Rundschau.
Stuttgart, 25. Febr. Der König empfing Sonntag mittag den Präsidenten der zweiten Kammer, Payer, in Audienz und unterhielt sich mit ihm in längerem Gespräch vornehmlich über die Aufgaben der Kammer, während andere politische Fragen nicht berührt wurden.
Stuttgart, 26. Febr. Obwohl wir erst, auf wenige Sitzungen zurückblicke» können, so haben dieselben doch bereits eine Art Stichprobe gegeben von der Tonart in welcher sich die Debatten in der neuen Abgeordnetenkammer bewegen werden. Sie nnrd jedenfalls an Schärfe nichts zu wünschen übrig lassen, sowohl bei den Auseinandersetzungen der Fraktionen unter sich als auch — sagen wir — mit einzelnen Ministerien. Besonders Herr Gröber hat sich die „Freie Vereinigung" als Zielpunkt seiner Angriffe ausersehen und wenn dieser neben ihrem Vorstand v. Schad — ein so guter Dekalier er auch ist — nicht noch Redner aus ihren Reihen entstehen, wird sie nicht besonders gut dabei wegkouimen. Das Zusammenschweißen von im Grunde wenig homogenen Elementen, wie es in der „Freien Vereinigung" der Fall ist, schließt eine einheitliche und zielbewußte Beurteilung der politische» und wirtschaftlichen Fragen aus. Was die Freie Vereinigung, speziell die Privilegierten von der Volkspartei zu erwarten hat, läßt sich errate» aus einer kleinen Unterredung, die nemlich zwischen Herrn v. Gülilingen und Herrn F. Haußman» (Gerabronn) und zwar so laut geführt wurde, daß man sie auf der Tribüne höre» mußte. Herr v. G- halte bei der Konstituierung einer Kommission daran erinnert, daß bei Bestellung ihrer Vorstände früher stets auf das Alter der Mitglieder Rücksicht genommen worden sei. „Das Vorrecht des Alters wollen wir Ihnen gerne einräumen" , replizierte Herr Hauß- mann, „sonst aber auch nicht da» geringste". Zwischen Volkspartei und Zentrum herrscht einstweilen noch die vollst sntsuts ooräialn, ob sie aber die Debatte über das Volksschulgesetz überdauern wird — wer weiß? Das Gerücht, Herr Payer wolle, nachdem man ihn zum Kammerpräsidenten gewählt, sein Reichtagsmandat niederlegen, ist ganz unbegründet. Er wird dies ebensowenig lhun, als dies seiner Zeit Herr V. Hölder gethan.
Stuttgart, 26. Febr. I» einem dritten Artikel über die Neuordnung deS Würtiem- bergischen Steuersystems behandelt der „St-- A." die Einwirkung der Einkommensteuer auf die Ertragssteuern. Man könne nicht auf die letzteren verzichten und etwa die theoretisch vorzuziehende Vermögenssteuer ein- sühren. Da man ja ohnehin Extrasteuer» als Hauptkommunalsteuern beibehallen wolle, müßte man sonst drei verschiedene Systeme nebeneinander haben, auch dürfe der Staat nicht ganz auf die sichere Einnahmen aus den Ertragssteuern Verzicht,n. Ihre Umgestaltung soll derart erfolgen, daß bie Ertragssteuern aus Dienst- und Berufseinkommen wegfallen, dagegen aus Grund, Gebäude und Kapital (also auö fundiertem Einkommen) sortbestehen; ebenfo soll die Gewerbesteuer nur noch sortbestehen für die Quellen des fundierten Einkommens bei den Gewerben. Endlich soll besonderer Verhältnisse wegen eine Wandergewerbesteuer eingeführt werden.
Stuttgart, 27. Febr. Heute abend gegen
5 Uhr fuhr die Feuerwache in rasendem Galopp durch die Straßen nach der Kriegsbergstraße; die Feuerwache war in 3 Min. nach der Meldung am Platze. Der Herd des Feuers war der große Spnsesaal im Parterre des Hauses. Hier war der Boden gewichst worden, zu welchem Zweck ein eiserner Ofen mit der kochenden Wichse im Saale stand, und zwar etwas zu nahe den Thür- vorhäugen. Durch einen Windzug wurde tie Flamme heransgeschlagen, sie ergriff den nächsten Vorhang. Im nächsten Augenblick stand all, s in Flammen. Der Schaden beträgt etwa 3000 ; kurze Zeit nach dem Ein
treffen der Feuerwache war das Feuer gelöscht.
— Die Eröffnung der Schwurgerichts- sttzungen pr. 1. Quartal in Tübingen findet am Moniag den l l. März d. I. statt. Zum Vorsitzenden ist Landgerichtsrat Kohlhunv ernannt.
Winnenden, 26. Februar. Die Anlage einer elektrischen Anlage scheint gesichert zu sein. Für drei Motoren und für mehr als 200 Lampen haben sich Teilnehmer ange- meldet. Die K. Heilanstalt Winnenthal und die Postverwaltung haben noch nicht zugesagt.
Friedrichshafen, 25. Februar. Als am letzten Samstag das Salonschiff Königin Charlotte im Rorschachcr Hafen übernachtete, hörte der Steuermann Eitel dieses Schiffes, als er um '/r 12 Uhr feinen Rundgang machte, in der Nähe des Schiffes das Stöhnen eines Menschen. Nach längerem Suchen der alarmierten Schiffsmannschaft fand man einen säst leblosen Mann, auf dem Pfahlrost im Hafen liegend, einen Arm, sowie einen Fuß im Wasser hängend. Mil Hilfe der Schiffstreppe und Seilen befreite man den Unglücklichen aus seiner mißlichen fLage und verbrachte ihn ins BezirkSkrankenhaus. Wer der Verunglückte ist, konnte bis jetzt noch nicht festgestellt werden.
Freiburg, 25. Febr. Ein unheimlicher Fund wurde SamStag früh auf dem alten Wiehrekirchhof gemacht. Dort wurde durch die Polizei, welche in Kenntnis gesetzt worden war, daß im Laufe der Nacht «uf dem Kirchhofe eine Mannes- und eine Frauensperson sich beim Scheine eines Lichtes in verdächtiger Weise mit Graben zu schaffen gemacht hatten, in einer Ecke Spuren frisch aufgeworfener Erde gefunden, und bei Abhebung derselben kam in einer Tiefe von etwa 31 Centimeter ein kleines Holzkistchen zum Vorschein, auf dessen Deckel mit blau und roter Farbe ein Kreuz gemalt war. Nach Beseitigung des Deckels fand man, auf Hobelspänen liegend, ein in ein Leintuch gewickeltes neugeborenes Kind in demselben. Auf der inneren Seite des Deckels waren die mit Blaustift geschriebenen Worte zu lesen : Kam tot auf die Welt, ohne Wissen eines Menschen. 20. II. 95. Darüber war mit Blaustift ein Kreuz gezeichnet und rechis und links von demselben die Buch- staben St. G. Die auf Veranlassung der großh. Staatsanwaltschaft durch das großh. Amtsgericht und den großh. Bezirksarzt vor- genommene Leichenschau und Oeffnung der KiubSleiche sollen zu dem sicheren Ergebnis geführt haben, daß das Kind eines gewaltsamen Todes durch Erwürgen, bezw. durch Schläge auf den Kopf gestorben sei. Von dem Thäter soll man jedoch noch keine Spur haben.
Mannheim, 23. Febr. Eine Stiftung
zugunsten der Arbeitslosen ist dahier inS Leben gerufen worden. Rentner G-org Ludwig Mayer hat värntich der Stadt dre Summe von 40 000 r/kl überwiesen mit der Bestimmung, daß die Zmsen aus diesem Kapital zur Unterstützung arbeitsloser Familienväter verwandt werben sollen.
München, 23. Febr. Die Krankenhäuser waren selbst in der großen Influenza-Epidemie vor fünf Jahren nicht so stark belegt wie jetzt. Nach einer ungefähren Schätzung sind in München rund 30 000 Personen an der Influenza e'Oankt. Die Fälle sind größtenteils leichter Natur.
Berlin, 22. Februar. Die Schneefälle dieses Jahres haben, der „Nationalztg." zufolge, die Stadl Berlin bisher rund 780 000 Mark gekostet. Es sind etwa 300 000 Fuhren zu je 2 60 abgefahren worden.
Von Bremen aus sind die städtischen Behörden benachrichtigt worden, daß Oberst v. Garnier dort eine Schneeschmelzmaschinc erfunden hat, die er ihnen vorzuführen beabsichtigt. Eine sachverständige Abordnung wirs sich demnächst zu diesem Behufe nach Bremen begeben-
— Sämtliche zu der deutschen Armee kommandierten japanischen Offiziere sind jetzt abberufen worden, um in dem Feldzüge gegen China verwendet zu werden. So reiste dem „Leipz Tagt." zufolge auch der seit Anfang Mai vorigen Jahres dem Trainbataillon in Kassel als Rittmeister attachierte Offizier Kairo Osawa zunächst nach Berlin ab. DaS gesamte Offiziercorps des Trainbataillons gab dem Scheidenden in kameradschaftlicher Weise das Geleite zum Bahnhofe. Aus Koblenz sind zwei Offiziere, v»n denen einer der Artillerie, der andere der Infanterie zugeteilt war, abgereist.
Wien, 26. Febr. Kaiser Wilhelm ist 11 Uhr vormittags auf dem Nordbahnhof angekommen, wo ec von Kaiser Joseph, den Erzherzögen und deutschen Fürsten empfangen wurde. Die Monarchen umarmten und küßten sich zweimal herzlichst. Ein zahlreiches Publikum begrüßte lebhaft die Monarchen auf der Fahrt in die Hofburg.
Wien, 26. Febr. Die Leichenfeier für Erzherzog Albrechl war imposant. Während des Begräbnisses waren die Geschäftslokale geschlossen. Die mit Trauerflor umhüllten Laternen waren erleuchtet. Unter dem Kommando des Generalkommandanten Appel war die gesammte Garnison Wiens auSgerückt. Die Artillerie war in zwei Gruppen zur Abgabe der Ehrensalven aufgestellt. An der Leichenfeier nahmen teil: Kaiser Franz Josef, sämtliche Mitglieder des kaiserlichen HauseS, Kaiser Wilhelm, der Herzog von Aosta, Großfürst Wladimir, die Prinzen Georg und Friedlich August von Sachsen, Prinz Arnulf von Bayern, andere Fürstlichkeiten mit Gefolge, daS diplomatische Korps, zwei preußische, zwei russische, eine sächsische und eine bayerische Oifiziersdeputation, die Minister beider Reichshälften und Deputationen des ReichSrats und des ungarischen Reichstages. — Um 3 Uhr erfolgte die Einsegnung in der Hofburg-Pfarrkirche. Um halb 4 Uhr setzte sich der Zug in Bewegung nach der Kapuzinerkirche. Den Zug eröffnete eine Eskadron Kavallerie. Es folgten darauf die Hof-Fouriere, die Dienerschaft, die Leib- lakeien, die Ordonnanz-Offiziere, die Flügel- adjutanten und der Oberhofmeister. Zu beiden Seiten des Sarges gingen je vier