Wilde Wofe.
Novelle von Jenny Piorkowska.
(Nachdruck verboten.)
11 .
„Ich fürchte, ich störe eine interessante Unterhaltung," sprach Nölten lächelnd näher tretend.
„Sagen Sie lieber: eine Gardinenpredigt!" antwortete Erna, auf welcher fein Blick ruhte, leicht schmollend. „Melanie macht mir Vorwürfe, daß ich diese Bücher nicht so liebe, wie sie."
„Welche Bücher?"
„Alle! Ich hasse alle Bücher. Wenn ich einmal ein eigenes Heim habe, darf kein Buch darin sein."
„Wie aber, wenn Sie beispielsweise ein Haus mit einer schönen Bibliothek erbeten?" remerkle der Baron, indem er ihr gegenüber Platz nahm.
„So würde ich ein Freudenfeuer davon machen," lautete die schlagfertige Antwort.
„Das würdest Du wohl hübsch bleiben lassen, Kind," widersprach Melanie.
„Ja, vielleicht würde ich die Bücher zu Deinem Nutz und Frommen bewahren. Doch ich muß ausbrechen," fuhr Erna, aufstehend fort, „sonst denkt Frau Merlina, daß ich wieder sonstwo einen Besuch mache," fügte sie mit einem schelmischen Blick auf den Baron hinzu.
„Dein Schützling scheint sich nicht zu cultiviren," bemerkte Nölten, sobald die Thür sich hinter Erna geschlossene hatte, „sie ist wohl über das Alter, in welchem Erziehung noch möglich ist, hinaus."
„Durchaus nicht I" versicherte Melanie lebhaft. «Ich finde im Gegenteil, daß sie sich in dieser Beziehung sehr bessert."
„Lassen wir das Thema fallen,' antwortete Nölten in leicht gereiztem Ton. „Du hast, wie es scheint, eine ganz besondere Vorliebe für dieses — dieses Kind I"
Die Zeit verstrich und Weihnachten rückte heran. Herr von Halden hatte eine ganze Anzahl von Gästen auf das Schloß geladen um seiner Tochter recht frohe Festtage zu bereiten.
Frau Meeting und ihr Schützling trafen schon mehrere Tage vor dem Feste ein, um Melanie bei den nötigen Vorbereitungen de» hiflich sein.
Diese hatte recht gehabt. Erna hatte sich wirklich sehr gebessert; sie benahm sich jetzt ganz wie eine feine Dame. Sie machte geschmackvolle, elegante Toilette und war im klebrigen dieselbe: offen, heiter, anmutig und liebenswürdig wie anfangs. Nur hin und wieder noch durchbrach etwas von ihrer früheren Unwissenheit die starke Etikette.
Nölten war täglicher Gast im Schloß, und Erna, die ihn immer sehr gern gehabt hatte, begrüßte ihn stets mit besonders frohem Lächeln. Und wie dankbar war sie ihm da- sür, daß er sich nicht verächtlich von ihr abwandte, wie andere der Gäste, wenn sie sich einmal irgend einen Formfehler zu schulden kommen ließ.
Eines Morgens wurde beim Frühstück beschlossen, den klaren, kalten Wintertag zum Schiitlfchuhlausen auf dem nahen Teiche zu benutzen.
Nölten's Frage, ob Erna Teil nehme,
mußte diese verneinen, da sie sich nicht auf die Kunst des Schlittschuhlaufens verstehe.
„Ich kann auch nicht Schlittschuh laufen," mischte Melanie sich ein; „da werden wir zwei an den Teich gehen und den Anderen zusehen."
Nölten gesellte sich als dritter Zuschauer zu ihnen.
Als sie sich dem Schloßthor näherten, kam ihnen ein Herr entgegen, ein schlanker junger Mensch von feiner Erscheinung, ob- obwohl seine Kleidung eher ein ärmliches Aussehen hatte.
Eben öffnete Melanie die Lippen, um zu fragen, wer das sein könnte, als Erna einen Freudenruf that und mit auSgestreck- ten Händen auf den Fremden zueilte.
Die „wilde Rose" schien fast außer sich zu sein vor Entzücken.
„James, James, — bist Du eS denn wirklich?" rief sie jubelnd.
„Ja, Erna, ich bin es," entgegnete der Fremde in herzlichem Tone.
„O, wie freue ich mich, Dich wiederzu- sehcn!" anwortete Erna. „James Carew, mein ältester und bester Freund, Melanie! wandte sie sich zu dieser.
„Es freute mich» Sie persönlich kennen zu lernen," sagte Melanie, dem Fremden die Hand reichend. „Dem Namen nach sind Sie mir durch Erna's Erzählung längst bekannt."
„Sie find sehr gütig," erwiderte der junge Mann. „Ich sprach zuerst bei Frau Merling vor, dort wurde mir gesagt, daß ich beide Damen hier finden würde; darum erlaube ich mir, meine Jugendgesptelin hier aufzusuchcn."
„Sie kommen direkt von der Reise?"
„Ja, ich bin erst vor einer Stunde angekommen und habe in dem Gasthaus im Dorfe Logis genommen."
„Erna," wandte Melanie sich zu dieser, „Du thätest gut, mit Mr. Carew in das Haus zurückzukehren. Unsere Gäste sind, wie ich sehe, uns vorausgeciit. — Sie bleiben doch einige Zeit hier, Mr. Carew?"
„Auf circa vierundzwanzig Stunden," antwortete dieser.
„So lade ich Sie freundlichst ein unser Gast zu sein, Herr Carew. Erna wird Sie ins Schloß geleiten," sagte Melanie verbindlich. Auch stellte sie gleichzeitig Mr. Carew Herrn von Nölten vor.
Carew nahm die Einladung dankend an und schritt mit Erna nach dem Schlosse zurück. Als die Beiden einige Schritte fort waren, sagte Melanie: „Für Erna freue ich mich über den Besuch, denn ich glaube, die Arme hat in den letzten Tagen manche Kränkung erfahren müssen."
„Das ist war," gab Nölten mürrisch zu. „Die Damen sind eifersüchtig auf sie; sie — nun, sie paßt wirklich nicht in unsere vornehme Gesellschaft."
„Erna paßt in jede Gesellschaft," versetzte Melanie scharf. „Wenn die Leute wüßten, daß sie eigentlich Eigenthümerin von Elgenhof ist, würden sie und ich in der Leute Augen bald die Rollen wechseln," schloß Melanie mit Bitterkeit.
Und Dir ist nicht bange, von Deiner Höhe hcrabzustürzen?" fragte Nölten. „O, Melanie, sei vernünftig und überlege, was Du thust. Erspare es Erna, sie in eine Sphäre zu verpflanzen, in welcher sie ver
derben muß, und behalte Du Deine bisherige Stellung inne."
Melanie aber schüttelte ernst den Kopf.
Mir bleibt keine Wahl I" sprach sie.
Schweigend schritt Nölten neben ihr her, die widerstreitendsten Gefühle kämpften i>, seinem Innern. Ernste Sorgen lasteten auf ihm. Nur die Kunde seiner Verlobung mit der reichen Erbin hielt die Gläubiger fern. Daß Melanie's Verzichtletstung auf diesen Reichtum sein Ruin war, das wußte er allein. Und hierzu kam auch noch die traurige Erkenntnis, daß er die wirkliche Erbin der Vermeintlichen vorzog.
(Fortsetzung folgt.)
Verschiedenes.
— Soldatenwitz. Bekanntlich hat jedes Regiment seinen Spitznamen, der sich meist aus der Farbe der Aufschläge und den Achselklappen ergeben hat. So heißen die Soldaten des hesstcchen Regiments nach den gelben Achselklappen „Kanarienvögel" und werden beim Passieren anderer Truppenteile von diesen angezwitschert. Das war auch wieder der Fall, als das 117. und 118. Regiment letzter Zeit auf dem Griesheimer Sand bei Darmstadt zu Schießübungen zusammengezogen waren. Den Umstand nun, daß jüngst ein 117er nachts beim Postenstehen auf einem Außenwerk von Mainz eine verirrie Kuh mit 5 Schüssen tötete, als sie auf Anrufen keine Antwort gab, nahmen die 118er zum Anlaß, den 117ern „Muh, muh!" zuzurufen. Auch bezeichnen sie die 117er, welche den Namenszug der Großherzogin V. N. (Viktoria Melitta) auf den Achselklappen tragen mit „Vieh-Mörder!"
— Ein moderner Bäckermeister ist der Meister Kolb in Philadelphia. Alle Kollegen können von ihm lernen. Nicht nur, daß er jährlich 85000 für Zeitungsanzeigen ausgibt, er weiß auch sonst das Publikum anzulocken. Die ganze Front seiner Bäckers besteht aus Fenstern und so kann man von draußen die Arbeiten der Bäcker, das Kneten, Teilen, Einschieben des TeigeS u. s. w. genau beobachten. Da die Leute so gleichsam in Parade arbeiten, müssen sie alle auch in ihren Anzügen, Wäsche u. s. w. sich einer- besonderen Sauberkeit befleißigen und die ganze im elektrischen Lichte strahlende Bäckerei steht wie ein Schmuckkästchen im höchsten Maße appetitlich und einladend aus, so daß die in großen goldenen Buchstaben am Hause angebrachte Inschrift: „Sauberste Bäckerei im Lande, sehen heißt glauben", wohl ihre Berechtigung besitzt. Jedenfalls zieht daS interessante und neue Schauspiel namentllich abends, wenn die Bäcker in voller Tätigkeit sind, stets zahlreiche Zuschauer heran, von denen gewiß ein Teil auch als Kunden gewonnen wird. Diese Glasfront, meinte Kolb, koste zwar etwa 2000 ^ mehr, als die gewöhnliche Ziegelmauer, habe sich jedoch 10 mal bezahlt gemacht, weil das Publikum auf die Ware aufmerksam und die Bäcker an peinliche Sauberkeit gewöhnt werden.
Sinnstzruch.
„Die Schlange, die das Herz vergiftet, Die Zwietracht und Verderben stiftet, Das ist der widerspenst'ge Geist,
Der gegen Zucht sich frech empöret, Der Ordnung heilig Band zerreißt; Denn er ist's der die Welt zerstöret."
Redaktion, Druck und Verlag von Beruh. H » fm » nu in Wildhad.