— Eine 13jährige Verbrecherin. Aus dem Braunschweigischen wird unterm 85. Juli geschrieben: DaS 13jährige Schulmädchen Minna Vosse in Vorsfelde beging kürzlich, nachdem esstch schon vorher kleinerer Diebstähle, meist in Mundvorräten bestehend schuldig gemacht, trotz des Hinweises, daß es im Wiederholungsfälle einer Besserungsanstalt zugesührt werden würde, einen Wurstdiebstahl. Um nun die angedrohten Folgen von sich abzuwenden, kam das Mädchen auf den teuflischen Gedanken, den kjähr. Bruder zu töten und auf diesen den Diebstahl zu wälzen. Während die Mutter sich auf der Arbeit befand, beredete Mina die beiden jüngeren Geschwister — ein lOjähr. Mädchen und einen kjähr. Knaben — mit nach dem Walde zu gehen. Dort angekommen, schickte sie die Schwester unter dem Vorgeben, das Frühstück teilen zu wollen, nach einer n-hen Z>eg-lei, um von da ein scharfes Messer zu holen. Sie versuchte dann dem Bruder ins Handgelenk zu schneiden, was dieser jedoch abwehrte. Nunmehr führte sie die Geschwister weiter in den Wald hinein, erstieg einen Baum, der niedrighängende Zweige hatte, befestigte einen Strick mit
Novelle von Jenny Piorkowska.
(Nachdruck verboten.)
15.
Als Melanie am nächsten Morgen in Erra's Zimmer trat, um zu sehen, wie es rhr nach dem gestrigen Unfall erging, fand sie das Zimmer leer. Das junge Mädchen batte das Haus bereits verlosten.
Noch saß sie mit ihrem Vater beim Frühstück und wartete voll Unruhe auf Ernas Rückkehr, als der Diener eintrat und Herrn von Halden einen Brief reichte.
Dieser öffnete das Schreiben.
„Mein teurer, väterlicher Freund I" lauteten die Zeilen. „Ich vermag eS nicht über mich, Melanie ihres Besitztums zu berauben. Sie werden mich niemals Wiedersehen, doch werde ich stets in Liebe Ihrer gedenken.
Erna von Kortjs.
„Gerechter Gott!* rief Herr von Halden. „Was hat das thörichte Kind im Sinn ? Friedrich, wer brachte den Brief? wandte er sich zu seinem Diener.
„Ein kleiner Junge," lautete die Antwort, er ist noch unten in der Küche."
„So führen Sie ihn herauf zu mir, ich muß ihn ausfragen."
„In wenigen Minuten war der Auftrag auSgeführt.
„Wo gab Dir die Dame den Brief?" fragte Melanies Vater den scheu einlretenden Knaben.
„Auf dem Bahnhof," lautete die Antwort.
„Weißt Du vielleicht, wohin sie fuhr?"
„Jo, sie reiste nach L. ., ich stand auf dem Perron als der Zug abging."
Das genügte, Herrn von Halden einen Anhalt zu geben, in welcher Richtung Erna sich begeben hatte, und ohne langes Ueber- legen beschloß er, ihr nachzureisen.
* * *
Baron Nölten war inzwischen ratlos, was er beginnen sollte. Er hatte eine schreckliche Nacht verbracht. Keine Minute vermochte er die Augen vor der Vision des bleichen
Schlinge an einem Zweige und veranlaßte ihren Bruder, zu ihr auf den Zweig hcrauf- zukommen. Kaum angelangl, warf sie ihm die Schlinge über den Kopf und stieß ihn vom Zweige ab, so daß er frei baumelte. Die zehnjährige Schwester erkannte sofort die Gefahr, in welcher das Leben des Bruders schwebte, drückte diesen wieder an einen Stamm, sodaß die Füße auf einen Zweig zu stehen kamen und befreite ihn. Da die beiden jüngeren Geschwister nicht mehr bleiben wollten, verließen alle drei den Wald und begaben sich auf den Heimweg. Die böse Mina führte hier die beiden jüngeren Geschwister an einen Teich und stieß den ahnungslosen Bruder hinein. Glücklicherweise war der Teich an der betreffenden Stelle ziemlich seicht, so daß der Knabe Grund faßte und sich wieder herausarbeitete. Das Schöffengericht zu Borsfelde hat gegen das Mädchen wegen des Diebstahls aus Gefängnisstrafe erkannt und es zur Verurteilung wegen der übrigen Strafthaten dem Landgericht Braunschweig überwiesen.
— Zerschneiden von 20 Pfennigstücken. Aus Hersfeld wird der „Tägl. Rdsch." geschrieben, daß dort beim kaiserlichen Post-
TotengestchtS zu schließen, das ihn im Geiste zwischen den Wasserlinien des Teiches hervor anstarrte. Noch war keine Kunde von Ernas Verschwinden zu ihm gedrungen. Es ward ihm immer beklommener, immer beängstigender zu Muth; schließlich begab er sich nach den Stallungen.
„Karl" fragte er seinen dort beschäftigten Burschen. „Sie trugen doch den Brief gestern nach Elgenhos?"
„Gewiß, Herr!"
„Ward Ihnen dort kein Auftrag an mich ?"
„Nein, Herr. Die Jungfer sagte, sie wolle den Brief gleich an Fräulein von Halden geben; sie sei bei Fräulein von Kortiö. Dieselbe habe das Unglück gehabt, in den großen Teich zu stürzen. Zum Glück konnte die junge Dame schwimmen, sonst wäre sie unzweifelhaft ertrunken, denn der Teich ist furchtbar tief."
Nölten glaubte zu träumen. Erna war gerettet, und Melanie las seinen Brief in deren Beisein. Dann war er verloren. Erna würde seine ganze Grausamkeit und Treulosigkeit verraten; sie würde erzäblen, wie seine Leidenschaft sie in deu Teich getrieben und wie er sie ihrem traurigen Schicksal überlassen habe. Nie, niemals wieder konnte er Melanie ins Antlitz sehen.
„Karl," befahl er nach kurzem Bedenken, „ich will mit dem Elf-Uhr-Zuge auf zwei dis drei Tage nach L . . fahren. Sorgen Sie dafür, daß der Wagen zur rechten Zeit ist." —
So kam es, daß er auf dem Bahnhof mit Herrn von Halden zusammentraf. Gern wäre er diesem aus dem Wege gegangen, aber der der alte Herr streckte ihm die Hand entgegen.
„Ihr Brief an meine Tochter hat uns sehr erfreut," sprach er. „Sie haben edel gehandelt, Nölten."
Dieser murmelte etwas zwischen den Zähnen; er wußte selbst nicht was.
„Sir fahren nach L . . ?" fuhr Herr von Halden fort. „In Geschäften wohl? Nun?" sprach er in leisem Tone weiter, „bei ollen Arrangements, welche sie treffen, be
amte in den letzten Tagen zur Einzahlung benutzte kleine silberne Zwanzigpfennigstücke die etwas abgenutzt oder in geringem Maße beschädigt waren, am Postschalter von dem Annahmebeamten einfach zerschnitten und nach dieser Entwertung den Einzählern zurückge- gebeu wurden. Von den Geschädigten ist der Beschwerdeweg beschritten. Es hat auch in dieser Angelegenheit bereits eine Versammlung von Beteiligten stattgefunden, in der beschlossen wurde, eine Eingabe an das Finanzministerium zu richten. Das Postamt soll zu diesem merkwürdigen Vorgehen dadurch veranlaßt worden sein, daß ihm von der Reichsbankstelle in Hanau eine große Anzahl solcher kleinen Zwanzigpfennigstücke ebenfalls in durch Zerschneiden entwertetem Zustande zurückgksandt wurde und der entstandene Schaden von den Beamten gemeinsam ersetzt werden mußte. Es ist die Meinung vorherrschend, daß es sich in dem vorliegenden Falle um eine vorsätzliche Beschädigung fremden Eigentums handelt und daß die Schalterbeamten kein Recht haben, Geldstücks deren Annahme sie glauben verweigern zu müssen, durch Zerstückelung zu entwerten.
halten Sie im Auge, daß wir ihre Besitzung schuldenfrei machen werden. Steigen wir ein, dann sollen sie auch hören, was mich nach L. - führt."
Und als der Zug sich in Bewegung gesetzt hatte, erzählte >er dem Baron von Ernas Verschwinden ans dem Schlosse.
„Harle sic irgend welchen Grund zu dieser Flucht?" fragte Nöllen mit farblosen Lippen.
„Nichts weiter, als die thörichte, romantische Idee, Melanie nicht ihres Vermögens zu berauben."
„So weiß sie davon?"
„Ha, erwiderte Herr von Halden, „meine Tochter hat es ihr gestern Abend verraten.
Darauf erzählte er von Ernas Unfall, und Nölten schlug bang das Gewissen, als er erfuhr, wie edel das Mädchen sich in Bezug auf ihn benommen hatte.
„Haben Sie irgend welchen Anhalt, wohin sie sich begeben haben kann?" fragte er.
„Wir vermuten, zu JameS Carew, meines Wissens, ihr einziger Bekannter, den st: in L .. . hat."
In L . . angelangt, trennten beide sich. Herr von Halden begab sich sofort nach Ca- rews Wohnung. Zu seiner großen Bestürzung mußte er hier jedoch hören, daß Carew von Erna fo wenig wußte, wie er selbst.
Nun machten sie sich gemeinsam auf, nach der Verlorenen zu suchen. Wohin konnte sie sich gewandt haben? Auf dem Bahnhof hatte Niemand eine junge Dame bemerkt, auf welche die Beschreibung von Erna gepaßt hätte.
Der Tag verstrich nun unter erfolglosem Suchen. Endlich kehrten beide Herren müde und enttäuscht in Carews Wohnung zurück. Doch schon vor der Thür stutzte Carew. Er täuschte sich nicht: die Stimmen, die er Vernahm, drangen aus seinem Wohnzimmer.
Von neuer Hoffnung erfüllt, öffnete er die Thür, doch nur mit einem Ausruf starrer Verwunderung wie ein Träumender auf der Schwelle stehen zu bleiben.
(Fortsetzung folgt.)
Pedakiton, Druck und B erlag von Beruh. H » sm » nn in Wildhad.