In der neuen Wett.
Roman von P. Olleverio.
(Nachdruck verboten.)
1. Kapitel.
Christa's Erzählung.
War es Mai oder Juni, als wir Deutschland verließen? Ich glaube Juni, denn ich weiß, daß ich am 28. April 20 Jahre geworden war und mein Geburtstag mehr als einen Monat zurück lag, als wir uns in Hamburg einschifften.
Oskar würde lachen, wenn er wüßte, daß ich, deren gute« Gedächtnis Jeder bewundert, ein so wichtiges Datum gänzlich vergessen habe; aber es ist, bevor wir noch lange hier in Neuseeland waren, so viel geschehen und mir war, als ob ich in wenigen Monaten so viele Jahre älter geworden wäre, daß Alles, was jenseits des Meeres lag, wie in nebelhaftem Schatten verschwamm.
Lag ich wirklich in dem großen altmodischen Schlafzimmer eines Mecklenburger Päch- ' terhauscs und hörte die Krähen in den hohen, kahlen Bäumen schreien? Selbst die Tapete — große Sträuße von Stiefmütterchen auf gelbgrauen Grund — taucht vor nur auf, während ich fchreibe, und wenn ich mich weiter in dem Zimmer umsehe, erblicke ich Gertraud in ihrem weißen Bett mir gegenüber, die eine Hand unter dem Kopf, wo das üppige Haar den Fesseln des Netzes, welches sie trug, zu entrinnen strebt, die blauen Augen nur halb geöffnet, als ob sie zwischen Wachen und Träumen lägen, wobei ihre Lippen leise „Christia" rufen.
Die Mutter war uns schon vor so langer Zeit gestorben, daß sie nur noch als eine füße Erinnerung unserer Kinderzeil in uus lebte, und mein Vater starb, als ich noch ganz klein war.
So blieben wir drei Geschwister, Oskar, Gertraud, Christa Leonhard allein zurück. Oskar sorgte brüderlich für uns, und als er Ich verheiraiete, gab er uns in seiner Frau eine älure Schwester.
Obgleich das Alles wie ein Traum hinter mir liegt, erinnere ich mich doch deutlich des Tage«, als wir zum ersten M^x Brautjungfern waren und Gertraud in ihrem weißen Kleid und dem Vergißmeinnichtkranz in dem prächtigen Haar so bestrickend schön aussah, daß ein junger Förster, welcher der Trauung beiwohnte, ihr acht Tage darauf einen Hei- ralsantrag machte und erst nach hartem Kamps begriff, daß ihr entschiedenes „Nein" wirklich als solches zu nehmen war.
„Ich werde einmal einen reichen Mann heiraten," pflegte sie damals zu sagen, wobei sie den schönen Kopf wohlgefällig zurückwarf, „und dann, Christa, sollst Du immer bei mir leben und mir das Haar frisieren, denn das versteht Niemand so gut wie Du. Und sobald ich meiner schönen Kleider und Hüte überdrüssig bin, sollst Du Je haben, und Bücher, soviel Du willst und ein Pferd zum Reiten, dann wirst Du sehr glücklich fein"
Ach, das Alles dünkt mich so lange her, und nicht allein das wirkliche Meer, sondern auch ein Meer von Thräne», Schmerz und Leidenschaften liegt zwischen jenen Tagen und dem heutigen. Gertraud ist. — ja, wo ist sie? Und ich sitze träumend da und starre in'S Leere, das Gesicht feucht von Thränen.
Fanny, die Frau meines Bruders, nannte
uns immer ihre Kinder, da sie wie Oskar bedeutend älter war als wir. Sie zeigte sich uns in der That wie eine sorgende Mutter, und als der erste Gedanke an Auswanderung laut wurde, erklärten wir Beide entschieden, daß, wohin Fanny auch ginge, wir ihr folgen würden und thun, was in unseren Kräften stände, um ihr das Leben in der neuen Heimat so leicht wie möglich zu machen.
Oskar war leider für keinen bestimmten Beruf erzogen worden, und als er sich verheiratete, merkte er, daß seine Mittel nicht ausreichten, ein so behagliches Leben zu führen, wie er wünschie Die Briefe eines Freundes in, Neuseeland brachten ihn zuerst auf den Gedanken, dort sein Glück zu versuchen und nach reiflichem Erwägen wurde beschlossen, daß wir im kommenden Frühjahr uns nach Neuseeland einzuschiffen gedachten.
Die Reise war für Gertraud und mich eine herrliche Zeit. Wir hatten nichts weiter zu thun, als unS zu amüsieren und alle Welt war sehr liebenswürdig gegen uns. Kein Schatten trübte unsere fröhlichen Gemüter, Alles war Licht und Sonnenschein.
Das einzige wichtige Ereignis auf der Reise war, daß Gertraud sich durchaus mit einem jungen Manne verloben wollte, der sterblich in sie verliebt war. Wir dagegen wollten die Verlobung durchaus nicht zu- grben, weil der junge Monn ein großer Taugenichts zu sein schien und wahrscheinlich wegen schlechter Streiche von seinen Eltern nach Amerika geschickt wurde. Das kostete Fanny einige Thränen und Gertraud geriet in Aufregung.
„Warum sollte ich ihn nicht heiraten?" rief sie. „Ich würde stets gut und freundlich mit ihm sein, und als mein Mann würde er sich bessern."
Aber aus dieser Verlobung wurde doch nichts.
Uns in der neuen Heimat einzurichten, war anfangs eine schwere Aufgabe; es gab so viel zu thun, und wir wußten herzlich wenig, wie es zu thun war, aber all' unsere Nachbarn — die nächsten wohnten eine halbe Stunde entfernt und bis zur nächsten Stadl waren es über vier Stunden — zeigten sich in jeder Weise freundlich und gefällig. Besonders die Junggesellen, welche damals Dreiviertel der Bevölkerung um uns herum bildeten, waren mehr als freundlich, manchmal fast zudringlich in ihrer Höflichkeit.
Oskar schall mitunter darüber und meinte: „Ich bin ein unglücklicher, beklagenswerter Mann, der drei hübsche Frauenzimmer in Obhut hat! Das wird ein schönes Leben für mich werden I"
Gertraud jedoch, welche durch die letzte Liebesafsaire und deren plötzliches Ende etwas eingeschichtert war, zeigte sich stets auffallend zurückhaltend, und meine Natur war dies stets gewesen.
Eines Abends, eS mochten wohl 4 Wochen vergangen sein, seit wir unser neues Heim bezogen hatten, befand ich mich in der Küche und half Marie, unserem unerfahrenen deutschen Mädchen, den Thee bereiten. Fanny war nicht wohl unv hatte sich niedergelegt, und Gertraud war in ihrem Zimmer. Da plötzlich vernahm ich auf der Veranda Oskars Stimme im Gespräch mit einem Fremden. Gleichzeitig rief Fanny auch nach ihrem Thee und bat mich, Oskar zu ihr zu schicken.
Nun hatte ich mich bei meiner angebore
nen Schüchternheit noch nicht von der Aufregung erholt, in welche die täglich neuen Männergesichter mich versetzten, und ich eilte daher, Gertraud herbeizurusen.
Sie saß vor dem Spiegel und betracht, te darin ihr hübsches Gesicht. Sie trug ei» Kleid Von weichem, blauen Wollcnstoff, der der das liebliche Weiß und Rot ihres Gesichts wie das leuchtende Gold ihres Haares ungewöhnlich schön hervorhob.
„Ich soll Oskar holen, sagst Du, Christa entgegnele sie auf meine Bitte. „Warum thust Du es nicht selbst? Ach, es ist wieder ein fremder Herr da? Wie sie uns überlaufen, nicht? Gut dann, ich werde zurückhaltend sein."
Als ich später in das Eßzimmer kam, plauderte sie mit Herrn AuSbacb, — so hieß der Fewde, ein Deutscher — als ob sie ihn von Kind an gekannt hätte. Er war ein Mann von mittlerer Größe, ziemlich braun gebrannt, breitschulterig, mit einem Kopf voller braunen Locken und Manieren, welche verrieten, daß er sich weit mehr in der gute» Gesellschaft bewegt hatte, als all'die Anderen, deren Bekanntschaft wir bisher gemacht.
(Fortsetzung folgt.)
Verschiedenes.
— Glücklich ist der Gedanke zu nennen, den alltäglich benutzten Abreißkalender in Verbindung zu bringen mit Plakaten, welche Verhaltungsmaßregeln, Ordnungs- u. Sichcr- heitsvorschriften und dergl. enthalten. Julius Fiedler in Grünberg in Schlesien ist der Schöpfer dieser Neuerung, welche er sich unter Gebrauchsmusterschutz stellen ließ. Nicht nur in gewerblichen Räumen ist die Anbringung der neuen Plakate von Vorteil, auch im Haushalte dürften sie manches Gute stiften. In letzterem Falle enthalten die Plakate nach einer Mitteilung des Patent- und technischen Bureaus von Richard Lüders in Görlitz zweckmäßig Vorschriften über Verhütung von Branbunglück, Verhaltungsmaßregeln bei Verbrennungen oder ähnliches. Durch die tägliche Benützung des Abreißkalenders wird jedermann auf den Inhalt des Plakates immer und immer wieder aufmerksam gemacht und der Endzweck ist erreicht, wenn dieser Inhalt schließlich allen in Fleisch und Blut übergegangen ist, so daß jeder aus Gewohnheit darnach handelt.
— Einen Sträfling seltener Art besitzt
Amerika. Im Staaiögefängnis von Connecticut sitzt ein Sträfling NamenS John Henry Davis, der nach 14jährigem Studium alle Dramen Ehakespeare's auswendig kann. Ein Geistlicher des Gefängnisses, der eben von Stratford on Avon zurückgekommen war, hatte sein Interesse für Shakespeare geweckt. Davis besitzt fast alle klassischen Ausgaben des großen Dramatikers und steht mit -den hervorragendsten Shakespearekennern in Briefwechsel. Seine Lieblingstragödie ist Hamlet und mit Sehnsucht erwartet er den Tag seiner Befreiung, nur um sich nach England begeben und Stratford besuchen zu können. Die „Jndöpendance Belge" nenn! als Gegenstück zu diesem Original den Insassen eines Irrenhauses bei Genf, der ein Pjalmenbuch auswendig gelernt hat und aus Verlangen jeden beliebigen der 123 Hymnen, die in dem Buche stehen, hersagen kann.
.'. Gast: „Kellner, wo ist kenn die Sauce zu dem Roastbeef?"—Kellner: Drunter Herr I
Redaktion! Druck und Verlag von Beruh. Hosmgnu i« WUtzhad.