AusderIrrsahrtdes Lebens.

Roman nach dem Englischen von Jenny

Piorkowska.

(Nachdruck verboten.)

7 .

Fräulein Saxonbury, wollen Sie mir antworten? Verzeihen Sie mir", fuhr ' er atemlos fort und legte in schmerzlicher Er­regung seine Hand auf ihren Arm.Ver­zeihen Sie mir, aber ich mutz diese Frage an Sie richten! Hat Arthur Jork das Recht, Sie mir so zu entziehen, wie soeben?"

Keineswegs, Herr Werner-Remy; wie sollte er auch dazu kommen?"

Ich meine, ob er ein größere« Recht als ein Vetter Ihnen gegenüber be­sitzt ?"

Seine halbgeöffneten Lippen, sein müh­sames Atmen, sein bleiches Antlitz, von dem alle Farbe gewichen war, erschreckten sie fast, und ste sah, daß sie nicht wagen durfte, seine ehrgeizigen Träume noch mehr zu nähren.

Nun," sagte ste leise,obgleich er aller­dings kein Recht dazu hatte, und ich keines­wegs Lust habe, mich seinen Launen zu fügen, so so kommt doch vielleicht die Zeit, wo er mir mehr sein wird als ein Vetter."

Werners Hand sank von ihrem Arm herab, und Maria Saxonbury eilte in das Zimmer. Er folgte ihr mit den Blicken, »ad dann, als keines Menschen Auge und Ohr mehr in der Nähe war, sank sein Kopf auf das kalte Eisengilter herab, und ein leises banges Klagen klang durch die stille Abendluft.

Viertes Kapitel.

Im Dezember führten Sfr Arthur Sa- xonbury Geschäfte nach London. Er machte dem Künstler Coram einen Besuch, aber nach Werner-Remy sah er sich vergebens um. Staffelet und Stuhl waren da, aber auf der Staffelet war kein angefangenes Bild und der Stuhl war leer.

Hat er der Kunst entsagt oder ein an­deres Atelier gefunden ?" fragte Sir Arthur.

Der große Maler schüttelte den Kopf. Er hat ihr nicht entsagt. Eine andere Kunst oder Macht macht seine Rechte jetzt bei ihm geltend, eine Macht, der wir alle unterliegen müssen: der Tod.

Der Tod I" wiederholte Sir Arthur.

»Ich sah ihn vor wenigen Tagen und dachte da nicht, daß er noch bis heute leben würde."

Was kann ihn so plötzlich dem Tode nahe gebracht haben, in Saxonbury war er auffallend munter."

Erinnern Sie sich, Sir Arthur, daß ich Ihnen einst sagte, eine tiefe Kränkung könnte ihn töten?"

Ich entsinne mich", sagte Sir Arthur.

Nun, wenn ich nicht sehr irre, hat er »ine solche erfahren und zwar in Saxon- dury."

Was wollen Sie damit sagen?" fragte der Baron.

Ich kann cs nicht begreifen, es geht mich im Grunde ja auch nichts an, aber s^st steht, daß er bei seiner Rückkehr von Saxonbury den Todesstoß erhalten hatte. Mir ist schon der Gedanke gekommen, ob Ihre schöne Tochter vielleicht damit zu thun hat. Verzeihung, Sir Arthur, wir sind alte Freunde, nur gegen Sie lasse ich einen solchen Verdacht laut werden."

Ich möchte ihn aufsuchen/ sagte Sir Arthur,wollen Sie mich zu ihm führen?"

Karl Werner-Remy war noch am Leben, ging aber seinen letzten Stunden rasch ent­gegen. Einsam und verlassen log er auf seinem bescheidenen Lager. Beim Anblick ihres Vaters glitt eine fieberhafte Röte über seine eingesunkenen Wangen. Sir Arthur setzte sich neben seinem Bette nieder und er­griff des Kranken feuchte, abgezehrte Hand.

Was kann Sie in diesen Zustand ver­setzt habend" fragte er.

Ich habe es wohl von meiner Mutter geerbt," entgegnete der Kranke,ste starb an der Auszehrung."

Sie haben hoffentlich einen guten Arzt?"

Werner-Remy machte eine bejahende Be­wegung.

Ein mir bekannter Student der Medizin besucht mich zuweilen. Einen guten Arzt zu bezahlen fehlen mir die Mittel."

O, mein Sohn," erwiderte Sir Arthur in angstvollem Ton, indem er sich über ihn beugte,warum ließen Sie mich das nicht wissen, um Ihrer Mutter willen hätte Ihne» meine Börse zur Verfügung gestanden."

Die geschicktesten Aerzte Englands hätten mir nicht helfen können," antwortete er ernst. Sir Arthur, es ist am besten, so wie es ist, ich gehe ja zu ihr. Sie hat viele Jahre lang auf mich gewartet. Sie sagte mir im Voraus, daß mein LooS kein glückliches sein würde. Aber jetzt ist es bald vorbei," fetzte er mit schwächer werdender Stimme hinzu, bald ist aller irdischer Kummer überwunden."

Seltsame Gedanken durchkreuzten Sir Arlhur's Hirn als er den Kranken verließ. Wenn Werner-R-'my's körperliche Krankheit und der unerwartete Tod wirklich durch einen harten Schlag an seinem weichen Herzen, den Maria Saxonbury ihm versetzt hatte, ver­ursacht war wie glich das einer Vergelt­ung für den Schlag, den Maria Remy ihm einst gegeben hatte! Er war ein starker Mann und hatte diesem Schlag getrotzt, aber doch hatte derselbe tiefere Spuren zurückgelassen, als er der Welt sehen ließ. Eine Weile überließ Sir Arihur sich diesen Gedanken, dann aber schüttelte er sie als unangenehm und unbefriedigend ab.

Am Weihnachtsabend kehrte er nach Sa­xonbury zurück.

Nach dem Essen, als nur noch seine bei­den Töchter am Tische saßen, erzählt er ihnen von des Malers nahem Tode. Frau Ascher, Sir Arthurs älteste Tochter, drückte ihren Schrecken, ihr Bedauern darüber ans, aber Maria sagte nichts, sie senkte den Kopf und eine glühende Röte ergoß sich über ihr Ge­sicht. Als Sir Arthur sie ernst ansah, senkte ste den Kopf nur um so tiefer.

Man hat mir zu verstehen gegeben, daß Du mit seinem Herzen gespielt hast," sagte er in strengem, vorwurfsvollen Tone.Laß Dir sagen, Maria, daß die thörichte Eitel­keit, da absichtlich das Interesse zu erhöhen, wo man eS unterdrücken sollte, stets schlimme Folgen hak."

Allerdings unterhielt Maria sich immer s,hr viel mit Werner-Remy," bemerkte Frau Ascher,wäre er uns ebenbürtig gewesen, so würde ich es nicht gelitten haben, doch so er war ja nur ein Maler."*

Sie lötete ihn," lautete Sir Arthurs nachdrückliche Antwort. Und Maria brach in Tbränen aus.

Ihr Vater sagte 'nichts mehr. Vielleicht dachte er, es sei der Frauen Bestimmung, solche Wunden zu schlagen, und der Männer Pflicht, sie zu dulden.

Er wußte nicht, wie weit Werner-Remy's empfängliche Natur Schuld daran war, oder ob Maria in ihrer Koketterie und Eitelkeit ihn in unverantwortlicher Weise dazu ge­trieben hatte. ES nützt nichts, jetzt weiter darnach zu forschen, das Vergangene konnte man doch nicht ungeschehen machen, noch konnte Werner-Remy ins Leben zurückzerufen werden.

Maria, über sich selbst ärgerlich , sich ihren Gefühlen so offen hingegeben zu haben, trocknete ihre Thräncn so rasch wie ste ge­kommen waren und fuhr zu essen fort. Sir Arthur blickte sie hin und wieder verstohlen an.

Wann starb er?" fragte Frau Ascher.

Noch weiß ich nicht, ob er bereits tot ist," erwiderte ihr Vater.Vor ungefähr einer Woche, als ich London verließ, lebte er noch; doch eine lange Frist war ihm schon da nicht mehr beschicken."

Sahst Du ihn, Papa?" fragte Frau Ascher weiter.Ich sah ihn mehrmals."

Du schienst großes Interesse an ihm zu nehmen," unterbrach sie ihn wieder.

Gewiß, er war ein strebsamer, talent­voller Maler. Wäre er am Leben geblieben, so würde ich mehr für ihn gethan haben, doch so vermochte ich nur, ihm seine letzten Stunden etwas zu erleichtern. Herr Jansen bat ich, wenn Alles vorüber, auf ein, zwei Tage hierher zu kommen und mir von seinen letzten Stunden zu berichten."

Wer ist Herr Jansen?"

Ein Freund Werner Remy's, ein junger Arzt, der während seiner Krankheit viel bet ihm gewesen ist und sehr freundlich und auf­merksam gegen denselben war, ein lebhafter, feiner, angenehmer^junger Mann."

Maria sprach inzwischen kein Wort; der Tod Werner-Remy's thut ihr aufrichtig leid und leise Vorwürfe regten sich in ihrem In­nern. Trotz ihrer Eitelkeit, ihrer Koketterie und ihrem Bemühen, Werner-Remy's Be­wunderung zu erregen, halte sie ihr Herz nicht an ihn verloren. Aber ste hatte ihn sehr gern gehabt. Sie hatte sein schönes Gesicht bewundert und sein großes Genie verehrt, sie hatte den Worten, die seine Liebe kaum verbargen, gern gelauscht. Jetzt erkannte sie, wie tadelnswert ihre Handlungsweise ge­wesen war; bei all' ihrer Eitelkeit und dem Bewußtsein ihrer Schönheit, die sie gern be­wundern ließ, war ste im Grunde ein edler Charakter; gern hätte ste jetzt ihr eigenes Leben geopfert, um Werner-Remy in das­selbe zurückzurufen. Sie hatte Grund zu glauben, daß ste Werners Glück zerstört hatte, aber sein Leben zu Grunde gerichtet zu haben dieser Gedanke trieb ihr tiefe Röte ins Gesicht.

Warum sind auch einzelne Menschen so empfindsam ?" sagte ste seufzend zu sich selbst ; sie taugen nichts für diese Welt."

(Fortsetzung folgt.)

Wie die Alten sangen . . . Vater (auf der GcbirgStour) :Seht, liebe Kinder, welch herrlicher Blick nach allen vier Him­melsrichtungen I" Die kleine Ella :Papa, haben wir in Berlin auch dlos vier Himmels­richtungen ?"

Redaktion, Druck und Verlag von Beruh. Hofma « n in Wildbad,