Rundschau.

Nach der am 10. ds. erfolgte» Heim­kehr des Deutschen Kaisers von der prächtig verlaufenen Jagd im Schönbuch ist I. Maj. die Königin, welche ihre Gemächer wegen deS beschränkten Raumes in Bebenhausen dem Kaiser und seinem Gefolge abgetreten hatte, von dem Besuch ihrer hohen Verwandten aus Schloß Hohenburg in Bayern nach Beben- Hausen zurückgekehrt, wo die K. Familie noch immer weilt.

Aus dem Schönbllch. Eine seltene Jagdbeute wurde demFvrstwächter Jeuter in Dettenhausen zu teil, der eine prachtvolle Wildkatze erlegte. Er traf auf das allmäh­lich auch im Schönbuch selten gewordene Raubtier in dein zum Revier Plattenbardt gehörigen Schmarzenhau. Die erlegte Wild­katze mißt von der Schnauze bis zur Schwanz­spitze 99 Cm.

Reutlingen, 15. Nov. Der Bäckerge­selle Diemer hat gestern abend, erdrückt von den im Laufe dcrUntersucbug weiter zu Tag geförderten Beweisen, das Geständnis abge­legt, das schwere Verbrechen an den Bertsch'- schen Eheleuten begangen zu haben. Er giebt an die That aus Rache darüber begangen zu haben, daß ihn sein Meister am Tage zu­vor einen faulen Menschen geschimpft habe. Das Befinden von Bertsch war gestern auf kurze Zeit so, daß er einige Angaben über die Schreckensnacht machen konnte. Trotzdem das Wnndfiebcr sich stark geltend macht, hoffen die Aerzte doch auf Erhaltung seines Lebens, während Frau B-, die bisher noch nicht zum Bewußtsein gelangte, von den Aerzten auf- gegeben ist.

Der Reichstag ist, nachdem die Er­satzwahl im zweiten badischen Wahlkreise statt- gesunden hat, vollzählig. Von den 307 Mit­gliedern zählt das C'ntrum 99, die Conjer- vativen zählen 68 , die ReichSpartei 27, die National-Liberalen 52, die Freisinnige Volks- Partei 23, die Freisinnige Vereinigung 13, die Polen 19 , die Sozial-Demokraten 44, die Deutsche Reformpartei 11, die Süddeutsche Volkspartci 11; keiner Fraktion gehören an 28.

Berlin, 16. Nov. Die ReichStagseröff- nung fand im weißen Saale des königlichen Schlosses statt. Es waren etwa 150 Abge­ordnete anwesend. Die BundcsratSmitglieder erschienen unter Führung des Reichskanzlers Grafen Caprivi; darauf betrat der Kaiser, mit dreimaligem Hoch begrüßt, den Saal, bestieg den Thron und verlas mit weithin vernehmlicher Stimme die Thronrede, deren Absatz über die guten friedlichen Beziehungen mit lebhaftem Beifall ausgenommen wurde. Der Reichskanzler erklärte darauf die Tag­ung für eröffnet. Die Feierlichkeit schloß mit erneutem Hoch auf den Kaiser.

Berlin, 16. Nov. Heute mittag um 1 Uhr fand in Anwesenheit des Kaisers die Vereidigung der neueingezogenen Truppen im Lustgarten statt, wozu ein Altar zwischen Kanonen und militärifchcn Abzeichen aufge­stellt war. Nachdem der Kaiser die Freud» abgeschritten hatte, hielten der evang. Feld­probst Richter und der katholische Probst Jahnei Ansprachen. Sodann leisteten die einzelnen Truppenteile den von Offizieren vorgesprvchenrn Eid. Eine kurze Ansprache des Kaisers, welche die Truppen mit drei­maligem Hurrah erwiderten, beendete die Feier.

Berlin, 17 . Nov. Das Zentrum brachte

den Antrag auf Außerkraftsetzung des Jc- suitcngesetzes ein. Die freisinnige Volkspartei brachte den Antrag wegen Entschädigung un­schuldig Verurteilter ein.

Eine entsetzliche Selbstverstümmelung aus religiösem Wahn hat sich am Sonntag abend in Berlin die bei dem Handelsmann Schneider an der Königschauffee dienende unverehelichte Marie TrawinSky aus Grusen beigebracht. Das junge Mädchen besuchte seit einiger Zeit hinter dem Rücken ihrer Herrschaft abends die sog. Hallelujaversamm- lungen der Heilsarmee an der Prenzlauer Chaussee, für welche sie schließlich derartig schwärmte, daß sie die Wirtschaft vernach­lässigte und alles um sich her vergaß, so daß sie schon wiederholt ernste Rügen bekommen hatte. Am Sonntag abend hatte nun das Mädchen wiederum jene Versammlung besucht und einen derartigen Eindruck von derselben mit nach Hause genommen, daß sie vollstän­dig wirr war und und in einemfort phan­tasierte. In ihrer fixen Idee, sie hielt sich nämlich für eine Braut Christi, beging die tollsten Dinge; sie entkleidete sich den Ober­körper und unterwarf denselben einem ent­setzlichen Martyrium, indem sic sich mit einem glühend gemachten Feuerhaken bestrich und brannte. Aber damit noch nicht genug. Das wahnsinnige Mädchen hackte sich auch noch von ihrer linken Hand den Zeigefinger ab und sie hätte diese Marterprozedur, um, wie sie sagte, schnell zu Jesu zu kommen, noch weiter auSgeführt, wenn nicht die Herrschaft hinzugekommen wäre. Auf Anordnung eines schnell herbeigeholten Arztes wurde nun die Unglückliche schleunigst nach dem Kranken­haus« geschafft. Leider ist aber wenig Hoff­nung vorhanden, sie am Leben zu erhalten.

(Ein Arbeiter als M'llonenerbe.) Aus Bochum berichtet man unterm 13. ds. Mts.: Eine Riesenerbschaft hat der Fabrik­arbeiter Heinrich Pahr, beschäftigt auf dem Bochumer Verein, hierseldst gemacht. Vor mehreren Jahren wanderte ein naher Ver­wandter desselben aus seiner Heimat, einem hessischen Dorfe, nach Amerika aus. Kürz­lich ist dieser Verwandte unter Hinterlassung eines großen Vermögens unverheiratet ge­storben und hat obengenannten Pahr zum alleinigen Erben eingesetzt. Durch Vermitt­lung des Bochumer Vereins sind die nötigen Formalitäten rc. erledigt worden, und sind dem mit Glücksgüter» so plötzlich reich ge­segneten Fabrikarbeiter bereits vorgestern sei­tens der hiesigen Reichsbank 40,000 Dollars ausgezahlt worden. Das in Amerika be­findliche Grundvermögen des Erblassers re­präsentiert den Wert von fünf Millionen Dollars. Der Erbe ist Witwer, ca. 35 Jahre att, mit vier Kindern. Trotzdem der­selbe am Samstag die große Summe aus­gezahlt bekommen hatte, erschien er heute wie gewöhnlich an seiner Arbeitsstätte in der Fabrik.

Mechelen, 11. Nov. Ein heiteres Gau­nerstückchen wurde in dieser Woche hier ver­übt. Am verflossenen Montag stiegen näm­lich in einem der ersten hiesigen Hotels drei vornehm anssehende Herren ab, die sich als amerikanische Kommissäre bei der Antwerpe- ner Weltausstellung bezeichneten und ein so flottes Leben fühlten, daß bereits am Mit woch ihr Conto auf mehrere hundert Frcs. angcwachsen war. Am Abende dieses TageS, kurz vor der Tadle d'hote, erschien in dem Hotel ein vierter Gast, der sich dem Wirte

gegenüber als Pariser Geheimpolizist legi­timierte und ihm mitteilie, daß er auf der Suche nach drei gefährlichen Pariser Gaunern sei. Dabei zeigte er dem Wirte die Photo­graphien von drei Männern, in denen dieser mit Entsetzen jene drei Weltausstellungs- Kommissare erkannte. Nunmehr entwarf der Geheimpolizist folgenden Plan, bei dessen Ausführung ihm der Wirt behüiflich sein sollte. Der letztere sollte dafür sorgen, daß keiner der Gauner aus dem Hause entweichen könnte, er selbst dagegen würde an der Tadle d'hote Platz nehmen und im geeigneten Mo­mente die Verhaftung der drei Kumpane be­wirken. Also geschah es auch. Der Ge­heimpolizist setzte sich mit zu Tische und ließ sich außer den Speisen auch den feinsten Wein des Hotels trefflich munden. Sowie indessen das Dessert aufgetragen wurde, er­beb er sich plötzlich, gebot Silentium und eröffiiete hierauf den verblüfften Gäste», daß die drei Herren ihm gegenüber drei gefähr­liche Verbrecher seien, die er als Geheim­polizist verhaften müsse. Die drei Herren versuchten hierauf die Flucht zu ergreifen, da jedoch rannten sie dem Wirte, der sich mit seinem ganzen Personal vor der Thüre ausgestellt hatte, gerade in die Arme. Auf Befehl des Geheimpolizisten wurde eine Droschke herbeigeholt, in welcher derselbe mit den Verbrechern Platz nahm.Haben die Kerl ihre Rechnung bezahlt? frug er den Wirt.Nein."Wie hoch beläuft sich die­selbe?*Auf 295 Francs."Gut. Wir werden die Burschen aus dem Polizeibureau untersuchen und das bei ihnen gefundene Geld vor allem zur Tilgung ihrer Forderung be­nutzen. Meine Rechnung können Sie auch dorthin senden. Und nun, Kutscher, vor­wärts nach dem Polizeibureau." Bis ge­stern hatte der Wirt weder von den Ver­hafteten noch von dem Geheimpolizisten Geld besehen können, da, wie wiederholte persön­liche Nachfragen ergaben, bis gestern noch kein einziger von ihnen auf dem Polizei­bureau angelangt war.

Das Schwurgericht in Rudolstadt hat am Mittwoch den Handarbeiter Baum­garten, der sein kleines Kind, weil es schrie, mit der Faust derart auf den Kopf geschlagen hatte, daß das Blut in das Gehirn einge­drungen und dadurch der Tod des unschul­digen Kindes cingetreten war, zu 5 Jahren Zuchthaus u. 5 Jahren Ehrenverlust verurteilt.

In Tripi, einer Ortschaft in der Provinz Messina (Sizilien) setzte eine Bäue­rin ihr kaum einige Monate alt>s Kindlein auf den Boden auf eine» Slrohhaufen und ging dann ihren HauSgeschäften nach ; unter­dessen kam ein Schwein heran, schnüffelte erst an dem Kleinen herum und biß ihm dann ein Händchen ab. Das zarte Kind starb bald darauf.

Graz 16. Nov. Graf Hartenau, der frühere Fürst Alexander von Bulgarien, ist heute Nacht plötzlich schwer erkrankt.

Graz, 17. November. Graf Hartenau ist Mittags um l2 Uhr gestorben.

Aus Serbien, 13. Nov. Ein Räu­ber, namens Pupitsch, hat vier Kinder wohl­habender Ettern geraubt und fordert ein hohes Lösegeld.

Pest, 16. Nov. Die deutsche Thronrede macht hier den besten Eindruck. Alle Blätter erkennen ihren friedlichen Charakter an und sind voll des LobeS für Kaiser Wilhelm II.