Die Wallfahrt nach Kzenstochau.
Roman von Johanna Berger.
(Nachdruck verboten.)
18.
Nicht einmal Visiten auf den Nachbargütern will er machen, wo reiche Töchtern zu haben sind I — „Er hätte kein Talent zum Cvurmachen," antwortete er mir nämlich, „und er hätte auch noch kein Mädchen gefunden, da- ihm gefällt." —Das ist doch geradezu wunderbar, nicht wahr, den» in Polen zieht es reizende Fräulein ohne Zahl. Wenn er nur suchen wollte, er würde schon finden, aber er will nicht. „Nein, nein, ich heirate noch nicht I" Das ist die Antwort auf alle meine flehenden Bitten I"
Die Gräfin hatte die Herzensgenüsse ihrer Freundin mit sichtlichem Jntensse augehöri. Als diese geendet, nickte sie ein paar Mai wie zustimmend vor sich hin. „Ja, liebe Casimira," sagte sie, Sie haben viel Schweres überwinden müssen, aber regen Sie sich jetzt nicht mehr darüber auf, denn was ver- gangen, ist vergangen, und es ist ganz recht von Ihnen, daß sie ihre Hoffnung auf die Zukunft setzen. Auch ich bin überzeugt davon, daß sich noch einmal Alles zum Besten für Sie wendet. Wenn ich mich ganz zu Ihnen ausgesprochen habe, werden Sie sich wundern, wie merkwürdig unsere Gedanken und Wünsche übereinstimmen, und wie richtig ich, ohne vollständig mit Ihren Verhältnissen bekannt zu sein, combiniert Habel"
„Ach, ich wundere mich selten über etwas, was mit Ihnen im Zusammenhänge steht, teure Antonia, Sie sind eine kluge, erfahrene Frau und finden für Alles das Rechte I"
„Danke schön für Ihre gute Meinung. Und wenn Sie solches Vertrauen zu mir haben, damit will ich auch offen mit Ihnen reden, ganz so, wie es mir um'S Herz ist." Die Gräfin schwieg plötzlich, zog ihr Taschentuch hervor und rieb eifrig an ihrem seidenen Beide herum, als wolle sie ein paar, in Wirklichkeit gar nicht vorhandene Staubflkckrn davon fortwischen, bis sie endlich mit etwas gepreßter Stimme fortfnhr: „Sie ahnen wohl nicht, welches der eigentliche Beweggrund unserer Reise nach Czenstochau ist?"
Frau von BiclinSka riß ganz erstaunt die Augen auf, sie ahnte gewiß nichts. „Ich, ich," sagte sie, — „oh doch — ich denke, der lieben Spiridia zarte Gesundheit ist die hauptsächlichste Veranlassung dazu. Und sie hofft auf die Gnade unserer Madonna. Sie wird auch nicht vergebens hoffen, denn wenn kein Arzt mehr heilen kann, lo ist man ihre, Hilfe gewiß. DaS habe ich küiztich erst de, meinen G'sichlsschmerzen erfahren. Vier Wochen curierte der Doctor an mir herum, da legte mir die Mlchatina ein wollenes Tüchlein mit dem Bilde der Gebenedeiten auf und im Nu waren die Schmerzen fort."
Die Gräfin lächelte überlegen. „Nun, vielleicht wird meine Tochter durch die Gnade der Mutter GvtteS auch wieder gesund! — Doch ich habe noch andere Dinge bei unserer Wallfahrt in's Auge gefaßt, liebe Casimira, und was mich anbetriffk, verlasse ich mich mehr auf die natürlichen Zufälle des Lebens, die uns entweder verhängnisvoll, oder glückbringend werden. Wir sind alte intime Freundinnen und Sie kennen mich genau;
da habe ich wohl nicht erst nötig, unnütze Reden zu machen, damit Sie mich völlig verstehen I"
6is1! Da bin ich doch neugierig I" rief die Herrin von Lygotta, indem sie rasch der Gräfin näher rückte. Diese zog ruhig, ohne ein Miene zu verziehen, ihre Handschuhe an und sagte mit leiser, halbverschleierter Stimme: „Ihr Roman ist ein guter, liebenswürdiger Mensch, wir lernten ihn schätzen, als er in Wilna fast täglich bei uns verkehrte. Sein Charakter ist zuverlässig und ehrenwert, und jede Mutter, und säße sie auf einem Königsthron, könnte stolz auf ihn sein. Ich stelle auch die Behauptung auf, daß, wenn er nur den Willen hält-, es ihm gar nicht schwer fallen würde, eines der reichsten und schönsten Edelfräulein zur Frau zu bekommen. Bei seiner bestrickenden Persönlichkeit würde er überall mit offenen Armen empfangen werden, dessen bin ich gewiß. — Ja, es ist eine große Gnade von Gott, gute und brave Kinder zu haben. Sie wissen gar nicht, Castmira, welches Glück Sie in Roman besitzen I" Sie seufzte kurz auf und senkte einen Moment den Kops auf die Brust, dann sprach sie hastig weiter: „Auch wir haben ein einziges Kind, auch unsere Spiridia ist gut — aber sie steckt voller Schwärmereien und phantastischer Ideen. Da hat sie es sich z. B. seit einiger Zeit in den Kopf gesetzt, eine Nonne zu werden, um ihre Sünden im Kloster abzubüßen. Können Sie sich solche lieber- spanntheit von einem Mädchen von sechzehn Jahren denken? Aber sie muß wieder zur Vernunft gebracht werden und das beste Mittel ist eine schleunige Verheiratung. Wie wäre es, Casimira, wenn wir Beide aus unseren Kindern ein glückliches Paar machten, dann wäre uns Allen geholfen I"
Frau von BielinSka schlug ganz entzückt die runden Händchen zusammen. „Ein Brautpaar I" rief sie aus. „Roman und Spiridia, ein glückliches Paar I Ach, Antonia, ich kenne mich nicht vor Freude I Aber ist es wirklich wahr, scherzen Sie nicht?"
„Mit solchen Angelegenheiten scherze ich nicht I Im Gegenteil, ich habe Alles ernstlich in Erwägung gezogen! Roman hat eine reiche Frau nötig - mein thöricbtes Kind einen verständigen Mann, der im Stande ist, ihr die romanhaften Grillen aus dem Kopfe zu treiben. Ich Halle unendlichen Aerger und Verdruß mit ihr. Denken Sie nur, das unbesonnene Mädchen knüpfte hinter dem Rücken der Pensionsvorsteherin einen LiebeShandel mit einem deutschen Studenten an I"
„Barmherziger Himmel! la potits? Und das sagen Sie mir heute erst?"
Ein leichtes, sarkastisches Lächeln glitt über die Lippen der Gräfin, doch beachtete sie den Einwurs ihrer Freundin nicht, svn- eern fuhr im ernsten Tone fort: „Das gedankenlose Kmd wußte natürlich nicht, was es lhat, es war auch nur ein ganz unschuldiges Verhältnis. Er hatte ein paar schöne RedenSarie» gemacht und sie dieselbe für paare Münze genommen. Das ist Alles. Sie sehen wie es so im Leben geht, da führen die Kinder mitunter kleine Romane auf, ohne baß man sie verhindern kann I Aber dieser Liebeströdel war das Schlimmste nicht, was geschah. Die Vorsteherin hatte dem Kinde die wahnsinnigsten Vorwürfe deshalb gemacht, sie einer Verbrechern, gleich Tage lang ein
gesperrt und sie von allem Verkehr mit den anderen Pensionärinnen abgeschlossen. In Folge dessen hält sich Spiridia für eine große Sünderin, sie ist schwermütig und traurig, kränkelt häufig und ihre Rene, ihr Schmerz über die von ihr begangene Unbesonnenheit ist so groß, daß sie keinen anderen Ausweg kennt, als in's Kloster zu gehen und Buße zu thun. Aber mein Mann und ich denken gar nicht daran, solche Schwärmereien gut zu heißen, wir werden vielmehr Alles auf- bielen, um unser einziges Kind dem Leben und der Welt zu erhalten. Eine Verbindung mit Roman, den wir achten und lieben, dem auch Spiridia schon als Kind die herzlichste Zuneigung zeigte, ist unser größter Wunsch und wir sind Beide überzeugt davon, eine gute Wahl getroffen zu haben!"
„O gewiß, eine gute und kluge Wahl, Antolka! In der Thal, Alles, was Sie beschließen, ist verständig und bewundernswert I Doch — Pardon! — was wird Spiridia dazu sagen? Wenn sie sich sträubt, weint, kurz, wenn sie nicht will?"
Die Gräfin zog die Augenbraunen in die Höhe und erwiderte scharf: „Spiridm ist an Gehorsam gewöhnt und kennt keinen Widerspruch! Ich sage ihr, Du heiratest Roman, ich will es, und sie nimmt ihn sicher. Oder zweifeln Sie daran? Möglich ist es wohl, daß ein paar Thränen dabei fließen, aber meine Tochter ist zu gut erzogen um nicht zu wissen, daß ein junges Mädchen der üauts-noblsssö den Garten nur arider Hand ihrer Eltern empfangen darf, und daß es nichts Tactloseres geben kann, als sich einer solchen Wahl zu widersetzen. Und nun vollends, wenn der liebe Roman, den sie früher schon gern hatte, ihr Gemahl werden soll! Es ist rein unmöglich, daß sie sich als seine Braut noch nach Nonnenschlcier und Klosterzelle sehnen wird!"
«Ja, ja, Antonia, mein Roman ist wohl der rechte Mann dazu, einem überspannten Mädchen die thörichten Gedanken zu verscheuchen. Aber —", sie blickte ein wenig unsicher und ängstlich vor sich hin, „aber damit ist noch nicht alles abgemacht! Er ist nicht so fügsam wie Spiridia — er wird sich vielleicht weigern — und er hat so eigentümliche Ansichten. Ich fürchte, wenn er erfährt, daß die Pente schon ein kleines Abenteuer — man muß ihn doch davon in Kenntnis setzen, nicht wahr F Mit einem Wort, dieser kleinen unschuldigen Liaison wegen, würde er sich vielleicht veranlaßt fühlen, die vorteilhafte Partie auszuschlagen und Nein zu sagen!"
(Fortsetzung folgt.)
Vermischtes.
.'. Die Vereinsmeierei treibt in England gar absonderliche Blüten. In London hat sich jüngst ein neuer Verein gebildet, der den Namen „Sechsfingerklub" angenommen hat. Jedes Miiglied dieses Klubs muß an einer Hand wenigstens sechs Finger haben. Der Vcreinssekrelär hat einen mit einem großen Aufwand von Gelehrtheit verfaßten Bericht erstattet, aus welchem hervorgeht, daß es ans Erden 2173 Personen mit sechs Fingern an der Hand gibt und 431 mit sieben Fingern, eine Person darf sich sogar des Besitzes von acht Fingern an einer Hand rühmen.
Druck und Verlag von Beruh. Hosmaun in Wildbad. (Verantwortlicher Redakteur Beruh. Hofman»).