Die Wallfahrt nach KZenstachau.
Roman von Johanna Berger.
Nachdruck verboten.
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Und nachher, wenn mir der infame G>org und der Schnaps in den Kopf gestiegen waren, dann brachte mich jede Kleinigkeit in Wut und ich wußte nicht mehr, was ich dann in der Hitze anrichtete."
„So, wirtlich? Na ja, aber wir wissen's schon. Kann's mir auch gar nicht denken, daß es 'mal anders mit Ihnen wird, denn solch ein Saufbruder wie Sie wechselt alle Tage die Farbe," sagte höhnisch die alte Mascha, indem sie hinausging und unsanft die Thür hinter sich in's Schloß warf.
Der Lieutenant blieb noch lange Zeit in unruhige und selbstquälerische Gedanken versunken, in seinem Lehnstuhl sitzen, ohne sein Mittagsmahl zu berühren. Plötzlich sprang er mit einer so raschen Bewegung auf, daß der schwere Soldatenmantel von seinen Schultern glitt, und nun warf er sich vor dem Heiligenschrein nieder, bekreuzte sich, beugte das Antlitz zur Erde und zerschlug sich mit der geballten Faust die nackte Brust, Dann faltete er die Hände und murmelte in kurzen abgebrochenen Sätzen ein Paternoster nach dem andern vor sich hin.
So verging der Nachmittag. Durch das offene Fenster drang tausendfacher Lärm in das stille Gemach. Die Menschen lachten, sangen und johlten auf der Straße, der Dudelfack quitjchle und dazwischen klangen noch immer die Kirchenglocken. Aber in dem schwülen, armseligen Stübchen regte sich nichts weiter, als die schweren beklommene» Atemzüge des alten Grenzwachloffiziers und daS leise eintönige Tick, Tack der niemals müden Wanduhr, welche rastlos und unbekümmert um Freud und Leid der Menschen jede Sekunde richtig fallen ließ.
Endlich senkte sich der Abend herab. Im Westen dämmerte ein fahles Not und dunstige Nedetmassen zogen langsam über die Siabt, die sich allmälig in einen sanften Regen auflösten, der plätschernd aus die Dächer rieselte. Nun wurde es still und stiller aus den Straßen und vom Kloster verklang der letzte Glockenton.
Auch über den alten Mann war endlich Ruhe gekommen. Er halte sich wieder in den Sessel gesetzt, sein Haupt war in die Polster znrückgesnnken und unmerklich halte ihn ein bleierner Schlaf umfange». Er schlief, wählend draußen rer Himmel immer dunkler wurde und eer Regen immer starker herabströmte.
Plötzlich schreckte er aus seinem Schlummer empor, ein Geräusch im Zimmer Halle ihn erw-ckl. Er blinzelte eine Weile wie geblendet umher, denn der Abend wob gespenstisch graue Schalten um alle Gegenstände. Nun fiel sein unsicherer Blick auf eine dunkle Gestalt, die sich langsam h>n und her bewegte und verschiedene Kleidungsstücke in eine kleine Reisetasche packle, weiche geöffnet auf einem Stuhle stand. Und jetzt erkannte er Jadwiga. — Aber, Herr des Himmels, wie sah das Mädchen aus: Das Gesicht war bleich und ohne Lebe», wie versteinert, die blonden Haare hingen feucht und schwer in wirren Slrähen vom Kopte h rab.
Die breite nasse Kante des zerknitterten und befleckten Kleides streifte knirschend den Bo den. Die Haltung war matt und die Schritte taumelnd, wie die einer Schwei kranken. Sie blieb zuweilen stehen und starrte mit den trüben erloschenen Augen, die sonst mit so sonnigem Glanze in die Welt hinausgeschaut, wie verstört vor sich hin.
Des Alten Augen folgten unruhig jeder Bewegung des Mädchens. Doch nun fuhr er mit einem Ruck von seinem Sitze empor. „Jadwiga", schrie er auf, „bist Du es wirklich, oder ist es Dein Geist?"
Sie zuckte heftig zusammen, aber antwortete nicht. Nur ein dumpfes Stöhnen rang sich ans ihrer Brust. Dann sank sie auf einen Stuhl und bedeckte ihr gramdurch- wühltes Antlitz mit beiden Händen. Das blonde Goldhaar flutete über die weißen Finger herab. Der Alte saß wie ein Steinbild da, er wagte nicht Jadwiga anzusehen, ihr Anblick hatte ihn zu gewaltig gepackt. Und wieder wurde es ganz still im Zimmer, nur das einsame Ticken der Uhr und das leise krampfhafte Schluchzen des Mädchens war das einzige Geräusch darin.
Doch mit einem Male raffte er sich auf, stolperte zu Jadwiga hin und umfaßte leidenschaftlich ihre Schultern. „Jadwiluschka", stammelte er, „kannst Du mir denn nicht Verzeihen ? Kannst mich nicht wieder ein bischen lieb haben? Hab doch Erbarmen mit Deinem alten Vater. Ich will gewiß auch gut sein mit Dir, und ich schwöre es Dir bei Christi blutigen Wunden, daß ich nicht wieder in die Schänke gehe I"
Das Mädchen hob langsam den Kopf. Sie blickte den alten Mann verständnisvoll an, als müsse sie sich erst seine Worte deuten. Doch dann kam plötzlich Erinnerung über sie.
„Was mir gestern von Dir geschehen ist, habe ich vergessen und vergeben," entgegnet? sie finster. „Aber das Andere, das Schlimmere I" Sie sprang auf und stieß ihn zornig von sich fort. Ihre bleichen Wangen färbten sich purpurrot und in den blauen Augen glühte es unheimlich auf. — „Ja, das Andere", stöhnte sie, ,das vergebe ich Dir nie I Du hast mich belogen und betrogen, hast mich aufwachsen lassen, ohne mir die Wahrheit zu sagen. Warum hast Du den elenden Wurm damals nicht liegen lassen im Felde? er wäre gestorben wieseine Mutter hinter dem Zaun." — Sie stockte, nach Atem ringend. „Ja, gestorben und verdorben, so war es besser I" — Denn sitzt, jetzt," schrie sie wild auf, „muß ich's dulden, daß man mich schimpft, mich höhnt und mißhandelt wie eine schlechte Dirne, daß man mich zur Verzweiflung treibt — und das ist Deine Schuld — ja, Deine Schuld >"
Der Lieutenant stand bewegungslos, mit starren Augen da, als habe ihn der Schlag gerührt. Erst allmälig wurde ihm die Bedeutung ihrer Worte klar und dann dämmerte auch die Wahrheit in ihm auf. Und nun erfaßte ihn unbändige Erregung. Er murmelte drohende Worte vor sich hin und fuchtelte mit den Händen in der Luft umher, als suche er Jemand, an dem er seinen Zorn auslassen konnte.
„T»e Hallunken, die feigen Hunde I" rief er ungestüm. „Zertreten könnte ich sie, zu- sammenhanen wie Gerstenstroh! Also sie haben Dir Alles verraten, sie haben Dir gesagt, daß Du nicht mein rechtes Kind bist I
Heilige Barbara, das soll das Gesindel büßen!"
„Laß gut sein Vater, es nutzt zu nichts," entgegnete das Mädchen mit müdem Blick. „Und einmal hätte ich doch Alles erfahren. Aber nun ich so viel weiß, hi» ich neugierig auf den Rest. Jedes Kind hat doch einen Vater und eine Mutter, und irgendwo in der Welt muß cS doch auch ein Elternpaar für mich gegeben haben." — Sie lachte bitter auf ihre weißen Zähnchen gruben sich so fest in die Unterlippe, daß sie blutete. „Ja, sag's doch, Vater, rede, jetzt ist mir's Einerlei! Habe ich einen ehrlichen Namen, auf dem kein Makel ruht, oder stamme ich von Landstreichern her, von Vagab nden, die bettelnd und stehlend von Land zu Land ziehen? Oder gehöre ich zu Jenen, die keinen Glauben haben und gottlose Heiden sind, zu den braunen Zigeunern, die aus Ungarn kommen? Ist es wahr, daß ich ein Ketzer« kind bin? Du mußi's ja wissen, Vater. Warum haben sie mich verlassen, meine Ellern, und warum muß ich mich ihrer schämen? Sprich doch, Vater, ist's denn so schrecklich, was Du mir sagen mußt?"
Jadwiga hatte hastig, stoßwciße gesprochen, mit zuckenden Lippen. Ihre Augen schienen angstvoll aus seinen Zügen die Antwort lesen zu wollen.
Der Alte sank förmlich in sich zusammen, dann fuhr er sich mit der Hand ins graue Haar. Das Mädchen dauerte ihn. Thränen des Mitgefühls drängten sich ihm unter den Wimpern hervor.
„Jadwiluschka," sagte er weich, „mein Seelchen, wie kann ich Dir auf so viele Fragen Antwort geben, da ich selbst so gut wie gar nichts weiß."
„Du weißt nichts, Du weißt nichts!" fuhr sie auf. „Aber das Eine, das Eine, daß mußt Du doch wissen. Sage mir, «er meine Mutter war!"
„Deine Mutter?" Dem Alten kamen die Worte ganz rauh aus der Kehle. „Deine Mutter? — Jesus, was kann ich Dir von ihr sagen, ich kannte sie nicht. Ich sah sie nur einmal und da war sie gerade am Sterben."
Jadwiga schloß einen Moment die Augen, ein banges, thränenloses Schluchzen erschütterte ihre Brust.
„Mein Gott, ach mein Gott!" murmelte sie Vor sich hin. Dann fragte sie wieder: „Wie sah meine Mutter aus? Gehörte sie zu, zu — jenen — zu den Heimatslosen
— oder war sie eine rechtschaffene Frau?"
„Sie war schön und jung — und hofflnt-
lich auch brav. Sie kam aus weiter, weiter Ferne, denn sie verstand unsere Sprache nicht."
„Und sie hat mich nicht ausgesetzt, nicht wahr, Vater? Eine junge, brave Mutter kann doch ihr kleines Kind nicht von sich stoßen. Sie verließ mich nur, weil fl starb.
— Aber antworte loch, Vater, sprich doch, ich muß mehr wissin — mehr, iwhr! Ans Barmherzigkeit, sage mir Alles, was Du von meiner Mutier weißt!"
Der Alle ergriff des Mädchens fledernde Hände und drückte sie. „Du bist furchtbar aufgeregt, Jadwlschka, Du bist krank," sagte er traurig. „Werde erst ein Bischen ruhig, dann erzähle ich's Dir.
i Fortsetzung folgt )
Druck und Verlag von Beruh. Hosmann in Wildbad. (Verantwortlicher Redakteur Bernh. Hofmann).