Nr. 9. Amis- und Anzeigeblcitl für den Oberamtsbezirk Calw. 97. Iahraanq

Donnerstag, den 12. Januar 1922.

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Neueste Nachrichten.

Die deutsch poliiächen Verhandlungen »rohen zu scheitern, weil der polnische Ministerrak anscheinenv Vorbehalte bezüglich »er Sicher heil des deutschen Eigentums im abgetretenen Lbcrschlcsien mache» will.

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Ter Völkerbnndsrat hat die schweren Anklagen der saarländischen Bevölkerung gegen vic BerwrlschuiigS- und IlnierSrüikungspolitil der dortigen vollständig in sranzösisiercndem Sinne tätigen Ncgie- rungskammissivn als ungerechtfertigt bezeichnet, weil das Saarland kein Teil Tcnlschlands sei, sondern eine losgelöste (!) und abge trennte (!) Gruvye. T>e Tendenz dieses Entscheids ist klar, ebenso aber auch die Stellung desBölkcrbund"-Nats als Lohiidicner der Entente.

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Seit dem Eintreffen der deutschen Abordnung in Cannes hat plötzlich eine ungeheure französische Hetze eingesetzt, die den Zweit verfolgt BriandS Forderungen zu unterstützen. Man wird aus den dcut schen Vertretern möglichst viel sachliche Anhaltspunkte hcrauSzu- holen trachten, um dann die Forderungen wie üblich umso unver schämter gestalten zu könne«. England scheint seine ausie,,poli tischen Interessen genügend gewahrt zu sehen, deshalb wird der ehrenwerte Lloyd George den Franzosen wieder einmal die ge­wünschte Gelegenheit geben, das deutsche Volk weiter zu foltern und auszubeuten.

Die Konferenz von Cannes.

Druck der srünzö rschen Nationalisten au/ Briand.

Paris, 12. Jan. (Havas.) George Durra», der Vor­sitzende der republikanischen Kammergruppe bat an den Ministerpräsidenten folgendes Telegramm gesandt: Die Leitung der republikanischen Kammergruppe hat mich mit den Nachrichten beschäftigt, die aus Cannes kommen und wünscht Ihnen im Namen ihre» 240 Mitglieder mitzu­teilen, dasi bei der gestrigen Vollversammlung der Gruppe eine Tagesordnung angenommen wurde, in der sie den Millen anssvrtcht, ohne Schwäche die Eintreibung der fran­zösischen Forderungen an Deutschland dnrchgeflihrt zu setzen, Ich kann Ihnen die Versicherung geben daß die Kammer niemals die neuen Konrcffionen selbst in der Form eines Moratoriums auf Kosten Frankreichs oder Vc'giens. seines edlen Verbündeten, bestätigen wird und dah kein Projekt eines französisch-englischen Bündnisses, Io nützlich es auch der einen oder anderen Nation sein kann, als Bedingung irgend einen Verzicht in der Neparattans- frage oder einen Verzicht aus irgend welche in dem Ver­trag begründete Garant'een, insbesondere der territorialen Sicherheiten fordern darf. ^

Auch der französische Senat wendet Druckmittel an.

Paris, 11. Jan. Tie Scnalskommission für auswärtige Ange­legenheiten hat unter dem Vorsitz von Poincare eine Sitzung abge­hoben. Nach eingehender Prüfung der Lage, wie sie durch die Konferenz in Cannes geschaffen wurde, hat sich die Kommission ent­schlossen, und zwar mit Zustimmung aller Anwesenden 25 Sena­toren. folgendes Telegramm an den Ministerpräsidenten Briand zu richten: Der Senatsausschuß für auswärtige Angelegenheiten hat auf Verlangen einer großen Anzahl seiner Mitglieder und mit Rück­sicht auf das allgemeine Gefühl, das sich gestern in den Gruppen des Senats geltend gemacht hat, mich beauftragt. Ihnen eiligst Kennt­nis zu geben von der Tagesordnung, die angenommen worden ist: 1. Der Ausschuß ist der Ansicht, daß der wirtschaftliche und finan­zielle Wiederaufbau Frankreichs eine wesentliche Bedingung für den Wiederaufbau Europas ist. 2. Daß die Reparationen, auf die Frank­reich Anspruch hat, unantastbar bleiben, daß also weder eine neue Reduktion, noch eine Abänderung des Zahlungsplanes vom 15. Mai 1921 angenommen werden kann.. Es ist unzulässig, die belgische Priorität im mindesten zu erschüttern. 3. Frankreich kann sich zu der geplanten internationalen Wirtschaftskonferenz nur begeben, wenn es im voraus die effektive Versicherung erkält, daß alle seine Rechte, respektiert werden. 4. Der zwischen Frankreich und England dispu­tierte Pakt muß vor allem die Garantien, die Aus-lühningsmittei und die Pfänder, die Frankreich aus dem Vertrage zu beanspruchen bat, bestätigen und ihn für die Gegenwart und die Zukunft sichern. Ter Ausschuß ist infolgedessen der Ansicht, daß nichts wirksam werden kann ohne die Mitarbeit des Parlaments. Die Mitteilung ist von Poincare unterzeichnet.

Die Erpressungs- und Berhetzungstötigkelt der sranzösischen Presse.

Paris, 11. Jan. TerTemps" schreibt in seinem heu­tigen Leitartikel, der heute vormittag abaehaltene Mini- sterrat habe entschieden, daß Frankreich belfere Garantien

iordern müsse, wenn man Deurichtano ein Moratorium be­willige. Das sein ein Enlicheiduna. die niemand über­raschen werde. Welcher Gläubiger babe nicht das Recht. Sicherheiten zu verlangen in dem Augenblick, in dem er eriahre, da« icin Schuldner einen Aufschub verlange? Aber wie stelle man sich die Zuiprerlnina und Nutzbar­machuna der Pfänder und die Bestimmung und Reali­sierung der Garantien vor? Das muffe men erfahren wenn man sich nicht dem Vorwnri anssitzen we"e, viel eher eine rarlamentarffche Kundgebung als einen politüchen Akt zu unternehmen. Dis Erfahrung habe 'eit 2 Jahren hin­länglich gezeigt daß man mit vaeen Vorschläaen nichts erreiche und auch nichts mit unausTitzrbaren Plänen. Wv iei also das präzise und durchsührbare Proeramm? Der ..Tcmps" erinnert daran, daß er über die Reparationen ein ausgedehnteres Programm als dos verlangt habe mit dem sich der Oberste augenblicklich beschäftige. Er habe auch eine grafte internationale Anleibe gefordert. f>abe man das im Sinne und habe man die Bedingungen hierfür studiert?

Paris. 12. Jan. Der Sonderberichterstatter desIn- transigeant" meldet aus Cannes er sei in der Laos, zu bestätigen, dass, als Bclaien bewiesen babe. Deutschland könne 220 Millionen Goldmark mehr als dis in London festgesetzten 500 Millionen im Iabre 1022 bezahlen,eine sehr Hobe Persönlichkeit" der Republik an die französische Delegation von Cannes telearaphiert babe, um die Tat­sache zu unterstreichen, daß man erwarte, daß das Maxi­mum an Reparationen verlangt werde, das die französi­schen Opfer erharren lassen könnten.

Paris, 12. Jan. DieLiberte" berichtet, es scheine, daß man sich in der gestrigen Ministerratsssttzuna. in der Prä­sident Mifferand persönlich interveniert habe, sich über folgende Grundlinien geeinigt habe: keine Herabsetzung der Schuldsordcrung zuznlasien. 2) nicht auf die Besetzung des linken Nheinufers zu verzichten und 3) alle Rechte Frankreichs auf'wirtschaftliche und militärische Sank­tionen aufrecht zu erhalten, wenn die Umstände cs erfor­derten. In diesem Sinne sei ein langes Telegramm an Briand abaeaangen.

Briand läßt keine Schmälerung derRechte" Frankreichs zu.

Paris, 11. Jan. Briand beantwortete gestern die Ent­schließung des Finanzausschusses der Kammer in einem Telegramm an den Ausschuß. Darin wird erklärt, die Konferenz habe das Repararionsproblem noch in keiner Vollsitzung behandelt. Er sehe deshalb nicht ein, auf welche Nachrichten der Finanzausschuü seine Befürchtungen habe aufbauen können. Ihzn liege daran, zu bestätigen, daß er, wie er es in der Kammer gesagt habe, keine Schmälerung der Rechte Frankreichs zulasten werde.

Briand ab gereist.

Cannes, 11. Jan. (4 Uhr nachmittags.) Briand ist nach Paris abgcreist. Er will morgen in der Kammer sprechen.

Die deutsche Abordnung in Cannes.

Cannes, 11. Jan. (10 50 Uhr vormittags.) Tie deutsche Dele­gation, mit Rcichsminister a. D. Walter Rathenau an der Spitze, ist soeben hier eingetroffcn und am Bahnhof von den Kabinettchefs Briands und Loucheurs empfangen worden.

Cannes, 12. Jan. Dr. Walter Rathenau hat heute Nach­mittag mit Sir Robert Harne und Loucheur konferiert.

Cannes, 12. Jan. Der Sonderberichterstatter der Agence Havas meldet, daß der Oberste Rar am Donnerstag Vor­mittag 10.30 Uhr die deutsche Delegation anhöre. Man vermutet, daß sie auch am Freitag noch angehört werden muß.

Beschluß zur Anhörung der deutschen Abordnung.

Paris, 11. Jan. Mie der Sonderberichterstatter der Agence Havas in Cannes meldet, hat in der heutigen Sitzung des Obersten Rats Briand verlangt, daß vor jeder weiteren Verhandlung die Reparationskommistion die deutschen Delegierten über die am 15. 1. von Deutschland zu leistende Zahlung hören soll. Lloyd George stimmte diesem Vorschlag zu. Die deutsche Delegation wurde des­halb ersucht, heute Nachmittag 5 Uhr zu verhandeln. Die deutsche Abordnung soll natürlich deshalb vorher ge­hört werden, damit man nachher die Forderungen ent­sprechend etwaigen deutschen Angaben erhöhen kann. Keine Erhöhung des Preises für die deutschen Kohleulreserungen.

Paris, 11. Ja». Der .TempS" berichtet, Re französischen Der treter auf der Konferenz von Cannes hätten in Bezug auf die Be- rechnung der deutschen Kohlenlieferungen eine neue Entscheidung herbeigcsührt. ES wurde beschlossen, daß die von Deutschland ge­lieferte Repararionskohle auch in Zukunst nach den dcnffchen In­landspreisen berechnet wird.

Die eugUsch-,rauzosi,chen tpünd».sver«,ano»uttgen.

London, ii. Ja». Rerner meldet aus Cannes über den engtiich-sranzösischen Vertrag, man sei der Ansichr. daß keinerlei Anlaß zu der Auinnhme Italiens in diesem Ver­trag oorliege. Es verlautet, daß gegen eine britische Ga­rantie die endgültige Versicherung gegeben werde, daß Frankreich keinerlei agrcssive Politik befolgen werde. Briand erklärte kritischen Journalisten geaenübec, die Ver- äürgung der Sicherheit Frankreichs an seiner Oltgrenze werde die Verminderung des Besatzungshevres zur Folge haben können.

Paris. II. Tan. Nach einer Meldung des Sonderbericht­erstatters der Agentur Havas in Cannes hat Lloyd George bei der heute Vormittag abgchaltenen Veipreekuna mit Briand und Loucheur dem französischen Ministervräsiden- ten den Vorentwurf des engliich-iranzösiichen Abkommens übergeben. Briand. der heule Nachmittag nach Paris ab- rejsen wird, wird seinen Ministerkollegen den Entwurf verlegen.

Keine Aenderung des Orts

der Wirtschaftskonferenz.

London, 11. Jan. .Daily Mag" meldet aus Cannes aus oen Vorschlag Tichiticherins, die Botschafterkonserenz statt in Genua in London stattfinden zu lasten, sei geantwortet worden, dgß der Be­schluß der Alliierten in dieser Frage nicht geänden werden könne.

Bölkerbundsrat und Saargebiet.

DerBölkerbundsratbegünstigtdieBergewaitigung des Saarlands.

Genf, 11. Jan. Der'lccdundsrat wie? heute in öffentlicher Sitzung nach Bericht und Antrag des chinesischen Vertreters oen deut» >chen Einspruch gegen die Verfügung der Regierungskommiision des Saargebietes über den Begriff Saarbewohner ab. Tie Anlehnung erfolgte einstimmig und ohne Debatte. Die Begründung des An­trags war äußerst kurz und mager. Ter Bericht erkiäne im wesent­lichen, daß der Ausdruck Saarbcwohner häufig im Vertrag oorkommt und daß die Saarbcwobner de facto und de jure eine losgelöste (!) und abseits (!) stehende Gruppe darstellen, daß ste, wenn sie auch nicht ihre Nationalität verloren haben, io doch aus Grund des Ver­trags eine neue gesetzliche Stellung einncbmen. Die be­sondere Lage des Saargebiets erfordert besondere Maßnahmen. Im übrigen scheint die Verfügung die Nationalität der Bewohner nicht zu beeinträchtigen. Ferner müssen die politischen Rechte der Bewoh­ner nicht von der Nationalität.abbängia gemacht werden. Tie Be­stimmung der Verfügung der Rcgierungskommisston. daß die Eigen­schaft eines Saarbcwohircrs vom Wohnsitz im Lande ünd anderen von diesem wesentlichen Grundsatz abgeleiteten Bedingungen abhän» gen soll, ist durchaus angebracht. Die Sitzung über diese Frag« dauerte nur wenige Minuten.

Genf, 11. Jan. Der Bölkerbundsrat hat in geheimer Sitzung aus Antrag des chinesischen Berichterstatters für die Saarfroge die vier ausscheidcnöcn Mitglieder der Regierungskommission des Saaryebie- tes skr ein weiteres Jahr in iyrem Amte bestätigt, nämlich Raoult» Frankreich, Lambert-Belgien, Moiike-Haitscldt-Tänemark u. Waugh- Kanada. Raoult wurde von neuem zum Präsidenten.der Regierungs­kommission des Saargcbietes ernannt. Diese neue Bestätigung, über die die amtlichen Mitteilungen des Völlerbundsiekreiariats keinerlei Einzelheiten veröffentlichen, rief angesichts der zahlreichen jüngsten Kundgebungen der saarländischen Bevölkerung gegen die RsgierungS- komnlijsion unter den hier weilenden Vertretern der Saardewohner peinliches Aufsehen hervor.

Vermischtes.

Die Vevölkerungszahle» Europas.

Die Einwohnerzahlen der Länder Europas har letzt das Stal. Neichsamt nach der Aufteilung Oberschlesiens festge,stellt. Tos Deutsche Reich hat hier ein Gebiet verloren, das nach der letzte» Volkszählung 980 296 Einwohner zählte. Die Bevölkerung des Rer- cheS, die am 8. Oktober 1919 59 857 283 betrug, hat sich durch Ein­wanderung und Geburtenüberschuß inzwischen auf rund 62 Millio­nen vermehrt. Uedertroffcn wird Deutschland nur von Rußland, daS in Europa 101 Millionen Einwohner zählt. An dritter Stelle folgt Großbritannien, vorläufig mit Irland, mit 47.3 Millionen, Italien mit 39L; es hat Frankreich mit nur 39,2 Millionen überholt. Zu diesen drei großen Ländern kommen 5 mittlerer Größe mit 1030 Millionen: Polen 29, Spanien 20, Rumänien 15,4. Jugoslawien 14Z und die Tschecho-Slowokei mit 14,6 Millionen. Alle übrigen Län­der sind zu kleinen Staaten zu rechnen. Ungarn 7,48, Belgien 7,62, Niederlande 6.84, Deutschösterreich 6,13, Portugal 5 69, Schweden 5.81, Griechenland 5,6, Bulgarien 4.86, Litauen 4L, die Schweiz 3,89, Finnland 3,33, Dänemark 3,27, Norwegen 2.45, Esthland 1,7ü Lettland 1,73, die Türkei in Europa 1,25, alle übrigen Länder 1../. Millionen.