Verschlungene Pfade.

Roman von A. Nicola.

(Nachdruck verboten.)

5.

Am vierten Tage endlich kam Herr Walter.

Nach der erste Begrüßung und ein paar gleichgiltigen Worten wandte ich mich etwas plötzlich mit der Frage an ihn :Sie heißen Max Theodor Walter."

Allerdings," versetzte er mit einem Lächeln der Verwunderung.Wie sind Sie zu dieser genauen Kenntnis meines Namens gekommen?"

Auf sehr einfache Weise. Sie haben neulich hier an der Gartenthüre dieses Tuch verloren," erwiderte ich und reichte ihm das­selbe.

Besten Dank, ich hatte cs noch garnicht vermißt; wir Junggesellen sind in solchen Dingen sehr nachlässig."

Sie sagten mir," sprach ich weiter,Sie wären erst seit Kurzem nach Deutschland zu­rückgekehrt. Darf ich fragen, ohne unbe­scheiden zu erscheinen, woher Sie kommen?"

Gewiß," versetzte er;ich lebte bis vor drei Monaten in Valparaiso in Südamerika."

Bei Nennung dieses Namens schrak ich zusammen.

Nochmals muß ich um Verzeihung bit­ten ; ich werde Ihnen sogleich den Grund zu meinen Fragen milteilen. Lebten Sie allein in Valparaiso? Ich meine in Bezug auf Verwandte?"

Elf Jahre, bis zur Zeit, wo ich Amerika verließ, lebte ich allein."

Und vorher?"

Vorher lebte ich bei meiner verheirateten Schwester. Mein Schwager war englischer Geistlicher und stammte aus sehr vornehmer Familie. Sie ließen sich in England trauen, und ich damals noch ein halbes Kind begleitete sie bald nach der Hochzeit in das fremde Land. Mehrere Jahre darauf starben Beide binnen wenigen Tagen au einer ansteckenden Krankheit. Ihr Kind, eln Töchterchen, hinterließen sie meiner Für­sorge."

Lebt dieses Kind noch?" fragte ich atemlos.

Tiefe Trauer klang durch seine Stimme, als er antwortete :Die Arme ist auf einer Reise nach Europa ertrunken. Wenn ich an dieses Kind denke, wird mich ein Gefühl der Reue nie verlassen. Sie war erst zwei Jahre alt, als sie mir als elternlose Waise in die Arme gelegt wurde. Ich zählte da­mals kaum zwanzig Jahre und wußte An­fangs nicht recht, was ich mit der Kleinen anfangen sollte. Aber eine Mulattin, eine alte, treue Person, die immer bei meiner Schwester gewesen war, nahm sich des Kin­des an. Meine liebe kleine Klarissa I Wie bald gewann sie mich lieb! Ta umschlang sie mich mit ihren kleinen Aermchen und schmiegte sich so zärtlich und vertrauensvoll an mich. Bald konnte sie auch meinen Na­men stammeln, und ich lehrte sie, sich selbst Theodors Liebling nennen aber Verzeih­ung, baß ich Sie mit diesen Einzelheiten langweile."

Im Gegenteil, sie interessieren mich leb­haft," erwiderte ich erregt,bitte fahren Sie fort."

Zwei Jahre nach dem Tode von Klarisfas Eltern brach das Fieber in der Gegend aus,"

erzählte er traurig weiter:schon fühlte ich die Krankheit in meinen Adern brennen und ihr langsames Feuer mein Blut verzehren, da stieß ich noch den Befehl hervor, die Mulattin solle mit dem Kinde fliehen. Da­durch hoffte ich dem Kinde das Leben zu er­halten. Das Fieber bannte mich lange auf's Lager, viele Wochen lang lag ich hilflos, mehr dem Tode als dem Leben nahe ; endlich aber siegte mein- kräftige Konstitutionich kehrte zum Leben zurück."

Meine ersten Fragen waren nach meinem Liebling; da ward mir die traurige Mit­teilung, daß das Schiff, auf dem die Wär­terin mit dem Kinde sich befunden, Schiff­bruch gelitten hatte, und das Leben einer Mulattin und eines weißen Kindes dabei zu beklagen sei.

Ich sandte diese Trauerkunde an Lady Ponsonby, der Schwiegermutter meiner Schwester, zu welcher die Wärterin mit dem Kinde hatte gehen sollen. Seitdem mache ich mir bittere Vorwürfe, daß ich die Kleine überhaupt von mir gelassen habe."

Walter schwieg und wandte sich rasch nach dem Fenster; ich sah, wie ein Schleier sich über seine klaren, grauen Augen senkte.

Auch meine Augen wurden feucht und ich erwiderte mit unsicherer Stimme:Viel­leicht vermag ich Sie zu trösten. Nicht aus müßiger Neugier stellte ich diese Fragen über Ihre Vergangenheil; wie würde ich gewagt haben, eine so zarte Seite Ihres Herzens zu berühren! Herr Rekior, ich kenne Theodor's Liebling, ich kann Ihnen denselben wiedergcben."

Fräulein !" rief er aus und wandte sich mir hastig zu;O reden Sie I Ist sie noch am Leben?"

Der starke Mann war vor Erregung bis an die Lippen bleich, »nd seine großen Augen starrten mich seltsam fragend und zweifelnd an.

»Ja, sie lebt," antwortete ich;einen anderen Beweis als mein Wort kann ich Ihnen freilich nicht dafür geben. Ihre Nichte lebt und ist gesund und so schön und glück­lich, wie Sie es nur wünschen können."

Für einen Augenblick überwältigten ihn Schreck und Freude, und er verbarg sein Ge­sicht in den Händen. Dann richtete er den Kopf langsam in die Höhe und sagte mit tiefbewegter Stimme:Wo ist sie? Kann ich sie sehen? Kann sie zu mir kommen das Kind meiner geliebten Schwester?"

Ja, aber nicht heute; morgen sollen Sie sie sehen. Wollen Sie jetzt Platz neh­men und sich von den letzten elf Jahren ihres Lebens erzählen lasstn? niemand kennt dieselben besser als ich,"

Er fetzte sich und hörte mir fast atem­los zu, als ich ihm die Schönheit und den Liebreiz meiner Pflegefchwester schilderte. Ich erzählte, auf wie seltsame Weise sie zu uns gekommen, welch' unbegreifliche Liebe meine Mutter für die kleine eltern- und heimatlose Waise empfunden, wie wir sie erzogen hatten, und mit welcher Zärtlichkeit ich selbst an ihr hinge. Guido' erwähnte ich mit keinem Worte, wozu auch?"

Mein Fräulein," sagte der Rektor mit erstickter Stimme, als er beim Abschied meine beiden Hände crariff;mir fehlen die Worte, Ihnen zu dankM Dieses Kind wurde mir von einer mir teuren Sterbenden anvertraut, und ich wollte die Aufgabe, die ich mir selbst

zur Pflicht gemacht hatte, gewissenhaft durch­führen, mir wurde diese Möglichkeit genom­men ; aber ich bin überzeugt, daß sie besser erfüllt worden ist, als ich es je vermocht hätte."

* »

Am nächsten Tage saß ich mit Edith ist meinem behaglichen Stübchen am offeuest Fenster.

Wie riß sie die grauen Augen auf, als ich in meiner schon auf der Herfahrt üuL der Pension begonnen Erzählung fortführ f Wie atemlos lauschte sie meinem Bericht l

Als ich endlich z» Ende war, sprang sic auf, schlang mit ihrcui gewohntem Ungestüm die Arme um meinen Hals und erklärt« unter Schluchzen, daß ke-n Mensch auf Erdest uns trennen dürfe.

(Fortsetzung folgt.)", -"I

Verschiedenes.

In einer Stadt in Polen warenIwet Gasthöfe. Der Eine hieß: Der graue Esel ^ der Andere: Die goldene Henne. Der graue Esel war der berühmteste. In ihm kehrten alle vornehme Herrschaften ein, und was auch der Gastwirt in der goldenen Henne thun mochte, seine Gäste zu befriedigen/ immer nahm ihm der Wirt im grauen Esel die besten Kunden weg. Der General Suwa- row kam einst mit großem Gefolge in die Stadt, und wohnte mehrere Tage lang im grauen Esel. Statt eine Zeche zu machen, bat sich der Eselswirt die Gnade aus, seinen splendiden Gasthof künftig:Zum General Suwarow" nennen zu dürfen. Die Gnade ward ihm gewährt, und der graue Esel machte dem General Suwarow Platz. Was that nun der Hennenwirt? Er ließ sich einen grauen Esel malen, zog seine Henne ein, welche ihm nur wenig goldene Eier gelegt hatte, unv hing das Efel-i» mit der Um­schrift auf: Zum grauen Esel. Weit und breit war der graue Esel als der beste Gast­hof der Stadt bekannt. Alles zog jetzt in den neuen grauen Esel, und der General Suwarow stand so verlassen da, als einst auf seinem Zuge in der Schweiz gegen die Franzosen. Aber der Wirt wollte seinen General und sich selber nicht fallen lasten. Er machte unter das Schild noch die An­merkung : Dieses ist der eigentliche alt« graue Esel.

Der abgekühlte Wohlthiiter. Der Chef der Armenverwaltung von Paris erhielt vor einigen Tagen den Besuch eines Herrn, der ihm folgendes Anliegen vorbrachte:Ich habe bei einer der letzten Ziehungen der stübt. Obligationen den Haupttreffer von 1Ü0 000 Francs gemacht. Ehe ich auf meinen Land­sitz zurückkehre, möchte ich gerne etwas für Ihre Armen thun." Der Beamte ver­neigte sich und drückte dem et len Spender den Dank der Armenverwaltung im Vorhinein aus.Ich möchte aber," fuhr der Be­sucher fort,etwas ganz Besonderes thun. Meine Absicht geht dahin, jetzt, da das Brot so teuer ist, an alle Ihre Armen je einen Vierpfundlaid zu verteilen."Ihr Wunsch soll erfüllt werdenentgegnet« der Chef. Die Verwaltung wird diesbezüglich die not­wendigen Vorkehrungen tnffen."Und was habe ich dafür an die Armenverwaltung zu bezahlen?"100 000 Francs !" ^ Der Glückspilz eilte von dannen unv ist nicht wiedergekommen.

Redaktion, Druck und Verlag von Beruh. Hosmann in Wildbad.