Rundschau.
Stuttgart, 5. Mai. Die Kammer der Abgeordneten eröffnet? heule nachmittag ihre Sitzungen. Vor Eintritt in die Tagesordnung hieß Präsident Payer die Abgeordneten herzlich willkommen. Der Amtsnachfolger des verstorbenen Prälaten v. Walcker von Hall, Prälat v. Schwarzkopf, leistete den Ständeeid in die Hände des Präsidenten und nahm dann feinen Sitz in der Prälatenbank ein. — Eingelausen ist u. a. eine Nachforderung zum Finanzgesetz betr. Beiträge zu Straßenbauten. Ferner sind zwei Interpellationen eingelausen. Die ersiere, vom Zentrum eingebracht, fragt an, in welchem Stadium sich die Arbeiten betreffend die geplante Militärstrafprozeßordnung befinden. Die 2., vom Abgeordneten Egger (Zentrum), betrifft das in einzelnen Revicramtsbezirken des Oberlands erlassene Verbot des Holzsammelns und Befahrens der Waldwege und bittet, die Frage im Interesse der leseholz sammelnden Leute zu behandeln. — Der Schriftführer verlas hierauf noch zahlreiche Eingaben, die in der Zeit der Vertagung eingelaufen sind, darunter befindet sich eine Eingabe um Errichtung der Alvdahn Urach- Münsingen und Verstaatlichung der Ermsthalbahn, ferner um Errichtung einer Bahn von Jsny an die bayerische Grenze; ferner eine solche der Lehrer der humanistischen und der realistischen Lehranstatien um Regelung ihrer GehallSverhällruffe; ebenso eine Bitte des Vereins würlt. Lehrerinnen. — Zur Beratung kam zunächst der Antrag der Kommission für innere Verwaltung über die Eingabe der Schashalter.
Stuttgart, 1. Mai. Dem Württemberg. Kriegerbund ist die Veranstaltung einer Geldlotterie genehmigt worden. Es kommen 100 000 Lose ä, 1 zur Ausgabe. Die Zahl der Gewinne beträgt 1242. Der erste Gewinn ist 10 000 ^
— Die bekannte Firma Emil Scelig, A.G- in Heilbronn, erhielt auf der Berliner Kochkunst-Ausstellung die goldene Medaille mit Diplom; wieder ein erfreulicher Beweis für die Vortrefflichkcit der Seelig'jchen Erzeugnisse.
Neuenbiirg, 6. Mai. Die Auerhahnjagd , der bisher herrschenden fenchikalten Witterung wegen fast überall vereitelt, scheint sich nun doch noch günstig zu gestalten. Herr Arthur Schmidt hatte das Glück, heute früh auf seinem Jagdgebiet zwischen Conweiler und Neusatz zwei kapitale Hähne zu erlegen.
Altensteig, 4 Mai. In Altensteig-Dorf wurde vorgestern Schullehrer a. D. Schlack zu Grabe getragen, 45 Jahre war er dort als Lehrer lhätig. Sein Großvater erhielt die Schulstelle 1749 und wirkte darauf 50 Jahre, der Vater desgleichen ein halbes Jahrhundert. Schlack hinterließ keine Söhne, und so ist jetzt die Schulstelle in fremde Hände gekommen. Im landwirtschaftlichen Verein, sowie im Schwarzwaldbienenzüchter- Verein war er eine bekannte und beliebte Persönlichkeit. Seine Verdienste in dieser Hinsicht wurden durch verschiedene Diplome und 1889 durch eine K. Ehrendenkmünze anerkannt.
Winzeln, 4. Mai. Zwanzig Krasthuber, des leidigen Unwetters halber zur Uuihälig- keit verdammt, wollten zeigen, daß das Sprichwort: „Raste ich, so roste ich" auf ihre Tilanenkraft keine Anwendung finde. Beim
Abendschoppen vermaßen sie sich zweien der besten Zugpferde die Waage halten zu können. Als einige Fuhrleute ungläubig die Köpfe schüttelten, gab es eine regelrechte Wette, die alsbald zum AuStrag kam. Ein Fuhrmann holte zwei kräftige Rosse, die Jünglinge stellten sich an langen Seilen auf und nachdem jeder noch einmal in die Hände gespuckt, ertönte das „hie I" des Fuhrmanns. Bevor sich die Gäule ins Geschirr legen konnten, spannten sich die Seile hinter ihnen und rückwärts gings unter dem Hallo der Zuschauer. Eine zweite Probe, bei welcher Menschen und Pferde gleichzeitig anzogen, hatte denselben Erfolg. Im Gefühle der Ueberlegenheit glaubten dje seitherigen Sieger, bei einer dritten Probe die im Gang befindlichen Pferde aufhalten zu können, allein ein „Fitzer" des Fuhrmanns trieb die Pferde zu größerer Eile au. Die vierzig Füße der zwanzig „Zöglinge" gerieten miteinander in Kollision und mancher regelrechte Purzelbaum erfolgte. Bei dem hierauf fließenden Wettbier zeigte sich, daß einzelne Teilnehmer über einen sehr „guten Zug" verfügen, so daß es glaublich erscheint, daß sie zwei Pferden die Stange halte» können.
Vom Odenwald, 4. Mai. (Wer's Glück Hai führt die Braut heim.) Diesen Spruch kann ein junger Mann unserer Gegend auf sich anwenden. Er sollte auf der Station einen Fremden abholen, der nicht eintrof. Dafür war ein hübsches junges Mädchen ausgestiegen, irrtümlicher Weise eine Station zu früh. Der junge Mann führte mit seinem Gefährte die Fremde, welche einen Verwandten besuchen wollte, des Umwegs nicht achtend dienstgesäUig dorthin, kam rwt ihr ins Gespräch, besuchte sie während ihres Verweilens häufig und hat jetzt eine nicht nur schöne, sondern auch wohlhabende Braut an ihr erhalten und dies nun den obengenannten Zufälligkeiten zu verdanken.
Mannheim, 5. Mai. (Von einem Affen verletzt.) In der Wirtschaft „Prinz Max" spielte sich gestern ein aufregender Vorfall ab. Ein Italiener produzierte sich mit einem Affen. Letzterer setzte sich einem daneben stehenden Zuschauer auf die Achsel. Vermutlich hat nun der betreffende Zuschauer den Affen am Schwanz gepackt, denn das Tier stürzte sich wie wütend über denselben her, biß ihm ein Ohr durch und durch und brachte ihm auch sonst bedeutende Wunden am Kopfe bei. Der Verletzte mußte ins Allgemeine Krankenhaus verbracht Werden.
— In Schwabach vergiftete sich der Apotheker Heim, der viele Jahre hindurch Vorstand des dortigen Vorschußvcreius und Mitglied der Gemeindevertretung war. Die Ursache des Selbstmordes dürfte in unregelmäßiger Geschäftsgebarung liegen. Der Fehlbetrag ist zweifellos sehr bedeutend. Der Fall erregt große Aufregung.
— Den Münchn. N. N. wird aus Berlin gemeldet: In der sozialistischen Druckerei in Halle a. S. sind die Zeitungs- setzer in den Streik eingelreten, weil die Druckerei die Zahlung für den 1. Mai (an welchem bekanntlich nicht gearbeitet wurde) verweigert hatte.
— Der 47 Jahre alte Fabrikarbeiter Weigandt in Barmen erschlug am Sonntag nachmittag seine Frau. Sie hatte ihm vor- gehalten, daß er bei der Maifeier von seinem Wochenlohn bereits 4 für Getränke verausgabt habe, während sie mit ihren Kindern
hungern müsse. Der erzürnte Mann nahm darauf ein Handbeil, spaltete ihr damit den Kops und versetzte der schon tödlich Verwundeten noch so viele Hiebe, bis der Stiel des Mordinstrumentes abbrach; er ergriff darauf die Flucht. Die Ermordete hinter- läßt fünf Kinder.
Berlin, 5. Mai. Wie einem hiesigen Blatte aus Frascati gemeldet wird, wurde gestern der Herzog von Sachsen-Meiningen nebst Gemahlin zugleich mit Richard Voß und dessen Frau und einer Münchener Dame, die deren Gesellschaft war, im Albauer Gebirge von Briganten angefallen und nur gegen ein Lösegeld wieder freigegeben.
Rom, 5. Mai. Wie die Blätter melden, begaben sich S. K. H. der Herr Herzog von Sachsen-Meiningen und Gemahlin, die inkognito reisen, mit mehreren Personen ihres Gefolges zu Wagen zum Besuche des Dichters Voß und dessen Gattin in eine Villa bei Frascati. Auf dem Rückwege wurde der Wagen des Herzogs von zwei Individuen, die mit Taschentüchern vermummt und mit Gewehren bewaffnet waren, bei FraScati an« gehalten. Se. Hoheit der Herzog mußte den Angreifern sein Portemonnaie mit ungefähr 55 Lire überlassen, worauf sich die Räuber zurückzogen und den Wagen weiter fahren ließen. Die Behörde sendete Polizei an den Thatort, um die Schuloigen zu ergreifen.
Wien, 6. Mai. In der „Freien Presse gibt der Dichter Voß eine Schilderung des Ueberfalles auf den Herzog von Sachsen- Meiningen. Die beiden Vermummten hatten mit der Bedrohung, die Pferde niedcrzu- schießen, den Wagen angehalten und dem Kutscher verboten sich umzuschauen. Einer sprang an den Wagen des Herzogs, die Flinte auf ihn richtend. Der Herzog Verbot Voß und den Lakaien, einzugreife» und fragte die Briganten, wieviel sie verlangen. Diese bedeuteten pantomimisch, man möge Geld auf den Boden werfen. Die Gemahlin des Herzogs blieb, wie dieser, vollkommen ruhig? Die Briganten, die merkbar aufgeregt waren, verschwanden sofort, nachdem ihnen das Geld hingcworfc» worden war.
Wien, 6. Mai. Bei der heutigen Bürgermeister-Wahl waren 136 Gemcinde- rätc anwesend. Gewählt wurde der christlich-soziale Kandidat Strohbach mit 94 Stimmen ; der liberale Kandidat Dr. Grüll erhielt 42 Stimmen. Strohdach erklärte unter wiederholtem Beifall die Wahl anzunehmcn, um es möglich zu machen, daß die Verwaltung der Stadt von der berufenen Körperschaft geführt werde. Das persönliche Opfer Luegers sei im Interesse des Volkes erfolgt. Er werde Lueger gern den Platz räumen, sobald die Zeit dafür gekommen sein werde. Redner apelliert an die Unterstützung und Einigkeit seiner Partei. Als geborener Deutscher werde er stets den deutschen Charakter Wiens, der gewahrt werden müsse, und als treuer Oesterrcicher den Charakter Wiens als Reichshauptstadt vor Augen haben, die als solche ihre volle Unabhängigkeit nach jeder Richtung zu verteidigen habe. Als Christ werde er in christlichem Sinne wirken, bemüht, dem christlichen Volke die Geltung zu verschaffen, die es nie hätte verlieren sollen. Der Wahlakt wird nunmehr an die Statt- halterei geleitet behufs Einholung der kaiserlichen Bestätigung. Es ereignete sich kein Zwischenfall.