Kerzenskärnpfe.

Roman von Theodor Schmidt.

(Nachdruck verboten.)

24.

20. Capitel.

Der milde Sommerabend war einer trü­ben kalten Nacht gewichen. Martha hüllte sich in einen großen, warmen Shawl, der ihre Gestalt möglichst verdeckte und begab sich mit fast wiederwilligen Schritten durch eine kleine Seitenthür nach dem Weinlaubgang.

In der Ferne sah sie Herrn Lambrechts schlanke Gestalt schnell aus sich zukommen.

Ganz gegen meinen Willen bin ich hier," heb sie an,nur weil Sic mich um meiner Mutter willen darum baten. Was haben Sie mir zu sagen?"

Viel," entgegnete er,was sich nicht in wenigen Worteu zusammensassen läßt. Frau Gräfin, fürchten Sie mich nicht I Schauen Sie mich an ! Sehe ich aus, wie ein Mann, der diese Unterredung aus eitlen, selbstsüch­tigen Gründen wünscht?"

Sie blickte zu ihm auf, und bei dem schwachen Mondschein gewahrte sie, daß auf seinem sonst so ruhigen, sorglosen Gesicht ein Ausdruck tiefer Trauer und heftiger Erreg­ung lag.

Sie können mir vertrauen," fuhr er fort,voll vertrauen. Lassen Sie uns diesen Laubgang hinadgehen, Sie könnten sich er. kälten, wenn wlr hier stehen bleiben."

Sie schritten den breiten Weg hinab.

Meine Zeit ist kostbar," sagte Martha in kaltem Tone,ich wage viel, überhaupt gekommen zu sein."

Das weiß ich," entgegnete er,darum bat ich Sie um ^hrer Mutter willen darum. Wissen Sie, wer sie war I Kennen Sie ihre Geschichte?"

«Ja," sprach Martha traurig,das harte Los meiner Mutier hat mir das Leben ge­trübt."

Gott sei Dank, daß mir diese lange Auseinandersetzung erspart ist," versetzte Herr Lambrecht;also von Ihrer Mutter wissen Sie. Wissen Sie auch etwas von Ihrem Vater?"

Ja," gab Martha in bitterem Tone zur Antwort,auf dem Totenbette erzählte mir meine Mutier von ihm."

Darf ich fragen, was sie sagte?"

Das kann für Sie von keinem Interesse sein. Bitte sagen Sic mir schnell, was Sie von mir wollen und lassen Sie mich dann gehen. Der Name meines VaterS erfüllt mich nur mit tiefem Schmerz."

Gräfin," fragte ihr Begleiter,haben ' Sie nie daran gedacht, wer ich sein könnte?"

Ein kalter Schauer durchrieselte sie. Bis zu der Stunde, wo er ihr goldenes Haar mit seinen Lippen berührt und sie so traurig angeblickt, halte sie kaum noch an ihn ge­dacht. Jetzt beschlich sie reine seltsame Furcht; wer konnte er sein, der das Geheimnis ihrer Mutter bewahrte? Sie wandte sich nach ihm um und blickte ihn an; kalt und ruhig blieb ihr Auge auf seinem aufgeregten Gesicht haf­ten. Bei dem schwachen Schein des Mondes glich sie mehr einem Geist als einem leben­den Wesen.

Haben Sie nie daran gedacht, wer ich sein könnte?" fragte er nochmals.

Nie," antwortete sie kopfschüttelnd.

Möchten Sie nicht Ihren Vater sdhen,

Martha? Trotz all' seiner Fehler hat er Sie innig lieb."

Mein Vater brach das edelste, treueste Herz," entgegnete sie leidenschaftlich,wie könnte ich ihn da zu sehen wünschen?"

Still, Kind, still!" sprach er traurig. Ihre Worte treffen mich gleich einem Dolch­stoß. Versuchen Sie mich ein wenig lieb zu gewinnen. Martha, ich bin Ihr Vater, Werner Horst; ich lege mein Leben in jJhre Hand."

Ihr schönes Gesicht war totenbleich.

Darauf kann ich Ihnen nur erwiedern," hauchte sie in traurigem Tone,daß ich wünschte, ich wäre als Kind gestorben, statt zu leben, um das hören zu müssen."

Haben Sie kein freundliches Wort für mich?" sprach er,war mein Leben auch nicht rein und makellos, so bin ich doch Ihr Vater."

Schweigend mit krampfhaft gefalteten Händen, schritt Martha neben ihm hin.

O Gott, was habe ich denn gethan, daß ich so gestraft werde?" stieß sie plötzlich in heftiger Erregung hervor und blickte flehend zum Himmel.

Beruhigen Sie sich, Kind," tröstete er sie;ich will Ihnen nicht wehe thun, nicht in Ihr Schicksal eingreifen ; wir können unser beiderseitiges Geheimnis bewahren. Ich würde kein Wort gesagt haben, wenn ich nicht ge­fürchtet hätte, Sie würden dem Grafen sagen, was neulich nachmittags vorgefallen ist; Sie sahen in dem Moment Ihrer Mutter so ähnlich, daß ich nicht anders konnte I"

Bei Erwähnung ihres Gatten rang sich ein leiser Schreck von Marthas Lippen.

Martha," sprach er,um Ihrer Mutter willen lassen Sic uns Freunde sein."

Er wartete auf Antwort, aber heftiger Zorn und ein bitterer wilder Kummer zer­rissen ihr das Herz. Die glitzernden Sterne schienen auf sie herab, und der Nachtwind, Mit dem zarten Duft der schlummernden Blumen geschwängert, flüsterte ihr süße Worte des Friedens zu; und wieder sah sic im Geiste das bleiche, schöne Gesicht, die kalten, farblosen Lippen, die selbst im Sterben noch von Liebe flüsterten.

Um Ihrer Mutier willen I" wiederholte er dringender.

Da wandte sie sich zu ihm und legte ihre Hand in die seine.

Es sei," sprach sie sanft,um ihret­willen wiederhole ich die Worte von Ver­zeihung und Liebe."

Wie verlangte es ihn darnach, die wein­ende, tiesbekümmerte Gestalt in die Arme z» schließen und zu trösten, aber er wagte cs nicht.

Sie sind ein Engel!" rief er,wer weiß, was aus mir geworden wäre, wenn Sie mich erbarmungslos von sich gewiesen hätten I Sie haben mich gerettet. Ich will versuchen, Ihrer würdig zu werden, will ver­suchen, mich zu bessern. Die Zeit drängt, hören Sie mich an s Wir müssen unser Ge­heimnis bewahren. Ich habe ein neues Le­ben begonnen ; ich bin reich und stehe geach­tet da. In nächster Zeit gedenke ich mich zu verheiraten erschrecken Sie nicht ich sehe ein besseres höheres Leben vor mir doch Alles hängt von Ihnen ab. Unmöglich könnte ich die Schmach, die ich schon ein­mal gelitten, ein zweites Mal ertragen. So­bald unser Geheimnis bekannt wird, sobald

die Welt erfährt, daß ich Ihr Vater bin, muß auch mein Leben bekannt werden ; dann erfährt die Welt, daß ich Werner Horst, und dann ist's um mich g> scheuen ; ich würde meinem Leben ein schnelles Ende machen und nicht erst warten, daß neue Schmach und Verachtung mich trifft. Sie sehen, mein Le­ben liegt in Ihrer Hand I"

Ich trage kein Verlangen, das zu ver­raten," erwiederte Martha kummervoll;mein Glück aber ist zerstört; ich kann meinem Gatten nicht mehr ins Auge sehen. Ha­ben Sie mir noch etwas zu sagen?"

Nein," gab er zur Antwort,wie Sie wissen, reise ich heute ab undjwerde nie wie­der hierher zurückkehren. Wir müssen ein­ander als Freunde begegnen, und vergessen Sic nicht, daß Sie mein Leben in ihrer Hand haben. Sind Sie einverstanden?"

Ja," versetzte sie in hoffnungslosem Tone,es ist wohl das Beste. Nun ver­sprechen Sie mir das Eine: wollen Sie, wenn ich vor Ihnen sterbe, meinem Gatten die ganze Wahrhest sagen? Er wird Sie nicht verraten."

Er versprach es und sie lenkten ihre Schritten dem Hause zu.

Martha," hob er, nachdem sie eine Weile schweigend hingeschritten waren, an, Martha, Sie sind mein eigen Fleisch und Blut. Lassen Sie mich nur einmal meinen Namen hören; sagen Sie nur einmal, be­vor wir scheiden, ,Gott segne Dich Vater'."

Da wandte sie ihm ihr Gesicht mit tief­traurigem Ausdruck zu, den er nie vergaß, und leise hauchten ihre Lippen:

Gott segne Dich, Vater l Lebe wohl!"

(Fortsetzung folgt.)

Verschiedenes.

Die abgebissene Nase. Ein Bäuerin von einem Nachbarort Augsburgs hatte ver­nommen, daß ein hiesiger Herr, dem vor einigen Monaten durch einen bissigen Hund di- Nase abgebissen wurde, derjenigen Per­son 15000 (I) gebe, welche sich ihrer

Nase zu seinen Gunsten entäußere. Diese Mär behagte unserer Bauersfrau und vor einigen Tagen erkundigte sie sich dahier, wer der Herr sei, der 15 000 ^ für eine Nase gebe; sie sei gewillt, ihren respektablen G'- stchtSvorsprung um den genannten Preisab- zntreten." Obdie Frau mit der verkäuf­lichen Nase" Erfolg hatte, konnten wir nicht erfahren; wir bezweifeln es aber.

.-. (Die Juristensrau ) Assessor:Liebes Weibchen, ich kann meinen Hausschlüssel ab­solut nicht finden, obwohl ich ihn erst vor­hin in meinen Ueberzieher gesteckt habe. Soll­test Du ihn etwa fortgenommen haben?" Junge Frau:Natürlich! Du hast mir ja erst neulich lang und breit auseinander- gesetzt, daß die Hausfrau nach deutschem Rechte die Schlüsselgewalt hat!"

.-. (Ein deutsches Gericht hat einen Mann, der während der Verhandlung den Kopf ge­schüttelt hat, in eine Ordnungsstrafe von 10 ^ genommen. Herr Miquel wird sich den Vorgang doch zu Nutze machen?! Wenn jeder, der jetzt über unsere Zustände den Kopf schüttelt, ein Goldstückchen stiften muß, hat alle Not und Defiziterei ein Ende.

.'. (Boshaft.)Die Ballerina hat wun­derbare Anlianiläten!"Sie meinen wohl ihren Geburtsschein?"

Druck und Verlag von B er nh. H o f mann in Wildbad. (Verantwortlicher Rrdakteur r Be rnh. Hofmann.)