Verschlungene Pfade.
Roman von A. Nicola.
(Nachdruck verboten.) 17.
„Sie ausfindig zu machen," antwortete er. „Keinen Stein will ich unberührt, keinen Platz »»entdeckt lassen, bis ich dem Elenden gegenüberstehe. Rastlos und unermüdlich wie die Nemesis will ich sein I — Möglich, daß wir Zwei uns nach dieser Stunde niemals Wiedersehen — heute stehst Du mich in meinem wahren Charakter, wie ich bin, von einem furchtbaren Entschluß beseelt, in dessen Ausführung ich mich durch nichts hindern lassen will.*
Er wandte sich zum Gehen, ohne mir auch nur die Hand zu reichen ; ich eilte ihm mit schnellem Schritte nach.
„Guido," sprach ich, „hast Du kein Wort des Abschieds für mich? Gieb mir Deine Hand."
Aber er ging weiter ohne zurückzublicken.
„Versuche nicht, mit weich zu stimmen," sagte er, „es ist umsonst, die Wunde, die man mir geschlagen, ist zu tief."
In schmerzliches Sinnen versunken, stand ich ratlos vor dem Wirken einer furchtbaren Nemesis, welche diejenigen ereilt Halle, welche der edeln und treuen Liebe, welche die Menschen vereinigen soll, nicht gehorcht hatte», sondern flüchtiger Leidenschaft gefolgt waren.
-kr *
*
Es war an einem grauen Herbstnachmittag. Den ganzen Tag war es neblig gewesen, ober allmalig war die Sonne durch den feinen graue-, Schleier durchgebiochen und ließ die letzten Herbstblumen in ihren Strahlen erglänzen. Ich saß in meinem kleinen Wohnzimmer, hatte die Arbeit in den Schvoß sinken lassen und hing meinen trüben Gedanken nach, als ich Walter durch den Garten kommen sah. Sobald er in das Zimmer trat, erkannte ich an dem eigentümlichen Ausdruck seines Gesichts, daß etwas Außergewöhnliches vorgcfallen sein mußte.
Auf meine Frage reichte er mir einen Brief. Ich las: „Lieber Onkel, komme sofort zu mir; ich liege im Sterben und habe außer Dir Niemanden, an den ich mich wenden könnte. Du bist barmherzig, Du wirst auch mir, der Verlorenen, Deine H>lfe nicht Versagen. Ich fühle, meine Stunden sind gezählt. Bitte, komm schnell. Edith."
Als Adresse gab sie ein kleines Dorf im südlichen Frankreich an. Der Brief war zwei Tage zuvor geschrieben.
Wir starrten einander in sprachlosem Schrecken an.
„Da hat dieser Lord sie also verlassen!" stieß ich .endlich hervor, „und Guido hat während dieser achtzehn Monate vergeblich nach ihnen gesucht." —
„Jedenfalls; ich hoffe nur, daß Beide sich niemals treff n," sagte der Rektor, „denn sonst giebt es einen Zweikampf auf Leben und Tod."
Ohne lange zu überlegen machten nur uns reisefertig und fuhren ohne Ruh und Rast, bis wir Paris erreichten. Hier hörten wir von einem großen Eisenbahnunglück, bas NachlS zuvor geschehen war.
Der Wirt des Hotels, in dem wir ab- gestigen, erzählte, daß in dem Zimmer über uns ein Deutscher liege, der bei der Katastrophe leicht verwundet worden sei.
Der Rektor schickte zu ihm und ließ ihm sagen, daß er, ein LandSman» gern bereit sei, ihm irgend welchen Dienst zu leisten; ob der Kranke vielleicht Freunden oder Angehörigen Nachricht von sich zu geben wünsche
Die Antwort kam: „Herr von Berry sei dem Herrn sehr dankbar, doch habe er keine Wünsche, besäße auch keine Freunde, denen er Nachricht von seinem Unglücksfalle zukommen lassen möchte."
Bei Guidos Namen sprangen wir beide auf. Aber Walter hieß mich ruhig bleiben und ließ sich zu dem Kranken führen.
Wie lange erschien mir die Zeit, und doch war in Wirklichkeit kaum eine halbe Stunde verflossen, als Walter wieder bei mir eintrai.
Er beruhigte mich über Guido's körperliches Befinden, und wir setzten unsere Reise fort, ohne daß ich selbst ihn sah. Unterwegs erzählte mein Begleiter mir, welchen Erfolg Guido bei seinem Suchen »ach den beiden Flüchtigen gehabt hatte. Er war ihnen öfter auf die Spur gekommen, hatte sie aber immer wieder aus den Augen verloren. Eins hatte er in Erfahrung gebracht: daß Edith den Lord schon nach vier Wochen wieoer verlassen hatte; aber wohin sie sich gewendet, blieb ihm unbekannt. Noch immer setzte er ohne Ruhe und Rast seine Verfolgung fort'
Da, am Tage bevor wir Guido fanden, als er im Wartezimmer einer Zwischenstation auf den Abendzug wartete, der ihn nach Paris bringen tollte, war der so lange vergebens gesuchte Lord in das Wartezimmer cingetreten. Einen Sprung vorwärts, und Guido halte ihn mit eiserner Faust am Halse gepackt.
„Sie werden mir Genugthuung geben," hatte er gesagt.
Jener war erbleicht und hatte stotternd erwidert: „Ich bin bereit."
„Auf der letzten Station vor Paris steigen wir aus," sagte Guido, „messen zwölf Fuß zwischen uns ab und drücken die Pistolen los."
„Ich verstehe," hatte der Lord entgegnet.
Das waren die einzigen Worte, diezwischen den Beiden gewechselt wurden. Sie verharrten in düsterem Schweigen; in Gedanken vielleicht mit ihrem verflossenen Leben, vielleicht mit dem AuSgange der furchtbaren Stunde beschäftigt, der sie sich mit jeder Sekunde näheiten. Plötzlich hatte der Zug einen gewaltigen Ruck bekommen, der Wagen heftig geschwankt, und im nächsten Moment war der Zug einen Abhang hinabgestürzt.
Als Guido wieder zum Bewußtsein kam, sah er Leute mit Laternen zwischen den Toten und Sterbenden herumgehen. Einer derselben zog ihn unter einem zertrümmerten Wagen hervor. Sein rechter Arm hing kraftlos herab und aus einer Wunde am Kopfe strömte das Blut. Aber mit Hilfe einiger Leute schleppte er sich bis an den Wagen, welcher die Verwundeten ausnahm. Dabei kam er an einer Bahre vorüber, auf der ein mit Blut überströmter Körper lag. Der Schein der Laterne fiel auf das entstellte, kaum zu erkennende Gesicht, aber so schwach Guido sich auch suhlte, er blieb stehen und schaute es an — es war Lord Arthur Hasewood. Er schob den Mantel zurück, den man über den Verunglückten gebreitet halte, er legte die Hand auf dessen Herz, um zu fühlen, ob es noch schlüge. Schaudernd
zog er die Hand zurück, sie war mit Blut bedeckst und das Leben bereits aus dem Körper entflohen. Lord Hasewood war auf schreckliche Weise um's Leben gekommen, und Guido hatte wie zerschmettert vor dem Toten gestanden, den ein schreckliches Strafgericht ereilt hatte.
(Fortsetzung folgt.)
Verschiedenes.
— Der Teufel im Kaffee. Der Kaufmann Herr Joseph B. ist Stammgast eines Kaffeehauses in Wien. Der Mann lebt in guten Verhältnissen und ist seines Humors wegen überall beliebt. Zu einer seiner Schwächen gehört, oder vielmehr gehörte, daß Herr B. in seinem Kaffeehause, sobald er auf irgend einer Tasse ein Stückchen Zucker liegen sah, dieses sofort annektierte, um seinem Kaffee so viel Süßigkeit wie möglich zu verleihen. Sprach Herr B. bei Tische mit einem Freunde, der ein Stück Zucker auf der Tasse liegen hatte, dann suchte seine Hand langsam, aber sicher in die Nähe des Zuckcr- stückeszu gelangen. Im gegebenen. Moment wußte er dem Gespräch eine so interessante Wendung zu geben, daß sein Gegenüber ganz Ohr war, ein kühner Griff, und — der Zucker war stibitzt. Alle kannten diese Schwäche des Herrn B. und lachten darüber. Ein gleichfalls das Kaffeehaus frequentierender Uhrmacher beschloß aber, seinem Freunde B. einen Schabernack zu spielen. Mit großer Mühe präparierte der Uhrmacher zwei Zuckerstücke, die er spaltete, innen aushöhlte, in deren jedes ein Brausepulver hineinpraktizierte und sie wieder verschloß. Die Gäste des Kaffeehauses kamen diesmal früher als sonst zum Schwarzen. Alles wartete gespannt auf B. Diejer betrat das Lokal und bestellt sich seinen Schwarzen. Der Uhrmacher, der am gleichen Tische mit B. saß, hatte seinen Schwarzen bereits getrunken, zwei Zuckcrstücke lagen auf der Tasse. B. sah die zwei Stücke Zucker, und da sich der Uhrmacher eben abwendete, benutzte er die gute Gelegenheit, sie schnell in der eigenen Mok- kajchale verschwinden zu lassen. Da drehte sich der Uhrmacher auch schon wieder um. Herr B. nahm die Schale in die Hand, machte das unschuldigste Gesicht von der Well und begann umzurühren. Da — was war das? Der Schwarze begann zu sieden, zu wallen und zu zischen — und vor lauter Schreck ließ Herr B. die Schale fallen. DaS Gelächter der schadenfrohen Gäste erschütterte daS Lokal.
(Mißverstanden.) Landesfürst (zum Präsidenten eines Gesangvereins nach Beendigung eines Ständchens): „Mit Vergnügen habe ich aus Ihrem letzten Jahresbericht ersehen, daß Sie ziemlich zugenommen haben." Vereinspräsident (stolz über die Ansprache): „Jawohl, Königl. Hoheit, um fünfundzwanzig Pfund."
(Ausrede.) Junge Frau: „Vor der Hochzeit rühmtest Du Dich, mir auch den leisesten Wunsch erfüllen zu wollen, und jetzt bleiben alle meine Wünsche unerfüllt." Mann: „Das kommt daher, weil ich bei Deinen vielen Wünschen nicht herauSsinden kann, welches Dein leisester Wunsch isst*
(Vorsichtig.) Kellner: „Was belieben zu speisen?" — Gast: „Ein Beefsteak, — aber groß! Ich bin nervös, jede Kleinigkeit regt mich aus!"
Re-atttsn, Druck und Verlag von Bernh. Hofmann ln Wtldbad.