagen ruhiger, als sie es Wochen lang gewesen, wenn auch dunkle Ringe um die tiefliegenden Augen von mancher durchweinten Stunde erzählten, doch die schwere Last deS schmerzlichen Geheim-, nisses war von ihrer Seele genommen, und die heißen Gebete, die sie unablässig zum Himmel sandte, brachte ihr Kraft und selbst einen schwachen Hoffnungsschimmer, daß diese düstere Wolke vorüberziehen werde. Dann kamen aber auch Stunden, wo die gequälte Frau die Marter und Ungewißheit ihrer jetzigen Lage nicht mehr zu ertragen können glaubte. Bis zu Rosas Abreise von England muhte und sollte der äußere Schein gewahrt werden, aber dann, was würde dann folgen? Sie wußte es nicht, Sie wagte nicht darüber nachzudcnken. Aber ein Schauder durchlief sie bei dem Gedanken an ihre grenzenlose Verlassenheit, wenn der schwer beleidigte Gatte darauf bestehen sollte, sie auch von Lilly zu trennen.
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Der letzte Abschied war vorüber. Die „Medea" hatte den Hafen von Southampton verlassen. Feuchte Augen, liebende Herzen folgen ihrem Lauf, und manch' heißes Gebet
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ringt sich von den Lippen derer, die weinend die weißen Segel in der Ferne verschwinden sehen. Auf dem Verdeck steht Rosa, von dem starken Arme des Gatten gestützt, des Gatten, um dessentwillen sie kühn allen Gefahren trotzt. Aber voll Wehmut blickt sie zurück auf die Lieben, die sie verlassen, und deren stumme Abschiedszeichen noch schwach zu unterscheiden sind.
„Noch eine kurze halbe Stunde, und wir werden einander nicht mehr sehen," murmelte Lilly Mervyn. „O, wie hart sind diese Trennungen!"
Ihr Vater fuhr stumm mit der Hand über die Augen, aber Frau Mervyn seufzte so tief, so schmerzlich auf, daß der Oberst sein Glas in die Tasche steckte und freundlich sagte: „Es wird am besten sein, wir gehen; sie sind doch gleich außer Sicht. Kommt, ich will Euch zum Wagen geleiten."
„Noch ein klein wenig laß mich bleiben, Reginald," murmelte die Aermste, nur dem Gatten verständlich. „Mein Kind und ich werden einander vielleicht niemals Wiedersehen."
Der Oberst begriff sehr wohl den Schmerz der Mutter und entfernte sich mit Lilly, um einige Bekannte zu begrüßen, welche er in der Nähe bemerkte. Inzwischen hatte eine schäbig gekleidete Frau, welche die ganze Zeit über durch alle möglichen Manipulationen sich Geldspenden von den anwesenden Fremden erbettelt, die elegant gekleidete Dame, die so allein und traurig am User stand, als ein neues Opfer ausfindig gemacht und näherte sich ihr jetzt mit kriechender Unterwürfigkeit.
»Ick hoffe, die gnädige Frau werden es nicht für eine Unbescheidenheit halten, wenn ich — Ei, Adelheid! Ich hoffe, Sie befinden sich recht wohl."
„Sie hier!" keuchte die entsetzte Dame.
„Die Ueberraschung ist gegenseitig, Adelheid. Sie sind die Letzte, der ich hier zu begegnen dachte."
„Also muß ich annehmen, daß Sie mich nicht absichtig belästigen?
„Sie belästigen, meine zärtlich geliebte Schwester belästigen! Als ob ich eines solch' unhöflichen Benehmens fähig wäre! Ich machte einen Abstecher hierher, weil in London einige meiner blauröckigen Feinde sich angelegentlicher mit meiner Person beschäftigten, als mir angenehm war."
„Und Sie wagten es, hierher zu kommen," rief Frau Mervyn.
„Nicht gerade aus Liebhaberei wählte ich diese Stadt," versetzte Prtscilla, sich unbehaglich umschauend; „aber ich kenne einen Schaffner dieser Linie, und dieser brachte mich wohlfeil mit dem Nachtzug hierher, wo man schließlich nicht so leicht nach mir suchen wird, als sonstwo. Sie werden mich natürlich nicht zu verraien wagen."
„Und Hubert," fragte Frau Mervyn ängstlich, „ist auch er hier?"
„Ehe ich antworte, muß ich wissen, warum Sie fragen," kicherte Prtscilla. „Haben Sie vielleicht Sehnsucht nach feiner Umarmung? Sie brauchen nicht mit dem Fuße zu stampfen und mir so wüthende Blicke zuzuschleudern — eS war doch eine ganz natürliche Annahme, nicht wahr Adelheid?"
Als Frau Mervyn sie keiner Antwort würdigte fuhr sie fort: „Was führt Sic
hierher, Adelheid? Sind Sie allein? Ah, jene Leute da drüben sind Ihre Freunde. Nun, ich habe kein großes Verlangen ihre Bekanntschaft zu machen, so will ich Sie lieber heute Abend aufsuchen. In welchem Hotel logiren Sie?"
Frau Mervyn zögerte mit der Antwort. Sollte sie diese Frau kommen lassen und sic zwingen, in Gegenwart des Obersten zu sagen, ob ihr schurkischer Bruder noch am Leben sei? Aber würde es nicht den Bruch zwischen ihnen erweitern, wenn Reginald die heuchlerischen Versicherungen und höhnischen Anspielungen, die Priscilla in ihrer Bos- heit Vorbringen würde, mit anhörte? Ob ihre Trennung unvermeidlich würde oder nicht, Adelheid hegte noch die eine Hoffnung, daß Reginald sie von jeder andern Schuld als der Verheimlichung eines Teiles ihrer Vergangenheit freisprechen und ihr diese vergeben werde.
(Fortsetzung folgt.)
Verschiedenes.
— Im Jahre 1875 hatte das französische Volk 2912 Millionen Franken Steuern aufzubringen. Heute muß es 610 Millionen Franken mehr liefern, insgesamt 3522 Mill. Das bedeutet für die Franzosen ein ungeheures Wachstum der Steuerlast. Zwar sind auch in den Nachbarländern die Steuern gewachsen, aber dort vermehrte sich auch die Bevölkerung. In Deutschland z. B. stieg sie seil 1875 von 43 auf 54 Millionen. In Frankreich blieb die Bevölkerungszifier die alte niedere, so daß also der Einzelne von Jahr zu Jahr die höhere Steuerlast zu tragen hat, während in Deutschland die vermehrten Steuern auf die Schultern der vermehrten Bevölkerung sich verteilen. Auf den Kopf berechnet zahlt heute der Deutsche 30,50 Franken, der Belgier 30,80 Franken, der Däne 34,40 Franken, der Oesterreicher 44,10 und der Holländer 44,50 Franken Steuer. Der Franzose zahlt 75,30 Franken.
Wenn mit der Stilübung in der Schule gar zu früh begonnen wird. Lies, bethchen überreicht dem gestrengen Papa daS Schulzeugnis. Er überfliegt es; lauter Einser. Nur eine Note nimmt sich dazwischen etwas „knollig" aus. „Brav mein Kind, brav — aber hier, mit deiner Stilübung scheint eS schief zu stehen." „Stilübung?" fragt Lisbethchen, indem es den Papa wie ein verblüfftes Reh mit großen Augen ansteht. „Da hat sich unser Fräulein geirrt. Wir haben gar keine Stühle in in der Schule Papa. Wir sitzen ja auf Bänken."
.'. (Berechtigte Frage.) (Student): „Lieber Onkel, ich komme mit einem Anliegen — willst Du mir nicht 60 zur Anschaffung wissenschaftlicher Bücher leihen ?"
— Onkel: „Soll das ein Anliegen sein?"
— Neffe: „Ja, lieber Onkel — weshalb denn nicht?" — Onkel: „Weil ich eS für ein Anlügen halte I"
I Lieber nicht. Lenchrn: „Mama, wenn ich einmal heirate, wirst Du dann eine Schwiegermutter?" — Mama: „Natürlich!"
— Lenchen: „Dann heirate ich lieber nicht."
.'. Eine geneigte Leserin. Herr: „Haben
Fräulein den Roman schon gelesen?" — Dame: „Vorläufig erst das letzte Kapitel. Jetzt bin ich aber neugierig, wie er anfängt!"
Redaktion, Druck und Verlag von B e r n h. Hosman» in Wilbbad.