Ketäutevte Kerzen.
Novelle von Johanna Berger.
Nachdruck verboten.
2l.
Der Morgen war vorgeschritten. Die Gruppen der Kaffee trinkenden Badegesellschaft halten sich zerstreut, und die Frau Rat Göhren machte den Vorschlag, jetzt gleichfalls aufzubrcchen und bis zum Mittagsmahl einen Spaziergang zu unternehmen- Der Professor war gleicher Meinung und versicherte, daß ihm nichts willkommener sein könnte, als den schönen Morgen in angenehmer Gesellschaft zu verleben. Vor Tisch langweile er sich überhaupt, weil ihm hier in Karlsbad- seine Bücher und anregende Leclüre fehlten.
So machten sie sich denn auf den Weg ins herrliche grüne Teplthal. Langsam und behaglich schleuderten sie dahin, der Professor mit der Frau Rat am Arm voran und Annie mit müdem Schritt hinterher-
Etwa zehn Minuten vom Freundschafls- saal entfernt, wölbte sich eine Brücke mit einem eisernen Geländer über den Fluß. Seitwärts, hart am Ufer unter schattigen Buchen stand ein Ruhebank. Annie ließ sich matt darauf nieder nnd bat, hier aus- ruhea zu dürfen.
„Was fehlt Dir Kind?" fragte die Mutter jetzt besorgt.
„Es ist mir so weh im Kopf, Mama," sagte das Mädchen.
Nach kurzem Bedenken willigte die Frau Rat rin, daß Annie hier ein wenig ausruhen solle, versprach in einer halben Stunde wieder an die Bank zu kommen und setzte mit dem Professor ihren Spaziergang fort.
Annie starrte träumerisch auf das sonst sanft rauschende Gewässer. Die Sonne glitzerte ans den klaren Wellen. Kleine Fische schnellten über den Wasserspiegel empor und zeigten ihre silbernen Schuppen. Der Morgenwind raunte und flüsterte in den Baum» Wipfeln und hielt Zwiegespräch mit den Blumen, die am Rande des Flusses blühten.
Das Mädchen saß regungslos da. Ihre Gedanken waren bei dem fernen G'liebien, dem ihr ganzes Herz gehörte. — Weshalb liebte sie ihn nur so sehr, den Mann, den sie nicht Jahre, nicht Wochen gekannt, nein, nur wenige Tage. Sie wußte nicht weshalb ? — warum? Sie wußte nur, daß sie ihn liebte, daß sie ihn ewig lieben würde, und daß sie ihn verloren hatte.
Und nun brach plötzlich ein krampfhaftes Schluchzen aus ihrer Brust, daß sie nicht zurück halten konnte und dann kamen auch die Thränen, die erlösenden Thränen. Wie ein entfesselter Strom stürzten sie ihr aus den Augen. Und hier in der Einsamkeit des Waldes weinte sie lange und bitterlich, weinte sie sich allen Schmerz und alle Trauer Von der Seele.
Aber dann wurde ihr leichter ums Herz. Sie hob den Kopf und strich sich das Haar aus der Stirn. Noch war sie halb betäubt, aber schon faßte sie frischen Mut.
„Fahr wohl, fahr wohl, Du herziger Mann I Geh in die Fremde unter Gottes Hut und er sei mit Dir auf ollen Wegen!" So flüsterte sie, den Blick nach Süden gewendet, wo sie wohl glaubte ihn suchen zu müssen.
Dann trocknete sie sich mit ihrem Tuch
die nassen Augen und wieder zu neuem Leben erwachend lanschte sie auch jetzt den Stimmen der Natur. Sie hörte die Vögel singen und die Bäume rauschen, sie sah, wie das Bächlein so rasch dahinschoß, und daß die silbernen Fische Forellen waren, sie sah auch die Blumen am Ufer. ES waren goldgelbe Himmelschlüssel und blaue Vergißmeinnicht darunter — der Mama Lieblingsbln- men-
Die gute Mama I — Es kam sie jetzt gewiß hart an, daß ihr Liebling sein Herz an den fremden Mann gehängt — nachoem sie bisher immer die Eiste und Beste darin gewesen, und daß dieser ihr mehr wert Marals sie und Alles. Sie grämte sich ihretwegen sicher mehr, als sie in Worten aus- sprcchen konnte.
Nachdem Annie mit ihren Gedanken so weit gekommen war, sprang sie auf und wischte sich energisch die letzte Throne aus den Augen. Dann pflickte sie blaue Vergißmeinnicht und frischgrüne Farrenwedel und dand einen geschmackvollen Strauß.
Als die Rätin mit ihrem Begleiter nach fast einer Stunde vom Spaziergänge zurückkehrte, eilte ihr Annie mit dem Blumensträuße in der Hand und einem lieblichen Nor ans den Wangen freudig entgegen.
„Du befindest Dich jetzt besser, mein Kind?" fragte jene liebevoll.
«Ja, Mama," war die Antwort. „Ja, mir ist besser, liebe Mama!" wiederholteste und blickte sie mit einem sanften Lächeln an. „Gräme Dich nicht mehr meinetwegen — ich will von jetzt an guten Mutes bleiben."
„Meine liebe Annie, ich freue mich, daß Du die Schwermut überwunden hast," sagte leise und gerührt die alte Dame. Dann schloß sie ihr Kind in die Arme und küßte es.
Tage und Wochen schwanden nun rasch dahin — man wußte kaum, wie schnell sie vergingen. Nicht lange dauerte eS mehr und der Tag der Abreise war da. Aber in Karlsbad wurde es immer schöner und anmutiger und die Frau Rat hatte nichts mehr an der Kur auszusetzen, denn dieselbe hatte bereits Wunder gethan. Tie alle Dame fühlte sich kräftig und wohl.
Die Tage verflossen ganz vorschriftsmäßig: Des Morgens frühzeitig am Brunnen, dann wurde im Freien Kaffee getrunken, und eine Promenade über die Berge, oder durch das romantische Teplthal gemacht, bis zum Mittagsessen. Darauf folgte eine kurze Ruhepause. Am Nachmittage besuchten die Damen dann ein Cvnzert oder unternahmen einen neuen Spaziergang. Theater und die sich jeden Samstag wiederholenden Neunions besuchten sie nicht.
Annie war die beständige treue Begleiterin der Mutter auf allen Wegen. Sie blieb guten Mutes, wie sie versprochen. Anfangs mit keinem sehr großen Erfolge, aber niemals gewann ihr heimliches Leid wieder die Uebermacht. Sie lernte allmählich ihre Empfindungen beherrschen und ihren Schmerz in das liefste Innere zu senken, wie in ein Grab.
Professor Hiller gesellte sich bei jeder passenden Gelegenheit den beiden Damen als Begleiter zu. Die Frau Rat fand grofis Wohlgefallen an ihm und vermißte seine Gesellschaft sehr ungern. Er wußte sie stets fesselnd zu unterhalten. Sein Gesichtskreis
war durch hohe geistige Bildung erweitert, er besaß Menschenkenntnis und eine große Zartheit des Gemüts.
So war er immer ein angenehmer Gesellschafter und ein werter lieber Freund, den die Frau Rat Göhren auch als Gatten für ihre Tochter gewünscht hätte, wenn deren Herz empfänglich für die guten Eigenschaften des Professors gewesen wäre.
Auch durch hundert kleine Aufmerksam- keiter wußte er sich bei den Damen beliebt zu machen. Er brachte Bücher, Zeitungen, Blumen mit und versäumte niemals die Pflichten der Ritterlichkeit und der treuen Freundschaft.
Aber Annie bot dieser fortwährende Ver. kehr mit dem Professor nicht das Interesse, welches die Mutter wünschte. Doch sie war bald ihm gegenüber ganz unbefangen und kam ihm mit höflicher Freundlichkeit entgegen. Nur als sie bemerkte, daß senie Augen immer angelegentlicher auf ihr ruhten, und daß er sie manchmal mit brennenden Blicken anstarrte, da wurde ihr seine Gegenwart manchmal zur Qual. Dann zeigte sie sich kühl und wortkarg ihm gegenüber und atmete auf, wenn er fort war.
Aber gerade in ihrer spröden Unnahbarkeit gefiel sie dem Professor immer besser. Ihre Zurückhaltung reizte ihn und die Mädchenhafte Befangenheit ihres Wesens hielt er für den holdesten Zauber edler Weilllichkeit, welche dem werbenden Manne nicht einen einzigen Schritt entgegen kommen mag.
Er hatte bis jetzt wenig Verkehr zum weiblichen Geschlecht gehabt, und er dachte so recht als idealer Mann vor den Damen. Aeltere Frauen hatten etwas Ehrwürdiges für ihn, junge Mädchen etwas Heiliges. Licbesländelcttn verdammte er und Sitten- losigkeit war ihm ein Gräuel. Er selbst verstand sich aber zu beherrschen und ließ so leicht keine leidenschaftliche Liebe in seinem Herzen aufkommen.
(Fortsetzung folgt.)
Verschiedenes.
.. (Im Seebade.) „Fräulein, wenn Sie ins Wasser fielen, und ich zöge Sie heraus — würden Sie Ihren Lebensretter mit Ihrer Hand beglücken?" — „Wozu solche Umstände ? Wenn Sie eine Frau über Wasser halten können, so erreichen Sie Ihr Ziel bet mir auch auf trockenem Wege."
.'. (Unfreiwilliger Humor.) Im „Arn- städtischen Nachrichts- und Jntelligenzblatt" vom 5. April findet sich folgende Anzeige: „Anmeldung für den Verein verendeter und im Schlachthaus verworfener Schweine werden täglich angenommen. Christian Kellner, derzeitiger Kassierer." Ein fürchterlicher Verein I
.'. Im „Tageblatt für Themar u. Umgegend" vom 5. April werden gesucht „5 Mädchen zum überziehen mit Pelz, Plüsch und Leder.
.'. (Romanstil ) Elvira, die eben stickte, blickte von ihrer Arbeit auf, nickte dem Grafen zu, zerdrückte eine Thräne und schickte unterdrückte Seufzer zum Himmel auf.
Amtliches.
— Der König hat den Amtsnotar Krauß in Wildbad zum Gerichlsnotar in Oberndorf ernannt.
Redaktion, Druck uud Verlag von B e r nh. Hofmann in Wildbad.