Rundschau.
— Ueber die Vornahme der Bürgerausschuß-Ergänzungswahlen , wie sic nach der Verwaltungsnovelle vom 21. Mai 1891 vorgeschriebe« sind, besteht vielfach noch Unklarheit, Der Staatsanzeiger vom 24. d. M- bringt hiezu folgende Mitteilung: „In einem Teil der Presse wird er als eine vorher nicht bedachte Folge der Berwaltungsncvelle vom 21. Mai 1891 bezeichnet, daß im Fall der Wahl vonBürgerauSfchußmitgliedern in den Gemeinderat die erforderliche Ergänzung des Bürgerausschusses nicht mehr sofort, sondern erst nach Ablauf eines Jahres stattfindcn könne. Der Vorwurf, der hiemit gegen die Regierung erhoben werden will, beruht auf v»> ständiger Unkenntnis des Gesetzes. Das Verwaltungsedikt wie auch das Gesetz vom 6. Juli 1849 enthielten über den Zeitpunkt der Vornahme der BürgerauSfchußwahlen und über die Vornahme außerordentlicher Ergänzungswahlen gar keine Bestimmung. Eist die Novelle vom 21. Mai 1891 hat diese Lücke ausgefüllt. Nach Art. 9 Abs. 3 des letzteren Gefe-eS finden auf die Vornahme außerordentlicher Ergänzungswahleil beim Bürgerausfchuß die für den Gemeinderat geltenden Bestimmungen entsprechende Anwendung. Hienach sind die Gemeindekollegien zu jeder Zeit in der Lage, die Vornahme einer Wahl behufs Ersetzung abgegangener Mitglieder zu beschließen, wenn ihnen dies als ein Bedürfnis erscheint; sic sind verpflichtet, eine Ergänzungsmahl anzuordnen, wenn andernfalls eines der beiden Kollegien beschlußunfähig würde. Hieniit ist die Möglichkeit gegeben, abgegangene Mitglieder des Bürger- ausschusses alsbald wieder zu ersetzen, wobei übrigens nicht bloß der besondere Fall der Wahl eines BürgerauSschnßmitgliedS in den Gemeinderat, sondern auch alle sonstigen Möglichkeiten des Abgangs, z. B. durch Tod, Wegzug, Erkrankung u. s. f , ins Auge zu fasse» sind. Wenn zur weiteren Begründung des erhobene» Vorwurfs auf die Verhältnisse in der Stadt Stuttgart exemplifiziert wird, so ist dieses Beispiel nicht glücklich gewählt. I» Stuttgart legte man auf die Möglichkeit sofortiger Ergänzung des Bürgerausschusses nach der Gemeinderatöwahl so wenig Gewicht, daß die bürgerlichen Kollegien im Jahre 1878 auS eigenem Antrieb beschloss-», die Bürger- ausschußwahle» vom Dezember in den Juni zu verlegen, wobei es bis zum Inkrafttreten der Verwaltungsnovellc von 1891 verblieben ist. Wie in Stuttgart, so fanden auch in einer Anzahl anderer Gemeinden de« Landes die Büigcrausschußwahlen vor dem Jahre 1891 nicht mit den Gemeinderatswahlen im Dezember, sondern im Juni statt, obwohl die Kollegien nicht gehindert waren, auch die BürgerauSfchußwahlen im Dezember vornehmen zu lassen.*
Kleinbottwar, 25. Nov. In der Nacht von Freitag auf Samstag begehrte ein Durchreisender vom Ortsvorsteher Nachtquartier, da er keine verfügbaren Mittel zum Ueber- nachten in einem Wirtshause habe. Ea wurde ihm der Arrest zu diesem Zwecke an- gewiisen. In der Nacht wurde bemerkt, daß im Arrest Feuer ausgebrochcn sei. Durch die herbeigeeiltc Feuerwehr wurde dasselbe zwar gelöscht, allein der Insasse konnte nur noch leblos, vom Brand arg zugerichtet, aus seinem Nachtquartier verbracht werden. Ob kr selbst das Ende gesucht hat, kann selbstverständlich nicht mehr ermittelt werden.
Tübingen, 26. Novbr. Gestern abend 6 Uhr brachten sämtliche Studierende der medizinischen Fakultät dem hochverdienten Gynäkologen Prof. Dr. v Säxinger zur Feier seiner 25jährigen Wirksamkeit an der hiesigen Hochschule einen solennen Fackelzug dar, an welchen sich ein Kommers anschloß, dessen Verlauf als ein überaus gelungener bezeichnet weiden darf. Am andern Tag fand eine „Frühmesse" statt, zu welcher der Jubilar sämtliche Teilnehmer am Facke>z»ge eingeladen batte.
Ulm, 26. Nov. Heute ist der Buchhalter der in Konkurs geratenen Firma Martin I. Neuburger, K. S. von hier, verhaftet und in das Gerichtspefängnis eingeliefert worden, während gegen de» seit Montag abend von hier abwesenden Inhaber der Firma Steckbrief wegen Urkundenfälschung erlassen worden ist.
— Dem Vernehmen nach haben gegen die Weinsteuer im Bundesrat gestimmt: Württemberg (4 St.), Baden (3 St), Hessin (3 St), Hamburg fl S>.) und Rcutz a. L. (1 St), zusammen 12 Stimmen gegen die Weinsteuer unter 58 Stimmberechtigten.
— Es kommt häufig vor, daß weibliche Personen, die Beiträge zur Jnvaliditäts-und Altersverstch-'rung geleistet haben und infolge ihrer Verheiratung aus der Versicherungspflicht ausscheiden, unter Berufung auf § 30 de» Gesetz die Erstattung der von ihnen geleisteten Beiträge von den Vorständen der Versicherungsanstalten beanspruchen. Sie übersehen indessen, daß in jenem Gesetzpara- graphen die Erstattung erst dann für zulässig erklärt wird, wenn die Betreffenden mindestens fünf Beitragsjahre hindurch ihre Bei- träge geleistet haben. Vordem 1. Juli 1895 kann also derartigen Gesuchen überhaupt nicht stattgegeben werden. Bis dahin sind derartige Anträge zwecklos.
— (Reichsgericht.) Nach § 211 der KonkurSsrrnung sind Schuldner, welche ihre Zahlungen eingestellt haben, mit Gefängnis bis zu zwei Jahren zu bestrafen, wenn sie, obwohl sie ihre Zahlungsunfähigkeit kannten, einem Gläubiger in der Absicht, ihn vor den übrigen Gläubigern zu begünstigen, eine Sicherung oder Befriedigung gewährt haben, welche derselbe nicht oder nicht in der Art oder nicht zu der Zeit zu beanspruchen hatte. I» Bezug auf diese Bestimmung hat das Reichsgericht, IV. Strafsenat, durch Urteil vom 22. September 1893 ausgesprochen: Der „Absicht" ist gleichzustellen das Bewußtsein des Thäters, daß seine Handlung die Benachteiligung der übrigen Gläubiger zur notwendigen Folge haben müsse; dagegen genügt das Bewußtsein des Schuldners, durch seine Handlung die übrige» Gläubiger möglicherweise schädigen zu können, nicht zur Bestrafung wegen G>äubigerbegünstigung aus § 2l1 der Konknrsordnung.
— In Berlin ist die Gattin eine« Mini- sterialbeamten in einem Lade» wegen eines Diebstahls im Wert von 20 Pf. verhaftet worden.
— Nach einer Mitteilung aus ärztlichen Kreisen liegen gegenwärtig in den Provinzen Rheinhessen und Etarkenburg 10 000 Personen an Influenza darnieder.
— Das Dunkel über die Ermordung des siebenzehnjährigen Mädchens in Bonn ist einigermaßen gelichtet. DaS arme Geschöpf hat eine Verwechslung mit dem Leben bezahlen müssen. Ein junger Ehemann wollte
seiner Frau, die abends auf verbotenen Wegen wandelte, auflaucrn ; in der Dunkelheit irrte er sich in der Person und das unschuldige Mädchen erhielt den tötlicheu Stich. Der Thäier soll vor dem Untersuchungsrichter ein Geständnis abgelegt haben.
— Im Schloß Numpeuheim ist nach einer Meldung aus Frankfurt a. M., während die Dienerschaft anläßlich der Entbindung der Prinz ssin Friedrich Karl von Hessen (des Kaisers Schwester) nach Frankfurt berufen war, ein großer Diebstahl verübt worden. Es wurde eine Kassette mit Nachschlüsseln geöffnet und 1400 sowie ferner
ein Schmuckkoffer gestohlen. Der Thätcr verschwand spurlos.
— Im reußischcn Orte Arusgrüll in der Nähe von Plauen hat ein elfjähriger Schulknabe seine 74jährige Großmutter dermaßen durch Schläge auf den Kopf mißhandelt, daß die alte Frau nach mehrtägigem Leiden gestorben ist. Schon früher war die Frau von dem Jungen derartig geschlagen worden, daß sie geistesgestört worden ist.
— In Chateaudun löste sich dieser Tage, wie aus Paris gemeldet wird, ein großer Felsblock von einer Anhöhe ab und stürzte auf ein HauS nieder, welches er zertrümmerte; 8 Personen wurden hierbei verschüttet und gelötet.
— In einem Eisenbahncoupee zwischen Monte Carlo und Nizza hat sich eine auffallend schöne, etwa 26jährige Französin, anscheinend von besserer Abkunft, erschossen, nachdem sie ihr Vermögen in Monte Carlo verloren.
— Die Rostocker Bork Hellas ist auf dem-Wege nach Danzig bei Imuideu gesunken. Nur einige Mann der Besatzung sind gerettet worden.
— Man meldet aus Cailai-, daß dort bis jetzt 14 Tote ans Land geschwemmt worden sind. — Aus Boulogne-sur-Mcer wird gemeldet, daß eine Anzahl Fischer von Wif- fand verschwunden sind, über deren Verbleib jede Nachricht fehlt. Der englische Dampfer Abuker-Bay ist bei Morlay in der Nacht vom SamStag zum Sonntag mit Mann und Maus untergegangen. 12 Leichname wurden bei Carautec und 2 bei Plouezach ans Land gespült. Der Bonlszner Kutter Surprise ist bei Biarritz gestrandet. Man glaubt, daß er 9 Personen, darunter Frau u. Kind des Kapitäns, an Bord hatte, die sämtlich ertrunken sind.
— In Batavia ist eine Petroteum-Nie- derlage mit 70,000 Kisten niedergebrannt.
— Wie aus Kopenhagen geschrieben wird, haben nicht weniger denn 79 Fischer an der Norbwestküste von Jütland ihren Tod in den Wellen gefunden. Der Jammer an der betroffenen Küste ist groß, die meisten der Verunglückten stndjFamilienväler und hinterlassen eine zahlreiche Kindcrschar. Die vom Unglück betroffene Gegend liegt unterhalb der J-mmerbucht, jener Einbuchtung des nordwestlichen Jütlands, deren bloßer Name schon von vielem Unglück Kunde giebt, noch niemals ist aber ein Unglück von solchem Umfange eingetroffen. In der UnglückLnacht waren zwischen 11—12 wie gewöhnlich alle Fischer auf der See, aus dem Fischerdorfs Thyland 100 Boote mit etwa 400 Mann. Plötzlich sprang der Wind nach Nordost um und die Wogen begannen hoch zu gehen. Der Küstenwächter bei Klitmöller gab, als er das steigende Meer wahrnahm, das Sig-