Rundschau.
Heilbronn, 31. Dezbr. Eine freudige WeihnachlSüberraschung wurde einem bei einem hiesigen Werkmeister beschäftigten jungen Handlanger zu Teil. Derselbe erhielt am heiligen Abend unerwartet die Nachricht daß ihm infolge Todesfalls eines nach Amerika ausgewanderten Verwandten eine Erbschaft im Betrag von 20 000 ^ zugefallen sei, die schon seit 2 Jahren in der Schweiz für ihn bereit liege, in Unkenntnis seines Aufenthalts ihm bisher nicht habe ausgefolgt werden können. Erst jetzt ist es demnach dem schweizerischen Advokaten, dem die Verwaltung der Erbschaft oblag, gelungen, den Aufenthalt des jungen Mannes zu ermitteln. Eine der Mitteilung beigefügte Geldsendung von 200 ^ setzte den letzteren in den Stand, sich sofort an Ort und Stelle zu begeben, um die zur Erhebung des Geldes nötigen Schritte zu unternehmen.
Nürtingen, 2. Jan. Wegen dringenden Verdachtes der Brandstiftung ist der Mühlenbesitzer Künkele in Haft genommen worden, da beim Landgericht Tübingen eine Forderung von 4000 ^ gegen ihn anhängig ist und er sich auch sonst in finanzieller Verlegenheit befindet.
Metzingen, 29. Dez. Den Bewohnern eines Hauses der Reutlingerstraße fiel es gestern früh auf, daß sich von den Bewohnern des Erdgeschosses zur gewohnten Stunde niemand sehen ließ und daß die Fensterläden geschlossen blieben. Ais man die Thüren aufbrach, fand man Mann, Frau und zwei Kinder in bewußtlosem Zustand vor. Dieselben hatten, wie der S. M. meldet, Leuchi- gas eingeatmet, das von einer schadhaften Gasröhre in den Keller und von da in die Wohnung eingedrungen war. Der Mann und die Kinder erholten sich bald, die Frau kam erst nach mehreren Stunden wieder zum Bewußtsein.
— Im Oberamtsbezirk Gmünd dauert die Erregung der Gemüter auch nach der Stichwahl mit unveränderter Heftigkeit fort. Sehr bezeichnend ist ein „Eingesandt" i» einem Gmünder Blatt, welches lautet: „Weihnachten I Friede auf Ereen I O, Herr, steh' Dein Volk an und seine Hirten I"
— An der Spitze des neuen Berliner Adreßbuches für 1897 steht gebührender Maßen der Name des Kaisers, der mit den vollständigen Titeln verzeichne! ist. Sie nehmen dort nicht weniger als zehn ganze Zeilen ein und lauten: „Wilhelm II. deutscher Kaiser und König von Preußen, Markgras von Brandenburg, Burggraf zu Nürnberg, Graf zu Hohenzollern, suvcräner und oberster Herzog von Schlesien wie auch rer Grafschaft Glatz, Großherzog von Nieder! dein und Posen, Herzog zu Sachsen, W.slfaleu und Enger», zu Pommern, Lüneburg, Holstein und Schleswig, zu Magdeburg, Bremen, Geldern, Kleve, Jülich und Berg, sowie aucb der Wenden und Kassuben, zu Krossen, Laucndurg, Mecklenburg, Landgraf zu Hessen und Thüringen, Markgraf der Ober- und Nieder-Lausitz, Prinz von Oranicn, Fürst zu Rüden, zu OstfrieSlond, zu Paderborn und Pyrmonnt, zu Halberstadt, Münster. Minden, Osnabrück, HileeShrim, zu Verden, Kammin, Fulda, Nassau und Mörs, gefürsteter G>ai zu Henneberg, Graf der Ma,k und zu Ravensburg, zu Hohenstein, Tecklenburg und Lstigen, zu Mannsfeld, Sigmaringcn und Zeringen, Herr zu Frankfurt." Der voll
ständige Vorname der Kaiserin lautet: „Au- gustaViktoria FriederikeLuise Feodor aJenny."
— Ein Ehrenhandel des Referendars von Bismarck, lieber d^n bekannten Ehrenhandel, i» de» Fürst Bismarck, als er Referendar war, in Wiesbaden verwickelt gewesen, berichtet der Rheinische Courier nach einer Schrift des RegierungSratS Kantel wie folgt: Als Bismarck im Jahre 1836 zum erstcnmale in Wiesbaden war, besuchte er eine Reunion des Kurhauses. Er saß während einer Tanzpause auf einem Sopha in ungezwungener Haltung und beschaute die Anwesenden mit dem ihm noch heute eigenen scharfen Blicke. Plötzlich kam der Mediziner Lange, der nachmalige Arzt Dr. Gustav Lange, welcher 1889 in Heidelberg verstarb, aus Bismarck zu und fragte ihn : „Warum fixieren Sie mich?" „Sie gefallen mir", entgegnetc Bismarck. — Lange soll in seiner Jugend ein auffallend hübscher Mensch gewesen sein. — Lange enigkgnele Bismarck darauf in erregtem Tone: „Sie gefallen mir aber gar nicht I" Es entlpann sich ein kurzer Worte Wechsel, welcher mit dem Austausch der Karlen endigte. Eine »friedliche Einigung war nicht zu erzielen und so ließ Lange v. Bismarck auf Pistole» fordern. Die Sekundanten trafen die näheren Vereinbarungen über das Duell, welches auf einem Orte auf großherzoglich hessischem Gebiete zwischen Biebrich und Castel auSgefochten werden sollte. Eine vom Sekundanten Bismarcks, dem englischen Kapitän Heathorte übersandte Karte enthielt daher die Bemerkung: „domain ü In kröne tioro". Zur festgesetzten Zeit erschienen die Duellanten auf dem bestimmten Orte, wo die Sekundanten sich nochmals bemühten, eine Einigung zwischen Lange und BiSmarck zu erzielen. Lange erklärte sich hierzu bereit, aber Bismarck verhielt sich ablehnend. Lange nahm deshalb seinen Platz unter einem großen Baum ein, während die Sekundanten absichtlich die Abmessung der Entfernung zwischen den Gegnern hinausgezogen und in Bismarck drangen, vsr einem solchen Waffengange eine friedliche Lösung zu wählen, da doch der Grund zum Streite so sehr geringfügig sei. BiSmarck gab den» auch nach und bot dem Gegner die Hand mit den Worten: „Nun, dann wollen wir in Frieden leben". Bei s-incm 50jährigen Dokivrjubiläum sagte Dr. Lange: „Gut, daß es so gekommen ist, es wäre doch schade gewesen, wenn ich ihm das Lebenslicht ausgeblasen hätte I" Dr. Lange war ein ausgez. Pistolenschütze u. Schläger.
— Eine angenehme Ueberraschung ist einem Berliner Schutzmann zum Weihnachts- feste g,macht worden. Der Tierschutzverein Übersande ihm 150 weil er im Laufe dieses Jahres die meiste» Anzeigen wegen Tierquälerei gemacht hatte.
— Aus Moskau wird geschrieben: Schneestürme haben in Ostsibirien ungeheuren Schaden angeiichlet. Der Straßenverkehr mußte eing.stellt werden. Vielfach sind die Telegrafenleitungen z.rstört. Mehrere Wagenzüge scheinen auf den Landstraßen verunglückt zu sein. — Auch im eigentlichen Rußland wüteten Schneestürme. In Nischny Nowgorod war tagelang der Straßenverkehr nahezu unmöglich.
— (Ein nachgemachter Wunderdoktor)
„Was die Eurbildung thut", beweist folgender Vorfall, der sich vor Kurzem in Eberode zugetragen hat. Vor einige» Wochen führte dort ein Verein das Theaterstück „Der Wun
derdoktor Ast" auf. Die Darsteller, besonders aber der Träger der Titelrolle, verstanden ihre Rollen so vorzüglich durchzuführen, daß die Anwesenden vor dem Wunderdoktor alle Achtung bekamen. Der Triumph der schauspielerischen Leistung dürfte sein, daß ein Einwohner nach Schluß der Vorstellung allen Ernstes das Verlangen anssprach, von dem Wunderdoktor Ast untersucht und behandelt zu werden. Man ging auf den Spaß ein und gab dem Hilfesuchenden zu verstehen, daß dies augenblicklich nicht gut anginge, da aber der Wunderdoktor später wieder nach Eberode käme, dann könne er sich in dessen Behandlung begeben. So vergingen einige Wochen, in denen es wiederholt Gelegenheit gab, den eingebildeten Kranken — denn mit einem solchen hatte man es zu thun — weiter in seinem Glauben zu bestärken, und so kam denn der Tag und die Stunde, an dem der Wunderdoktor wieder eintreffen sollte. Der Kranke stellte sich rechtzeitig in der Wirtschaft ein und erfuhr dort, daß der „berühmte Mann" sich bereits im Nebenzimmer befände und auf ihn warte. Er begab sich nun dorthin und trug dem vermeintlichen Wunderdoktor Ast, der kein Anderer, als der Darsteller im Theaterstück war, seine Leiden vor. Dieser schnitt ihm mit einer großen Schafscheere ein Büschel Haare ab und untersuchte, soweit angängig, den Kranken, der sich nicht genug wundern konnte, daß der Wunderdoktor seine Verhältnisse und seinen Lebenswandel so eingehend kannte. Schließlich wurde ihm von „Ast" eine Salbe, bestehend aus reinstem Schweinefett, überreicht. Höchst befriedigt verließ der „Kranke" den Wunderdoktor, und wie er heute noch behauptet, hat die Salbe „wunderbar" gewirkt und er jetzt von seinem jahrelangen Leiden befreit.
— Rußland hat mit China einen Eisen- bahnvertrag abgeschlossen, wonach die durch Sibirien führende Eisenbahn auch auf eine große Strecke chinesischen Gebiets verlängert wird. Dieser Erfolg Rußlands brachte den Engländern schwere Sorgen, aber sie können dagegen höchstens einen papierenen Protest erlassen, der den Russen nickt imponiert. — Der russische Finanzminister Witte soll neuesten Meldungen zufolge die Einführung der Goldwährung in Rußland, wenn nicht ganz aufgegeben, so doch vertagt haben. Der russische Kriegsschatz bleibt also zur Freude der Franzosen vorläufig unberührt.
— Ein Freund der „Straßb. Post" schreibt vom Lande: Dem Rufe folgend: „Gedenket der hungernden Vögel!" streut wohl jetzt wieder manche mitleidige Hand den lieben Sängern Futter vor Fenster u. Thüre, in der edlen Absicht, die Tierchen vor sicherem Hungerlode zu bewahren. Oft wird aber gerade das Gegenteil erreicht; die kleinen Kostgänger werden einem sicheren Tod ent- gegengesührt. Es werden nämlich vielfach Brolüümchen oder zerdrückte Kartoffeln gestreut, welche Nahrung dem Ammern und Lerchen, die sich neben Sperlingen an solchen Plätzen einfinden, an und für sich unschädlich ist, aber sehr leicht verderbenbringend werden kann. Ist nämlich die Fütterungs- stelle naß, so werden Brot und Kartoffeln bei längerem Liegen sauer und verursachen dadurch bei den Vögeln Durchfall, und diese Krankheit ist für die zarten Tierchen in der entbehrungsreichen Winterszeit fast immer torbringend.