Die Tochter -es Meeres.
Roman von A. Nicola.
(Nachdruck verboten.)
76 .
Marian schüttelte traurig den Kopf.
„Leider muß ich sagen, daß das nicht der Fall ist. Mein Vater ist in Folge eines unglücklichen Sturzes sehr leidend und deshalb von den Aerzten auf einige Zeit hierhergeschickt worden. Ich ließ mir freilich nicht träumen, daß ich einem bekannten Gesicht hier begegnen würde," fuhr sie halb Verlegen fort, „aber mir wurde gesagt, daß Lady Emily und ihre Nichte hier seien, und ich fürchte mich vor dieser Begegnung, obgleich ich sie für unvermeidlich halte."
„Ein großherziges Mädchen kommt leicht über solche Unannehmlichkeiten hinweg, Lady Marian," erwiderte er.
„Kennen Sie Miß Cora?" fragte Marian rasch. „Und wollen Sie mir sagen, aus welchem Grunde das unglückliche Mädchen die Beschützer ihrer Jugend so früh verließ?"
„Das ist nicht leicht zu sagen", erwiderte Rupert ernst. „Ich habe Cora als kleines Kind aus einem fernen Lande von halb wilden Eingeborenen förmlich gekauft und zu meiner Mutter nach Bremen gebracht, um Cora der Barberei und dem Elende zu entziehen."
„Wie kam Miß Cora zu den halbwilden Menschen?" srug Marian erstaunt.
„Ein englisches Schiff war dort untergegangen und die Eingeborenen hatten das Kind aus den Wellen gerettet. Ich liebte Cora erst wie mein Kind, und als sie zur Jungfrau heranwuchs, da schwor ich mir im Stillen, daß keine Andere als Cora meine Frau werden sollte ... bis ich erfuhr, daß sie bei der ersten Versuchung, bei der ersten Aussicht auf Pracht und Reichtum mich vergessen hatte I . . . Und dennoch konnte ich sie nicht oufgeben. Ich folgte ihr nach England. Ich sparte weder Zeit noch Mühe bis ich ihre neue Heimat entdeckt hatte. Stellen Sie sich vor, was ich empfand, als sich die Verlorene beim Wiedersehen mir in den schwärzesten Farben zeigte."
Marian hatte dieser leidenschaftichen Rede mit bang klopfendem Herzen zugehört und sie konnte nur zu schmerzlich mit ihm empfinden. Sie wagte nicht zu reden, aus Furcht, er könne ihr eigenes Geheimnis erraten.
„Ich sehe, daß meine Erzählung Sie nur gelangweilt hat, Lady Marian," sprach der junge Mann traurig. „Verzeihen Sie mir I"
„Nicht dochl Sie befinden sich sehr im Irrtum," sagte sie seufzend. „Ich kann Ihren Kummer nur zu gut Mitempfinden ... ja, nur zu gutl" wiederholte sic leise, als die ganze bittere Erinnerung an die Vergangenheit ihr plötzlich durch den Sinn ging.
„Dank, tausend Dankl" erwiderte er feurig. „Gott verhüte, daß Sie so zu leiden haben wie ich."
„Vielleicht finden Sie Trost bei einer Würdigern," entgegnete sie teilnehmend.
Rupert blickte sie mit ernster Teilnahme an und sagte:
„Lady Marian, es ist wohl unmöglich. Ich habe Cora zu sehr geliebt, um an einer Anderen dasselbe Gefallen zu finden. Ach, Lady Marian, die menschliche Nmur mit
all' ihren Leidenschaften ist in allen Schichten der Menschheit dieselbe I Natürlich können Sie nur jene Ihrer eigenen Sphäre beurteilen, und ich hoffe, daß Sie in Kurzem in einer passenden, aufrichtigen Liebe Ihr Glück finden werden. Wenn ich irgend welche Nachrichten für Sie habe, werde ich dafür sorgen, daß dieselben Sie sofort erreichen und Ihre Besorgnisse zerstreuen," setzte er sanft hinzu.
Und leicht die Hand drückend, die sic ihm reichte, wandte er sich ab und verschwand in den Gebüschen, während Lady Marian i» einem Zustand unerklärlicher, trauriger Enttäuschung zurückblieb.
XI-VII.
„Frau Digby, ich hoffe, daß Ihr junger Schützling nicht krank ist?" fragte der Herzog von Dunbar zögernd bei seinem zweiten Besuch nach dem denkwürdigen Theaterabend.
Frau Digby empfand ein gewisses Unbehagen, und ihre Tochter wurde rot vor Aerger und Eifersucht über diese unwillkommene Anspielung auf ihre verachtete und doch gefürchtete Nebenbuhlerin.
„O nein, krank ist sie nicht," sagte die Lady zögernd; „sie ist nur mit ihren Studien beschäftigt . . . und Sie wissen vielleicht nicht, daß Sie nur bei besonderen Gelegenheiten in unseremKreise zu erscheinen wünscht."
„Ich glaube, sie sei Ihr Mündel, Frau Digby, und wenn ich mich nicht irre, sah ich sie vor Kurzem in einer von Sir Fulke's Gesellschaften," lautete des Herzogs kühle Antwort.
„Ja, mein Onkel hat es ganz besonders gewünscht," sagte Frau Digby, „aber sie weicht immer jeder Berührung mit Fremden aus, wahrscheinlich ihrer völlig dunkeln Herkunft halber und aus Furcht, daß sie gelegentlich ein Mal darüber befragt werden könnte."
„Ich kann Das gar nicht für so schlimm ansehen," erwiderte der Herzog. „Meiner Meinung nach ist es viel besser, gar keine Verwandte als schlechte und ungebildete zu besitzen."
„Sie mögen von Ihrem Standpunkte aus Recht haben," sagte Frau Digby mit erzwungenem Lächeln, „ich aber bin, offen gestanden, für gute Herkunft sehr eingenommen."
„Mit Recht, meine liebe Ladyl" sprach der Herzog kühl; „ober wie ich soeben bemerkte, würde Miß Cora sich sehr natürlicher Weise ganz der Familie anschließen, die sie mit ihrer Anmut und ihren Talenten erfreut. Ja, ich glaubte in der That mehrfachen Anspielungen von Sir Fulke entnehmen zu dürfen, daß Ihrem eigenen Sohn das Glück einer solchen Verbindung bestimmt sei."
„Mein Sohn Granvillel O nein!" rief Frau Digby ganz entrüstet aus. „Ich bin überzeugt, daß ihm eine solche Idee nie in de» Sinn gekommen istl"
„Dann ist er weniger scharfsichtig als ich geglaubt hatte," entgegnete der Herzog. „Ich werde Herrn de Bettune sagen, daß das Feld frei ist, denn ich bin überzeugt, daß er in dieser Richtung gewisse Wünsche hegt."
Mit diesen Worten stand der Herzog auf und empfahl sich in sehr herzlicher Weise, aber, wie beide Damen bemerkten, ohne mit
einem Wort zu erwähnen, daß er seinen Besuch zu wiederholen gedenke.
„Mama, ist es nicht zu sonderbar, daß Jeder von dem Mädchen ganz entzückt zu sein scheint?" rief Trissa ärgerlich aus, sobald sich die Thür hinter dem Herzog geschlossen hatte. Du siehst, daß der Herzog nur ihretwegen, und nicht meinetwegen kam. Ich wünschte, er hätte sie nie gesehen. Nicht weil ich sie nicht leiden könnte, aber es ist doch zu ärgerlich, daß mit ihr so viel Wesens gemacht wird."
„Beruhige Dich, mein Kind," versetzte die Mutter tröstend. „Ich gestehe, daß ich sehr die Unvorsichtigkeit bereue, die Cora in unser Haus gebracht. Aber Das läßt sich nicht ungeschehen machen, und wir müssen suchen, es möglichst zum Guten zu wenden."
„Aber wie, Mama? Wie?" fragte Trissa ungeduldig.
„Wir müssen eine Gesellschaft geben," versetzte Frau Digby, „bei welcher Cora in ganz passender Weise erscheinen soll, aber doch mehr Deiner Persönlichkeit angemessen. Verstehst Du mich, Kind 2"
„Keineswegs!" entgegmte Trissa gereizt. „Wenn Du beabsichtigst, ich solle Cora in des Herzogs oder auch in des Onkels Augen in den Schatten stellen, so bist Du sehr im Irrtum."
„Wohl möglich I" sagte die Mutter. „Doch wir müssen Das zu ändern suchen. Was meinst Du zu einem kleinen Theaterspiel, in welchem Du und Cora die Hauptrolle übernehmen?"
„Mama, wo denkst Du hin?" erwiderte Trissa aufgeregt.
„Höre mich an, Kind ... ich habe mir die Sache reiflich überlegt und bin auch schon wegen des Stückes mit mir im Klaren. Ihr spielt die Elfenpartie aus dem Sommernachtstraum. Du stellst Titania und auch Helene dar, da hast Du volle Gelegenheit, Deine Talente zu entfalten, und Cora kann Her- mina über nehmen; wenn Du da die Situation nicht benützest, und nicht eines Jeden Herz und Bewunderung gewinnst, ist eS Deine eigene Schuld, denn dafür will ich sorgen, daß die Costüme, sowie Alles, was dazu gehört, tadellos ist."
„Wer sollen die mit spielenden Herren sein?" erwiderte die Tochter. „Du wirst doch nicht wollen, daß ich mit einem mir ganz gleichgültigen Menschen spiele?"
„Nein, nein ... ich werde mein Möglichstes thun. Für Cora werde ich Herrn de Beltune bitten, und für Dich will ich Sir Claud Wilmot auffordern ... der paßt ganz gut dazu, des Herzogs Eifersucht zu erregen, im Fall er doch noch an Dich denken sollte. Und die übrigen Rollen können Dein Bruder und einige seiner Freunde übernehmen. Es bedarf nur noch Deines Onkels Einwilligung, sobald ich mir überlegt habe, wie ich das Speise- und Biblio- thekzimmer in ein Theater umwandle, und Eure Costüme gewählt habe."
„O Mama, das kann ich rasch allein arrangieren," rief Trissa eifrig. „Für Titania möchte ich Silbergaze und einen blauen Shawl haben, und zu einer Krone giebst Du mir das Brillantdiadem, das Du mir versprochen hast, wenn ich mich verheirat . . . und für Helena ein schwarzes Sammetcostüm und meinen Perlenschmuck und nur weiße Rosen in's Haar. (Forts, flgt.)
Druck und Verlag von Beruh. Hofmann in Wildbad. ^Verantwortlicher ; Beruh- Hofman «.)