dem sie ihn freisprachen, Gelegenheit, diesen löblichen Vorsatz auszuführen. „Nun bin ich verloren", rief die unglückliche Frau aus, als der Wahrspruch bekannt wurde. „Ich thSte wirklich besser daran, mich mit meinen Kindern sofort ins Wasser zu werfen.
— Ein Rennfahrer tm Augenblick des Sieges vom Schlag gerührt. Ein Telegramm ouS Sidrey meldet: Bei den gestern dort stattgehadten Radrennen ereignete sich eine erschütternde Szene. Dem Rennen wohnten mehr als zehntausend Menschen bei. Der bekannte australische Rennfahrer James Sommerville startete im Hauptrennen des Tages und setzie sich unter enormen Jubel der Zuschauer in der letzten Runde an die Spitze des Feldes. Er gewann mit einer halben Radlänge, trotzdem er zum allgemeinen Staunen kurz vor dem Ziel Lenkstange und Pedale loSgelassen hatte. Als Sommerville das Band passiert hatte, stürzte er kopfüber vom Rade und war eine Leiche. Ein Herzschlag halte ihn getötet.
Petersburg, 6. März. In einem gestern Abend nach Twinsk abgegangenen Personenzug ist ein Wagen 3. Klasse durch Explosion von Benzinballon verbrannt. 6Frauen
und 1 Mann sind getötet, 16 Personen wurden schwer verwundet ins Krankenhaus gebracht.
Budapest, 5. März. In der Gemeinde Bezdan ist eine ganze Gasse mit 30 Häusern und 60 Nebengebäuden niedergebrannt. Sehr viel Getreide, Pferde und anderes Vieh sind verbrannt.
Toulon, 5. März. Heute früh 2'/ü Uhr explodierte ein Pulvermagazin bei Toulon. Alle dort beschäftigten Soldaten wurden getötet. Die Explosion forderte auch zahlreiche Opfer unter den Bewohnern der Nachbarschaft. Die Zahl der Toten wird jetzt auf 60, die der Verwundeten auf 110 angegeben.
— Der Hungerkünstler Sueci wird dieser Tage in Mailand ein „Jubiläumsfasten" beginnen. Zum hundertsten Male wird er sich öffentlich im Hungern produzieren. Er verspricht diesmal ganz besondere TricS und Schaunummern. Daß diese Veranstaltung zu siande kommen kann, beweist, daß die Welt, wenn sie 99 Mal getäuscht worden ist, die 100. Täuschung auch verträgt. Succi nimmt sich selbst auch gar nicht zu ernst. Bei seinem letzten Schaufasten in Wien hat er, als er den Untersuchungen, welche dar-
thaten, daß er einige gute englische Beefsteaks zu sich genommen habe, nichts entgegenzu- setzen wußte, ruhig gesagt: „Wenn ich auch nicht ganz gefastet habe, so habe ich doch beinahe gefastet."
— Eine hübsche Bemerkung ans Kindermund erzählt der „Tägl. Rundsch." eine Leserin. Das sechsjährige Lieschen, das in der Schule zum ersten Male die Leidensgeschichte Christi erzählen hörte, kommt ganz ergriffen zu ihrer Mutter. Zur Veranschaulichung holt diese ihre Kunstmappe vor und zeigt dem Kinde erst die Abbildung von der Geburt Christi und dann den Christuskopf mit der Dornenkrone. „Ach I Mama, das ChristuSkind steht ja auö wie ein Baby, nur hat es schon ganz Helle Haare" (sie meint den Heiligenschein), bemerkt Lieschen bei dem ersten Bilde. Den Kopf des anderen betrachtet sie lange in Gedanken versunken. Der schmerzliche Ausdruck des Gesichtes, die einschneidenden Dornen und die Blutstropfen machen tiefen Eindruck. Ihre Augen füllen sich mit Thränen und ihre Mutter vorwurfsvoll anblickend sagt sie: „Aber Mama, wie hat sich der Herr Jesus so photographieren lassen können!"
Um Glanz und Ruhm.
Novelle von F. SutüN.
(Nachdruck verboten.)
17.
„Du verschweigst mir etwas, Deine Augen sind verweint I" rief die Mutter aufgeregt. „Was ist geschehen? Sage mir die Wahrheit, schone mich nicht, ich bin ja an das Leid gewöhnt. Georg ist kränker, nicht wahr?"
Hildegard kämpfte mit einem Entschluß. War es nicht doch am besten der Mutter gleich die volle Wahrheit zu sagen? Doch nein, der Doktor hatte so sehr vor jeder Aufregung gewarnt, die Mutter mußte erst vorbereitet werden, und vor Allem mußte sie jetzt beruhigt werden. „Es ist wirklich nichts Mama, beruhige Dich," stammelte Hildegard. „Komm laß uns hinein gehen, mich friert hier."
„Und Du hast wirklich keinen Brief?" fragte die Mutter noch einmal als sie jetzt in das Wohnzimmer traten.
„Nein, gewiß nicht," erwiederte Hildegard, und nahm ihr feuchtes Umschlagetuch ab.
„Du lügstI Hier ist der Brief!" ries die Mutter auf einmal, und haschie nach Hildegards Kleidertasche, wo beim Abthun des Tuches ein weißer Streifen des Brief- couvertS sichtbar geworden war.
„Mama, o Mama!" rief Hildegard in namenloser Angst. „Gieb ihn mir wieder I Der Brief, o Gott."
Die Mutter aber hatte die wenigen Zeilen Luisens schon gelesen. Mit einem gellenden herzzerreißenden Schrei brach sie zusammen. Hildegard schloß sie sanft in ihre Arme.
„ES ist nicht wahr, es kann nicht wahr sein, Georg solle tot sein, mein fröhlicher, lebenslustiger Georg. Niemals wieder sollte ich seine Stimme hören, niemals wieder sein hübsches, heiteres Gesicht sehen." — Mit leiser seltsamer Stimme murmelte Frau von Dahlberg diese Worte, während sie mit geschlossenen Augen in Hildegards Armen ruhte.
Plötzlich fuhr sie auf. — „Es ist ja
so dunkel, so schaurig dunkel um uns herum. Warum bringst Du kein Licht, Hildegard, ich muß ja den Brief lesen, von dem Luise schreibt, den Brief von ihm, meinem armen heißgeliebten Georg I"
Ein namenloser Schreck durchzuckte Hildegard bei diesen Worten, mit einem irren Blick starrte sie in die Augen ihrer Mutter.
— Gott im Himmel, war ^das Entsetzliche wirklich geschehen? Hatte der Schreck, die Aufregung, der Mutter den letzten Rest des Augenlichts geraubt. — Und wer trug die Schuld — sie, sie allein! Sie hatte nicht genug Vorsicht beobachtet, mit ihren verweinten Augen, ihrem verstörten Gesicht war sie ihr gegenübergetreten; statt daß sie erst Ruhe und Fassung zu erringen gesucht hätte.
Laut aufschluLzend warf sie sich auf die Knie und barg das Anllitz in dem Schooß der Mutter.
„Du kannst noch weinen, Du hast noch Thränen," sagte diese und tastete mit zitternden Händen nach ihren Augen. „Sie sind trocken
— keine Thräne — und Alles so finster
— diese Finsternis, was ist es! O, Gott
im Himmel —-—
„Jetzt weiß ich eS I Ich bin blind — blind I" rief die Generalin. „Hildegard, sage mir, es ist noch hell im Zimmer, es ist ja erst Nachmittag. Oder schwand alles Sonnenlicht aus der Welt, da mein Liebling heimgegangen l" —
,O meine arme, arme Mutter", stöhnte Hildegard.
„Beruhige Dich, Kind, ich werde dieses neue Unglück nur kurze Zeit tragen, dann wird auch mich der Tod erlösen' dann wird cs wieder hell, dann sehe ich Georg wieder. Komm, steh auf, lies mir seinen Brief vor."
Mit von Thränen erstickter Stimme begann Hildegard Georgs Brief zu lesen:
„Meine teure Mutter I Die letzten Stunden nahen, meine Gedanken fliegen zurück in ferne, längst vergangene Zeiten. Ich sehe Dich so lieb und gut an Deinem blumengeschmückten Fenster sitzen in dem kleinen, trauten Boudoir. Auf Deinem Schoße da liegt das lockige Haupt eines wilden, fröhlichen
Knaben. Deine sanfte Hand streicht mir die Locken aus der heißen Stirn. Mein Georg, mein Herzenskind, höre ich Deine geliebte Stimme so zärtlich zu mir sagen, wie cS eben eine Mutter vermag!
O Mutier, Mutter I wo sind sie geblieben, jene sonnigen Tage. Alles, Alles ist dahin. Dein Georg, Dein wilder Liebling — ein bleicher, sterbenskranker Mann ist auS ihm geworden, der Dir seine letzten Grüße sendet. — Traure nicht um ihn, mein Mütterchen, ihm ist wohl, wenn Du diese Zeilen liest. — Es war ihm noch vergönnt, einen letzten schönen Frühling zu verleben an der Seite seiner heißgeliebten Gattin. — Unsere Liebe trug uns empor, hoch über alles Erdenleid. Wir waren glücklich, nicht in dem Sinn, wie es andere Menschen sind. — Ein Hauch des Ueberirdischen lag über unserem Glück. — Nun ist es vorüber, nun kommen die dunklen Slunden. — Leb wohl mein Mütterchen, lebe wohl Hildegard I — Es kommt ein Tag des Wiedersehens. — Lebt wohl! Lebt wohl! Meine Kraft ist zu Ende! — Euer Georg!"
Es war totenstill im Zimmer, als Hildegard das Lesen des Briefes geendet hatte. Draußen hatte sich der Himmel wieder verfinstert, Regentropfen schlugen an das Fenster. Die Generalin hatte sich den Brief geben lasten, ihre glanzlosen, starren Augen ruhten wohl darauf, aber kein einzig Wort vermochte die Aermste zu entziffern. Hildegard hatte den Kopf in beide Hände vergraben und ließ ihren Thränen freien Lauf. Alles Hoffen aus bessere Tage, das noch in ihrem jungen Herzen gelebt, es erstarb in dieser trauervollen Stunde.
Da trat der General mit seinem schweren, harten Tritt in das stille Zimmer.
„Habt Ihr einen Brief von Georg bekommen?" fragte er, als er den Brief in den Händen seiner Frau erblickte. Bei dem Klang seiner Stimme kam Leben in d«S Antlitz der Generalin.
(Fortsetzung folgt.)
Redaktion, Druck und Verlag von Beruh. Hosamnn in Wildhad.