Die versüßte» Magistratsfitzunge«. Aus Fr-ystadt in Schlesien wird dem „Breslauer Generalanzeiger" berichtet: Auf dem Grundbuchblatte unserer im Jahre 1568 gegründeten Stadtapotheke befindet sich ein Passus eingetragen, der als Kuriosum bekannt zu werden verdient. Der jedesmalige Besitzer der Apotheke ist nämlich verpflichtet, in der ersten Hälfte des Monats Dezember an den Magistrat zwei Pfund Morsellen und eine gleiche Quantität anderes Konfekt zu liefern. Diese Süßigkeiten werden in den Magistratsfltz- ungen im Dezember ans den Tisch des Hauses gelegt und jeder der Herren Senatoren kann davon genießen. Bei einem etwaigen Besttz- wechsel wird dem neuen Besitzer der Passus aus dem Grundbuch vorgelesen; keiner hat, der Originalität wegen, bisher die Verpflichtung abgelöst, deshalb werden unserem Magistrat die Sitzungen im Dezember noch heute
Versüßt, kein Wunder-daß dieselben
nachweislich am besten besucht sind.
Den kürzesten Trinkspruch, der jemals gehalten worden ist, verdanken wir keinem Geringeren als Altmeister Gölhe. In seinen Werken ist er nicht enthalten, wohl aber hat ihn Eduard Boas in seinen Nachträgen zu GötheS Werken veröffentlicht. Boas erzählt, daß Göthe im Jahre 1828, also als fast 80jähriger Greis, zu einer kleinen erwählten Mittagstafel einer Freundin gekommen sei, obwohl er damals schon alle Gesellschaften zu vermeiden pflegte. Er war froh gestimmt, und al« man einen Trinkspruch von ihm forderte, ließ er sich nicht lange bitten, sondern erhob sein Glas und sprach die folgenden Worte:
„Nie Mangel des Gefühls,
Und nie Gefühl des Mangels!"
Boas macht zu diesem kurzen, kernigen Satz
die Bemerkung: „Nur ein achtzigjähriger Weiser konnte in wenigen Silben einen so unermeßlich reichen Sinn legen; denn alles Glück des körperlichen und geistigen Menschen, die reine, ungestörte Gcmütswelt sowohl, wie die hellpoetische Behaglichkeit des Daseins, der ganze Mikrokosmos irdischer Seligkeit spiegelt sich darin." Der sinnige Trinkspruch wäre verloren gegangen, wenn nickt GötheS Tischnachbarin ihn ausgezeichnet hätte. Ihr verdankte Boas eine Abschrift der Wort?, wodurch sie vor gänzlicher Vernichtung bewahrt bleiben.
Der Dreysusprozeß zeitigt grausame Scherze; gestern wurde der folgende erzählt: Ein Gast betritt ein Restaurant und wendet sich an den Kellner: „Ich bitte um eine Flasche Bordereau." — Kellner: „Borde- reau?" Sie meinen wohl Bordeaux ?" — „Ach, das ist ganz egal. Gefälscht sind ja beide."
Die blaue Maske.
Humoreske von I. Piorkowska.
(Nachdruck verboten.)
(Schluß.)
„O, keineswegs," erwiderte ich lebhaft: „Ich habe meine Frau von ganzem Herzen lieb, und bin mit ihr so glücklich, wie ein Mensch eS nur sein kann."
„Daß Du allein hier bist, ist davon aber gerade kein Beweis," bemerkte sie halb spöttisch.
Ich erzählte ihr, wie das gekommen. „Freilich," schloß ich, „ich hätte besser ge- than, bei ihr daheim zu bleiben, als . . . als . . .
„Als mir den Hof zu machen," lachte die blaue Maske.
„Allerdings," entgegnete ich gereizt und ärgerlich über mich selbst und über meine Schlechtigkeit; „aber gut, daß Du mich an meine Pflicht erinnerst! Ein drittes Mal sollst Du mich nicht bethören, schöne Maske, in dieser Stunde will ich noch von Dir scheiden, um Dich nie wieder zu sehen. Zum Abschied aber sollst Du mir noch eine Bitte erfüllen. Willst Du?"
Sie nickte.
„So laß mich nur einziges Mal Deine Züge sehen," bat ich."
Ich glaube, hauptsächlich trieb mich zu dieser Bitte die Hoffnung, sie werde sowenig hübsch sein, daß es mir nicht schwer fallen würde, sie und meine Abenteurer für immer zu vergessen.
Voll Spannung ruhte mein Auge auf ihr, während sie den Arm erhob um die Larve zu entfernen; doch noch ehe ich ihr Gesicht sehen konnte, hörte ich ein silberhelles Lachen, bei welchem mir vor Schreck das Blut in deu Adern stockte. Die Larve fällt und vor mir sehe ich — Leser, hast Du rS schon erraten? — meine eigene Fraul
,O, Du Ungeheuer!" ruft sie.
Ich aber vermag in meinem Erstaunen, meiner Verlegenheit und ich will es nur gestehen, in meiner Bestürzung nur hervor- zustammcln: „Marie — Du? Sag', wo in aller Welt kommst Du denn her?"
„Ich mußte dafür sorgen, daß mein leichtsinniger Mann, wie mir scheint, jemanden immer den Hof machen muß, ihn dann
wenigstens seiner eigenen Frau macht," erwiderte sie.
Wer weiß, ob ich hierauf nicht eine richtige ' Gardinenpredigt bekommen hätte, wenn sich inzwischen nicht zwei Masken genähert und in unserer Nähe auf einer Bank niedergelassen hätten.
Lange blieb ich — nun nicht mehr mit der blauen Maske, sondern mit meiner lieben kleinen Frau in dem kleinen Boudoir sitzen und ließ mir erzählen, was mir alles noch ein Rätsel war.
„Wieso," fragte ich, „bist Du denn voriges Jahr hierher auf den Maskenball gekommen, und woher kanntest Du mich denn?"
„Die ganze Geschichte ist sehr einfach," hob Marie zu erzählen an, indem sie meine Hand zärtlich in die ihrige nahm. „Du wirst Dich Deines ersten Patienten, des alten Herrn von Bolten erinnern, der kurz bevor wir uns in Charlottenbrunn kennen lernten, am Schlagflusse starb?"
„Ganz recht; aber was hat er mit der ganzen Sache zu thun?"
„Als alter Jugendfreund meines Papas war er oft bei uns, so auch voriges Jahr; und als die Zeit seiner Abreise nahte, ruhte er nicht, bis meine Eltern nachgaben und mich auf einige Tage mit hierher nach Loßen- dorf reisen ließen. Während dieser Zeit war das MaSkenfest. Auf meine Bitten ließ Onkel Karl — wie ich ihn von Jugend auf zu nennen pflegte — sich zureden, mit mir den Ball zu besuchen, aber nur unter der Bedingung, daß ich dort auf dem Ball keine Ansprüche auf seine Gesellschaft machte und um halb zwölf Uhr mit ihm helmkehrte, da er sich nicht gern aus seiner Ruhe bringen ließ und meinte, eS mache ihn krank, wenn er sich später als um Mitternacht schlafen legte. Sobald ich sein Jawort hatte, eilte ich, mir einen Anzug zu bestellen. Wie ich in daS Geschäft komme, sehe ich diesen Deinen Ritteranzug liegen, und zufällig fragte ich, für wen derselbe bestimmt sei. Man nennt mir Deinen Namen, der mir durch Onkel Karl's Erzählen kaum mehr fremd war."
„Nun?" fragte ich, als meine kleine Marie schwieg.
„Das Uebrige weißt Du ja; wie wir uns auf dem Ball trafen, wo ich Dich natürlich kannte, Du aber nicht wußtest wer ich war."
„Aber weshalb hast Du mir denn nie gesagt, daß Du auch auf jenem Balle warst?" fragte ich sie, noch immer nicht recht begreifend.
„Eigentlich sollte ich Dich gar nicht so eitel machen, Du böser Mann," erwiderte sie darauf und sah mich mit ihren sanften Augen, die ohne Larve weder so dunkel noch so feurig waren — schelmisch an; aber Du hattest eS mir auf jenem Balle wirklich schon ein bischen angethan, daß es in meinem Herzen laut aufjubelte, als ich Dich in Charlottenbrunn wiedersah, und wohl ein wenig mit nachhalf, daß wir bald Bekanntschaft mit einander machten. Anfangs nun genirte ich mich Dir zu gestehen, daß ich die blaue Maske gewesen; und als Du später einmal von dem Feste sprachst und auf meine Frage, ob Du dort gewesen seist, ganz gelassen „nein" antwortetest, da beschloß ich mein kleines Geheimnis für mich zu behalten, bis mir einmal Gelegenheit würde, Dich für Deine Unwahrheit gründlich zu strafen. Diese Strafe scheint mir heute auch ganz leidlich gelungen zu sein," setzte sie boshaft hinzu. „Du machst ein so tragisches Gesicht, mein lieber Oswald, daß ich Dich beinahe bemitleiden könnte, wenn ich nicht fürchten müßte, eS gelte der „schönen Polin," von welcher Du nun auf ewig Abschied genommen hast."
„Nein, das war nun doch zu arg, mich von meiner kleinen Marie, die ich bisher für die Unschuld selbst gehalten hatte, so überlistet zu sehen! Aber wie hätte ich ihr auch nur für eine Sekunde böse sein können, wenn ich ihr in das liebe, jetzt so übermülig lächelnde Gesicht sah!
Da die beiden Masken sich inzwischen wieder entfernt hatten, schlang ich meinen Arm um sie und küßte „meine schöne Polin" nun auf die frischen Lippen nach Herzenslust und weit inniger, al« ich vor einer halben Stunde nur ihre Fingerspitzen zu berühren gewagt hätte.
Die eine Lehre habe ich aber aus dem Abenteuer gezogen: mich niemals wieder mit einer mir unbekannten Maske einzulassen. Es hätte mir auch schwer werden sollen, denn so gut meine kleine Marie noch heute ist, zu einem Maskenfest hat sie mich doch nie allein gehen lassen!
— Ende. —
Redaktion, Druck und Verlag von Beruh. Hof««»» in Wildbad.