AufderIrrsahrtdes Lebens.
Roman nach dem Englischen von Jenny Piorkowska.
(Nachdruck verboten.)
13 .
Nur mit Mühe kamen sie auf dem dichtgedrängten Hafendamm vorwärts. Die See war still und ruhig, nur ein leiser Wind schwellte leicht die Segel. Mehr als dreißig Boote waren bereits ausgelaufen und belebten die Scelandschaft; und die Morgensonne beleuchtete hell ihre Segel, wie sie so über die glatte Fläche dahinglitten. Fräulein Saxon- bltty arbeitete sich langsam durch die Menschenmenge, als ein plötzliches Krachen und Lärmen und ein heftiges Drängen nach dem Damm irgend ein unvorhergesehenes Ereignis ankündigle.
Der „Delphin" war beim Verlassen des Hafens durch irgend einen Unfall, an welchem keinem der an Bord Befindlichen die Schuld beizumessen war, gegen das Ende des Dammes gestoßen. Der Schiffsjunge Paul wareinen Augenblick am Ruder gewesen: hatte er vielleicht die Richtung des Schiffes absichtlich geändert?
„Was ist geschehen?" fragte Maria einen neben ihr stehenden Fischer, als sich die Aufregung etwas gelegt hatte.
„Nichts von Bedeutung, wie mir scheint; doch werden sie wohl umkehren und bis zur Abendflut warten muffen."
„Guten Morgen, Maria, Du bist heute früh auf," erklang jetzt eine Stimme.
Die Angeredete wandte sich rasch um und sah sich Sir Dork gegenüber. Auch er hielt sich für einige Z-it hier aus, ohne Zweifel hauptsächlich um ihretwillen. Vielleicht wartete er nur die Gelegenheit ab, ihr das zu sagen, was er ihr schon vor Jahren hatte sagen wollen.
„Wir wollen dir Schiffe auSlausen sehen," sagte sie, ihm die Hand reichend.
„Ich hätte kaum geglaubt, daß ein paar armselige Fischerboote so viel Anziehungskraft haben könnten, eine junge Dame so früh aus dem Bett zu locken."
„Oh, sieh' doch die vielen Engländer, fast Alle, die wir kennen, sind hier. Es ist ein Anblick, der sür die meisten von uns den Reiz der Neuheit hat."
„Wie ich sehe, hat Deinem Freunde, dem jungen Jansen, schließlich der Mut nicht gefehlt," sagte er spöttisch. „Für einige Zeit wären wir ihn nun los."
„Für lange Z il vermutlich," cntgegnete sie in anscheinend völlig gleichgültigem Tene. „Bei seiner Rückkehr werden wir wahrscheinlich nicht mehr hier sein."
„Das hoffe ich. Ich wundere mich überhaupt, was Lady Soxonbury veranlaßt haben kann, Dich hierher zu bringen, und daß sie eS so lange hier aushält."
„Henry'S wegen bleibt sie hier, damit er gründlich französisch sprechen lerne."
„Und dazu schickt sie ihn in eine Schule, wo er mit einem Dutzend Engländern zusammen ist," sagte Aork, „und selten ein Wort französisch spricht."
Beim Verlassen des Dammes wurde Maria sowohl von Dork wie ro» dem ihr folgenden Diener getrennt, und als sie mit Henry durch das alte Thor schritt, kamen drei Knaben, die alle größer waren als jener auf Henry zu und sprachen mit ihm. Es
schien sich um irgend ein Vergnügen zu handeln, denn mit funkelndem Auge und strahlendem Gesicht wandte er sich seiner Schwester zu.
„Maria, darf ich angeln gehen?" frug Henry plötzlich.
„Angeln, nein! Du würdest Mama in die größte Angst versetzen. Du weißt, sie erlaubt Dir nie an das Wasser zu gehen."
„Da ist keine Gefahr, Fräulein Saxon- bury," sagte einer der Knaben, „wir fahren mit einem Boot ein Stück den Canal entlang, landen dann und angeln. Da kann ihm nichts geschehen."
„Ich darf cs ihm keinenfalls erlauben," antwortete Maria; „er kann Mama fragen, wenn er will, obgleich ich sicher bin, daß es nutzlos ist."
„Oh, ich darf nie das thun, was ich will," sagte Henry ärgerlich; und mürrisch ging er mit seiner Schwester weiter, bis sie an die Straßen kamen.
„Nun will ich in die Schule gehen," sagte Henry.
„Du hast ja noch nicht gefrühstücki," entgegnete Maria.
„Das ist Deine Schuld, warum bleibst Du so lang: auf dem Damm; ich mag nicht als zu spät gekommen verzeichnet werden. Also Adieu!"
„Adieu," gab sie ihm zurück, seiner Worte kaum achtend, denn im selben Augenblick kreuzte Jansen die Straße und sie vergaß darüber alles Andere.
Als man sich um sechs Uhr zu Tisch setzte, wurde Henry vermißt. Lady Soxon- bury glaubte, er werde in der Schule zurück- gehalien — etwas durchaus nicht Ungewöhnliches — und fing in sehr übler Laune zu >ssen an.
Sie fragte Johann, wann Henry nach dem Frühstück w>eder in die Schule gegangen wäre, da sie und Maria zu der Zeit ausgewesen waren.
„Er ist überhaupt nicht wieder nach Haus gekommen," lautete die Antwort.
Lady Soxonbury war entrüstet.
„Wiel Das Kind hat heute noch nichts genossen? Da muß eS ja krank werden! Gehe» Sie sofort, Johann, und bringen Sie dos Kind nach HauS; mit Gewalt, wenn oer Lehrer Einspruch dagegen erheben sollte."
Der Diener ging sehr gemächlich in die Schule, kam aber eilends zurückgelaufen, denn Henry war heute überhaupt nicht dort gcwesen.
„Wie I" ries die Mutter bestürzt. „Sagtest Du mir nicht, Maria, daß Du ihn an der Schule beließest?"
„Allerdings. Ich sah ihn an das Gitter laufen. Ich — ich glaube, ich sah ihn auch hineingchen," setzte sie zögernd hinzu.
„Du glaubst! Was willst Du damit sagen?" fragte ihre Mutter. „Sahst Du ihn hineingehen oder nicht?"
„Er kann doch nicht mit den Knaben gegangen sein I" rief Maria plötzlich erschrocken aus.
„Welche Knaben? So sprich doch deutlich."
„Ein paar Engländer, die in einem Boot ein Stück in den Canal hinausfahren wollten und angeln," erklärte Maria, „sie wollten Henry durchaus mitnehmen, ich erlaubte es natürlich nicht."
„Nun, dann ist er sicherlich mit ihnen
gegangen und wenn er ertrunken ist, bist Du schuld daran I* rief Lady Soxonbury aufgeregt. „Du hättest ihn doch mit nach Hause bringen und hier zurückhalten müssen; Du kennst ihn doch, wenn er sich irgend etwas in den Kapf gesetzt hat."
Nun war keine Ruhe mehr. Lady Sa- xonbury schickte nicht nur in die Stadt, sondern ging selbst zu den Eltern der Knaben und überallhin, wo eine Möglichkeit war von ihm zu hören. Durch sie gerieten die Eltern der Andern ebenfalls in Unruhe. Mit einiger Schwierigkeit brachte man in Erfahrung, welchen Canal die jungen Herren mit ihrer Gesellschaft beehrt halten; und sie lenkten ihre Schritte dahin, Johann mit einer Laterne voran, denn es war inzwischen dunkel geworden. Sie brauchten nicht weit zu gehen, da kam ihnen die kleine Gesellschaft entgegen, alle bis auf die Haut durchnäßt, denn das Boot war umgeschlagen und Alle waren in das Wasser gefallen !
„Wo ist Henry?" fragte Lady Saxon- bury, die so zitterte, daß sie kaum zu reden vermochte. „War er nicht bei Euch?"
„Ja", antwortete ein Knabe.
„Nun wo — wo ist er?"
„Er war mit im Kahne, als derselbe umschlug: wir wisscn nicht, wo er ist; aber ich weiß genau, daß er sich aus oem Wasser half."
Maria war totenblaß.
„Ich weiß cs genau," fuhr der Knabe fort; „ich sah ihn und ich sprach mit ihm, ich sagte noch zu ihm : Das war ein ordentliches Bad, nicht wahr, Henry? Un er antwortete: „Bei Gott, das war es!"
„Nein, da« antwortete ich Dir, Philipp," sagte einer der anderen Knaben.
„Nun, ich weiß genau, daß er wieder aus dem Wasser kam," behauptete der elftere wieder; „ich weiß, ich Hobe ihn gesehen und sein lockiges Haar hing ihm ganz schlicht herab."
„Hat ihn einer von Euch gesehen?" fragte Maria in banger Erwartung die Uebrigen.
Nun fingen die Knaben an, alle durcheinander zu sprechen und daS Resultat davon war, daß sie nicht genau wußten, ob Henry sich aus dem Wasser geholfen hatte oder nicht.
„O, Mama, verzweifle nur noch nicht!" flehte Maria. Aber Lady Soxonbury war ohnmächtig hingesunken.
(Fortsetzung folgt.)
Verschiedenes.
(Ein Schlaukops.) Praktikant: „Da hat unser zerstreuter Buchhalter wieder einen Bock geschossen und hat die Zwanzigpfennigmarke auf den Brief nach Halle und die Zehnpfennigmarke auf den Brief nach der Schweiz geklebt. Gut, daß ichS bemerke — ich brauch' jetzt bloS die Abrissen umzu- schreibcn I"
(Umschreibung) „Du hattest doch die
Absicht, um Fräulein.anzuhalten.
Aus der Sache ist wohl nichts geworden?" — „Nein, ich habe mich noch zuletzt an etwas gestoßen." — „Woran denn?" — „Hm, an einem kleinen Sprachfehler." — „Wie, die junge Dame stottert wohl?" — „Das nicht, aber sie hat Nein gesagt!"
.-. (Aus eigener Erfahrung) Gast:
„Und was kann man hier gleich haben?" Kellner (mit scheuem Blick aus den Wirt): „Grobheiten I"
Redaltion, Druck und Verlag von Beruh. Hofm»nn in Wildhad.