Nr. 4.

Amts- und An'cigeblatt für den Oberamtsbezirk Calw.

Tonncrötag, den 5. Januar 1922.

-vezu

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Neueste Nachrichten.

Tie ersten Besprechungen in Cannes haben schon begonnen. Aus

den biS heute vorliegenden Kommentaren über den Charakter der

Konferenz ist deutlich zu ersehen, daß die Erpressungspolitik der

Entente gegenüber Teutschland fortgesetzt werden iv rd.

Die Konferenz von Cannes.

Ankunft Vriands in Cannes.

Cannes, 4. Jan. Ministerpräsident Briand ist heute Vor­mittag mit seiner Begleitung hier eingetrofsen. Die Stadt ist anlässlich der Konserenz beflaggt und bietet einen festlichen An­blick.

Frankreich erhofft Verschärfung der Haltung gegenüber Deutschland.

Paris, s. Ja». DerMarin" schreibt l» einem dem Beginn der Verhandlungen in Cannes gewiometen Artikel: Auf die weitgehenden Divergenzen zwischen den Alliierten, die eine Eini­gung über die zur Diskussion stehenden Probleme wenig aus­sichtsreich erscheinen lassen, werde das Ergebnis der>Konserenz wohl die Verschärfung der Koittrokmasjnahmeu und die Erwei­terung der Vollmachten der Reparationskommijsion sein. Die Konferenz, die Deutschland zu einer abwartenden Haltung und zu passivem Widerstand verleitet habe, könne sehr leicht der Ausgangspunkt einer neuen Politik gegenüber Deutschland werden, die für Deutschland härter sein werde als jemals zu­vor. Rathenau, der nicht in Cannes, sondern in dein bcnach- barien Menione Ausenihalt nehmen werde, werde sicher gut daran tun, seine Regierung darüber auszullären. dah die zwi­schen den Alliierten bestehenden Meinungsverschiedenheiten für Deutschland ein Anlatz zu sehr ernster Beunruhigung seien.

Die D rnckpolit.k Frankreichs mit derN -Bootsrage.

Mailand, 4. Januar. DemCorriere della Seru" wird von Darzini aus Washington gemeldet: Die Besprechungen über die Marinefragen sind immer noch unterbrochen. Die Bespre­chungen zwisHn Lloyd George und Briand in Cannes werden sich wahrscheinlich auch auf die Unrerseebootsfrage beziehen und es ist nicht ausgeschlossen, daß wenn ein Beschlutz gefotzt wird, dieser die Grundlage für die weiteren Verhandlungen in Was­hington bildet. Die Ergebnisse der Besprechungen von Garnes werden vielleicht die wirklichen Gründe für die Haltung Frank­reichs in der Frage der Abrüstung zur See erhellen. Angesichts der absoluten Unmöglichkeit für Frankreich, die grotze Flotte zu bauen, die es als unerlässliches Minimum bezeichnet, beginnt man in den Konfcrenzkreisen zu glauben, dah es sich bei den französischen Forderungen nur um ein politisches Manöver handelt. Die besonders gegen England gerichtete Drohung mit Len Unterseebooten soll ein Druckmittel sein, auf das Frank­reich nur bei weitgehenden Zugeständnissen auf einem anderen Gebiete verzichten will. In Washington ist man allgemein der Ansicht, dag sich England auf ein solches Spiel Frankreichs nicht einlasien werde. Was die Franzosen mit ihrem Verhalten bis jetzt erreicht haben, ist eine feindselige Gesinnung in Ame­rika, wo man tief bedauert, dag die Konferenz, auf die man so viele Hoffnungen setzte, von den Franzosen in dar Fahrwasser einer egoistischen Politik getrieben wird.

Französische Dialektik.

Paris. 5. Jan.Journal des Debüts" schreibt die Konferenz von Cannes bobe nicht die Aufgabe, ein englisch-französische! Bünd­nis auS'narbeitc» Der Abschluß einer Bündnisses mit England würde keinerlei Ordnung schaffen. E? würde Frankreich nur eine illusorische Bürgscbaft bieten, wenn diesem Ableblnß nicht die Re­gelung wichtiger Fragen vorangehe. dir Frankreich und England be­schäftigten. Unter diesen Hrag'N sei die dringendste die Nepnro- tion-sfrage.

Wiederbeginn der KeregsbeschuldigLenhetze in Frankreich.

Paris, 4. Jan. Wie Havas miUeilt, wird am Freitag im Ministerium des Auswärtigen die Kommission für die Kriegs- bcschuldigtensrageu zusammentrrten, um die Leipziger Urteile zu begutachten- Weil man bei den Verhandlungen in Cannes wieder dieEntrüstung" des französischen Volkes braucht, werde» jetzt die Leipziger Urteile einerBegutachtung" unterzogen.

Die angeblichen Pläne Lloyd George's.

Paris, 5. Ja». Nach derInformation" sind Lloyd George und Briand in London übereingekommen, daß znr Beseitigung der cngli- schm Arbeitslosigkeit und zum Zwecke der Hebung üer wirtschaftlichen Lage Frankreichs vor allem Deutschland die Möglichkeit gegeben wer. Heu müsse, seine Mittel durch Anssuhr »ach RußlmUi zu bereichern.

Hierfür sei von seiten der englischen Finanzgruppe eine Einladung an Stinnss ergangen. Sein Besuch in London habe nur darum kei­nen Erfolg gehabt, weil die dcuischc Regierung Slinncs in seinen Plänen zur Ausbeulung der Eisenbahnen und zur Abschaffung des Achtstundentages nicht unterstütze Tann sei aber zum Erstaunen der englischen Kreise nicht Stinnes. sondern Rathenau nach London ge­kommen Ralhenau sei es dann gelungen, Lloyd George davon zu überzeugen, daß nian zur Gesundung üer Wirtschaftslage zuerst den Markkurs heben müsse. Nun wird Lloyd George aus der Konferenz von Cannes gegen jeden Vonchlag von Zwangsmaßnahmen gegen Deutschland Widerstand leisten und dafür eintreten, daß die Entente im Gegenteil zu einem möglichst raschen deutschen Wiederaufbau milhelfe. Für die Hebung des Markkurjcs sei eine Gruppe von Fi­nanzleuten tätig, denen von englischer Seite Konzessionen gemacht worden sind. Diese Hilfsaktion werde auch bald Erfolg haben, wenn auch vielleicht zuerst noch die Mark schwanke oder gar momen­tan weiter sinke.

Paris. 4. Jan. LautMatin" habe Lloyd George bei seiner Zusammenkunft mit Briand seinen Plan zur Neuregelung der Neparationssrage hauptsächlich deswegen zurückgehalte», weil die darin enthaltenen Konzessionen Englands undurchführbar feien, solange nicht Amerika aus das Guthaben gegenüber den Alliierten verzichte. Darum habe man anstelle eines Morato­riums für mehrere Jahre nur ein einjähriges Teilmoratorium ins Auge gefaßt. Frankreich soll dafür entschädigt werden, in­dem der ihm für die Saargrulen zur Last geschriebene Betrag annulliert werde. Belgien würde LöO Millionen erhalten, was angesichts der unsicheren finanziellen Lage Belgiens nur statt­haft sein würde, wenn dieses aus freien Stücken zustimme. Die Gründung eines internationalen Konsortiums zur Wiederauf­richtung Mitteleuropas und Rußlands werde durch den eng­lischen Egoismtls gefährdet, der darauf bestehe, daß das Ee- icllschastskapiral von außerordentlich an dem Konsortium inter­essierten Ländern nur eine geringfügige Beteiligung zugcstche.

London, 5- Jan. ImDaily Lhronicle" schreibt der sehr gut unterrichtete. Politicus, daß die alte französisch-englische En­tente heute keine feste Grundlage habe, bedeute keineswegs, dah bis morgen eine gefunden werden könne. Die Hauptmeinungs- verschiedenheiten zwischen England und Frankreich beträfen die Reparations- und Rüstungsfrage. Frankreich mein«, Deutsch­land wüste zahlen, selbst wenn es dabei zu Grunde gehe. Eng­land dagegen erhoffe von einer endgültigen Lösung der Repa­rationsfrage auf praktffcher Grundlage den Wiederaufbau des europäischen Handels. Dafür werde England selbst bereit sein, seine Forderungen an Deutschland zu streichen. England sei ferner im Gegensatz zu Frankreich der Ansicht, daß eine wirk­liche Hoffnung bestehe, daß der Frieden Europas auf eine andere Grundlage gestellt werden könnte, als auf die militä­rische Vorherrschaft einer einzigen Macht oder auf ein all­gemeines Wettrüsten. Politicus meint, es würde sich für Eng­land lohnen, Frankreich und Belgien «in Vorrecht an den Re­parationen z« geben und die Neutralität der Rheinland« zu garantieren, wenn es im Austausch möglich wäre, eine dauernde Regelung sowohl der Neparationssrage, gls auch der Ab- riistungssrage in Europa zustande zu bringen.

Die Stellungnahme Italiens.

Paris, 5. Jan. Wie derMalin" meldet, scheint die Haltung Italiens noch nicht festgrlegt zu sei», vielmehr vom Verlauf der Vorbesprechungen abzuhängen. Im italienischen Kabinett selbst sind Differenzen ansgebrochen, worüber der Generaldirektor LeS engli­schen Schatzamtes, der jüngst zu Vorverhandlungen in Rom weilte, folgendes berichtet: Während Bonomi, der Schatzmeister de Nova und der Finanzrninistcr Soleri dem englischen Standpunkt zunet- geu, untersteht della Torctta dem Einfluß der Neparationsk-mmis- /ron und ist daher gegen Konzessionen, sowie dagegen, daß der inter­nationale Wiederaufbau gemeinschaftlich erfolgt. Ti« italienische Presse ist r.norientiert. Am besten charakterisiert derTemv«" die Lage: Das italienische Interesse wird mit der wechselnden Haltung der anderen Wechsel», falls Frankreich auch hier die ganze Repara- tionSiumme fordert, doch stimmt das Tesamtinteresse Italiens mehr mit dem Englands überein.

Amerika und die Konferenz.

Lands», 4 Ja». Reuter Meldet aus Washiogton: Präsident Harding und das amerikanische Kabinett verbrachten 2 Stunde» mit der Erörterung der europäischen WirstchastSlage. Amtlich wird mit­geteilt, daß keinerlei Beschluß bezüglich der amerikanischen Politik in der Frage der Teilnahme an einer europäischen Konferenz ge­faßt wurde. Bishek sei von Seiten der amerikanischen Mächte kein offizieller oder halboffiziellcr Vorschlag für eine Beteiligung an Präsident Harding gelangt

97. Iahrffmiq

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Dre Entsendung Ratheuaus noch nicht sicher.

Berlin, ö. Jan. Wie derBerliner Lotalanzeiger" mittcilt, wird von ärmlicher Berliner Stelle erklärt, es stehe noch nicht sest, ob Rathenau nach Cannes reisen werde.

Der Neichsm.xtscha.tsrat und die Reparationen.

Berlin, ü. Jan. Wie derBerlins Lolalanze.ger erfühlt, hat der wirlschaftspolinsche Ausschuß des ReichswirtschasGrats gestern die Gesetzenrwürfe über die Aussuhrabgabe unv die Ab­lieferung der Devisen zugunsten der Reparation angenommen.

Washington.

Der Abriistungsschw.ndel tu der A.-Bootsfrage.

Washington, 4. Jan. Gestern Abens gab Sarraur im Lause der Debatte über die Beschränkung des Unlerjeeboorskriegce folgende Erklärung ab: Frantreich «nimm ohne Vorbehalt inch: nur die Entschließung Noot an, sondern auch den Zuiatzantrag Balfour. Was die zweite Entschließung antcmgt, so nehmen wtt den Inhalt vollständig an. ->- Die Flottensachverstänrigen werden Vieser Entschließung die endgültige Form gebe«, Kami: ihre Bedeutung durchaus klar ist.

Ein Antrag tm amerikan. Reprässntantenhans gegen den sranzösischen Nttsiungsrva.)ttjinn.

London, 4. Jan. Die im amerikanischen Rcpraseiilaiue»m>'.i eingebrachre Entschließung des Republikaners Neavis besag! im einzelnen, die Washingioner Konferenz habe gezeigt, da» gewisse Staaten, deren Gläubiger Amerikas sei, große Summen Geldes für vermehrte Rüstungen zur See ausgeben. Neavis er­klärte, die Der. Staaten hätten volles Vcrstündnnis für die Not in Europa und.wären bereit, die europäische Schuld zu fundieren, wenn die Notwendigkeit dafür sich klar ergebe Wenn sich Frankreich jedoch durch die Bitte der Menschheit im Welt­frieden nicht erweichen lasse und die Absicht habe, seine U-Boote in großem Maße zu vermehren, so sei es für die Amerikaner an der Zeit die Träne der Sympathie (!j sich zu sichern, uno die augenblickliche Lage klar zu erfassen. Frankreich habe ein Heer, das größer fei als das deutsche Heer vor dem Kriege. Es lehne es nicht nur ab, sein Heer zu vermindern, sondern bestehe aus der völligen Freiheit, es noch zu vermehren. Frankreichs Hal­tung in der Frage der Vermehrung seiner Flotte bedeute eine Ausgabe von Hundenen von Millionen Dollar. Sicher werde keine Nation, die sich in finanzieller Not befinde, ein solches Rüstungsprogramm ins Auge fassen. Das amerikanische Volk müsse mit Recht darauf bestehen, daß das von Frankreich ent­worfene Programm mit französischem und nicht mit amerika­nischem Gelds bezahlt werde. Man muß beachten, daß es sich hier nur um einen Antrag handelt, der bestimmte inner­und aiitzenpoliliiche Absichten verfolgt, der aber im Senat keiner­lei Aussicht auf Beachtung hat, denn die Amerikaner brauchen die Franzosen für ihre Politik so notwendig wie letztere Amerika.

Die Echantunafraae.

London, 4 Jan. Cs verlautet, daß die chinesische Deleaation Balfour und Hughes ersucht Hot. in der auf einem toten Punkt an- gekommencn Schantungfrage zu vermilteln.

Ausland.

Danzig gegen die Vergewaitigung seines Rechts.

Berlin, 5. Jan. Wie die Blätter ans Danzig melden, wird Se- natspräsidcnt Sahm heute zu den Verhandlungen des VölkerbundS- ratS nach Genf reise», um dort gegen die Enftchcidungen des Lber- kommiffarS Berufung einzulcgens die sich auf Ausweisungen polni­scher Staatsangehöriger aus Danzig, auf die Führung der auswärti­gen Angelegenheiten durch Polen und auf die gerichtlichen Beziehun­gen zwischen Deutschland und Danzig bezieht. Hinsichtlich all die­ser- Entscheidungen sieht der Senat der Stadt Danzig die ikm auf Grund des FriedenSvrrtragS zustehenden Rechte nickt w- genü­gend gttvohri an.

Bor den englischen Wahle»».

London, 4. Jan. Ter politische Berichterstatter desManch,nur Guardian" schreibt: Die in einigen Wochen stattfindendcn Ncuwcch len werden von der Arbeitslosensragc beherrscht werden. Das von der Regierung vorgcschlagcne Heilmittel ist die Wiederherstellung des Handels und z« diesem Zweck die Wiederherstellung Europas insbesondere Deutschlands und Rußlands. Die Hindernisse liegen im Auslande, besonders ln Frankreich. Sowohl gegen Frankreiä. als auch gegen ganz Europa wird Lloyd George und seine Re­gierung viel stärker dastehen, wenn die Neuwablen sie bestätigt ha­ben. Wenn die Negierung eine Niederlage erleiden sollte, so könnte nur eine liberale oder eine Arbeiteropposition folgen, die sich ganz