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In Wildbad bei Herrn
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Novelle von Johanna Berger.
(Nachdruck verboten.)
» 20.
Annie nahm keine Notiz von dem wackeren Professor. Stumm und kühl hatte sie seinen Gruß erwidert, und auf seine besondere Frage nach ihrem Befinden ganz einsilbig geantwortet.
Der Professor sah heute sehr frisch und munter aus, wie verjüngt. Er war auch viel mitteilsamer als neulich und erzählte lebhaft von den Ereignissen in der großen Welt und besprach auch manche Zeit- und Streitfrage.
Die Rätin Hörle seine Erzählungen und Berichte mit Teilnahme an, erklärte aber schließlich, daß sie von allen diesen Dingen . nicht viel verstehe, und der Professor fing daher bald von anderen Dingen zu reden an.
Inzwischen hatte die kleine Gesellschaft die Pnppschen Anlagen erreich! und gleich daraus einen hübschen Platz unter den schattigen Kastanien erobert, welche jetzt von oben bis unten mit weißen Biütenkerzen übersäet waren.
Die Unterhaltung zwischen dem Professor und der alten Dame nabm auch während des Kaffeetrinkens ihren Fortgang. Er hatte Reisen in aller Herren Länder gemacht, erzählte allerlei interessante Episoden und machte lustige Bemerkungen darüber. Sie klagte ihm über die Kur, daß dieselbe sie so an- greiffe, der heiße Brunnen ihre Nerven er
rege und daß sie schon ganz reizbar und nervös geworden sei, was sonst gar nicht der Fall wäre. Auch das frühe Aufstehen gefalle ihr nicht und der coloffale Andrang der Menschen des Morgens bei den Heilquellen mache sie völlig verwirrt. So klagte und jammerte sie eine gule Weile fort und fügte noch hinzu, daß sie recht froh sein würde, wenn die Kur in Karlsbad, um welche sie von vielen Bekannten beneidet werde, zu Ende sei und sie sich wieder der gewohnten Ruhe und Gemütlichkeit in der lieben Heimat erfreuen könnte.
Annie sagte zu diesen Klagen der Mutter kein Wort. Sie saß still und teilnahmloS da. Ihren Geisteskräften war das schwere Leid, das sie betroffen, zu viel geworden. Nichts konnte sie aus ihrer Stumpfheit auf- rütteln. Nur einmal zuckte es leidenschaftlich in ihren Zügen auf, als zufällig ihr Blick auf Lucia Campello fiel, die in Begleitung mehrerer um ihre Gunst sich bewerbenden Offiziere, dicht an ihrem Platze vorüberschrill. Die schöne Mexikanerin stellte das junge Mädchen, auf dessen Gesicht eine wächserne Blässe lag, heut? völlig in Schalten. Schatten. Sie trug ein Kleid von schillernder Seide, welches ihren pikanten Teint noch vorteilhafter hervorhob. Vorn an der Brust und am Gürtel halte sie Purpurrosen befestigt. Die schwarzen Augen, die gestern Thränen geweint, strahlten schon wieder in Uebermut und Lebenslust. Lucia Campello bewegte sich zierlich, lebhaft, graziös, und lachte, plauderte und kokettierte mit ihren Begleitern mit so viel echt nationalen Feuer,
wie es an Bernlhal und viele Andere verschwendet hatte.
Bernlhal hatte Recht gehabt, die schöne Mexikanerin war eine wetterwindische, lauen- hafte Quecksilbernatur, ein gleißendes Irrlicht ohne jedes liefere Empfinden.
Sekundenlang folgten Annies Augen der reizenden Frauengestalt, dann wandte sie den Blick von ihr ab. Ihre Gedanken verloren sich wieder und waren bei ihrem unsagbarem Leid.
„Ach, wenn ich nur weinen könnte," so rief es von neuem in ihr mit brennendem Verlangen.
Ja, weinen und alleinsein, sich auS- weinen I — Das wäre ein Labsal für Annies gequältes Herz gewesen.
Wiederholt ließ der Professor seine gutmütigen Augen mit Wohlgefallen auf dem bleichen Mädchen ruhen. Trotz ihres sonderbaren Wesens bewunderte er sie und glaubte niemals auf Erden ein liebreizenderes Geschöpf gesehen zu haben. Ader er war ein ruhigdenkender nüchterner Verstandesmensch und verlor sich niemals in unerfüllbare Träume, wenn seine Phantasie ihm auch zuweilen welche vorgaukeln wollte. Klar und ernst, wie seine Redeweise, war auch sein Denken und Empfinden. Aber auch bei seinen klaren, nüchternen Gedanken konnte es der Professor doch nicbt verhindern, daß ihm Annie sehr gefiel und daß er eS nicht für ganz unmöglich hielt, daß sie vielleicht doch seine Frau werden könnte.
(Fortsetzung folgt)
Redaktion, Druck und Verlag von Bernh. Hofmann in Wilddad.