Rundschau.

Hohenheim, 31. Okt. Die Kgl. Land­wirtschaftliche Akademie ist dieses Winter­semester von ca. 130 Studierenden besucht, eine bisher unerreichte Zahl.

Mühlhausen a. N-, 1. November. Die Leichen der Arbeiter, welche durch den Erd­rutsch beim Bahnbau in Zatzenhausen ver­schüttet wurden, sind im Lauf des heutigen Tages aufgcsunden worden. Zwei derselben (Maier und Zuckschwerdt) wurden heute nach­mittag in Zatzenhausen beerdigt. Die Bau­leitung, die Unternehmer, sowie sämtliche Ar­beiter gaben den Verunglückten das letzte Ehrcngeleite. Die Leiche des 17 Jahre alten Karl Pfriemder aus Glatten, OA. Freuden­stadt, wurde erst heute abeud 5'/s Uhr auf- gesunden und wird morgen beerdigt werden.

Schorndorf, 1. Nov. Beim Bahntrans­port von neuen Wein sind in den letzten Tagen auf der Strecke von Waiblingen bis Plüdcrhausen zwei mehreimrige,mitNeuem" gefüllte Fässer von demselben zersprengt wor­den. Die Gär buchsen hatten sich verstopft. Der vielgeschmähte Heurige scheint demnach doch nicht so ganz ungefährlich zu sein.

Hall, 31. Okt. Maler und Radierer G. Holch, ein gebor. Haller, hat in jüngster Zeit Ihre Königl. Majestäten ausgenommen und haben seine Bilder sich des allerhöchsten Beifalls zu erfreuen. Dieselben werden nun anfang November in vollendeten Kupferstichen >in zwei Ausgaben auf Japan- un» China- papier im Verlage der Buchhandlung für Innere Mission in Schwäb. Hall erscheinen.

Geislingen, 3l. Okt. Der in Kuchen wohnhafte und verheiratete Maurer Steeb, welcher in der Württ. Metallwarenfabrik hier beschäftigt ist, wurde heute früh kurz nach 6 Uhr in einem Wassergraben liegend tot aufgefunden. Der Verunglückte litt an epiteplitchen Anfällen und ist aus dem Wege zur Fabrik von einem Anfall überrascht worden und in den nicht tiefen Wassergraben gefallen und erstickt. Steeb war ein fleißiger Mann und hiuterläßt Frau und 4 Kinder.

Ulm, 31. Okt. Heute vormittag fand aus dem hiesigen Landgericht die Beeidigung des früheren L.G.R. Pfizer als Rechtsan­walt statt, nachdem das Justizministerium am 29. ds. seine Zulassung als Rechtsan­walt Landgericht Ulm verfügt hatte.

München, 31. Okt. (Reichskanzler Fürst Hohenlohe und die Landwirtschaft.) Wäh­rend Graf Coprivi einst von sich sagen konnte, daß er ein Mann ohne Ar und Halm" sei, muß sich der neue Reichskanzler als einen der größten Grundbesitz'r in Europa bekennen. Fürst Hohenlohe besitzt nicht nur umfangreiche Güter in seiner Heimat Mittel­franken (Schillingsfnrsi), sondern auch, in­folge einer Erbschaft seiner Gattin, geborenen Fürstin Wittgenstein, außerordentlich um­fangreiche Ländereien in Rußland, welche er nach den dort bestehenden Gesetzen über das Grundeigentum der Ausländer im Laufe der Jahre durch die russische Regierung zu ver­äußern gezwungen ist. Fürst Hohenlohe be­sitzt, wie man den M. N. N. schreibt, in der Landwirschaft, für die er ein sehr großes Interesse an den Tag legt, respektable Kennt­nisse. Der Reichskanzler war im Jahre 1882 erster Präsident der 24. Wanderver- sammlung bayerischer Landwirte in Ansbach, wo er hie Verhandlungen mit sehr viel Ge­schick und Umsicht leitete. Auch bei der letz­ten Versammlung bayerischer Landwirte in

I Neustadt a. H., welcher auch Prinz Ludwig anwohnte, war Hohenlohe erschienen. Seine landwirtschaftlichen Einsichten dürften dem Fürsten in den wichtigen agrarischen TagcS- fragen sehr zu statten kommen.Agrarier" ist aber der neue Kanzler ebenso wenig wie sein Vorgänger jemals gewesen.

Berlin, 30. Okt. (Die Einweihung des Reichtagsgebäudes) am 15. Nov mber wird, dem Zentrolblatt der Baureewaltung zu­folge, durch Verlegung eines Schlußsteins, und zwar im Beisein des Kaisers, erfolgen. Der Schlußstein findet seinen Platz im Mit­telpunkt der groß-» Wandelhalle, wo er, be­trächtlich über den Fußboden hervorragend, dem Vernehmen nach den Kern für den Unter­bau eines später zu errichtenden Standbildes Kaiser Wilhelms I. bilden soll. An die Feier wird sich eine Besichtigung des Innern durch den Kaiser anschlnßen.

Berlin, 31. Okt. Das Regierungsblatt des Reichspostamtes veröffentlicht folgenden Erlaß des Grafen Caprivi an den Staats­sekretär des Reichspostamts Lr. v. Stephan:

Nachdem Se. Majestät geruhten mich auf Antrag der Stellung als R-ichSkanzler allergnädigst zu entheben, ist es mir ein Be­dürfnis, Ew. Excelenz herzlichen Dank aus­zusprechen für die treue Mitarbeiterschaft wo­durch Sie mich während meiner Amtsführ­ung unterstützten und knüpfe ich hieran die Bitte, auch den Beamten Ihres Ressorts den Ausdruck meines Dankes zu übermitteln für den Dienst der mir durch Hingebung in die Aufgaben Ihres Dienstes jederzeit zu teil geworden ist."

Berlin, 31. Oktbr. Der Reichskanzler Fürst Hohenlohe hat bereits heute vormittag die Diensträume im Reichskanzlerpalais be­zogen. Heute abend oder morgen früh wird General Graf Caprivi, dem aus Anlaß seines Rücktritts zahllose Sympathiebeweise und Danksagungen zugegangen sind, Berlin in aller Stille verlassen. Sicher bleibt ihm die Hochachtung aller deutschen Männer, die eine Empfindung für eine ritterliche Denkweise und einen ehrlichen Charakter haben.

Berlin, 1. Nov. Graf Caprivi ist gestern abend nach der Schweiz abgereist.

Stettin, 1. Nov. Die Enthüllung des Denkmals des Kaisers Wilhelm I. fand heute mittag 12 Uhr mit Gesang und Festrede des Oberbürgermeisters Haken statt- Als die Hülle auf Befehl des Kaisers siel, wurden 33 Salutschüsse abgegeben. Die Feier schloß mit einer Weihrede des Generalsuperinten- denten Pöttcr. Der Kaiser beglückwünschte den Professor Hilgers, den Schöpfer des Denkmals. Nach Abnahme einer Truppen­parade und noch dem Vorbeimarsch von mehr als 3000 Kriegern aus Stadt und Provinz, welche Kränze am Denkmal niederlegten, be­gab sich der Kaiser nach dem Schloß und folgte später einer Einladung des Offizier- coips des GrenadicrreginnnS zum Diner.

Rhens, 30. Okt. (Bestrafter Uebermut.) In angeregter Stimmung, wohl hervorge­rufen durch zu reichlichen Genuß desNeuen", kamen drei Handwerksburschen gestern nach­mittag die Straße von Coblenz daher. Im Uebermut wagte einer derselben einen Sprung in den hochgchendcn Rhein. Vergebens kämpfte er jedoch mit den Fluten, um das Ufer wie­der zu erreichen, in wenigen Augenblicken war er in der Tiefe verschwunden.

Petersburg, 2. Nov. Ein Telegramm aus Livadi« teilt über die letzten Augenblicke

des Zaren folgendes mit: Der Kaiser war bei voller Besinnung, die Kaiserin stets bei ihrem Gemahl. Der Kaiser verschied sanft, umgeben von der gesamten Familie. Von der Leiche verabschiedeten sich aldann die Kin­der und Anverwandten des Kaisers, die Hof­chargen, die Personen der Suite und die Palaisbediensteten. Die Kaiserflagge wurde auf dem Palais auf Halbmast gehißt, dumpfer Kanonendonner erschallte. Kurz nach 4 Uhr nachmittags wurde dem Kaiser Nikolaus Ale- xandrowisch auf dem Platze vor dem Palais der Eid der Treue geleistet, zuerst von den hier versammelten Großfürsten; es folgten die Hofchargen, Hofbedienstete, Militärbeamte re. Es verlautet, das Thronbesteigungs-Mani­fest treffe in einigen Tagen auf dem Post­wege ein. Die Theater und Vergnügungs­anstalten sind geschlossen, auch die Wirts­häuser gesperrt.

Petersburg, 2. Novbr. UmUhr abends gaben die Kanonen der Peter-Pauls- Festung der Hauptstadt den Tod des Zaren kund. Der Kaiser kommunizierte noch vor­mittags um 10 Uhr bei vollem Bewustsei». H er wurde die Todesnachricht gegen 7 Uhr an den Straßen angeschlagen. Obgleich nicht unerwartet, rief sie unter der Bevölkerung teife Bestürzung und Trauer hervor. Auf den Straßen bekreuzte sich das Volk beider Trauernachricht andächtig. Abends 10 Uhr fand in Gegenwart der in Petersburg an­wesenden Reichsratsmitgliedcr eine Seelen­messe statt.

(Kaiser Alexander III. ist am 10. März/26. Februar 1845 als zweiter Sohn des Kaisers Alexander II. geboren. Er steht also im 50. Lebensjahre. Als sein älterer Bruder Nikolaus am 24.i12. April 1865 in Nizza gestorben war, wurde er feierlich zum Thronfolger ernannt. Ein Jahr darauf, am 9. Nov./28. Okt. 1866, ver­mählte er sich mit der Braut seines ver­storbenen Bruders, Maria Feodorowna, Prin­zessin Dagmar von Dänemark, Tochter König Christians IX. Dieser Ehe sind fünf Kind.r entsprossen: der GroßsürstThronfolger Niko­laus (gcb. 18. Mai 1868), Großfürst Georg (geh. 9. Mai 1869), Großfürstin Xenia (geb. 6. April 1875), Großfürst Michael (geb. 5. Dez. 1878), Großfürstin Olga (geb. 13. Juni 1882).

Nach der Ermordung seines Vat rS am 13./1. März 1881 bestieg Alexander III. den russischen Zarenthron.)

Darmstadt, 2. Nov. Nach den hier ein­laufenden offiziellen Depesche» erfolgt die Beisetzung Alexanders III. in Petersburg. Der Großherzog von Hess, reist dorthin. Kaiser Wilhelm wird wahrscheinlich zu Schiff nach Kronstadt reisen. Prinzessin Alix kehrt vor­läufig hierher zurück. Man glaubt mehr­fach, die Hochzeit sei überhaupt aufgeschoben.

Merkwürdige Zustände scheinen in gewissen hohen und höchsten Kreisen zu herr­schen I Aus Shaughai wird dem New-Aork Herald gemeldet, daß der Tod der jungen Kaiserin von China auf Selbstmord zurück­zuführen ist. Dieselbe habe stets unglücklich mit dem Kaiser gelebt, und als derselbe ihr letzthin öffentlich eine Ohrfeige verabreichte, habe die Kaiserin Gift genommen.

Eine Depesche aus Buenos Ayres meldet: In Barioja sind über 1000 Men­schen durch ein Erdbeben umgekommen. Viele Tausende sind obdachlos.