Eine
gefährliche Verwechselung.
Novelle von I. Nikoln.
4.
Als wir um eine scharfe Felsecke bogen, wurde in der Ferne eine menschl. Gestalt sichtbar, und in demselben Augenblick hallte ein Flintenschuh mit tausendfachem Echo in den Bergen wieder, daß die Reiher schreiend aus ihrem Horst geflogen kamen.
Mein Onkel stöhnte laut und flüsterte mir zu: »Nun ist Alles aus! Ich sehe meine Heimat nicht wieder I"
„HallI Wer da?" fragte eine laute befehlende Stimme.
Darauf antwortete unser Führer mit einigen wenigen unverständlichen Worten, und die verdächtige Gestalt verschwand wieder in der Dunkelheit.
»Kemme» Sie, meine Herren," sagte unser Führer mit völliger Nutze, „bitte, beschleunigen Sie Ihren Schritt ein wenig."
„Halt I" rief ich gebieterisch, „bevor wir weiter gehen, verlange ich eine Erklärung über dieses verdächtige Treiben."
„O nein, nein," stieß mein Onkel angstvoll hervor, »wir verlangen wirklich nichts, gar nichts. Mm, Neffe ist ein sehr liebenswürdiger junger Mann — etwas ungestüm und heftig — aber ich versichere Sie, sehr liebenswürdig . . ."
»ksr baooo!" lachte der Fremde, „ich glaube sie denken an Guido Gonzago, den König dieser Berge?"
»So ganz Unrecht haben Sie nicht," Versetzte ich, und Sie müssen zugeben, daß dieser Ort hier zu derartigen R flexione» sehr geeignet ist."
„Wohl wahr," sagte der Fremde achzel- zuckend. „Wird noch an dem Strick gedreht, an dem dieser gefürchtete Räuber gehängt werden soll?"
»Gehängt I" wiederholte mein O"kel, „das Verhüte der Himmel I Man wird doch eine so berühmte Größe nicht hängen."
„Worauf gründen Sie diesen Glauben, Signore ?" fragte dm Fremde mit spöttischem Lachen.
„Ich — ich — ich—" stammelte mein Onkel, „ich habe mir diese Frage wirklich nicht reiflich überlegt; aber Sie wissen," setzte er mit der Absicht schlauer Diplomatie hinzu, „der Teufel, sagt man, ist nicht halb so schwarz, als er gemalt wird."
„Wissen Sie," sprach ich, »daß ich große Lust habe, dieses sonderbare Individuum z» sehen? Ein Mensch, der eine ganze Provinz in Furcht jagen kann, muß des Sehens wert sein."
„Ich schätze mich glücklich, Herr," erwiderte der Fremde, indem er sich höflich verneigte, „Ihnen hierin dienen zu können. In wenigen Minuten werde ich die Ehre haben, Sie unserem Hauptmann Guido Gonzag» vorzustellcn."
Mein Onkel stieß einen kläglichen Ton aus und schien sich für eine knieende Stellung vorzäbereilen.
»M'ine Herren," fuhr der Brigant lächelnd fort, „Sie sind meine Gefangenen. Ich habe Sie bisher mit aller Rücksicht behandelt und werde das auch ferner Ihun. Ich bi» selbst Künstler; ich ehre diesen Beruf und sieue mich jederzeit, wenn ich einen
Druck und Perlag von B er n h.
»
Maler in diesen Bergen treffe. Haben Sie die Güte, mir zu folgen."
„Der Brigant schritt uns voraus und wir gingen weiter. Am Ende eines schmalen gewundenen Fußweges tauchten die Ruinen eines Schlosses vor uns auf. Gleich darauf knarrte ein niedriges Gitter in seinen rostigen Angeln und wir traten in einen großen, mit nassem Gras und Unkraut bedeckten Hof.
Unser Begleiter führte uns durch eine zellenartige Thür, die durch einen dunklen Korridor zu einem großen Saal führte, dessen Wände mit Freskomalereien bedeckt waren und an dessen Decke ein prächtiger Kronleuchter hing.
„Nun, meine Herren, sagte der Brigant und wies höflich auf zwei Stühle, „nehmen Sie Platz. Der lange Weg hat Sie jeden» falls ermüdet. Unser Hauptmann wird Sie hier empfangen."
Im nächsten Moment war er durch eine Seitenthür verschwunden und wir blieben der gegenseitigen Betrachtung unserer Gedanken überlassen.
„Da lind wir in eine schöne Falle geraten, Alfred," sagte mein Onkel mit einem tiefen Seufzer, indem er sein Taschentuch vom Kopfe nahm und sich die großen Schweißtropfen von seinem farblosen Gesichte ab- wischte, dahin haben uns Dein Sonnenuntergang, Deine Bergströme und Deine alten Ruinen gebracht I Hier sind wir in einer Mordhöhle, unter Menschen, die einem mit so kaltem Blute die Kehle abschneiden, als handle es sich um das Abschlachten eines Huhnes."
„Vielleicht ist es nicht so schlimm, wie Du denkst," entgegnet? ich tröstend.
„Glaubst Du ?" rief crsiebhoft und klammerte sich krampfhaft an di se leise Hoffnung, »glaubst Du wirklich, daß wir init heiler Haut davonkommen werde» ?"
„Warum nicht? Weshalb sollten sie uns ermorden, Onket?" fragte ich.
»Ich weiß nicht," erwiderte er, »vielleicht fürchten sie, wir würden ihnen die Polizei auf den Hals jagen. Gicbt es denn hier überhaupt eine Polizei?"
„O, es gibt wohl Polizisten, Signore," erklang da eine kleine senore Stimme, „nur iürchten Sic sich mehr für Guido Gonzago, als dieser sich vor Ihnen sülchtet. Sie wünschten den schlecht beleumundeten Menschen der Erde zu sehe», er steht vor Ihne» I"
Mein Onkel und ich sprangen gleichzeitig von unseren Stühlew auf und starrten verwirrt die majestätische Gestalt des Räuber- hanptmanlies an, die in vollem, Hellem Kerzen- scheinc plötzlich vor uns stand.
Im nächsten Augenblick erkannten wir aber in dem schrecklichen Räubcrhauptmann Bepps, den Sohn der Signora Malatesta.
Seine Ueberraschung übertraf noch die unselige.
Er stotterte, wurde leichenblaß und murmelte einen hörbaren Fluch zwischen den fest auf einander gepreßten Zähnen; aber ebenso schnell bekämpfte er seine Aufregung, kam mit tächcitem Munde auf uns zu und reichte uns Beiden die Hand.
»Verstellung wäre hier vergebens," sagte er. »Ich sehe, daß Sie mich erkannt habe», und obgleich unser Begegnis keinenfalls e>n angenehmes ist, bin ich doch stolz darauf, Sie empfange» zu dürfen, meine Herren Die Gäste meiner Mutter sind sicher unter
meinem Dach; und sowohl ihre Person, wie Ihr Eigenthum werden in Ehren gehalten."
Bei dieser Ankündigung kehrte meines Onkels gewohnles Lächeln mit topp-lter Kraft auf sein Gesichi zurück und verbreitete sich über jede Furcht, jede Falte.
Er ergriff des Hauplmanns Hand, als läge in dieser Berührung ein mag,Mischer Einfluß, der ihn mit besonderer Freude erfüllte, Und als er ihn endlich wieder losließ, nahm er eine so stolze Haltung an» als wolle er eine Polka zu tanzen anfangen, und warte nur auf die begleitende Musik.
»Ich weiß nicht, wohin Sie wollen," fuhr der Brigant fort, aber jedenfalls ist es zu spät, heute Ihre Wanderung sortznsetzen. Deshalb sind Sie meine Gäste. Ich bitte, teil an meinem Mahle zu nehmen; ich wollte mich eben zu Tische setzen, als mir gemeldet wurde, daß ich hier gewünscht werde. Hoffentlich verschmähen Sie doch die Gastfreundschaft geS gefürchteten Guido Gonzago nicht ?"
»Verschmähen I Edler Freund, wir fühlen uns sehr geschmeichelt," rief mein Onkel.
»Dann bitte, kommen Sie," sagte der Brigant mit einer leichten Handbewegung und führte uns nach derselben Thüre, durch die wir gekommen waren. Ich zögerte einen Augenblick, denn vor uns war Alles völlig dunkel.
„Nehmen Sie Ihres Onkels Hand," sagte der Brigant, „und hier ist auch di- mcine. Fürchten Sie nichts, Sie sind hier ebenso sicher, wie in Neapel im Hause meiner Mutter."
Mechanisch gehorchte ich und folgte ihm, meinen Onkel »ach mir ziehend, durch die Finsternis. Der Gang, den wir durchschritten, schien endlos, und bei dem tiefen Schweigen, das wir beobachteten, konnte ich deutlich die lauten, unruhigen Herzschläge meines Onkels hören.
Plötzlich ihaten sich ein Paar hohe Flügel- thüren auf, wir traten näher und standen im vollen Glanz von taufend brennenden K«rzen. Es war ein schöner, hoher Raum; von der geschnitzlen und gemalten Decke hingen elegante Kronleuchter vom klarsten Krüstall, die sein ^Helles Licht ausstrahlten und die äußersten Ecken beleuchteten, Statuen aus dem schönsten Marmor, von Künstlerhand gemeißelt, wertvolle Gemälde — einzelne von berühmten alten Meistern — zierten die eine Seite des Zimmers und spiegelten sich in kostbaren Spiegeln auf der andere» Seile wieder, Dicke, weiche Teppiche dämpften den leisesten Schult. Ein Tisch, inmitten des Zimmers, war reich mit den ausgewähltesten Speisen beladen.
Das Ga»ze war wie ei» schöner Traum.
Mein Onkel- rieb sich die Augen und schaute halb verwundert, halb fragend um sich, ob er auch wirklich wach fei.
Unser Wirt lud uns ein Platz zu nehmen, und ich sah zu meiner Seile unseren verräterische» Führer.
t Fortsetzung folgt )
Merkes.
Ich habe g>habt — ist ein armes Wort, Ich hätte gern — ist thörig;
Ich werde haben ist auch kein Hort,
Ich habe — das klingt gehörig;
Drum, was Du Haft, das nimm für viel, Bei Hoffen und Wünschen giebis kein Ziel!
Hvfmaun mW ildbad. (Verantwortlicher Nebakteur: Bernh. Hosmann.)