Verschlungene Pfade.
Roman von A- Nicola.
(Nachdruck verboten.)
3.
Eine Stunde später riß ich mich gewaltsam aus den Armen des Geliebten — ein letzter Kuß, ein letzter Blick — und ich war allein. Erst als seine Schritte auf dem Kiesweg wiederhalten, als ich ihn durch den von Monde hellbeschienenen Garten eilen sah, erst da brach der Sturm meines Kummers los.
*
Es war fast ein Jahr, nachdem Guido von uns geschieden, und meine Mutter auffallend schwächer wurde.
Eines Abends, als sie schwer atmend auf ihrem Lager ruhte, rief sie mich zu sich, und sagte zu mir:
„Bevor das Jahr zu Ende geht, -wird Guido zurückkehren und Dich als Gattin heimführen. Dich erwartet eine glückliche Zukunft, aber waS wird auö der kleinen Edith werden, wenn mich der Tod abruft?"
„Sei unbesorgt, Mutter^," beruhigte ich sie, „Du weißt, mit welcher Liebe ich an dem Kinde hänge; ich könnte nicht glücklich sein, ohne sie geborgen zu wissen."
„Du kannst Guido ihre Erziehung uicht aufbürden," sagte die Kranke sinnend, „es wäre wohl das Beste, sie in Pension zu geben und zur Erzieherin ausbilden zu lassen."
„O Mutter, alles Andere lieber als das!" rief ich lebhaft. „Nein, nein; laß Dich das nicht beunruhigen, es soll schon für sie gesorgt werden."
„Bedenke wohl liebe Madeleine, Du selbst besitzest nur das kleine Erbteil Deiner Mutter," wandte sie ein.
„So mache Dir doch keine unnützen Sorgen, liebste Mutter," tröstete ich sie; „vertraue mir, so lange ich sie dafür zu schützen vermag, soll Edith nie erfahren, was Armut ist."
Wenige Tage später, als sie, die stets wie eine wahre Mutter zu mir gewesen, für immer die müden Augen schloß, als meine Lippen zum letzten Mal das kalte, wachsbleiche Gesicht berührten, da vermochte ich die kleine Edith in ihrem ungestümen leidenschaftlichen Schmerze kaum zu trösten. Es war ihr erster Kummer, und derselbe schien fast ihr junges Herz zu brechen. —
Die Verhältnisse zwangen uns, das Haus, welches wir seit meines Vaters Tode bewohnt hatten, zu verlassen. Herr von Berry, der mich schon ganz als seine Tochter betrachtete, bat sehr, wir möchten zu ihm ziehen, aber aus verschiedenen Gründen zog ich vor, sein hochherziges Anerbieten dankend abzulehnen und mit Edith eine zwar bescheidene, aber darum nicht minder nette behagliche! Wohnung zu beziehen.
Guido schrieb noch oft, aber nicht mehr mit der früheren Regelmäßigkeit, und zwar,
— wie er zu seiner Entschuldigung meinte
— weil er sich nie lange an einem Orte aufhielt und geschäftlich sehr in Anspruch genommen war.
Als Antwort auf die traurige Nachricht vom Tode meiner Mutier und unserer ververänderten Verhältnisse erhielt ich einen langen Brief voll zärtlicher Trostesworte von ihm, und weiter schrieb er: „Komm' herüber zu mir nach Indien. Lena es hat
sich hier mir ein so reiches Feld geöffnet, daß vorläufig an meine Heimkehr nicht zu denken ist. Soll ich so lange warten, ehe ich Dich als meine Gattin heimführen kann ? Lena, Du weißt nicht, wie ich mich darnach sehne, die geliebte Hand, die ich vor nun zwei Jahren zum letzten Male an die Lippen drückte, wieder in der meinen zu halten! — In Kalkutta geht es sehr heiter her. Die englischen Offiziersdamen sind in der Gesellschaft tonangebend. Jetzt macht eine junge, schöne und sehr reiche Erbin, Eihe- lind Valneigh, großes Aufsehen. Sie ist erst vor Kurzem von Bengalen gekommen, und ihr Bruder, ein liebenswürdiger junger Mann, drängt, daß ich mich ihr vorstellen lasse. Heute abend werde ich sie auf dem Ball der Gesandtschaft kennen lernen."
Darauf folgte ein langer Bericht über die Vergnügungen der Stadt, und am Schluß wiederholte er kurz noch einmal die Bitte, sobald als möglich zu ihm zu kommen.
O, wie mein Herz sich darnach sehnte, seinem Rufe zu folgen! Wie gern, wie unaussprechlich gern wäre ich zu ihm gegangen, wenn mein Pflichtgefühl eS mir gestattet hätte I Aber waö wäre aus Edith geworden ? Das Kind mit mir in eine fremde Welt zu nehmen, wäre leichtsinnig gewesen, und wie ich überzeugt war, auch gegen Guido's Wunsch. Die Heimat ohne sie verlassen, konnte ich nicht, das verbot mir das meiner Mutter gegebene Versprechen.
Ich schrieb ihm und teilte ihm mit — ach, mit welch' schwerem Herzen I — daß ich mich gedulden müsse, da meine einmal übernommenen Pflichten mich in der Heimat zurückhielten. —
Sechs Monate vergingen, ehe ich hierauf eine Antwort erhielt. Dann schrieb mir Guido:
„Meine Innigstgeliebte Lena, froh bin ich, daß Deine Antwort auf meine Bitte hierherzukommen , eine abschlägige war. Kurz nachdem Ich Dir geschrieben Hatte , brach in der hiesigen Gegend die Cholera aus und raffte Hunderte aus unserer Mitte fort. Viele der hier weilenden Fremden fielen der Epidemie zum Opfer, ein Glück, daß du
nicht zu kommen wagtest I-Du fragst,
wie mir Miß Valneigh, die schöne Erbin gefallen habe; ich war nicht wenig überrascht, in der allgemein gerühmten Schönheit ein junges, ober ganz alltägliches Gesicht kennen zu lernen. Mein Freund fühlte sich fast dadurch beleidigt, daß sie so wenig Eindruck auf mich machte, als ich ihm aber Dein Bild zeigte, da meinte er, nun wundere es ihn freilich nicht, wenn ich für die Reize der schönen Ethelind unempfänglich bliebe." —
Ich führte mit Edith in Rosenhain, wohin wir nach der Mutter Tode gezogen waren, ein stilles einförmiges Leben. Unser ganzer Verkehr beschränkte sich auf den Pfarrer, einen älteren kränklichen Herrn, und den Arzt nebst seiner Familie.
So strichen die Jahre ruhig dahin. Edith wuchs mit ihnen und entfaltete sich zu einer schönen jungen Dame.
Als sie das fünfzehnte Jahr erreicht hatte, sandte ich sie zu ihrer völligen Ausbildung noch auf ein Jahr in eine gute Pension.
Die letzten Jahre hatten mir Angst und
Sorge nicht erspart. Ich hörte nur noch selten von Guido, und das raubte mir auch den Mut, ihm öfter zu schreiben. Seine Eltern waren beide tot, und ich das einzige Band — wenn ich es so nennen kann — das ihn noch an die Heimat knüpfte.
Ich versuchte alle meine Gedanken auf meine kleine Häuslichkeit zu konzentrieren und nicht an das zu denken, was mir fast das Herz brach, — ich suchte mir einzureden, Krankheit oder die beabsichtigte Heimkehr hindere ihn am Schreiben, aber umtonst! Der Gedanke an seine Untreue wollte mich nicht verlassen. (Forts, folgt.)
Verschiedenes.
— Aus dem Reiche der siebenten Großmacht. 12 000 Millionen Zeitungen werden nach einer kürzlich herausgekommenen Statistik jährlich verausgabt. Um sich einen Begriff von dieser ungeheuren Menge machen zu können, sei nur erwähnt, daß man mit diesen Zeitungen eine Fläche von 30 000 Quadrat- Kilometern bedecken könnte. Das Papiergewicht würde 781 240 Zentner betragen. Sollte diese Auflage von einer einzigen Maschine gedruckt werden, so würde die Gesamtauflage, wenn pro Sekunde eine Zeitung gedruckt würde, nach 333 Jahren endlich erscheinen können. Aufeinander geschichtet, würde sie die respektable Höhe von rund 80 000 w erreichen. Angenommen der einzelne Mensch widmet dem Lesen seiner Zeitung nur fünf Minuten pro Tag, so würde die Zeit, die von der Gesamtbevölkerung der Erde zum Zeitungslesen pro Jahr verbraucht wird, gleich sein 100 000 Jahr.
— Mäusesang mit Musik. Ein belgischer Fabrikant hat festgestellt, daß die Mäuse einen ausgesprochenen musikalischen Sinn ha- ben, (wunderbar!) und er hat diese Entdeckung zu einer neuen Art von Falle benutzt. An die Stelle von gebranntem Speck und ähnlichen Genüssen, die den Mäusen verdächtig geworden sind, hat der Fabrikant automatische Musikwerke gesetzt, die die „Holzauktion", die „Fischerin" und ähnliche anreizende Stücken spielen. Die Mäuse fühlen sich unwiederstehlich nach der Mustkkiste hingezogen, sie nähern sich, um besser zu hören, dringen sie in die Falle ein, die zuschnappt und die sie zu Gefangenen macht. Wir entnehmen diese interessante Sommermitteilung der Pariser „Monde artiste," der wir auch die Verantwortung dafür überlassen.
— Für unsere Hausfrauen. In der jetzigen Zeit der langen Abende ist ein Gegenstand im Haushalte wieder zu Ehren gekommen, den man im Sommer so gern gemißt hat, der aber jetzt unentbehrlich geworden ist: die Lampe. Mit dem Gebrauch dieser Lichtquelle ist aber auch eine beständige Klage verbunden: „Die Lampe brennt nicht hell!" Meist fehlt eS hierbei nur an Kleinigkeiten, um diesem Uebelstande abzuhelfen. Mit einer Mischung von Soda oder Pottasche, Seife und heißem Wasser reinige man alle 3—4 Wochen die Bassins sorgfältig, lasse sic gründlich auStrocknen und fülle sie hierauf erst mit Petroleum. Für den frischen Dochten und für den gebrauchten, an welchem sich Unreinigkeiten festgesetzt haben, empfiehlt es sich, ihn tüchtig zu waschen, zu trocknen und dann ungefähr eine Stunde in Essig zu legen, um ihn schließlich, abermals getrocknet, wieder in die Lampe zu ziehen.
Redaktion, Druck und Verlag von Bernh. Hofwann in Wildbad.