Geläuterte Kerzen.

Novelle von Johanna Berger.

Nachdruck verboten.

15 .

Dem jungen Mädchen war eS völlig unfaßbar, was die Mutter und ihr erwähl­ter Bräutigam so lange mit einander zu verhandeln hatten. Sie wurde aufgeregt, ungeduldig vor Epannnng und Erwartung, ihr Herz schlug fieberhaft. Jeden Augen­blick machte sie eine Bewegung, als wolle sie die Treppe zu ihrer Wohnung hinon- stürzen aber sie blieb dann doch unten in der Veranda. Endlich, endlich knarrte oben die Thür und dann klang ein Schritt. Sie lauschte mit angehaltrnem Atem. Aber «S war nicht sein Schritt, und es war auch nicht seine Stimme, die rief:Komm Annie!" Es war der Schritt und die Stimme der Mama. Da hielt Annie sich nicht länger, schnell wie ein Wogel flog sie hinauf. Aber auf der Schwelle wurzelte ihr Fuß wie ge­lähmt am Boden. Sie schrie laut auf und wurde blaß wie eine Leiche, denn mit einem einzigen Blick hatte sie Alles erraten. Bern­thal, ihr Geliebter, lehnte schweratmend und in gebrochener Haltung am Fenster. Sein Gesicht war fahl und den Ausdruck seiner Züge vergaß sie niemals wieder. Grenzen­lose Verzweiflung, Schmerz, Schuldbewußt­sein, Beschämung, Alles lag darin.

Die Mutter trat der Tochter kummervoll entgegen. Große Thränen perlten in ihren Augen. Sie legte den Arm um Annies Schultern und küßte sie zärtlich.

Annchen, mein liebes Annchen I" schluchzte sie.Ich hätte Euch gern glücklich gemacht, aber eS ist mir nicht möglich, ich bin völlig machtlos dazu. Ach, es thut mir so leidl Tröste Dich, fasse Dich armes Kind und laß Dir die bittere Erfahrung zum Segen gereichen! Durch Entsagung wirst Du künf­tiges Unheil von Dir wenden."

Und dann trat Bernthal zu ihr und sagte, was er sagen mutzte: heiser, unzu­sammenhängend rangen sich die Worte von seinen Lippen.

Anniel Ich bin in der schrecklichen Lage, mein Ihnen gegebenes Wort wieder zurücknehmen zu müssen, die Verhältnisse fordern eS unerbittlich von mir! Verzeihen, ach, verzeihen Sie, daß ich Ihnen meine Liebe verriet und Kummer in Ihr junges unschuldiges Leben brachte. Und nun leben Sie wohl, mein verehrtes Fräulein, leben Sie wohl, und GotteS reichster Segen über Sie!"

Die Stimme versagte ihm, er beugte sich zu Annie herab und berührte mit zuckenden Lippen ihr Haar.

Vor der Frau Rat verneigte er sich iief, mit bittendem und um Verzweiflung flehen­den Blick. Er wollte ihr die Hand reichen, aber sie sah ihn bitterbös an, und da ging er. Er stürzte so hastig die Treppe hinunter, daß seine Sporen heftig klirrten.

Annie halte während der letzten ergreifen­den Scene wie geistesabwesend dagestanden und mit verstörtem Blick starrte sie vor sich. Ihr Gesicht war so weiß wie Schnee und eine ganze Welt von Herzeleid spiegelte sich in ihren Augen.

Als die Thür sich hinter Bernthal ge­schlossen hatte, brach sie ohnmächtig zusammen.

Die Mutter eilte ihr erschrocken zu Hilfe,

sie kauerte sich neben die Tochter hin und rang die Hände. Dann holte sie Wasser und Riechsalz herbei und bemühte sich liebe­voll um ihr Kind, bis es sich wieder er­holt hatte.

Annie richtete sich mühesam auf. Sie weinte nicht und sprach auch nicht. Kein Laut kam aus ihrem Munde, eine steinerne Starrheit lag auf dem blassen Gesicht.

Gott erbarme sich unser! Ein solches Unglück!" jammerte die Mutter.Ich hab's gleich gedacht, gleich gefürchtet, als ich Dich mit dem Lieutenant kommen sah! Ach Gott, eS ist schauderbafr, höchst traurig, so etwas zu erleben! Reiße ihn heraus aus dem Herzen, armeS Kind, wende Deine Gedanken von ihm ab, vergiß ihn, es muß ja sein. Ihr könnt Euch nie heiraten!"

Dann legte sie zärtlich ihren Arm um die Schultern der immer noch schwankenden Tochter und führte sie sorglich in ihrSchlaf- stübchcn.

Da leg Dich hin und ruhe ein bischen, bis Dir besser wird, mein armes Kind," sagte sie.Und verliere nur nicht gleich den Kopf! Du bist noch ein Kind und es ist das erste Herzeleid, ober Du kannst nicht wissen, was Dir noch für Glück im Leben bevorsteht und was für Freuden Dich er­warten. Viele Mädchen haben noch schwere Prüfungen überwinden müssen, und Du wirst noch einen Andern lieben lernen noch früher vielleicht, ehe Du alt genug bist, eine gesetzte Hausfrau zu werden. Annie hörst Du mich!"

Ja, Annie hörte, was dir Mutter sprach, aber ihr Herz weigerte sich leidenschaftlich, ans ihren Worten Trost zu schöpfen. Sie fühlte, daß sie niemals einen andern Mann lieben konnte, als Franz Bernthal, und daß sie ihm die Treue halten würde bis zum Grabe.

Auf dem weichen Mädchenbette lag ein neues Kleid, daß sich Annie zur nächsten Reunion gewünscht hatte, und mit dem die gute Mama sie heute überraschen wollte.

Nimm das Kleid weg, nimm es weg!" schrie sie auf, als ihr Auge darauf fiel und sie deckte zusammenschaudernd ihr Gesicht mit den Händen.

Die Rätin seufzte leise, dann trug sie still das schöne Kleid aus dem Zimmer.

Das Mädchen ist ganz von Sinnen," murrte sie,und daran ist nur der stattliche Offizier Schuld. Wie konnte er eS nur über sich bringen, einem so jungen Dinge den Kopf zu verdrehen!"

Annie sank wie vernichtet auf ihr Bett, sie wäre am liebsten gestorben. Stunden­lang lag sie regungslos da, mit auf der Brust zusammengekrampften Händen und weitglöffneten thränenlosen Augen und starrie ins Leere. Die Thür hatte sie verschlossen, sie wollte allein sein mit ihrem Schmerz, selbst der Mutter öffnete sie auf ihr Klopfen nicht.

Der Tag verran und die Nacht brach an. Annie sah den Mond auf und untergehen.

Jetzt war Bernthal wohl schon fort und fern von ihr, ganz fern, und sie sah ihn nie­mals wieder auf der Welt. Aber vergessen wollte sie ihn nicht, und wenn er tausend Meilen davon wäre. Ihr Herz wollte vor Jammer brechen.

Unten im traulichen Parterrrstübchen Fräu­lein Brunners, der liebenswürdigen Haus­

wirtin saß die Frau Rat auf dem grünen Plüschsopha und klagte dieser ihr Leid. DaS alle Fräulein war ganz Ohr und zeigte viel Teilnahme, wenn sie auch nichts dazwischen redete und still in ihrem Sessel saß.

Sehen Sie, er hatte keine Ahnung von unfern Verhältnissen," erklärte die Rätin, trotzdem bethörte er das Kind. Ich kann ihm nicht so viel Geld geben, um feine Schul- den zu bezahlen und dann auch noch Kaution stellen, damit er den ConsenS zur Heirat bekommt. Ich bin keine reiche Frau! DaS hätte er als Offizier, der nicht ohne Weiteres heiraten kann, vorher bedenken sollen, ehe er sich mit Annie verlobte! Oder soll sie ihre Jugend vertrauern und zehn Jahre auf ihn warten, bis er vielleicht zum Major be­fördert wird? Da wird ihm die alte Jungfer auch nicht mehr gefallen man kennt das l Es fiel mir recht schwer, meine Einwillig­ung zu versagen, doppelt schwer, weil ich sab, wie sehr er selbst unter den traurigen Um­ständen litt, aber ich konnte nicht anders. Nicht ans Mangel an gutem Willen, son­dern lediglich aus Mangel an dem nötigen Geld, mußte ich meine Einwilligung zu der Heirat versagen."

Sie erzählen mir da recht traurige Dinge, gnädige Frau und ich hatte auch schon so eine Ahnung," sagte Fräulein Brun­ner bewegt.Du lieber Herrgott, mir thun die beiden Liebcsleute herzlich leid und ich möchte ihnen gern helfen. Ich will dem Oberlieutenont G>ld borgen, er kann eS mir im Laufe der Zeit mit Zinsen wiedergeben I"

Einen Augenblick war die Rätin sprach­los, dann erwiderte sic erregt:UmGoNeS- willen, Sie sind wohl nicht bei Tröste, Fräu­lein Brunner! Nehmen Sic es mir nicht übel aber was denken Sie wohl, wie viel er braucht, Zehntausend Gulden hat er allein nötig, um seine Schulden zu bezahlen. Ich fiel beinahe in Ohnmachi, als ich'S hörte! Zur Kaution gehören aber rund fünfzigtau­send Gulden.Das sind große Summen I"

So viel ? DaS dachte ich nicht dann allerdings bin ich auch nicht wohlhabend ge­nug, um beiznstehen. Ich bildete mir ein, ich könnte ihn mit den paar tausend Gulden, die ich auf der Bank habe, aus der Not helfen. Ich hätte es gern gcthan, schon um die jungen Leute glücklich zu machen, denn was giebt es für uns Menschen im Alter wohl eine größere edlere Freude, als das Glück der Jugend zu fördern. Schade, daß ich nicht über mehr Geld verfügen kann, denn mein bischen Vermögen ist in zwei Häusern angelegt. Aber vielleicht kann ich doch eine Vereinbarung treffen, die dem Herrn Lieutenant Bernthal hilft. Ich will einmal mit meinem R-chtSanwalt darüber sprechen!"

Sie sind außerordentlich gütig, Fräu­lein Brunner, aber ich mag Ihnen nicht dazu raten," rief hartnäckig die Gräfin.DaS Geld müßte Ihnen doch sicher gestellt wer­den, das wird der Lieutenant aber nicht kön­nen und ich übernehme so große Verpflicht­ungen nicht. Keine Ruhe würde ich haben bei Tag und bei Nacht, denn nichts ist mir mehr zuwider, als Schuldenmachcn. Er muß schon sehen, wie er fertig wird in der Welt, denn leichtsinnig ist er doch auch gewesen, und Annie ist noch jung, sie wird ihn der- gossen lernen."

(Fortsetzung folgt.)

Redaktion, Druck uud Verlag von Beruh. Hofmann in Wildbad.