Frau und Tochter stehen, hellerleuchtet, und ebenso das von dem Mädchenraum aus zugängliche Gastzimmer, in welchem flott der Becher kreiste. Hedwig bewirtete ihre Freundin Mina auS dem Bäckerladen und ihre beiderseitigen »Verhältnisse". Es wurde auch flott geraucht, natürlich alles auf Kosten des Hausherrn. Die braven Mädchen gestanden denn auch, daß ste seit einiger Zeit die Nächte hindurch zechten und radelten und daher am Tage Zeit genug hatten, müde und mürrisch zu sein. In diesem Dienstverhältnis hatte Hedwig allerdings zum letztenmale geradelt. Und auch das Bäckerfräulein soll sich „verändert" haben.
— Ein entsetzlicher Ungliickssall hat sich auf dem Ostbahnhof in Ganau vor den Augen zahlreicher Personen ereignet. Der im Aufsichtsdtenst auf dem Bahnhof anwesende Stationsasststent Vogel wurde in den Gleisen gehend und einen Moment die Vorsicht außer Acht lassend von einer vorbeifahrenden Rangiermaschine angestoßen, er fiel durch den Stoß zur Seite und zwar zu seinem Verhängnis gerade vor die Maschine eines einfahrenden GüterzugS, so daß der Köiper buchstäblich zermalmt wurde und
nur noch als eine formlose Masse unter den Rädern herausgezogen werden konnte. Vogel, der als pflichtgetreuer und vorsichtiger Beamter allgemein bekannt war, hinterläßt seine Frau und 3 Kinder.
— Eine waghalsige Fahrt. Vielleicht die sensationellste Vorstellung, die jemals ein Radfahrer dem Publikum vorführte, war die von Round, der kaltblütig über eine schwebende Brücke von nur 10 Zoll Breite und 80 Fuß Länge fuhr. Die Brücke, die den Hoosac River überspannt und nur von zwei Drahttauen gehalten wird, hat nur ein einziges Drahtseil als Geländer. Nachdem Round die Brücke passiert hatte, machte er Kehrt und legte den schmalen Pfad noch einmal zurück, um den Photographen Gelegenheit zu geben, ein Bild von ihm aufzunehmen. ES war eine aufregende Fahrt, denn bei der geringsten Abweichung von der geraden Linie wäre der Fahrer 100 Fuß tief in den gähnenden Schlund gestürzt. Die Thorheit die sich in diesem zwecklosen Wagnis offenbarte, kommt der Kühnheit des spleenigen Amerikaners jedenfalls mindestens gleich.
— Der neueste Hut Ein Hutmacher
im Westend Londons hat zur rechten Zeit eine großartige Erfindung gemacht. Es ist ein seidener Hut zum Tragen bei heißem Wetter. Der obere Teil dieses neuen Setden- hutes ist mit Filz oder Flanell überzogen. Ungefähr bis zur Hälfte ist der Hut oben ein Gazenetz, das geöffnet werden kann. Zu jedem Hut gehört eine Masse aus feinsten Pflanzenfasern. Diese wird ungefähr eine Stunde in einen Kühlapparat gestellt, wo sie Kälte einsaugt; dann wird ste in die obere Zelle deS Hutes gethan. Das Resultat ist, daß der Kopf des Trägers, „stundenlang kühl bleibt."
." (Abhilfe.) Gesucht wird von einem jungen strebsamen Arzt eine stark abgenutzte Plüschgarnitur für sein Wartezimmer.
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Wilde -Mose.
Novelle von Jenny Pivrkowska.
(Nachdruck verboten.)
7.
„Selbst um den Preis, — nein, Vater, nimmermehr würde ich das zugeben I" rief Melanie.
„Nun, kommt Zeit, kommt Rat," erwiderte Herr von Halden. „Vorläufig habe ich Nölten versprochen, die gewünschten Erkundigungen über Erna von Kortis einzuziehen; das bin ich Dir, sowie mir selbst schuldig, obwohl ich fest überzeugt bin, daß sie keine Betrügerin ist. Sie erhebt ja auch gar keine Ansprüche; sie weiß überhaupt nicht einmal, daß sie irgendwelche Anrechte an Dein Vermögen hat. Laß uns vor allem jetzt die beiden Briese lesen."
Der erste war von Mr. Blunt, dem Aevokaten. Außerdem, was Frau Merlirg Herrn von Halden bereits erzählt hatte enthielt das Schreiben nur noch die Mitteilung, daß Rudolph von Kortis bei einem deutschen Bankhaus 20 000 ^ für seine Tochter Erna deponirt habe, mit welcher Summe dieselbe suchen müsse auszukommen. Sollte sie in Not kommen, so möchte ste sich jederzeit vertrauensroll an ihn wenden.
Der zweite Brief war von Frau von Kortis an Frau Merltng gerichtet.
„Verehrte Frau I" lautete derselbe. „Einliegend sende ich Ihnen den Brief, den ich nach meines Mannes Tode offen in seinem Pulte fand. Ich habe ihn gelesen und werde gewissenhaft seinen letzten Wunsch erfüllen, so unaussprechlich schwer es mir auch wird, mich von meinem geliebten Kinde zu trennen, das ick wohl niemals Wiedersehen werde. Aber ich will nicht auch ihr Glück zerstören, wie ich ihres Vaters ganzes Dasein zu Grunde gerichtet habe. — Sollte ihr Großvater nock am Leben sein, so beschwöre ich Sie, ihm zu sagen, daß ich nicht ganz so schlecht war, wie er wohl geglaubt hat. Meinem unglücklichen Vater zu Liede nahm ich die mir gebotene Summe und versprach dafür, auf Rudolph zu verzichte«. Ich hatte es damit
auch aufrichtig gemeint; doch als ich ihn wiedersah, ward ich in meinem Entschluß schwankend und heiratete denjeuigen, der um meinetwegen alles aufgegeben hatte. Rudolph wünschte, ich sollte das Geld, welches ich von seinem Vater bekommen, zurückschicken, aber das hatte mein Vater indessen bereits verspielt. Da gab Rudolph mir den Betrag aus seiner eigenen Börse, und ich sandte es mit einem Brief an seinen Vater. Wir warteten lange auf eine Antwort, aber vergebens. Da schrieb Rudolph ein zweites, ein drittes Mal; er teilte seinen Eltern unsere Verbindung mit — alles umsonst. Tief gekränkt und entrüstet, that mein armer Mann nun keine weiteren Schritte mehr, seine Eltern auszusehnen. Da, nach Jahren, ward mein Vater sehr krank, und auf seinem Sterbebette gestand er, daß er das für Rudolphs Vater bestimmte Geld unterschlagen und für sich verwandt hatte, und aus Furcht entdeckt zu werden, hatte er dann auch Rudolphs Briefe aufgefangen. Diese Entdeckung konnte mein Mann nie verzeihen. Damals war es, als er an Sie schrieb und bald darauf verließ er mich, um niemals zurückzukehren. Vielleicht, wenn Sie seinem Vater unsere unglückliche Geschichte erzählen, vergiebt er seinem S»chne und nimmt unser Kind freundlich auf. Ich selbst werde bald allem Irdischen entrückt sein, doch für meine Erna flehe ich um seinen Schutz und seine Vergebung."
Der eingeschloffene Brief von Rudolph von Kortis war wenige Tage, bevor er San Francisco für immer verließ, geschrieben. Auf dem Couvert stand: „Nach meinem Tode abzuschicken" und das Schreiben selbst lautete:
„Meine liebe, alte Freundin! Sie, die ich als eitle der edelsten und gütigsten Frauen kenne, werden sich gewiß nicht weigern, die letzte Bitte Rudolph von Kortis, des einst von ihnen so verhälscheiien Knaben, zu erfüllen, Ich beschwöre Sie, seien Sie freundlich gegen mein einziges Kind, meine geliebte Erna. Versuchen Sie, ob es nicht möglich ist, ihren Großvater mit ihr auszusöhnen,
— falls er noch leben sollte. (Den Tod meiner teuren Mutter sah ich vor Jahren in einer Zeitung angezeigt.) Ist er aber tot und sein Vermögen in anderen Händen, so seien Sie großmütig und sorgen Sie dafür, daß mein armes Kind etwas lernt und irgendwo ein Heim findet, wo ste von der geringen Summe, die ich bei dem Unglück, das mich überall hin verfolgte, für sie zurücklegen konnte, zu leben vermag.
Hoffend, daß ste mir diese meine letzte Bitte nicht abschlagen, sendet Ihnen einen letzten Gruß Ihr ewig dankbarer Rudolph von KortlS.
P. S. Sollte Richard von Halden noch leben, so bringen Sie Erna zu ihm; sagen Sie ihm, daß ich mein Kind ihrer vereinten Fürsorge überlaffe, und bitten Sie ihn, auf ste ein wenig von der Liebe zu übertragen, die er für ihren unwürdigen Vater gehegt hat. Vielleicht vermögen ihr und sein gemeinschaftliches Bemühen, meinen Vater mit seinem verstorbenen Sohne auszusöhnen. Wenn er in Erna'S liebes Gesicht steht, kann er unmöglich unerbtlterlich bleiben. Sie können ihm sagen, daß ich das Vergangene aufrichtig bereue."
„Armer Rudolph I." sagte Herr von Halden mit bebenden Lippe», während er den Brief wieder zusammenfaltete. „Er war allzu leichtgläubig, zu arglos, zu großherzig! Welch' traurige Geschichte! Melanie, wir müssen recht liebevoll gegen dieses arme, vaterlose Mädchen sein!"
„Ich will sie wie eine Schwester lieben," erwiderte diese, während zugleich doch ihre Seele mit tiefem Weh wieder die bange Frage durchzuckte: ob Erna ste nicht für immer von dem Geliebten trennen würde?
(Fortsetzung folgt.)
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Redaktion, Druck und Verlag von Beruh. Hosmann in Wldbad.