Rundschau.
Stuttgart, 4. Jan. Die K. landwirtschaftliche Akademie Hohenheim wird mit Ge» nehmigung des K. Ministeriums des Kirchenlind Schulwesens in den Tagen vom 6.—11. Februar 1899 einen Kursus für praktische, entsprechend vorgebildete Landwirte abhalten. (Das Nähere über diesen Kurs , insbesondere über die dabei gebotenen Vorträge, ist zu ersehen aus dem im „Würtlembcrgischeu Swais- anzeiger" Nr. 1 und im „Württembergischen Wochenblatt für Landwirtschaft" Nr. 3 ergangenen Ausschreiben.) Zu eingehender Auskunft ist die Akademiedireklion gerne bereit.
Stuttgart, 4. Jan. (Tödlicher Unfall.) Gestern vormittags fiel aus dem dritten Stock eines Hauses der Paulinenstraße ein 2'/r Jahre altes Mädchen auf das Trottoir herab und war sofort tot.
Neckarsulm, 3. Jan. Durch ein uner- hoffteS Neujahrsgeschenk wurden am vergangenen Montag die Arbeiter der hiesigen Fahrradwerke, A.-G., angenehm überrascht, indem anläßlich der Feier des 25jährigen Bestehens der Fabrik der Betrag von 4000 Mark unter dieselben verteilt wurde.
Calw, 4. Jan. (Personalnotiz.) Heute früh starb unerwartet schnell an einem Schlaganfall in einem Alter von 65 Jahren der Chef des altbekannten Hauses Staelin und Söhne. Der Verstorbene Carl Staelin fr-, einer alten Patrizierfamilie enstammend, leitete mit großer Umsicht zwei Baumwollspinnereien, ein Holzhandel- und Bankgeschäft. In Handels- und Gewerbekrcisen genoß er großes Ansehen und vermöge seines einfachen, bescheidenen Wesens und seines hochachtbaren Charakters war er bei der hiesigen Einwohnerschaft sehr beliebt. Mit ihm ist ein Ehrenmann im vollsten Sinne des Wortes aus dem Leben geschieden.
Horb, 3. Jan. Auf der Station Schopfloch ereignete sich gestern nachmittag ein schwerer Unfall. Eine Frauensperson, die nach Calw fahren wollte, glaubte schon in Hochdorf zu sein, wo sie Wagenwechsel batte, stieg rasch auS dem wieder im Lauf befindlichen Eisenbahnzug aus, wobei sie zu Fall kam und ihr beite Hände abgefahren wurden. Ein anwesender Arzt leistete sofort die erste Hilfe.
Ulm, 4. Jan. (Ungetreuer "Genosse.") Der Maler Frey, Geschäftsführer für das sozialistische GenoffenschaftSunternehmen zum „Weißen Roß" in Ulm ist nach Unterschlagung eines größeren Betrags heute flüchtig gegangen und wird steckbrieflich verfolgt.
Drontheim, 5. Jan. Vergangene Nacht äscherte eine Feuersbrunst 10 Häuser ein. 4 Personen kamen in den Flammen um. 300 Menschen sind obdachlos.
Staufen, 2. Jan. Landwirt Slick wurde beim Ausheben von Schutt von herabsallen- den Erbmassen überschüttet, so daß der Tod sofort eintrat.
Pforzheim, 5. Jan. Ein grancuhafteS Bild der Verwüstung bietet die westliche Seite unseres Hauptbahnhofes; dort ist der heute morgen 4 Uhr 30 Minuten von Karlsruhe kommende Güterzug entgleist, wobei 25 Wagen total zertrümmert wurden, zwei derselben wurden mitten durchgeschnüten, die Signal- masten und die neben dem Fahrsteig liegenden Geleise weit auseinandergebogen. Die Maschine, welche sich bis an die Cylindcr in die Erde gewühlt hat, ist dicht neben dem
Weichenhaus zum Stehen gekommen. Der
Verkehr mit Karlsruhe ist vollständig unterbrochen und wird voraussichtlich heute nicht wieder hergcstellt werden können.
Durlach, 4. Jan. Der um 12 Uhr 37 Min. von Frankfurt hier eintreffende Schnellzug schwebte heute in großer Gefahr. Kurz vor dem Bahnhof in Durlach befand sich beim Einlaufen des Zuges ein beladenes und mit einem Pferd bespanntes Lastfuhrwerk auf den Schienen. Im lrtzien Moment riß der dienstthuende Weichenwärter den Wechsel herum, so daß der heranbrausende Zug auf ein anderes Geleise einfuhr, wodurch die Gefahr glücklich abgewendet wurde.
Philippsburg, 2. Jan. Der Arbeiter D. Zimmermann aus Rheinsheim wurde beim Fällen einer Pappel von dem umstürzenden Baum erschlagen. Eine Witwe und 9 Kinder betrauern den Tod ihres Ernährers.
— Einen bemerkenswerten Erlaß des Kaisers über die Verdeutschung einzelner FremdauSdrücke in der Armee bringt das Kriegsministerium zur öffentlichen Kenntnis. Der Erlaß hat folgenden Wortlaut:
„Um die Reinheit der Sprache in Meinem Heere zu fördern, will ich bei voller Schonung der Ucberlicferungen auf dcu mir gehaltenen Vortrag bestimmen, daß von jetzt ab nachstehende FremdauSdrücke durch die neben- angcsührten deutschen Wörter zu ersetzen sind : Offizier-Aspirant (im ak- Fahnenjunker tiven Dienststarte)
Portepöe Fähnrich Sekond-Licutenant Prcmierlieutenant Obcrstlieutenant, Gene- rallieulenant Charge Funktion Avancement Eucicnnität
An Stelle der Bezeichnung „etatsmäßiger Stabsoffizier" sind künftig dem Dienstgrade die Wote „beim Stabe" hinzuzufügen, so daß es heißt statt zum Beispiel:
Oberstlicutenant oder Oberstleutnant oder Majorundetatsmßi- ger Stabsoffizier im Infanterie- u. s. w.
Regiments . . .
In derselben Weise sind bei den von der Stellung als Batteriechefs entbundenen ältesten Hauptleulen von Feldartillerie-Regimen- tern und den den Pionier-Bataillonen zugeteilten 2 Stabsoffizieren und ältesten Hauptleuten neben dem Dienstgrade künftig die Wort? „beim Stabe des." Hin
flügen.
Fähnrich Leutnant Oberleutnant Oberstleutnant, Generalleutnant Dienstgrad Dienststellung Beförderung Dienstaltcr
Major beim Stabe des Infanterie- u. s. w. Regiments
— Schreckliches Neujahr. Ein schwerer Unglücksfall, der den Tod eines blühenden Menschenlebens und gefährliche Verletzungen für drei andere Beteiligte zur Folge hatte, ereignete sich am NeujahrStage in Hamburg. Am Abend dieses Tages war im Hause des Spiegelfabrikanten I. Gropler, Mühlenstraße 34 I. eine gemütliche Gesellschaft vereint, um den Neujahrstag festlich zu begehen. Plötzlich stürzte die an der Decke mit einem Haken befestigte Petroleumlampe herab, fiel auf den Tisch, an dem sechs Personen saßen und explodierte. Das ausströmende Petroleum bildete sofort ein Flammenmeer, das die am Tisch Sitzenden, den Buchdruckerei- besttzer Wilh. Haase, Rödingsmarkt, den 13jährigen Karl Gropler, dessen Vater und einen Herrn Namens Herbst ergriff und ihnen schwere Brandwunden beibrachte. Urn
InS Freie zu gelangen, flüchteten Haase und Herbst nach dem zur Straße führenden Fenster und schwangen sich von dort heraus. Herbst, einem gewandten Turner, glückte das Unternehmen, indem er an der Regenrinne hernnlerglitt. Haase blieb dagegen, bei dem Versuch abzuspringen, am Fensterhaken hängen ; er versuchte dann sich frei zu machen und stürzte nun auf die Stufen des Treppenauf- gangö, wo er bewußtlos liegen blieb. Leider gelang es nicht, den Bewußtlosen ins Leben zurückzurvfcn. Schon nach kurzer Zeit hauchte Haase seinen Geist aus. Inzwischen war eaS Feuer bereits von den Hmisnachbarn gelöscht.
Bremen, 3. Jan. Gestern nachmittag 3 Uhr brach in den an der großen Allee Nr. 13 und 14 belegenen Packhäusern Feuer aus. Besonders betroffen wurde das Pack- Hans der Tabakfirma Jungk und Holder, deren Lager für 1,000,000 ^ bei verschiedenen Firmen versichert war. Der Schaden wird auf 75 Prozent geschätzt. Das Feuer wurde auf seinen Herd beschränkt. Die gefährdeten umliegenden Packhäuser wurden verhältnismäßig wenig beschädigt.
— Der Scharfrichter von Frankreich. Scharfrichter Deibler will nun cndgiltig in den wohlverdienten Ruhestand treten I Er ist 76 Jahre alt und blickt auf 38 Dienstjahre, wovon 20 als Scharfrichter Frankreichs zurück. Er war der Gehilfe und wurde später der Nachfolger des Scharfrichters Roch. Driblers jetziger Gehilfe und zukünftiger Nachfolger ist sein Sohn. Der Gehilfenposten soll in Wegfall kommen, weil die Hinrichtungen nicht mehr so zahlreich sind. Deibler bezieht ein festes Gehalt von 6000 Fr. Da, zu kommt eine jährliche Entschädigung von 10,000 Fr. für die Instandhaltung der Guillotine und die Miele eines Raumes für sie. Die Reisekosten bezahlt der Staat. Hierfür sind jährlich 60 000 Fr. ausgesetzt. Deibler hat dem Staate in 20 Jahren nicht weniger als 1,200,000 Fr. gekostet. Auf jede der 52 Hinrichtungen, die Deibler aus- führle, kommt eine Durchschnittssumme von 23,000 Francs. Die erste Hinrichtung, die Deibler vornahm, war die des Vatermörders Lantz am 2 April 1882 in Versailles. Unter den von ihm Hingerichteten b,finden sich die Anarchisten Ravachol, Vaillant, Emile Henry und Caserio, der Mörder Carnots, sowie der Champignonzüchter Carrara. Deiblers Frau ist die Tochter des algerischen Scharfrichters Raßneuf, die er heiratete, als er noch Scharfrichter in der Bretagne war.
Palermo. (Eine gepfändete Bahn.) Die Eisenbahn Palermo-Corleone wurde heute von dem Struereinnehmcr gepfändet. Die Bahn ist 60 Kilometer lang und Eigentum einer Aktiengesellschaft. Sie führt von Pa» lermo nach dem Innern der Insel. Seit 10 Jahren bezahlte die Aktiengesellschaft keine Steuern mehr. Dank der Verwendung einflußreicher Abgeordneter hatte man ihr die Steuerschuld immer und immer wieder gestundet, bis sie auf 235 000 Lire ange, wachsen war. Jetzt endlich riß der Regiere ung die Geduld. Heute früh wurden gleichzeitig alle Stationsgebäude der Bahnstrecke gepfändet, und Beauftragte des Steuereinnehmers nahmen an den Fahrkartenschaltern Platz. Der Betrieb der Dahn wird aufrecht erhalten, aber der Steuernehmer beschlagnahmt alle Betriebseinnahmen, bisseine Fordrrung gedeckt ist,