Im Strome des Lebens.
Roman von Jenny Piorkowska.
(Nachdruck verboten.)
16 .
Der Erzähler schwieg, eine kurze, fast atemlose Sülle trat ein.
„Und dieser Schlag — ich that ihn)" fuhr er mit klangloser Stimme fort. „Erst als der letzte Ton des Ermordeten verhallte, erst da ward ich mir des Geschehenen bewußt, erst da erkannte ich, was ich gethan hatte. Ich drückte die blutbefleckten Hände vor die Augen, aber was half's? nichts, nichts I weder Zeit, noch Vergessenheit, noch Schlaf können je das Bild aus meinem Gedächtnis wischen, das mich bis an das Ende meines Lebens verfolgen wird."
„Ich beugte mich zu dem Toden nieder und suchte mit hastigen, zitternden Händen nach jenem Beweis, mit dem er mir gedroht hatte. Dann jagte ich, wie von tausend Furien verfolgt davon. Wohin? ich weiß es nicht I — Endlich am dritten Tage eines ziel- und hoffnungslosen, verzweiflungsvvllen Umherirrens sah ich mich in der Nähe der Roddegg'schen Besitzung; und da in dem Fichtenwald ward ich zufälliger Belauscher einer Unterhaltung, der allein ich eS zu danken habe, Dich noch einmal sprechen zu können. — Zwei Tage nach jenem grauenvollen Mord hatte jener in der ganzen Gegend als bös- »nd gewissenlos bekannte Mensch seinem Lebe» ein Ende gemacht; und da die Leute ihn Tags vor des Doctors Ende mir diesem in einem heftigen Wortstreit bemerkt hatten, nahm man allgemein an, daß er und kein Anderer der Mörder war. Das gab mir eine verhältnismäßige Sicherheit. Ich verschaffte mir eine geheime Unterredung mit L'sette, die Dir so treu ergeben ist, daß sie, das wußte ick, Dir zu Liebe alles thun würde, obwohl sie, als ich sie sprach, wohl etwas von der furchtbaren Wahrheit ahnen mochte. Sie war es, die mir den schwarzen Domino verschaffte, ihr habe ich es zu verdanken, daß ick Dich an der blauen Schleife erkannte."
Wir waren beide zu verlieft in die traurige Erzählung, als daß wir an die Zeit, nock überhaupt an das, was um uns vorging, gedacht hätten. Ta plötzlich kam Lisette in atemloser Hast in den Pavillon gestürzt.
„O, Herr Blanchard, fliehen, fliehen Sie, so schnell Sie können I Noch wenige Minuten, und Sie sind verloren. Es sind Cuminal- dcamte da, dfe das Haus durchsuche», es habe sich in der Nähe des Hauses eine verdächtige Person gezeigt . . ."
„Aber wohin — wohin soll ich fliehen?" rief Victor ratlos, mit vor Verzweiflung gerungenen Händen.
Ich schaute Lisette hilftflehend an.
„Wissen Sie keinen Zufluchtsort, Lisette?"
„Keinen — sie durchsuchen Scheunen und Ställe, sie lassen kein Fleckchen unberührt; im Hause haben sie schon halb die Runde gemacht ..."
„Sv finden wir da am ersten Schutz! O, wenn wir ihn eist ins Haus bringen könnten, in dem einen Zimmer ist er dann gewiß sicher!"
„Allerdings," entgegnete Lisette, „wenn es anginge . . . wenn Sie nicht Furcht haben . . ."
„Nein, nein, ich habe keine Furcht," fiel ich ihr schnell ins Wort, indem ich meine
Hand in die Victors legte. „Reben Sie — schnell I"
„Man hat Verdacht auf den schwarzen Domino, unser Herr — weiß ich — hat ein scharfes Auge auf ihn — wenn Herr Blanchard mir nun seinen Domino gäbe — ich gehe mit Ihnen, Fräulein, die Vorder- Ireppe hinauf ins Haus — werde ich entdeckt, nun, so ist das nicht schlimm — sobald ich im Hause bin, eile ich in die Garderobe und bringe Herrn Blanchard irgend einen der bunten Dominos, mit welchem es ihm nicht schwer werden wird, ohne Verdacht zu erregen, in Ihr Zimmer zu gelangen."
Dieser Vorschlag wurde befolgt — es folgte eine furchtbare, eine qualvolle halbe Stunde, aber der Plan gelang. Während unten in den Salons Alles Freude u. Lustbarkeit war, fand die Unglückliche Zuflucht in dem geheimen, jedem fremden Auge stets verschlossenen Zimmer. Aber wie ein Schauder durchlief es meinen Körper, als seine kalten, zitternden Hände die meinen erfaßten. Ick suchte daran zu denken, daß er, daß dieser Mann es war, der mich liebte — daß er, aus Liebe zu mir sein Leben aufs Spiel gesetzt hatte; aber Verbrechen und Gewissensbisse hatten ihn seltsam verändert. Selbst in seiner Zärtlichkeit, in jedem Wort, das er sprach, lag eine wilde Verzweiflung. Ich suchte ihm zuzureden, suchte ihn zu trösten, aber vergebens; und bald kam Lisette, mich daran zu mahnen, daß ich ihn verlassen müsse.
„Alles fragt nach Ihnen, Fräulein," sprach sie. „Fraulein Martha war schon in Ihrem Zimmer, Sie zu suchen, und als sie sagte, Sie seien nirgends zu finden, da wurde Rodegg so bleich und so besorgt um Sie, daß Alle hinzusprangen."
Ich eilte die Trcppe hinunter; an der Thüre unten blieb ich einen Moment, um, gegen einen Pfeiler gewendet, roch etwas Mut zu schöpfen; in demselben Moment wollte Jemand eilends das Hauö verlassen, mit einem Ausruf der Ueberroschung erkannte er mich — ich blickte auf — Rodrgg stand vor mir.
„Wo waren Sie ?" fragte er, erleichternd aufatmend.
Bei dieser Frage verließ mich alle meine Selbstbeherrschung; ich rang nach Worten zu einer Erwiederung, aber vergebens; und das Gesicht mit den Händen bedeckend, brach ich in bittere Thränen aus.
„Sie sind nicht wohl," sprach er gütig, indem er meine Hand erfaßte und mich nach einem Stuhle führte. „Sie sind unglücklich I — Ich kann sic nicht leiden sehen l Wollen Sie mir nicht sage», was Ihne» ist, daß ich Ihnen helfen kann?"
„Sie können mir nicht helfen," entgeg- nete ich verzweifelnd.
„Das glauben Sie, aber Sie wissen nicht was ich opfern würde, um Sie wieder heiter und glücklich zu sehen."
„Nein — nein, es kann mir Niemand helfen l"
„Ist es nur der Trennungsschmerz von dem Geliebten," fuhr er hastig fort, „dann freilich bin ich hilflos; ist es aber was ich fürchte, dann kann ich Ihnen vielleicht mit Rat und That beistehen. Wollen Sie mir nicht vertrauen ? Ich verspreche Ihnen, Alles,
Alles daran zu sehen, um Eie wieder glücklich zu machen.
„Sie sind sehr gütig," hauchte ich, „aber eS ist unmöglich."
„Dann will ich Sic nicht länger quälen. — „Wollen Sie sich in Ihr Zimmer zurückziehen, jo gehen Sie, ich werde Sic bet der Gesellschaft entschuldigen."
Ein stummer Dankesblick war die Antwort ; dann eilte ick die Treppe hinauf. —
Victor war in dem geheimen Zimmer verborgen, Lffettc sorgte dafür, daß e« ihm an nichts fehlte, und ich stahl mich von Zeit zu Zeit zu ihm aber immer nur auf wenige Minuten, um keinen gefährlichen Verdacht zu erregen.
XI.
So schwer es mir ward, konnte ich doch nicht Zurückbleiben, als wir tags darauf ein« Einladung zu Herrn und Fräulein Ponti- nus erhielten. Mit welcher Last auf dem Herzen betrat ich daö HouS der mir sonst so lieben Menschen I Es war mir eine wahre Qual, da im Kreise heilerer Menschen sitzen, an ihrem Lachen und Geplauder scheinbar teilnehmen zu müssen, während meine Gedanken, mein Sehnen dock bei dem waren, von dem ich vor einer Stunde bis zum Abend Abschied genommen hatte.
Als die Gesellschaft sich nach dem Esten zerstreute, während diese sich am Clavier amüsierten, jene plauderten, ein Dritter und Vierter Albums durchblätterten, zog ich mich in ein kleines Boudoir zurück.
Nach einiger Zeit steckte Fräulein Pon- tinuS den Kopf zur Thüre herein.
„So allein?" sprach sie; doch eben im Begriff, sich zu mir zu setzen, wurde nach ihr verlangt. „Ich werde Ihnen Jemand schicken, der Sie besser zu unterhalten versteht als ich," setzte sic darauf lächelnd hinzu.
„Ich danke, aber ich habe etwas Kopfweh und bliebe lieber allein," entgegnete ich.
„O, ich schicke Ihnen Jemand, der Sir nicht quält, der Sie ebenso gern hat, wie Sie ihn —"
Damit eilte sie mit mutwilligem Lächeln wieder davon.
Müde lehnte ich in den Stuhl zurück. Es war schon spät, und noch dachte Niemand daran, aufzubrechen. Wie würde eS inzwischen meinem armen Gefangenen gehen?
„Wenn Sie es wünschen, will ich mein Möglichstes Ihun," hörte ich da Rodeggs Stimme, „aber noch weiß ich nicht, wem ich mich widmen soll."
„Gehen Sie nur da hinein, und seien Sie versichert, daß Sie sich sehr gut unterhalten rmrden — die junge Dame ist Meine spezielle Favoritin."
Rodegg machte ein ziemlich überraschtes und wenig erfreutes Gesicht, als er mich erkannte.
„Fräulein Pontinus schickt mich zu Ihnen, Sie zu unterhalten," fing er, sich mir gegenüber an den Tisch setzend, in halb heiterem, halb tiefernstem Tone an. „Wovon soll ich reden, Sic zu amüsieren?"
„Es fiel Ihnen doch sonst nicht schwer, mit mir zu plaudern."
„Sonst jagten Sie immer, ich sollte Ihnen von mir erzählen."
„Mein Geschmack hat sich nicht geändert."
(Fortsetzung folgt.)
Redaktion, Druck und Verlag von Bernh. Hosm » nn in Wildbad.